Home Random Page


CATEGORIES:

BiologyChemistryConstructionCultureEcologyEconomyElectronicsFinanceGeographyHistoryInformaticsLawMathematicsMechanicsMedicineOtherPedagogyPhilosophyPhysicsPolicyPsychologySociologySportTourism






II. Aufgabenstellung zur Textinterpretation zur Konversation

 

 

1. Haben Sie das Pensum aufmerksam gelesen? Prüfen Sie sich selbst! Wem gehören folgende Aussagen? In welchem Zusammenhang kommen sie im Text vor?

 

 

Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle.

Die Menschlichkeit ist für die Börse der Millionäre geschaffen, mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung.

Geld allein macht nicht glücklich.

Klärchen geht nicht aufs Ganze, ich kenne es, da hat es ein zu gutes Herz.

 

 

2. Stellen Sie sich vor, der Arzt, der Lehrer und C. Zachanassian erzählen nach dem Gespräch über diese Unterhaltung einer anderen Person weiter.

 

Fassen Sie das Gespräch zwischen C.Zachanassian, dem Lehrer und dem Arzt aus verschiedenen Perspektiven kurz (ca.10 Sätze) zusammen:

- C.Zachanassian schildert dieses Gespräch ihrem Gatten

- der Lehrer und der Arzt berichten dem Bürgermeister darüber

 

Gebrauchen Sie dabei folgende temporale Angaben, die den zeitlichen Verlauf der Unterhaltung wiedergeben dann, danach, nachher, anschließend, abschlißend

und Verben aus dem Wortfeld «sagen» bitten, versprechen, erklären, bieten, warnen, verlangen, erwidern, offenbaren.

Vemeiden Sie dabei die direkte Rede.

 

der lehrer Wir kommen in der Angelegenheit des Herrn Ill.

claire zachanassianOh, ist er gestorben?

der lehrer Gnädige Frau! Wir haben schließlich unsere abendländischen Prinzipien.

claire zachanassian Was wollt ihr denn?

der lehrer Die Güllener haben sich leider, leider verschiedenes angeschafft.

der arzt Ziemlich vieles.

Die beiden wischen sich den Schweiß ab.

claire zachanassian Verschuldet?

der lehrer Hoffnungslos.

claire zachanassian Trotz der Prinzipien?

der lehrer Wir sind nur Menschen.

der arzt Und müssen jetzt unsere Schulden bezahlen.

claire zachanassian Ihr wißt, was zu tun ist.

der lehrer mutig Frau Zachanassian. Reden wir offen miteinander. Versetzen Sie sich in unsere traurige Lage. Seit zwei Jahrzehnten pflanze ich in dieser verarmten Gemeinde die zarten Keime der Humanität, rumpelt der Stadtarzt zu den tuberkulösen und rachitischen Patienten mit seinem alten Mercedes. Wozu diese jammervollen Opfer? Des Geldes wegen? Wohl kaum. Unsere Besoldung ist minim, eine Berufung ans Kalberstädter Obergymnasium lehnte ich schlankweg ab, der Arzt einen Lehrauftrag der Universität Erlangen. Aus reiner Menschenliebe? Auch dies wäre übertrieben. Nein, wir harrten aus, all die endlosen Jahre, und mit uns das ganze Städtchen, weil es eine Hoffnung gibt, die Hoffnung, daß die alte Größe Güllens auferstehe, daß die Möglichkeit aufs neue begriffen werde, die unsere Heimaterde in so verschwenderischer Hülle und Fülle birgt. Öl liegt unter der Niederung von Pückenried, Erz unter dem Konradsweilerwald. Wir sind nicht arm, Madame, nur vergessen. Wir brauchen Kredit, Vertrauen, Aufträge, und unsere Wirtschaft, unsere Kultur blüht. Güllen hat etwas zu bieten: Die Platz-an-der-Sonne-Hütte.



der arztBockmann.

der lehrer Die Wagnerwerke. Kaufen Sie die, sanieren Sie die, und Güllen floriert. Hundert Millionen sind planvoll, wohlverzinst anzulegen, nicht eine Milliarde zu verschleudern!

claire zachanassianIchbesitze noch zwei weitere.

der lehrer Lassen Sie uns nicht ein Leben lang vergeblich geharrt haben. Wir bitten um kein Almosen, wir bieten ein Geschäft.

claire zachanassian Wirklich. Das Geschäft wärenichtschlecht.

der lehrer Gnädige Frau! Ich wußte, daß Sie uns nicht im Stich lassen würden!

claire zachanassian Nur nicht auszuführen. Ich kann die Platz-an-der-Sonne-Hütte nicht kaufen, weil sie mir schon gehört.

der lehrer Ihnen?

der arzt UndBockmann?

der lehrer Die Wagnerwerke?

claire zachanassianGehörenmir ebenfalls. Die Fabriken, die Niederung von Pückenried, die Petersche Scheune, das Städtchen, Straße um Straße, Haus für Haus. Ließ den Plunder aufkaufen durch meine Agenten, die Betriebe stillegen. Eure Hoffnung war ein Wahn, euer Ausharren sinnlos, eure Aufopferung Dummheit, euer ganzes Leben nutzlos vertan.

Stille.

der arzt Das ist doch ungeheuerlich.

claire zachanassian Es war Winter, einst, als ich dieses Städtchen verließ, im Matrosenanzug, mit roten Zöpfen, hochschwanger, Einwohner grinsten mir nach. Frierend saß ich im D-Zug nach Hamburg, doch wie hinter den Eisblumen die Umrisse der Peterschen Scheune versanken, beschloß ich zurückzukommen, einmal. Nun bin ich da. Nun stelle ich die Bedingung, diktiere das Geschäft. Laut Roby und Toby, in den Goldenen Apostel. Gatte Nummer neun ist angerückt mit seinen Büchern und Manuskripten.

Die beiden Monstren kommen aus dem Hintergrund undheben die Sänfte in die Höhe.

der lehrer Frau Zachanassian! Sie sind ein verletztes liebendes Weib. Sie verlangen absolute Gerechtigkeit. Wie eine Heldin der Antike kommen Sie mir vor, wie eine Medea. Doch weil wir Sie im tiefsten begreifen, geben Sie uns den Mut, mehr von Ihnen zu fordern: Lassen Sie den unheilvollen Gedanken der Rache fallen, treiben Sie uns nicht zum Äußersten, helfen Sie armen, schwachen, aber rechtschaffenen Leuten, ein etwas würdigeres Leben zu führen, ringenSie sich zurreinen Menschlichkeit durch!

claire zachanassian Die Menschlichkeit, meine Herren, ist für die Börse der Millionäre geschaffen, mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung. Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell. Wer nicht blechen kann, muß hinhalten, will er mittanzen. Ihr wollt mittanzen. Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle. Güllen für einen Mord, Konjunktur für eine Leiche. Los, ihr beiden. Sie wird nach hinten getragen.

DER arzt Mein Gott, was sollen wir tun?

DER lehrer Was uns das Gewissen vorschreibt, Doktor Nüßling

 

 

3. Interpretieren Sie den Inhalt des gelesenen Pensums, indem Sie auf folgende Fragen und Punkte eingehen.

 

1. Das Gespräch zwischen C.Zachanassian, dem Lehrer und dem Arzt.

 

1.1. Was ist das Anliegen des Lehrers und des Arztes in diesem Gespräch? Mit was für Argumenten versuchen sie C.Zachanassian zu überzeugen ihr Vorhaben aufzugeben?

1.2. Was stellt sich im Gespräch heraus, wer hat die Stadt wirtschaftlich ruiniert?

1.3. Was erfahren wir über die Beweggründe C.Zachanassians Benehmen?

1.4. Wie interpretieren die Gesprächspartner die Begriffe «Menschlichkeit», «Anständigkeit»? Finden Sie die entsprechenden Textstellen.

 

2. Szene in Ills Laden.

 

2.1. Wie ist die Einstellung Fr. Ills zu dem, was ihr Mann C.Zachanassian angetan hat?

2.2. Wie nehmen die Bürger der Stadt das wahr, was sich in der Stadt abspielt? Finden Sie die entsprechenden Textstellen. Vergleichen Sie die Einstellung der Bürger zum Vorschlag der Milliarderin und Ills Tat im vorliegenden Pensums, am Ende des 1.Aktes und am Anfang des 2.Aktes?

2.3. Wie stellt man die ganze Geschichte im Gespräch mit den Journalisten dar?

2.4. Wie reagieren die anwesenden Stadteinwohner und insbesondere die Familie von A.Ill und A.Ill auf das Vorhaben des Lehrers die Wahrheit zu verkünden? Finden Sie die entsprechenden Textstellen.

2.5. Wie kann sich A.Ill der Meinung des Lehrers nach retten? Finden Sie die entsprechenden Textstellen.

2.6. Wie erklärt der Lehrer in seiner Rede das Benehmen der Stadteinwohner? Was oder wer ist an allem, was in der Stadt abläuft, schuld? Wovor hat der Lehrer Angst? Finden Sie die entsprechenden Textstellen.

2.7. Was für eine Dame wird die Stadt eines Tages besuchen? Wen oder was meint der Lehrer mit folgenden Worten «Noch weiß ich, daß auch zu uns einmal eine alte Dame kommen wird, eines Tages, und daß dann mit uns geschehen wird, was nun mit Ihnen geschieht…“

 

3. Ills Gespräch mit dem Bürgermeister.

 

3.1. Was will der Bürgermeister mit seinem Besuch bei Ill bewirken? Vergleichen Sie das Benehmen des Bürgermeisters während des Gesprächs mit seinem Benehmen früher. Finden Sie die entsprechenden Textstellen.

3.2. Mit was für Argumenten begründet Ill seine Entscheidung, den Beschluss der Gemeindeversammlung anzunehmen, wie er auch immer ausfällt.

3.3. Wie verstehen der Bürgermeister und Ill die Begriffe Gerechtigkeit und Anständigkeit? Finden Sie die entsprechenden Textstellen.

 

 

4. A.Ill und seine Familie.

4.1. Wie hat sich das Leben der Familie geändert? Womit beschäftigen sich die Kinder?

 

Abschnitt 6

Windesrauschen. Von rechts kommen Roby und Toby mit der Sänfte, in der sich Claire Zachanassian in ihrem gewohnten Kleid befindet. Roby trägt eine Gitarre auf dem Rücken. Neben ihr schreitet ihr Gatte IX, Nobelpreisträger, groß, schlank, graumelierte Haare und Schnurrbart. (Kann vom immer gleichen Schauspieler dargestellt werden.) Dahinter der Butter.

claire zachanassian Der Konradsweilerwald, Roby und Toby, haltet mal an.

Claire Zachanassian steigt aus der Sänfte, betrachtet den Wald durch das Lorgnon, streicht dem Ersten über den Rücken.

cilaire zachanassian Borkenkäfer. Der Baum stirbt ab. Sie bemerkt Ill. Alfred! Schön, dich zu treffen. Besuche meinen Wald.

ill Gehört dir der Konradsweilerwald denn auch?

clAIre zachanassian Auch. Darf ich mich zu dir setzen?

ill Aber bitte. Ich habe eben von meiner Familie Abschied genommen. Gehn ins Kino. Karl hat sich einen Wagen angeschafft.

cilaire zachanassianFortschritt. Sie setzt sich rechts neben Ill.

ill Ottilie nimmt einen Kurs für Literatur. Dazu Englisch und Französisch.

cilaire zachanassian Siehst du, der Sinn für Idealeistihnen doch gekommen. Komm Zoby, verneig dich. Mein neunter Mann. Nobelpreisträger.

ill Sehr erfreut.

claire zachanassian Er ist besonders eigenartig, wenn er nicht denkt. Denk mal nicht, Zoby.

gatte IX Aber Schätzt ...

claire zachanassianZier dich nicht.

gatte IX Also gut. Er denkt nicht.

claire zachanassian Siehst du, jetzt schaut er aus wie ein Diplomat. Erinnert mich an den Grafen Holk, nur schrieb der keine Bücher. Er will sich zurückziehen, seine Memoiren verfassen und mein Vermögen verwalten.

ill Gratuliere.

claire zachanassian Habe ein ungutes Gefühl. Einen Mann hält man sich zu Ausstellungszwecken, nicht als Nutzobjekt. Geh forschen, Zoby, die historische Ruine findest du links.

Gatte IX geht forschen. Ill sieht sich um.

ill Die beiden Eunuchen?

claire zachanassian Begannen zu schwatzen. Ließ sie wegschicken nach Bangkok, in eine meiner Opiumhöhlen. Dort können sie rauchen und träumen. Bald wird ihnen der Kammerdiener folgen. Den werde ich auch nicht mehr nötig haben. Eine Romeo et Juliette, Boby.

Der Butter kommt aus dem Hintergrund, reicht ihr ein Zigarettenetui.

claire zachanassianWillstdu auch eine, Alfred?

ill Gerne.

claire zachanassianSo nimm. Reich uns Feuer, Boby.

Sie rauchen.

ill Riecht aber gut.

claire zachanassian In diesem Wald habenwir oft zusammen; geraucht, weißt du noch? Zigaretten,die dubei Mathildchen gekauft hast. Oder gestohlen.

Der Erste klopft mit dem Schlüssel auf die Tabakspfeife.

claire zachanassian Wieder der Specht.

DEr vierte Kuckuck! Kuckuck!

ill Und der Kuckuck.

claire zachanassian Soll dir Roby vorspielen auf seiner Gitarre?

illBitte.

claire zachanassian Er spielt gut, der begnadigte Raubmörder, brauche ihn für meine besinnlichen Minuten. Grammophone hasse ich und Radios.

ill Im afrikanischen Felsental marschiert ein Bataillone

claire zachanassian Dein Lieblingslied. Habe es ihm beigebracht. .

Schweigen. Sie rauchen. Kuckuck usw. Waldesrauschen. Roby spielt die Ballade.

ill Du hattest - ich meine, wir hatten ein Kind?

claire zachanassian Gewiß.

ill War es ein Bub oder ein Mädchen?

claire zachanassian Ein Mädchen.

ill Und was hast du ihm für einen Namengegeben?

claire zachanassianGenevieve.

ill Hübscher Name.

claire zachanassian Ich sah das Ding nur einmal.Bei der Geburt. Dann wurde es genommen. Vonderchristlichen Fürsorge.

ill Die Augen?

claire zachanassianDie waren noch nicht offen.

ILL Die Haare?

claire zachanassian Schwarz, glaube ich, doch dassind sie ja oft bei Neugeborenen.

ill Das ist wohl so.

Schweigen.Rauchen.Gitarre.

ill Bei wem ist es gestorben?

claire zachanassianBei Leuten. Ich habe die Namenvergessen.

ill Woran?

claire zachanassianHirnhautentzündung.Vielleicht auch etwas anderes. Ich erhielt eine Karte von der Behörde.

ill Bei Todesfall kann man sich auf die verlassen.

Schweigen.

claire zachanassianIcherzählte dir von unserem Mädchen. Nun erzähl von mir.

ill Von dir?

claire zachanassian Wie ich war, als ich siebzehn war, als du mich liebtest.

ill Mußte dich einmal lange suchenin der Peterschen Scheune, fand dich in der Droschke im bloßen Hemd mit einem langen Strohhalm zwischen den Lippen.

claire zachanassian Du warst stark und mutig. Hast gegen den Eisenbähnler gekämpft, der mir nachstrich. Ich wischte dir das Blut aus dem Gesicht mit meinem roten Unterrock.

Das Gitarrenspiel schweigt.

claire ire zachanassian Die Ballade ist zuEnde.

ill Noch >O Heimat süß und hold<.

claire zachanassian Kann Roby auch.

Neues Gitarrenspiel.

ill Nun ist es soweit. Wir sitzen zum letzten Mal in unserem bösen Wald voll Kuckuck und Windesrauschen.

Die Bäume bewegen ihre Äste.

ill Heute abend versammelt sich die Gemeinde.Manwird mich zum Tode verurteilen, und einer wird mich töten. Ich weiß nicht, wer er sein wird und woesgeschehen wird, ich weiß nur, daß ich ein sinnloses Leben beende.

claire zachanassian Ich liebte dich. Du hast mich verraten, Doch den Traum von Leben, von Liebe, von Vertrauen, diesen einst wirklichen Traum habe ich nicht vergessen. Ich will ihn wieder errichten mit meinen Milliarden, die Vergangenheit ändern, indem ich dich vernichte.

ill Ich danke dir für die Kränze, die Chrysanthemen und Rosen.

Erneutes Windesrauschen.

ill Machen sich schön auf dem Sarg im Goldenen Apostel. Vornehm.

claire zachanassian Ich werde dich in deinem Sarg nach Capri bringen. Ließ ein Mausoleum errichten im Park meines Palazzos. Von Zypressen umgeben. Mit Blick aufs Mittelmeer.

ill Kenne ich nur von Abbildungen.

claire zachanassian Tiefblau. Ein grandioses Panorama. Dort wirst du bleiben. Bei mir.

ill Nun ist auch >O Heimat süß und hold< zu Ende.

Gatte IX. kommt zurück.

claire zachanassian Der Nobelpreisträger. Kommt von seiner Ruine. Nun, Zoby?

gatte IX Frühchristlich. Von den Hunnen zerstört.

claire zachanassian Schade. Deinen Arm. Die Sänfte, Roby und Toby.

Sie besteigt die Sänfte.

claire zachanassianAdieu,Alfred.

ill Adieu,Klara.

Die Sänfte wird nach hinten getragen, III bleibt auf der Bank sitzen. Die Bäume legen ihre Zweige fort. Von oben senkt sich ein Theaterportal herunter mit den üblichen Vorhängen und Drapierungen, Inschrift >Ernst ist das Leben, heiter die Kunst<. Aus dem Hintergrund kommt der Polizist in einer neuen, prächtigen Uniform, setzt sich zu Ill. Ein Radioreporter kommt, beginnt ins Mikrophon zu reden, während sich die Güllener versammeln. Alles in neuer feierlicher Kleidung, alles im Frack. Überall Pressephotographen, Journalisten, Filmkameras.

der radiosprecher Meine Damen und Herren. Nach den Aufnahmen im Geburtshaus und dem Gespräch mit dem Pfarrer wohnen wir einem Gemeindeanlaß bei. Wir kommen zum Höhepunkt des Besuches, den Frau Claire Zachanassian ihrem ebenso sympathischen wie gemütlichen Heimatstädtchen abstattet. Zwar ist die berühmte Frau nicht zugegen, doch wird der Bürgermeister in ihrem Namen eine wichtige Erklärung abgeben. Wir befinden uns im Theatersaal im Goldenen Apostel, in jenem Hotel, in welchem Goethe übernachtete. Auf der Bühne, die sonst Vereinsanlässen dient und den Gastvorstellungen des Kalberstädter Schauspielhauses, versammeln sich die Männer. Nach alter Sitte -wie der Bürgermeister eben informierte. Die Frauen befinden sich im Zuschauerraum – auch dies Tradition. Feierliche Stimmung, die Spannung außerordentlich, die Filmwochenschauen sind hergefahren, meine Kollegen vom Fernsehen, Reporter aus aller Welt, und nun beginnt der Bürgermeister zu reden.

Drr Reporter geht mit dem Mikrophon zum Bürgermeister, der in der Mitte der Bühne steht, die Männer von Güllen im Halbkreis um ihn.

der bürgermeister Ich heiße die Gemeinde von Güllen willkommen. Ich eröffne die Versammlung. Traktandum: Ein einziges. Ich habe die Ehre, bekanntgeben zu dürfen, daß Frau Claire Zachanassian, die Tochter unseres bedeutenden Mitbürgers, des Architekten Gottfried Wäscher, beabsichtigt, uns eine Milliarde zu schenken.

Ein Raunen geht durch die Presse.

der bürgermeister Fünfhundert Millionen derStadt,fünfhundert Millionen an alle Bürger verteilt.

Stille.

der radiosprecher gedämpft Liebe Hörerinnen und Hörer. Eine Riesensensation. Eine Stiftung, die mit einem Schlag die Einwohner des Städtchens zu wohlhabenden Leuten macht und damit eines der größten sozialen Experimente unserer Epoche darstellt. Die Gemeinde ist denn auch wie benommen. Totenstille. Ergriffenheit auf allen Gesichtern.

der bürgermeister Ich gebe dem Lehrer das Wort.

Der Radioreporter nähert sich mit dem Mikrophon dem Lehrer.

der lehrer Güllener. Wir müssen uns klar sein, daß Frau Zachanassian mit dieser Schenkung etwas Bestimmtes will. Was ist dieses Bestimmte? Will sie uns mit Geld beglücken, mit Gold überhäufen, die Wagnerwerke sanieren, die Platz-an-der-Sonne-Hütte, Bockmann? Ihr wißt, daß dies nicht so ist. Frau Claire Zachanassian plant Wichtigeres. Sie will für ihre Milliarde Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit. Sie will, daß sich unser Gemeinwesen in ein gerechtes verwandle. Diese Forderung läßt uns stutzen. Waren wir denn nicht ein gerechtes Gemeinwesen?

der erste Nie!

der zweite Wir duldeten ein Verbrechen!

der dritte Ein Fehlurteil!

der vierte Meineid!

eine frauenstimme Einen Schuft!

andere stimmen Sehr richtig!

der lehrer Gemeinde von Güllen! Dies der bittere Tatbestand: Wir duldeten die Ungerechtigkeit. Ich erkenne nun durchaus die materielle Möglichkeit, die uns die Milliarde bietet; ich übersehe keineswegs, daß die Armut die Ursache von so viel Schlimmem, Bitterem ist, und dennoch: Es geht nicht um Geld, – Riesenbeifall – es geht nicht um Wohlstand und Wohlleben, nicht um Luxus, es geht darum, ob wir Gerechtigkeit verwirklichen wollen, und nicht nur sie, sondern auch all die Ideale, für die unsere Altvordern gelebt und gestritten hatten und für die sie gestorben sind, die den Wert unseres Abendlandes ausmachen! Riesenbeifall. Die Freiheit steht auf dem Spiel, wenn die Nächstenliebe verletzt, das Gebot, die Schwachen zu schützen, mißachtet, die Ehe beleidigt, ein Gericht getäuscht, eine junge Mutter ins Elend gestoßen wird. Pfuirufe. Mit unseren Idealen müssen wir nun eben in Gottes Namen Ernst machen, blutigen Ernst. Riesenbeifall. Reichtum hat nur dann Sinn, wenn aus ihm Reichtum an Gnade entsteht: Begnadet aber wird nur, wer nach der Gnade hungert. Habt ihr diesen Hunger, Güllener, diesen Hunger des Geistes, und nicht nur den anderen, profanen, den Hunger des Leibes? Das ist die Frage, wie ich als Rektor des Gymnasiums ausrufen möchte. Nur wenn ihr das Böse nicht aushaltet, nur wenn ihr unter keinen Umständen in einer Welt der Ungerechtigkeit mehr leben könnt, dürft ihr die Milliarde der Frau Zachanassian annehmen und die Bedingung erfüllen, die mit dieser Stiftung verbunden ist. Dies, Güllener, bitte ich zu bedenken.

Tosender Beifall.

der radioreporter Sie hören den Beifall, meine Damen und Herren. Ich bin erschüttert. Die Rede des Rektors bewies eine sittliche Größe, wie wir sie heute – leider -nicht mehr allzuoft finden. Mutig wurde auf Mißstände allgemeiner Art hingewiesen, auf Ungerechtigkeiten, wie sie ja in jeder Gemeinde vorkommen, überall, wo Menschen sind.

der bürgermeister Alfred Ill –

der radioreporterDerBürgermeister ergreift wieder das Wort.

der bürgermeister Alfred Ill, ichhabe an Sie eine Frage zu stellen.

Der Polizist gibt Ill einen Stoß.Der erhebt sich.DerRadiosprecher kommt mit dem Mikrophon zu ihm.

der radioreporter Nun die Stimme des Mannes, auf dessen Vorschlag hin die Zachanassian-Stiftung gegründet wurde, die Stimme Alfred Ills, des Jugendfreundes der Wohltäterin. Alfred Ill ist ein rüstiger Mann von etwa siebzig Jahren, ein senkrechter Güllener von altem Schrot und Korn, natürlicherweise ergriffen, voll Dankbarkeit, voll stiller Genugtuung.

bürgermeister Ihretwegen wurde uns die Stiftung angeboten, Alfred Ill. Sind sie sich dessen bewußt?

Ill sagt leise etwas.

der radioreporter Sie müssen lauter reden, guter alter Mann, damit unsere Hörerinnen und Hörer auch etwas verstehen.

ill Ja.

der bürgermeister Werden Sie unseren Entscheid über Annahme oder Ablehnung der.Claire-Zachanassian-Stiftung respektieren?

ill Ich respektiere ihn.

der bürgermeister Hat jemand an Alfred Ill eine Frage zu stellen?

Schweigen.

der bürgermeister Hat jemand zur Stiftungder Frau Zachanassian eine Bemerkung zu machen?

Schweigen.

der bürgermeisterHerr Pfarrer?

Srhweigen.

der bürgermeisterHerr Stadtarzt?

Schweigen.

der bürgermeister Die Polizei?

Schweigen.

der bürgermeister Die politischeOpposition?

Schweigen.

der bürgermeister Ich schreitezur Abstimmung.

Stille. Nur das Surren der Filmapparate, das Aufblitzen der Blitzlichter.

der bürgermeister Werreinen Herzens dieGerechtigkeit verwirklichen will,erhebe die Hand.

Alle außer Ill erheben dieHand.

der radioreporter Andächtige Stille im Theatersaal. Nichts als ein einziges Meer von erhobenen Händen, wie eine gewaltige Verschwörung für eine bessere, gerechtere Welt. Nur der alte Mann sitzt regungslos, vor Freude überwältigt. Sein Ziel ist erreicht, die Stiftung dank der wohltätigen Jugendfreundin errichtet.

der bürgermeister Die Stiftung der Claire Zachanassian ist angenommen. Einstimmig. Nicht des Geldes –

die gemeinde Nicht des Geldes –

der bürgermeister sondern der Gerechtigkeit wegen –

die gemeinde sondern der Gerechtigkeit wegen –

der bürgermeister und aus Gewissensnot.

der gemeindeund aus Gewissensnot.

der bürgermeister Denn wir können nichtleben, wenn wir ein Verbrechen unter uns dulden -

der gemeinde Denn wir können nicht leben, wenn wir ein Verbrechen unter uns dulden –

der bürgermeisterwelches wir ausrotten müssen-

der gemeinde welches wir ausrotten müssen –

der bürgermeister damit unsere Seelen nicht Schaden erleiden –

der gemeinde damit unsere Seelen nicht Schaden erleiden –

der bürgermeister und unsere heiligsten Güter.

der gemeindeund unsere heiligsten Güter.

ill schreit auf Mein Gott!

Alle stehen feierlich mit erhobenen Händen da, doch nun hat es bei der Kamera der Filmwochenschau eine Panne gegeben.

der kameramann Schade, Herr Bürgermeister. Die Beleuchtung streikte. Bitte die Schlußabstimmung noch einmal.

der bürgermeister Noch einmal?

der kameramannFürdie Filmwochenschau.

der bürgermeister Aber natürlich.

der kameramann Scheinwerfer in Ordnung?

eine stimme Klappt.

der kameramannAlsolos.

Der Bürgermeister setzt sich in Pose.

der bürgermeister Wer reinen Herzens die Gerechtigkeit verwirklichen will, erhebe die Hand.

Alle erheben die Hand.

der bürgermeisterDie Stiftung der Claire Zachanassian ist angenommen. Einstimmig. Nicht des Geldes –

die gemeinde Nicht des Geldes –

der bürgermeister sondern der Gerechtigkeit wegen –

die gemeinde sondern der Gerechtigkeit wegen –

der bürgermeister und aus Gewissensnot.

die gemeinde und aus Gewissensnot.

der bürgermeister Denn wir können nicht leben, wenn wir ein Verbrechen unter uns dulden –

die gemeinde Denn wir können nicht leben, wenn wir ein Verbrechen unter uns dulden –

der bürgermeister welches wir ausrotten müssen –

die gemeinde welches wir ausrotten müssen –

der bürgermeister damit unsere Seelen nichtSchadenerleiden –

die gemeinde damit unsere Seelen nicht Schaden erleiden –

der bürgermeister und unsere heiligstenGüter.

die gemeinde und unsere, heiligsten Güter.

Stille.

der kameramann leise Ill! Na!

Stille.

der kameramann enttäuscht Dann nicht. Ein Jammer, daß der Freudenschrei »mein Gott« nicht kam, der war besonders eindrucksvoll.

der bürgermeister Die Herren von der Presse, vom Rundfunk und vom Film sind zu einem Imbiß eingeladen. Im Restaurant. Sie verlassen den Theatersaal am besten durch den Bühnenausgang. Den Frauen ist im Garten des Goldenen Apostels ein Tee serviert.

Die Presse-, Rundfunk- und Filmleute gehen nach hinten rechts hinaus. Die Männer bleiben unbeweglich aufderBuhne. Ill steht auf, will gehen.

der polizist Bleib! Er drückt Ill au f die Bank nieder.

ill Ihr wollt es noch heute tun?

der polizist Natürlich.

ill Ich dachte, es würde am bestenbei mir geschehen.

der polizist Es geschieht hier.

der bürgermeister Ist niemand mehr im Zuschauerraum?

Der Dritte und der Vierte spähen nach unten.

der dritte Niemand.

der bürgermeister Auf der Galerie?

der vierte Leer.

dur bürgermeister Schließt die Türen.Den Saal darfniemand mehr betreten.

Die zwei gehen in den Zuschauerraum.

der dritte Geschlossen.

der vierte Geschlossen.

der bürgermeister Löscht die Lichter. Der Vollmond scheint durch die Fenster der Galerie. Das genügt.

Die Bühne wird dunkel. Im schwachen Mondlicht sind die Menschen nur undeutlichzu sehen.

der bürgermeisterBildeteine Gasse.

Die Güllener bilden eine kleineGasse, an deren Ende derTurner steht, nun in eleganten weißenHosen, eine roteSchärpe über dem Turnerleibchen!

der bürgermeister Herr Pfarrer, darf ich bitten. Der Pfarrer geht langsam zu III, setzt sich zu ihm.

der pfarrer Nun, Ill, Ihre schwere Stunde ist gekommen.

ill Eine Zigarette.

der pfarrer Eine Zigarette, Herr Bürgermeister.

der bürgermeister mit Wärme Selbstverständlich. Eine besonders gute.

Er reicht die Schachtel dem Pfarrer, der sie Ill hinhält. Der nimmt eine Zigarette, der Polizist gibt ihm Feuer, der Pfarrer gibt die Schachtel wieder dem Bürgermeister zurück.

der pfarrer Wie schon der Prophet Amos gesagt hat -:

ill Bitte nicht. Raucht.

der pfarrer Sie fürchten sich nicht?

ill Nicht mehr sehr. Raucht.

der pfarrer hilflos Ich werde für Siebeten.

ill Beten Sie für Güllen.

Ill raucht. Der Pfarrer steht langsam auf.

der pfarrer Gott sei uns gnädig.

Der Pfarrer geht langsam in die Reihen der ändern.

der bürgermeister Erheben Sie sich, Alfred Ill.

Ill zögert.

der polizistStehauf, du Schwein. Er reißt ihn in die Höhe.

der bürgermeister Polizeiwachtmeister, beherrschenSiesich.

der polizist Verzeihung. Es ging mit mir durch.

der bürgermeister Kommen Sie, Alfred Ill.

Ill läßt die Zigarette fallen, tritt sie mit dem Fuß aus. Geht dann langsam in die Mitte der Bühne, kehrt dem Publikum den Rücken.

der bürgermeister Gehen Sie in die Gasse.

Ill zögert.

der polizistLos, geh.

Ill geht langsam in die Gasse der schweigenden Männer. Ganz hinten stellt sich ihm der Turner entgegen. Ill bleibt stehen, kehrt sich um, sieht, wie sich unbarmherzig die Gasse schließt, sinkt in die Knie. Die Gasse verwandelt sich in einen Menschenknäuel, lautlos, der sich ballt, der langsam niederkauert. Stille. Von links vorne kommen Journalisten. Es wird hell.

pressemann I Was ist denn hier los?

Der Menschenknäuel lockert sich auf. Die Männer sammeln sich im Hintergrund, schweigend. Zurück bleibt nur der Arzt, vor einem Leichnam kniend, über den ein kariertes Tischtuch, wie es in Wirtschaften üblich ist, gebreitet ist. Der Arzt steht auf. Nimmt das Stethoskop ab.

der arztHerzschlag.

Stille.

der bürgermeister Tod aus Freude.

pressemann I Tod aus Freude.

pressemann IIDas Leben schreibt die schönsten Geschichten.

pressemann I An die Arbeit.

Die Journalisten eilen nach rechts hinten. Von links kommt Claire Zachanassian, vom Butler gefolgt. Sie sieht den Leichnam, bleibt stehen, geht dann langsam nach der Mitte der Bühne, kehrt sich gegen das Publikum.

claire zachanassian Bringt ihn her.

Roby und Toby kommen mit einer Bahre,legen Ill darauf und bringen ihn vor die Füße Claire Zachanassians.

claire zachanassian unbeweglich Deck ihn auf, Boby.

Der Butler deckt das Gesicht Ills auf. Sie betrachtet es, regungslos, lange.

claire zachanassian Er ist wieder so, wie er war, vor langer Zeit, der schwarze Panther. Deck ihn zu.

Der Butler deckt das Gesicht wieder zu.

claire zachanassian Tragt ihn in den Sarg.

Roby und Toby tragen den Leichnam nach links hinaus.

claire zachanassian Führ mich in mein Zimmer, Boby. Laß die Koffer packen. Wir fahren nach Capri.

Der Butler reicht ihr den Arm, sie geht langsam nach links hinaus, bleibt stehen.

claire zachanassian Bürgermeister.

Von hinten, aus der Reihe der schweigendenMänner,kommt langsam der Bürgermeister nach vorne.

claire zachanassian Der Check. Sieüberreicht ihm einPapier und geht mit dem Butler hinaus.

Drückten die immer besseren Kleider den anwachsenden Wohlstand aus, diskret, unaufdringlich, doch immer weniger zu übersehen, wurde der Bühnenraum stets appetitlicher, veränderte er sich, stieg er in seiner sozialen Stufenleiter, als siedelte man von einem Armeleutequartier unmerklich in eine moderne wohlsituierte Stadt über, reicherte er sich an, so findet diese Steigerung nun im Schlußbild ihre Apotheose. Die einst graue Welt hat sich in etwas technisch Blitzblankes, in Reichtum verwandelt, mündet in ein Welt-Happy-End ein. Fahnen, Girlanden, Plakate, Neonlichter umgeben den renovierten Bahnhof, dazu, die Güllener, Frauen und Männer in Abendkleidern und Fräcken, zwei Chöre bildend, denen der griechischen Tragödien angenähert, nicht zufällig, sondern als Standortsbestimmung, als gäbe ein havariertes Schiff, weit abgetrieben, die letzten Signale.

chor I Ungeheuer ist viel

Gewaltige Erdbeben


Date: 2015-12-11; view: 1523


<== previous page | next page ==>
Die Begegnung von C. Zachanassian und A. Ill. | Aufgabenstellung zur Konversation
doclecture.net - lectures - 2014-2024 year. Copyright infringement or personal data (0.031 sec.)