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In der Umgebung Weimars

Mit einem Bus fahren wir den Berg hinauf, und vor uns eröffnet sich ein schöner Blick auf Weimar. Einige Kilometer weit ist ein Turm zu sehen. Wir erfahren, daß es der Glockenturm von Buchenwald ist.

Der Bus fährt den Berg hinunter, und dann geht's zur Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald. Hier, bei Weimar, das ein Zent­rum des Humanismus war, errichteten die Nazis 1937 ein Konzentra­tionslager. Wir stehen vor dem Eingang des früheren KZs., Jedem das Seine" lesen wir am Gittertor die zynischen Worte der Nazimörder.

Sieben Jahre hindurch wurde im Lager fast eine Viertelmillion Menschen gefangengehalten und grausam gequält. 56 000 Menschen vieler Nationen fanden hier den Tod, unter ihnen der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands Ernst Thälmann.

Wir gehen durch die ehemaligen Baracken, sehen uns viele Fotos und die Einrichtungen an, die an das Gewissen der Menschheit appellieren.

Hier im Lager herrschte aber unter den Häftlingen der Geist der So­lidarität und des Humanismus. In Bruno Apitz' Roman „Nackt unter Wölfen" wird beschrieben, wie im KZ ein polnisch-jüdisches Kind ver­borgen wurde. Im KZ wurde das illegale Internationale Lagerkomitee gebildet. Am 11. April 1945 konnten die Häftlinge, bevor die amerika­nischen Truppen kamen, mit der Waffe in der Hand sich selbst befreien.

Wir gehen durch den Stelenweg und dann die Allee der Nationen bis zum 50 m hohen Glockenturm. „Menschen aller Welt, verharrt in Stille! Steht und schweigt, steht und lauscht dem bronzenen Gesang!" ruft die Glocke des Buchenwaldturms.

Vor dem Glockenturm sehen wir eine eindrucksvolle Figurengrup­pe, geschaffen von Fritz Cremer. Sie zeigt die um ihre Freiheit ringen­den Häftlinge. Den Toten zur Ehre, den Lebenden zur Mahnung!

Aus dem Stadtleben

Dresdener Abend

Wir saßen am Dresdener Altmarkt in einem Cafe und sahen hinaus auf den Platz, als draußen junge Leute vorbeikamen. Sie lachten laut und riefen Mädchen zu sich, Kofferradios hatten sie auch.

Der Mann und die Frau am Tische sahen sich um. Die Frau schüttelte den Kopf. Nicht, daß sie etwas dagegen hätte, aber hier - „auf diesem Platz. Ich kann die Nacht vom Februar nicht vergessen. Dort drüben wurden dann die Toten verbrannt, tagelang."

„Für die Jugend", sagte der Mann, „die das nicht erlebt hat, ist das nur Geschichte, wie der Bauernkrieg vor 300 Jahren."

„Sie leben so sorglos in den Tag hinein", sagte die Frau bitter.

„Und wenn man mit ihnen ernsthaft sprechen will", sagte der Mann, „dann hören sie nicht zu."

„Dann muß man ihnen von der Liebe erzählen", sagte ich, „das interessiert sie mehr." Sie sahen mich böse an. Ich dachte zurück. Da­mals war ich gerade 17 Jahre alt. Ich sollte in den Krieg. Das Papier hatte ich schon in der Tasche. Ich stand in der Straßenbahn, die durch die verdunkelten Straßen fuhr. Im Wagen war eine junge Schaffherin, ein bißchen jünger als ich vielleicht, und immer, wenn sie klingelte, trafen sich unsere Augen. Ich werde diese Fahrt nicht vergessen, weil es das erste Mal in meinem Leben war, daß ich Papier in der Tasche, den Krieg, und das bedeutete, ein Treffen mit dem Abschied beginnen. Ich bin schnell ausgestiegen. Zwei Monate später lag Dresden in Trümmern. Nach dem Krieg sah ich ein Foto von einer Ruine. Man hatte Blumen niedergelegt, und ein Schild stand daneben. In jener Nacht sind dort dreißig junge Mädchen umgekommen, Straßenbahnschaffherinnen.



„Ja", sagte die Frau, „das hat die heutige Jugend nicht miterlebt. Sie lieben sich im Frieden und in aller Ruhe."

„Ja", sagte ich, „wie gut! Solange sie dabei nicht nur selber lieben."

Busfahrt

Vormittags ist es im Bus nicht sehr voll. Ein paar Rentner, Frauen mit Kindern, Schichtarbeiter. Man liest oder schwatzt, schaut aus dem Fenster. Die Tür klappert, der Motor brummt, die Sonne scheint.

Haltestelle. Die Tür öffnet sich, ein Hund springt herein. Die Leine hält ein alter Mann. Weißer Stock, Sonnenbrille. Gelbe Armbinde, ein Blinder. Er geht den Gang entlang und findet sich bestens zurecht. Mir gegenüber ist ein Sitzplatz frei. Bevor ich reagieren kann, hat er ihn gefunden. Er setzt sich.

„Platz, Hanka, Platz", sagt er zum Hund. „Brav." Der Bus fährt an. Jetzt müßte das Gespräch kommen. Er berührt zufällig meinen Schuh. Wieder ist er schneller als ich:

„Entschuldigung."

,Bitte."

Das ist ja das Gespräch:

„Würden Sie ein Auge auf den Hund haben?"

„Natürlich, gerne."

Eine Pause.

„Wie spät ist es bitte?"

„l 0.30", sagte ich.

„Moment." Er holt seine Taschenuhr aus der Jacke.

Wie denn, denke ich. Ah, Spezialuhr mit Zifferblatt in Blindenschrift. Er stellt sie, ich habe Zeit, ihn mir genauer anzusehen. Graue Jacke, Hose, Schuhe. Da hält er mir die Uhr vor die Nase. „Stimmt die Zeit?"

„Ja, korrekt", sage ich.

Ein feines Lächeln spielt um seine Lippen.

„Wo steigen Sie aus?" fragt er.

Ich antworte.

„Ja, bis dahin muß ich auch, helfen Sie mir umsteigen?"'

„Selbstverständlich."

„Sind die Straßen gefroren?"

„Im Schatten schon", sage ich.

Wieder eine Pause.

„2l war ich", sagt er dann. „Stalingrad. Eine Mine." Was soll ich bloß antworten? Alles würde falsch kimgen.

„Wie alt sind Sie eigentlich?" fragt er.

„23", antworte ich.

Er nimmt die Brille ab: „Hier rein und da raus. So war der Krieg."

Der Bus ist da, wir steigen aus. Jetzt läßt er sich gern helfen. „Danke." Die Leine ist ab, der Hund tollt im Freien umher.

„Hanka!" Der Hund ist sofort wieder zur Stelle. Wir gehen zum anderen Bus. „Vielen Dank nochmals", er steigt ein.

Der Mann ist nun wieder im Bus. Plötzlich bedauere ich, daß ich nicht weiß, wo die beiden wohnen. Der blinde alte Mann und der Hund.

Nach P. Siegert. „Neues Leben ". ¹ 6, 1988


Date: 2015-12-24; view: 842


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Im deutschen Eibflorenz | In der Stadt zu wohnen - allein das ist schon Luxus
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