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Der hinterhältige Nagel

Johannes Merkel

1.
Oben im dritten Stock eines Hauses steckte ein Nagel in der Wand. Dort steckte er schon viele Jahre, der Putz, in dem er steckte, war mit den Jahren ganz brüchig geworden, darum saß er nur noch locker in der Wand. Er musste nur etwas hin und her ruckeln und schon hatte er sich aus der Wand herausgezogen. Das hätte er aber besser bleiben lassen sollen!

Denn an dem Nagel hing ein Bild. Und weil es der Nagel nicht mehr hielt, fiel das Bild auf die Blumenvase, die unter ihm auf einer Kommode stand. Die Vase kippte um, das Wasser aus der Vase plätscherte auf den Fußboden und bildete dort eine Pfütze. Es dauerte nicht lang, da sickerte das Wasser der Pfütze durch die Decke in das Stockwerk darunter.
Im zweiten Stock hing eine Schnur von der Decke, und von dem Wasser, das durch die Decke sickerte, wurde die Schnur feucht, weichte auf und riss mitten durch.
An der Schnur hing ein Vogelkäfig und, als die Schnur riss, fiel der Käfig auf den Fußboden und das Käfigtürchen sprang auf. In dem Vogelkäfig saß ein Papagei, der flog aus dem Käfig, flatterte durch das Zimmer und krächzte.
Die Hausfrau hörte den Papagei krächzen, kam ins Zimmer gelaufen, um ihn zu fangen. Der Papagei kriegte es mit der Angst und ließ vor Schreck einen Vogeldreck fallen. Die Frau trat aus Versehen auf den Vogeldreck, rutschte aus und fiel. Im Fallen suchte sie sich irgendwo festzuhalten, erwischte das Tischtuch und riss es vom Tisch.

Auf dem Tischtuch stand ein Saftbecher, den zog die Frau mit dem Tischtuch vom Tisch. Der Saftbecher rollte über den Fußboden, der rote Saft floss über die Fußbodenbretter. Es dauerte nicht lang, da sickerte der Saft durch die Decke ins Stockwerk darunter.
Im ersten Stockwerk saß der Hausherr in einem Sessel und las in der Zeitung. Plopp. Da fiel plötzlich ein Tropfen Saft herab und malte einen roten Fleck aufseine Zeitung. Plopp. Plopp. Noch ein Tropfen, noch ein Fleck und noch einer. "Was ist das für eine Sauerei?" schimpfte der Mann und blickte nach oben. Plopp. Da landet ein Tropfen Saft direkt auf seiner Nasenspitze.

 

2.
Nein! Das ging ihm zu weit! Der Hausherr holte den Tropfen von der Nasenspitze und fauchte ihn an: "Was fällt dir ein, mir auf die Nasenspitze zu tropfen?"
"Nur aus Versehen, aus Versehen, ist das geschehen!" jammerte der Safttropfen. "Was kann ich denn dafür, dass mich der gemeine Saftbecher da oben auf den Fußboden gekippt hat!"
So, es war also der Saftbecher, der dort oben im zweiten Stock seinen Saft auskippte! Na warte! Der Hausherr hastete über die Treppe hoch und stürmte ins Zimmer, Dort entdeckte er den Saftbecher am Fußboden. "Was fällt dir ein, deinen Saft einfach auf den Fußboden auszukippen?"
"Nanu, nanu! Hör mir mal zu!" wunderte sich der Saftbecher. "Was kann ich dafür, dass mich dieses blöde Tischtuch vom Tisch gezogen hat?"
So, es war also das Tischtuch, das den Saftfbecher vom Tisch zog! Na warte! Der Hausher griff sich das Tischtuch. "Was fällt dir ein, den Saftbecher einfach vom Tisch zu ziehen?"
"Gemach! Gemach! Denk erst mal nach!" verteidigte sich das Tischtuch. "Was kann ich dafür, dass sich diese verrückte Frau im Fallen an mich gekrallt und mich vom Tisch gerissen hat!"
So, es war also seine eigene Frau, die sich ans Tischtuch krallte und es vom Tisch riss. Na warte! Der Mann ging auf seine Frau los. "Was fällt dir ein, dich einfach am Tischtuch festzukrallen?"
"Mann, o Mann, mach mich nicht an!" wehrte sich die Frau. "Was kann ich dafür, dass ich auf dem Vogeldreck ausgerutscht bin, den dieser dreiste Papagei auf den Fußboden hat fallen lassen!"
So, es war also der Papagei, der seinen Dreck auf den Fußboden fallen ließ. Na warte! Der Papagei hatte sich inzwischen auf einem Schrank in Sicherheit gebracht. Der Mann drohte ihm mit dem Finger. "Was fällt dir ein, deinen Dreck einfach auf den Fußboden fallen zu lassen?"
"Ach, ach, ach! Was soll der Krach?" krächzte der Papagei. "Was kann ich dafür, dass dieser faule Vogelkäfig von der Decke gestürzt ist und mich frei gelassen hat!"
So, es war also der Vogelkäfig, der von der Decke stürzte und den Papagei freiließ. Na warte! Der Mann packte den Vogelkäfig. "Was fällt dir ein, einfach von der Decke zu stürzen und den Papagei freizulassen?"
"Augenblick! Augenblick! Das kommt mir zu dick!" beschwerte sich der Vogelkäfig. "Was kann ich dafür, dass dieses schwache Schnürchen mitten durch gerissen ist, ich zu Boden gestürzt bin und mein Türchen aufgesprungen ist!"
So, es war also die Schnur, die mittendurch riss. Na warte! Der Mann griff sich die beiden Enden der zerrissenen Schnur. "Was fällt dir ein, einfach auseinander zu reißen?"
"Was soll die Tour? Ich bin nur die Schnur!" keuchte die Schnur. "Was kann ich dafür, dass dieses verflixte Wasser durch die Decke gesickert ist und mich aufgeweicht hat!"
So, es war also Wasser, das durch die Decke sickerte und die Schnur aufweichte. Na warte! Der Mann rannte über die Treppe in den dritten Stock. Da erblickte er auch schon die Pfütze am Boden und die umgestürzte Vase auf der Kommode. "Was fällt dir ein, dein Wasser einfach über den Fußboden auszugießen?"
"Sachte! Sachte! Bitte, beachte!" konterte die Vase "Was kann ich dafür, dass das dicke Bild auf mich gefallen ist und mich umgestoßen hat!“
So, es war also das Bild, das die Vase umstieß. Na warte! Der Mann schüttelte den Bilderrahmen. "Was fällt dir ein, einfach die Vase umzustoßen?"
"Blablabla, was höre ich da?" protestierte der Bilderrahmen. "Was kann ich dafür, dass sich dieser rotzfreche Nagel da oben aus der Wand gezogen hat und mich hat fallen lassen!"
So, es war also der Nagel, der sich aus der Wand zog und das Bild abstürzen ließ. Na warte! Der Mann blickte sich um, um sich den Nagel zu greifen. Aber wo war bloß der Nagel?



3.
Der Nagel aber hatte nicht die geringste Lust sich erwischen zu lassen. Er hatte sich längst unter das Kissen verkrochen, das auf dem Sessel lag. Als er den Nagel nicht finden konnte, rief der Hausherr: "Hörst du, Früchtchen? Komm freiwllig raus oder du wirst mich kennen lernen!" Aber der Nagel hatte auch keine Lust, den zornigen Hausherrn kennen zu lernen und blieb in seinem Versteck.

Da machte sich der Hausherr daran, den Nagel zu suchen. Vielleicht war er ja unter den Tisch gefallen. Von wegen! Unter dem Tisch fand der Hausherr nur eine verrostete Gabel, aber keinen Nagel.
Vielleicht war er ja unter den Sessel gerollt. Der Hausherr schob den Sessel beiseite. Von wegen! Unter dem Sessel lag nur eine schimmlige Brotrinde, aber kein Nagel.
Vielleicht war der Nagel ja unter den Teppich gerutscht. Der Hausherr rollte den Teppich zusammen. Von wegen! Unter dem Teppich entdeckte er nur zertretene Nusschalen, aber keinen Nagel.
Wo, glaubt ihr, suchte der wütende Mann sonst noch nach dem frechen Nagel?
"Ob der Nagel am Ende vielleicht unter die Kommode gerollt ist?" Der Hausherr legte sich flach auf den Boden und tastete mit der Hand den Boden unter der Kommode ab. Einen Nagel konnte er nicht ertasten, aber plötzlich spürte er einen heftigen Schmerz an einem Finger. Aua! Da sah er eine Katze unter der Kommode hervorschießen, die sich dort versteckt hatte. Das Biest hatte ihn in den Finger gebissen. Und jetzt sprang sie auf einen Stuhl, vom Stuhl auf die Kommode, von der Kommode auf ein Regalbrett, auf dem ein Blumentopf stand. Weil aber hinter dem Blumentopf nicht genug Platz für die dicke Katze war, schob sie den Blumentopf über den Rand des Regalbrettes und der Blumentopf fiel dem wütenden Hausherrn direkt auf den Kopf. Aua! Der heulte vor Schmerz laut auf und ließ sich in den Sessel fallen. Auf dem Sessel aber lag das Kissen, unter dem sich der Nagel versteckt hatte. Und was machte der Nagel? Der stach den wütenden Mann doch glatt in den Hintern. So ein hinterhältiger Nagel!

Aha, jetzt wusste der Hausherr, wo sich dieser rotzfreche Nagel sich versteckte. Er holte ihn unter dem Kissen vor und fuhr ihn an: "Na warte, Früchtchen! Du bringst mir mein Haus nicht noch einmal durcheinander! Weißt du, was ich mit dir mache? Ich werde dich so in die Wand klopfen, dass du dich nie mehr wirst herausziehen können, das verspreche ich dir."
Und damit holte er einen Hammer, aber nicht so ein gewöhnliches Hämmerchen. Nein, damit der hinterhältige Nagel sich bestimmt nie mehr aus der Wand ziehen konnte, holte er den großen Vorschlaghammer. Dann steckte er den Nagel in das Loch im Putz, wo er schon vorher gesteckt hatte, nahm den schweren Hammer und schlug zu. Aber was machte der hinterhältige Nagel? Der saß ja erst ganz locker in dem Loch, und als der gute Mann zuschlug, bewegte er sich ein bisschen nach unten, der Hammer schlug daneben, traf nur die Wand und hinterließ dort eine tiefe Delle. Wütend schlug der Mann gleich wieder zu und zielte dabei etwas weiter nach unten, um den Nagel ganz bestimmt zu treffen. Aber was machte da der hinterhältige Nagel? Er bewegte sich nach oben, und wieder traf der Hammer daneben und hinterließ eine zweite Delle. Da griff der Mann mit einer Hand nach dem Nagel, um ihn fest zu halten, und schlug mit der anderen Hand zu. Der Nagel konnte sich zwar jetzt nicht mehr bewegen, aber auch der gute Mann konnte mit einer Hand nicht mehr genau zielen und klopfte sich auf den Finger. Das tat vielleicht weh! Da war der Mann erst richtig wütend. Na warte! sagte er sich, fasste den dicken Vorschlaghammer mit beiden Händen und schlug mit aller Kraft zu. Und was passierte? Der Vorschlaghammer sauste in die Wand, durchschlug die Wand, der Nagel flog nach draußen und landete zwischen Steinbrocken und Putzteilen unten auf der Straße.

Ich weiß nicht, was weiter aus ihm geworden ist, ob er da liegen blieb, ob ihn jemand entdeckte und mitnahm und was der hinterhältige Nagel sonst noch angestellt hat. Aber eines möchte ich euch raten: Falls ihr irgendwo einen dicken rostigen Nagel seht, lasst den besser liegen. Es könnte der hinterhältige Nagel sein und so frech wie der ist, würde euch der ganz gewaltig austricken.

 

 


Date: 2015-12-24; view: 817


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