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Herbert, Nikolaus und Alibaba

 

Die Oma hat gestern gesagt, sie würde wissen, wo sie die Ilse suchen müsste, wenn die Ilse noch bei ihr wohnte. Ich weiß nicht, wo ich die Ilse suchen soll, aber ich werde sie trotzdem suchen! Ich habe auch schon eine Idee, wo ich zu suchen anfange. Ich fange bei der Helli an! Mir ist nämlich eingefallen: Vielleicht fragt mich die Helli nur deshalb nicht nach der Ilse, weil sie mehr weiß als ich! Und heute in der Pause bin ich zu ihr gegangen. „Ich muss mit dir reden", habe ich gesagt. Jetzt hab ich keine Zeit", hat die Helli gemurmelt und ist zum Turnsaal gerannt.

Morgen wird sie mir nicht entwischen! Ich werde vor dem Schultor auf sie warten. Und dann werde ich neben ihr hergehen und sie so lange fragen, bis sie mir Antwort gibt. Wenn es sein muss, kann ich sehr hartnäckig sein!

Ich habe vor dem Schultor auf die Helli gewartet. Sie kam erst ziemlich spät heraus. Ich dachte: Red nicht lang herum, das nützt sowieso nichts! Also fragte ich sie: „Helli, weißt du, wo die Ilse ist?"

Zuerst war die Helli recht unfreundlich und hat mich wie ein dummes Baby behandelt. Aber dann ist sie vernünftig geworden und hat gesagt, dass sie gar nichts weiß. Und dass es eine Gemeinheit von der Ilse ist, der besten Freundin nichts zu sagen. Das Einzige, was sie weiß, hat sie gesagt, ist, dass die Ilse mit dem Herbert Plank eine geheime Liebschaft gehabt hat. Der Herbert Plank geht in die siebte Klasse.

„Ist der auch weg?", habe ich die Helli gefragt.

„Nein", hat die Helli gesagt. „Den schönen Herbert habe ich heute auf dem Gang gesehen. Der ist da!" Ich habe wissen wollen, ob sich die Helli beim Herbert Plank nach der Ilse erkundigt hat. Da war die Helli ganz entsetzt.

„Mit dem habe ich noch nie geredet", sagte sie. „Für die blöden Kerle aus der Siebten ist man doch Luft, wenn man nicht so aussieht wie deine Schwester!" Ich sehe meiner Schwester überhaupt nicht ähnlich und ich bin für den Herbert Plank wahrscheinlich noch weniger als Luft, doch jetzt gehe ich zu ihm!

Der Herbert Plank wohnt in der gleichen Straße wie wir. Ich habe mir seine Adresse aus dem Telefonbuch herausgesucht.

Oh Gott! Ich habe den Besuch beim Herbert Plank hinter mir! Leicht war das nicht! Als ich an der Wohnungstür klingelte, hatte ich Angstschweiß auf der Stirn. Und ich kam nicht mehr dazu, ihn wegzuwischen, weil die Tür gleich aufging. Ein Junge, ungefähr so groß wie der Oliver, hatte sie aufgemacht. „Ich möchte mit deinem Bruder reden", sagte ich. „Mit welchem?", fragte er. „Mit dem Herbert", sagte ich.

„Da ist eine, die will den Herbert", rief der Kleine. Ich ging zwei Schritte in die Diele hinein, obwohl ich lieber tausend Schritte weggelaufen wäre. Und dann - ich dachte, ich versinke in den Erdboden - dann gingen etliche Türen auf. Zuerst kam eine Frau mit einer blauen Schürze, dann kam eine Frau mit blonden Locken und dann eine Frau mit weißen Haaren. Und dann kamen zwei Jungen, die nicht der Herbert Plank waren, die ich aber schon irgendwo in der Schule gesehen hatte. Sooft eine neue Person in die Diele kam, brüllte der Kleine: „Sie will den Herbert!" Ich stand in der Mitte der Diele, die anderen lehnten an den Türen und schauten mich an. Dann rauschte eine Wasserspülung und die Klotür ging auf und der Herbert Plank fragte: „Wer will mit mir reden?" Ich habe sonst keine Waldmausstimme, doch als ich „Ich, bitte" sagte, piepste ich wie das jüngste Kind der Waldmaus, Der Herbert Plank ist mindestens einen Meter neunzig und in einem Film könnte er ruhig als schönster Jüngling der Stadt mitspielen.



Er hatte Jeans und ein schwarzes T-Shirt an, auf das ein Goldflitter-Adler gestickt war. Er war barfuß. Er hatte lange, dünne Zehen. Ich starrte auf die Zehen. „Was willst du denn?", fragte der Herbert Plank. Die Zuschauer hielten gespannt den Atem an. „Ich will mit dir allein reden!" Obwohl ich mich dreimal geräuspert hatte, piepste ich wieder wie das Waldmausbaby. „Na, dann komm", sagte der Herbert und zeigte auf eine Tür. Ich ging auf die Tür zu, er hinter mir her. Vor der Tür überholte er mich, machte die Tür auf und ließ mich ein­treten. Dann machte er die Tür zu, bot mir den Schaukelstuhl zum Sitzen an, hockte sich auf sein Bett und schaute mich an.

„Es ist wegen meiner Schwester", sagte ich.

Er schwieg. „Die ist doch seit zehn Tagen fort", sagte ich. Er schwieg. „Und ich möchte wissen, ob du eine Ahnung hast ..." Nun wusste ich einfach nicht weiter. „Wer bitte", fragte der Herbert, „ist deine Schwester?" „Die Ilse", sagte ich. „Die Ilse Janda!" „Tut mir Leid", sagte er. „Die kenne ich nicht!" Er sah aus, als ob es ihm wirklich Leid täte. Ich wollte aufstehen und weggehen, doch da wurde die Zimmertür aufgerissen. Der größere der beiden Jungen kam herein. Er sagte: „Doch, Herbert! Die kennst du! Die geht in die 5a! Ein ganz toller Apparat!“ Er klimperte mit den Augenlidern, wackelte mit den Hüften und stelzte im Zimmer herum wie ein Specht; garantiert nicht wie die Ilse! Aber der Herbert grinste; und rief: „Ach, die mit dem Zuckerhutbusen?" „Genau", sagte der Junge. jetzt war der Herbert plötzlich sehr interessiert. „Was ist mit der?", fragte er. „Was soll ich von der wissen?" Ich dachte: Das ist ein „Zirkusdirektor". Der hat keine Ahnung! Und die Oma hat Recht!

Ich wollte gehen, doch die beiden ließen mich nicht weg. Sie fragten mir Löcher in den Bauch. Also erzählte ich ihnen, was mir die Helli erzählt hatte. Und der Herbert sagte: „Tut mir Leid! Ich hatte ja keine Ahnung! Aber wenn deine Schwester wieder auftaucht, dann soll sie sich melden. Ich stehe zur Verfügung!" Der Bruder begleitete mich zur Wohnungstür. Dort angekommen, griff er nach einer Hasenfelljacke an der Kleiderablage. „Ich gehe nämlich ein Stück mit dir", erklärte er mir. Auf der Treppe sagte er dann: „In unserer Klasse haben wir einen ganz komischen Typ. Den hast du sicher schon gesehen. So einen langen dünnen Blonden mit fast weißen Haaren und Sommersprossen. Und mit einem Fahrrad mit Affensitz und Fuchsschwanz dran!"

Den Typ sah ich jeden Morgen. Aber ich verstand nicht, warum mir der Bruder das erzählte. Der Bruder fuhr fort: „Wir nennen ihn den „Getupften", Wegen seiner Sommersprossen. Und dieser Kerl ist seit den Sommerferien hinter deiner Schwester her wie ein Luchs!" Der Getupfte, und die Ilse, das war lächerlich! Solche wie den sah meine Schwester gar nicht. Ob da eine Ameise des Weges kroch oder der Getupfte vorbeiradelte, das war doch für die Ilse ein und dasselbe! „Meine Schwester", sagte ich, „hat garantiert nichts mit dem Getupften!" „Natürlich nicht!" Der Bruder lächelte milde. „Aber hinter ihr her war er! Weil er eben spinnt! Er hat sie sozusagen beschattet!" „Beschattet?" Ich konnte das einfach nicht glauben. „Na klar!", sagte der Bruder. „Weil er nicht mit ihr zusammen sein konnte, war er hinter ihr her! Der hat gewusst, wann sie Klavierstunde hat. Und ob sie einen Schnupfen hat und welche Schaufenster sie sich gern ansieht! Und alles eben! Und wenn sie sich mit jemandem getroffen hat, dann müsste er auch das wissen!"

Und dann schlug mir der Bruder vor, ich solle zum Getupften gehen und ihn nach meiner Schwester fragen. „Könntest du vielleicht mit mir kommen?", fragte ich ihn. Ich rechnete damit, dass er ablehnen werde. Doch er hatte nichts dagegen. Und er sagte: „Den Alibaba nehmen wir auch mit! Der kann den Getupften am besten unter Druck setzen!" Den Alibaba kannte ich. Er ist einer der dicksten und stärksten Jungen in unserer Schule. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag um 15 Uhr beim Park. Bevor wir uns trennten, fragte ich den Bruder, wie er heißt. Der Bruder heißt Nikolaus.

 


Date: 2015-12-24; view: 1376


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