1. Die traditionelle Klassifikationder Entlehnungen, die von deutschen Germanisten stammt (H. Hirt, O. Behaghel, F. Wrede u.a.), wird seit Beginn des 20. Jhs. allgemein gebraucht. Demzufolge wird das entlehnte Wortgut in zwei Gruppen eingeteilt: 1. Lehnwörter(àññèìèëèðîâàííûå, îñâîåííûå çàèìñòâîâàíèß); 2. Fremdwörter (èíîßçû÷íûå, èíîñòðàííûå ñëîâà).
Als Lehnwörtersind Entlehnungen anzusehen, die im Deutschen völlig assimiliert sind. Sie haben sich dem Deutschen in Lautgestalt und Betonung, in Flexion und Schreibung völlig angepasst, z. B. Mauer, Straße, Schule. Fremdwörterdagegen haben ihren fremdsprachlichen Charakter bewahrt, sie fallen durch einige Merkmale auf, z. B. Milieu, Interview, Jogging.
Zu Lehnwörtern gehören einige Schichten: 1) die ältesten Wörter keltischen Ursprungs: Amt, Eisen, Reich; 2) lateinische und griechische Entlehnungen der voralthochdeutschen und althochdeutschen Periode: Fenster, Ziegel, Kalk, Wein; der Epoche der Christianisierung: Kloster, Mönch,
I Nonne, Schule, Tafel, Tinte; 3) Entlehnungen aus dem Französischen der mittelhochdeutschen Periode (tanzen, Banner, Lanze), des 16. und 17. Jhs. (Tasse, Weste, Onkel, Tante); 4) slawische Entlehnungen: Grenze, Gurke, Quark; 5) italienische Entlehnungen: Kapelle, Oper, Konzert; 6) englische Entlehnungen: Film, Sport, Streik; 7) aus anderen Sprachen entlehnte Wörter: Tee, Reis, Zucker.
Wie man sieht, liegt der traditionellen Klassifikation der Grad der formalen Anpassung zu Grunde. Deshalb wurde die Unterscheidung in Lehn- und Fremdwörtern aus historischer, diachroner Sicht vorgenommen und mit dem Kriterium der Entstehungszeit verbunden. Alle Entlehnungen bis zum 15. Jh. werden als Lehnwörter, diejenigen vom 16. Jh. ab (nach 1500) als Fremdwörter betrachtet. Dieser Klassifikation wird Unlogik und Inkonsequenz mit Recht vorgeworfen. Wörter wie Film, Sport, Streik wurden in den deutschen Wortbestand im 19. Jh. aufgenommen, sind völlig assimiliert (d.h. sie sind Lehnwörter), aber trotzdem werden sie laut Klassifikation als Fremdwörter behandelt.
Einiges zur Geschichte der Termini: Die Bezeichnung „Fremdwort“ hat Jean Paul (1763 — 1825) geprägt. Vom ähnlichen Begriff schrieben J. G.Schottel und Ph. von Zesen (Vertreter der ersten Periode des Purismus) um die Mitte des 17. Jhs. Man verwendete dafür die Ausdrücke „fremde Wörter", „ausländische Wörter". Die Bezeichnung „Lehnwort" existiert seit der Mitte des 19. Jhs., von H. Ebel 1856 in seinem Buch „Über die Lehnwörter der deutschen Sprache" gebraucht, ohne klare Scheidung zwischen Lehnwort und Fremdwort. Bei der Entscheidung, ob Fremdwort oder deutsches Wort, halten sich durchschnittliche Sprachträger (wie es die Tests von K. Heller in den 60er Jahren des 20. Jhs. zeigten) an drei Kriterien: a) morphematische Struktur des Wortes; b) seine Geläufigkeit in der Alltagsrede; c) Orthografie.
Manche fremden Wörter werden vielfach für deutsche gehalten, weil sie häufig in der Alltagssprache vorkommen {Bus, Möbel, Doktor) oder] weil sie in Klang und Gestalt nicht mehr fremd wirken {Dose, Droschke, Film, Flöte, Front, Klasse, Krem, Peitsche, Streik, Truppe, boxen, parken werden als deutsche Wörter empfunden). Das vom Lesen her bekannt î Wort Puzzle ['pasl, auch 'pusl] — „Geduldsspiel“ wurde von Testpersonen für schwäbisch gehalten und dementsprechend ausgesprochen. Polyseme Wörter wurden unterschiedlich betrachtet: „Note“ in der Bedeutung „Musikzeichen“ wurde als deutsches Wort, „Note“ als schriftliche Mitteilung {diplomatische Note) als Fremdwort eingruppiert.
2. Die Klassifikation von L. Zinder und T. Strojeva.In der modernen Wortforschung steht die synchrone Betrachtung der Entlehnungen im Vordergrund. Der erste Versuch, entlehnte Wörter aus neuer Sicht zu behandeln, wurde von den einheimischen Linguisten L. Zinder und T. Strojeva (L., 1941) unternommen. Sie unterscheiden im deutschen Wortbestand drei Gruppen:
1) deutsche Wörter(deutsche Stammwörter: Haus, gut und Lehnwörter: Fenster, Keller);
Irrtümlicherweise werden diese drei Gruppen im Lehrbuch von A. Iskos und A. Lenkova unter dem Oberbegriff „Lehnwörter" (eigentlich = „Entlehnungen“) zusammengefasst (s. Iskos, Lenkowa, 1970, 111). Zur dritten Gruppe gehören Entlehnungen, die a) ihre fremde Lautform beibehalten, b) parallel zu deutschen Synonymen existieren, c) schwache wortbildende Produktivität und d) manchmal eine spezifische lexikalische Bedeutung haben: Gentleman, Journal, Spleen.
3. Die Klassifikation von L. J. Granatkinaberücksichtigt die modernen Aspekte des deutschen Lehngutes. Sie unterscheidet innerhalb der entlehnten Lexik neben deutschen Wörtern drei Gruppen:
3) wenig gebräuchliche Fremdwörter:adrett (gekleidet), dezent (taktvoll), simpel (einfach), Feature, n (Bericht), Matinee, (Vormittagsveranstaltung), Tycoon, m (Industriemagnat). Diese Klassifizierung gibt Aufschluss über die semantische und stilistische Leistung des Fremdwortes im Deutschen.
4. Die Klassifikation von K. Heller.Der deutsche Germanist Ê. Í e 11 e r versucht Fremdwörter aus der Sicht der Systemhaftigkeit der Lexik zu erforschen. Das semantische Verhältnis zwischen Fremdwort und deutschem Wort liegt seiner Klassifikation zu Grunde, in der man unterscheidet:
2) Fremdwörter ohne direkte deutsche Entsprechung.Ihr Inhalt ist durch eine Umschreibung mit deutschen Wörtern annähernd wiederzugeben: Assozitation — politische Aufklärungstätigkeit, Werbung für politische oder soziale Ziele. In diese Reihe gehören: Apotheke, Atlas, Demokratie, Kultur, Minister, Nation, Politik, Universität, Zirkus u. a.
3) Mehrdeutige (polysemische) Fremdwörterhaben einige Bedeutungen,lexikalisch-semantische Varianten: Artikel — Ware, Handelsgegenstand;Aufsatz, Abhandlung; selbständiger Abschnitt innerhalb eines Textes; Begleitwort des Substantivs, Geschlechtswort. Weitere Beispiele: Figur — äußere Gestalt eines Menschen; Zeichnung, künstlerische Darstellung; geometrisches Gebilde; Spielstein (bes. beim Schachspiel); Person, Mensch; Bewegungsabfolge (beim Tanz); Organ — Körperteil; (ugs.) Stimme (eines Sängers); offizielle Einrichtung, Behörde; Zeitung oder Zeitschrift.
4) Umfassende Fremdwörter(Schwammwörter, Wörter mit weiter, vager Semantik): interessant, problematisch, modern, registrieren. 1901 wollten puristisch gesinnte Sprachpfleger „Interesse" durch deutsche Wörter ersetzen: Anteil, Aufmerksamkeit, Spannung; Reiz, Neigung, Wert; Gewinn, Vorteil, Selbstsucht. Diese Wörter sind griffbereit da für bequeme, denkträge Sprecher/Schreiber oder solche, die ihre Gedanken mit Absicht unklar und vage ausdrücken wollen. Zum Kreis „problematisch“ gehören Synonyme und Umschreibungen: unbestimmt, unklar, unentschieden, ungewiss, fragwürdig, schwierig, gewagt, schwer zu lösen, mit Schwierigkeiten verbunden, strittig, zweifelhaft. Was bedeutet „modern“, was heißt „moderner Mensch“? (in Heiratsanzeigen) — „der Mode, dem Zeitgeschmack entsprechend, modisch, zeitgemäß; neuzeitlich, gegenwärtig; für die Probleme der Gegenwart aufgeschlossener Mensch, vielseitig interessiert“ (vgl. die Werbung: Moderne Menschen kaufen modern).