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II. Absprachen im Strafverfahren

Die Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153 ff. StPO beziehen sich auf das Ermittlungsverfahren. Zur Beschleunigung einer Hauptverhandlung stehen jedoch nur die Möglichkeiten des beschleunigten (§§ 417 ff. StPO) und des Strafbefehlsverfahrens zur Verfügung. Ersteres kann jedoch nur bei einfachem Sachverhalt, klarer Beweislage und der Aussicht einer geringeren Strafe als einer einjährigen Freiheitsstrafe durchgeführt werden, letzteres kommt schon dann nicht in Betracht, wenn die Verhängung einer Freiheitsstrafe in Aussicht steht.

Um weit schwerere Sanktionen geht es in Großverfahren – insbesondere im Bereich der Wirtschafts-, Umwelt- und Betäubungsmittelstrafverfahren -, die seit etwa 1975 aufgrund der ihnen zugrunde liegenden, zunehmend komplexeren Sachverhalte eine stetige Ausdehnung des Arbeitsanfalls bei der Justiz verursachen, welche auch die Beschleunigungsnovelle von 1979 nicht effektiv abbremsen konnte. Insbesondere für Verteidiger ergaben sich aus diesen komplexen Grußverfahren neue Möglichkeiten; durch entsprechendes Prozessverhalten konnten sie bei schwer aufzuklärenden Straftaten den Prozess verzögern oder aufgrund mittlerweile nicht mehr zur Verfügung stehender Beweismittel zum Scheitern bringen und somit im Verfahren die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten verschieben.[31] Dies bedeutete natürlich eine Vereitelung der Durchsetzung des materiellen Strafrechts – somit auch der Durchsetzung des Legalitätsprinzips - und eine Verzögerung des Zeitpunkts, zu dem Rechtsfrieden eintritt. Beides sind Ziele, die die StPO den Gerichten bei der Durchführung des Strafverfahrens auferlegt.

Die Gerichte kamen bald zu dem Ergebnis, dass das Erreichen ihrer Ziele vom Prozessverhalten der Verteidigung abhängig, die ihrerseits an der Vermeidung einer öffentlichkeitswirksamen Hauptverhandlung, anderenfalls wenigstens an der Berechenbarkeit ihres Ergebnisses interessiert ist. Damit entwickelte sich in der Praxis ein Trend, mittels gegenseitiger Zusagen und Einschränkungen des eigenen Prozessverhaltens das streitige Verfahren auf konsensualem Wege zu lösen.[32]

1. Ausgestaltung von Absprachen im Strafverfahren

Die klassische Form einer Verfahrensverständigung, wie sie umgangssprachlich als „Deal“ bezeichnet wird, ist die Zusage einer Strafobergrenze durch das Gericht, im Austausch gegen das Ablegen eines glaubhaften Geständnisses durch den Angeklagten.[33] Doch ist dies bei weitem nicht die einzig denkbare Ausgestaltung eines Strafverfahrens.

Absprachen können sowohl Verfahrensvereinfachungen wie zB. das Verzichten auf Beweisanträge, als auch die Bestimmung des Prozessgegenstandes und schließlich der Rechtsfolgen beinhalten. Auch ein Rechtsmittelverzicht ist bereits in Absprachen dieser Art ausgehandelt worden.[34] Ob eine Absprache zulässig ist, hängt davon ab, was in ihr verabredet, wie sie durchgeführt und mit welcher Verbindlichkeit sie abgeschlossen wurde. [35]



2. Bedenken gegen Absprachen im Strafprozess

Gegen Absprachen im Strafprozess wird eine Reihe von Bedenken angeführt.

Es wird darauf hingewiesen, dass Absprachen dem Strafprozessrecht grundsätzlich fremd sind, da dieses der Inquisitionsmaxime folgt und auf Ermittlung der materiellen Wahrheit gerichtet ist, welche mittels Absprachen nicht ermittelbar ist. Der Zivilprozess hingegen beruht auf Verständigung zwischen den Parteien. Dort gilt aber das als (prozessuale) Wahrheit, worauf sich die Parteien einigen. Allerdings kennt auch der Zivilprozess dem Untersuchungsgrundsatz entsprechende Elemente, zB. in Kindschaftssachen.[36] Und wie gezeigt, sind im Ermittlungsverfahren auch dem Strafprozess (§ 153a StPO) Absprachen nicht völlig fremd. Zudem ist auch der Strafprozess eine Diskussion, mittels der ein Problem gelöst werden soll. Dass dies durch das Finden eines Konsens geschieht, ist nicht generell unzulässig.[37]

Was das Legalitätsprinzip anbelangt, bedeuten Absprachen, wie schon die Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153 ff. StPO, einen scheinbaren Verstoß gegen die Pflicht des Staates, jede ihm bekannt gewordenen Straftat zu verfolgen. Dass diese Pflicht nicht allein steht, sondern in Relation mit den Zielen des Rechtsfriedens und der möglichst optimalen Durchsetzung des materiellen Strafrechts zu sehen ist. Eine Einschränkung des Legalitätsprinzips durch Absprachen kann daher sogar geboten sein.[38]

Weiterhin sind Absprachen bedenklich bzgl. der Beachtung des Grundsatzes der Öffentlichkeit des Verfahrens (§ 169 GVG). Absprachen finden nicht selten in den Verhandlungspausen oder vor Eröffnung der Hauptverhandlung statt. Dabei werden Inhalte abgesprochen, die sonst in die Hauptverhandlung gehören und aus dieser somit herausgenommen werden. Das Gericht muss aber zur Urteilsfindung gemäß § 261 StPO seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung schöpfen. Dieser Grundsatz der Unmittelbarkeit ist dann berührt, wenn der Inhalt der Absprachen nicht in der Hauptverhandlung zur Sprache kommt. In welchem Umfang dies zu geschehen hat, war lange Zeit unklar. Selbst bei hinreichender Übernahme des Ergebnisses der Absprache in die Hauptverhandlung stützt sich die Überzeugung des Gerichts nach § 261 StPO in diesen Fällen auf eine Meinungsbildung, die nicht in der Hauptverhandlung stattgefunden hat.[39]

Schließlich setzt sich das Gericht bei einer Mitwirkung an einer Absprache, insbesondere in der klassischen Form – Geständnis gegen Strafmaßbeschränkung – in ein Dilemma zwischen Verfahrensfairness und Grundsatz schuldangemessenen Strafens. Die Zusage einer konkreten Strafe wäre schon deshalb unzulässig, weil das Gericht diese nicht aufgrund seiner aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung von der Schuld des Täters, sondern aufgrund der Absprache verhängen würde. Jedoch birgt schon die Zusage einer Strafobergrenze für das Gericht die Gefahr, dass Umstände bekannt werden, – was durch das auf die Absprache folgende Geständnis nicht unwahrscheinlich ist – aufgrund derer eine Strafe innerhalb des zugesagten Strafrahmens nicht schuldangemessen wäre. Das Gericht dürfe sich dann nicht an die Absprache halten. Welcher Grad der Verbindlichkeit einer solchen Absprache zukommen sollte, war umstritten. Jedenfalls wird durch sie aber beim Angeklagten, der sein Geständnis vorleistet, ein Vertrauen erzeugt. Dieses ohne weiteres zu brechen, ist mit seinem Recht auf ein faires Verfahren nicht vereinbar. Dem Angeklagten müsste die Möglichkeit gegeben werden, aufgrund eines rechtlichen Hinweises in der Art von § 265 Abs. 4 StPO sich entsprechend zu verteidigen.[40]

Das alles wird insbesondere dann noch verstärkt, wenn der Angeklagte in einer Absprache noch einen Rechtsmittelverzicht erklärt. Dies erscheint bzgl. der Interessenlage des Gerichts logisch, denn das Rechtsmittel bringt zusätzliche Arbeitsbelastung mit sich und zögert die Rechtskraft des Urteils hinaus. Wirkt das Gericht aber mittels einer Absprache an einem Rechtsmittelverzicht mit, wirkt es auf eine Unkontrollierbarkeit seiner Entscheidung hin, was aus rechtsstaatlicher Sicht unverträglich ist. Denn aufgrund der eben beschriebenen faktischen Bindungswirkung der Absprache wird weder der Angeklagte später diese brechen und ein Rechtsmittel einlegen, noch der Verteidiger, der ebenfalls an der Absprache mitgewirkt hat, seinem Mandanten nun zur Einlegung eines Rechtsmittels raten. Daher ist die Zulässigkeit eines Rechtsmittelverzichts durch den Angeklagten nach einem auf eine Absprache folgenden Urteils selbst dann umstritten, wenn der Angeklagte über seine trotz Absprache bestehende Freiheit zur Einlegung belehrt wurde.[41]

3. Stellungnahme der Rechtsprechung

Eben aufgrund der zumeist bei Absprachen vereinbarten Rechtsmittelverzichte sind Absprachen vorerst nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen geworden.[42]

Mit Beschluss einer Kammer hat sich im Jahre 1987 das BVerfG mit der Verfassungsmäßigkeit der Absprachen beschäftigt. In besagtem Beschluss hielt das BVerfG Absprachen mit dem Grundsatz eines fairen, rechtstaatlichen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG) vereinbar, legte aber Grenzen fest. So dürften die richterliche Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und elementare Grundsätze der Strafbemessung nicht zur freien Disposition im Sinne eines Handels mit der Gerechtigkeit stehen. Das Sich-Begnügen mit einem Geständnis sei daher nicht zulässig, wenn der Verfahrensstand mit Blick auf die Erforschung der materiellen Wahrheit zur Erhebung weiterer Beweise drängt. Eine schuldunangemessene Strafe dürfte dem Angeklagten genauso wenig in Aussicht gestellt werden, wie ein gesetzlich nicht vorgesehener Vorteil; das ergibt sich aus § 136a StPO. Zulässig sei aber der Hinweis auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses.[43]

Zehn Jahre später präzisierte der BGH in einer Grundsatzentscheidung die vom BVerfG angedeuteten Grenzen der Verfahrensabsprachen im Strafrecht. Gemäß der Entscheidung dürfen Sachverhalt und Schuldspruch und die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung nicht Gegenstand einer Absprache sein. Genauso darf aufgrund des Unmittelbarkeitsgebots und des Gebots der Schuldangemessenheit der Strafe zwar eine Strafobergrenze, nicht aber eine konkrete Strafe zugesagt werden. Auch muss das Gericht ein Geständnis auf Glaubwürdigkeit überprüfen und sich aufdrängende Beweise erheben. Zudem darf der Angeklagte nicht durch Drohung oder Versprechen eines rechtswidrigen Vorteils zum Geständnis gedrängt werden, was sich aus dem ‚Nemo-tenetur’-Grundsatz und aus § 136a StPO ergibt. Was den Grundsatz der Öffentlichkeit betrifft, verlangt der BGH, dass das Gericht den wesentlichen Inhalt und das Ergebnis der Absprache in der Hauptverhandlung zu Protokoll geben muss. Absprachen, an denen nicht alle Verfahrensbeteiligte, insbesondere der Angeklagte und die Schöffen, teilgenommen haben, hält der BGH für unzulässig. Letztlich erklärt er, dass das Gericht an die Absprache gebunden ist, so nicht schwerwiegende, dem Gericht bislang unbekannte Umstände bekannt werden, aufgrund derer eine schuldangemessene Strafe nicht mehr innerhalb des zugesagten Strafrahmens liegen kann. In diesem Fall ist der Angeklagte aber entsprechend hinzuweisen.[44]

In einem Beschluss aus dem Jahre 2005 hat der BGH die Vereinbarung eines Rechtsmittels in einer Absprache als unzulässig erklärt. Zudem ist der Angeklagte nach einem aufgrund einer Absprache erfolgenden Urteil, unabhängig von der Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts, darüber zu belehren, dass ein solcher Verzicht ihm unabhängig von der Absprache freistehe.[45]

4. Gesetzliche Regelung

Im August 2009 wurden die Verständigungen im Strafverfahren durch eine gesetzliche Regelung in die StPO eingefügt.

Die Regelung ermöglicht zunächst, dass der Verfahrensstand unter den Verfahrensbeteiligten erörtert wird, soweit dies zur Förderung des Verfahrens geeignet erscheint. Dabei ist der wesentliche Inhalt aktenkundig zu machen. Eine Initiativmöglichkeit wird der StA durch § 160b StPO für das Ermittlungsverfahren und dem Gericht nach § 202a StPO für das Zwischenverfahren eingeräumt. § 212 StPO schreibt die analoge Anwendung des § 202a StPO für die Vorbereitung der Hauptverhandlung vor. § 257b StPO ermöglicht die Erörterung in der Hauptverhandlung auf Initiative des Gerichts.

Zur Wahrung von Öffentlichkeit und Unmittelbarkeit wird jeweils verlangt, dass der wesentliche Inhalt der Absprachen aktenkundig zu machen ist. Zudem hat der Vorsitzende gemäß § 243 Abs. 4 StPO nun in der Hauptverhandlung mitzuteilen, ob Absprachen erfolgt sind. Inhalt und Ablauf der Erörterungen, wie auch die Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO müssen nach § 273 StPO auch in das Verfahrensprotokoll aufgenommen werden.

Kernnorm der Neuregelung ist § 257c StPO. Abs. 1 gibt dem Gericht die Möglichkeit, Verständigungen anzustreben. Abs. 2 schränkt den Gegenstand dieser Verständigungen ein; es darf sich nur Rechtsfolgen des Urteils oder der Beschlüsse, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen und das Prozessverhalten der Beteiligten verständigt werden, nicht aber über Schuldspruch und Maßregeln der Besserung und Sicherung. Weiterhin soll jede Verständigung ein Geständnis beinhalten.

Die Möglichkeit des Gerichts, eine Strafober- und untergrenze zusagen zu können, wie auch das Verständigungsvorgehen sind in Abs. 3 vorgeschrieben.

Auch Abs. 4, der die Bindung des Gerichts an die Verständigung regelt, greift die Grenzlinien des BGH auf. So ist das Gericht nicht gebunden, wenn es rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen hat oder diese sich neu ergeben haben und das Gericht davon überzeugt ist, im zugesagten Strafrahmen nicht mehr schuldangemessen bestrafen zu können. Ebenso, wenn der Angeklagte sich nicht an die Verständigung hält. Zur Wahrung der Verfahrensfairness muss in diesen Fällen das Gericht die Abweichung unverzüglich mitteilen und den Angeklagten von den Voraussetzungen und Folgen der Abweichung entspr. Abs. 5 belehren; schließlich wird sein Geständnis unverwertbar.

Auch hinsichtlich der Verständigung müssen Inhalt, Ablauf und Ergebnis gemäß § 273 Abs. 1a StPO in das Protokoll aufgenommen werden. Dass eine Verständigung erfolgt ist, muss auch in den Urteilsgründen gemäß § 267 StPO ersichtlich sein.

Letztlich schließt § 302 StPO einen Rechtsmittelverzicht infolge eines Urteils aus, dem eine Verständigung vorausgegangen ist. Die, vom BGH geforderte, qualifizierte Belehrung ist mit § 35a Satz 2 StPO in die Regelung aufgenommen worden.


Date: 2016-03-03; view: 824


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