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Kapitel 12 DER TEXT

Begriffsbestimmung

Der Satz ist nicht die oberste Einheit der syntaktischen Ebene. Die Be­stimmung des Satzes als. die kleinstekommunikative Einheit und somit kleinste Redeeinheit impliziert das Vorhandensein größerer Einheiten, die ebenfalls eine kommunikative Funktion haben und ganzheitlich struktu­riert sind.

Eine Äußerung besteht nur selten aus einemSatz. Zum vollständigen Aus­druck eines Gedankens wird gewöhnlich eine Folge von Sätzen benötigt.


Die Satzfolge, die eine Äußerung bildet, ist aber nicht nur durch einThe­ma und einekommunikative Absicht, das heißt semantisch und funktional, zu einem Ganzen gekoppelt, sondern auch durch mannigfaltige sprachliche Signale zu einer strukturellen Ganzheit geprägt. Man war zum Beispiel schon ziemlich lange darüber im Klaren, dass viele grammatische Komponenten der Satzgestaltung (Gebrauch von Pronomen und Pronominaladverbien, Ar­tikelwahl, Wortstellung und sonstige Ausdrucksmittel der kommunikativen Satzperspektive, Tempuswahl u. a. m.) bei der Behandlung von isolierten Sätzen keine ausreichende Erklärung finden können und dass ihre Wirkung die Satzgrenze überschreitet. Sie strukturieren nicht den einzelnen Satz, son­dern haben eine satzverflechtende oder vertextende Funktion. So kann zum Beispiel der Gebrauch des Pronomens es und die Artikelwahl im nachste­henden Beispiel nur unter Berücksichtigung ihrer Funktion bei der Prägung eines größeren syntaktischen Ganzen verstanden werden und nicht bei der Analyse einzelner Sätze:

Im Kanal lag ein Boot; sie mieteten es und schwammen dahin. Ein Schwan kam ihnen entgegen. Der Schwan und ihr Boot glitten lautlos aneinander vorüber. (H.Mann)

Das Pronomen sie (•.. sie mieteten...) und die Anfangsworte Im Kanal... verweisen ihrerseits auf einen größeren Kontext, auf das Vorhergesagte.

Das Satz- und kapiteleröffnende Hiermit... im nachstehenden Auszug aus dem Roman „Buddenbrooks" verbindet die ganze Satzfolge mit der Be­schreibung des Sommeraufenthalts Tony Buddenbrooks in Travemünde, die im Roman die drei vorausgehenden Kapitel in Ansprach nimmt, und ist eben­falls im Rahmen des Einzelsatzes nicht erklärbar:

Hiermit begannen schöne Sommerwochen für Tony Buddenbrook, kurz­weiligere und angenehmere, als siejetnals in Travemünde erlebt hatte. Sie blühte auf, nichts lastete mehr auf ihr; in ihre Worte und Bewegungen kehr­ten Keckheit und Sorglosigkeit zurück. (Th.Mann)

Rückverweisende Funktion hat im obigen Beispiel auch das Adverb mehr (im Satz ,., nichts lastete mehr auf ihr — eine Anspielung auf die Werbung Grünlichs, von der fünf Kapitel vorher berichtet wurde). Das mehrfach wie­derholte Pronomen sie, ihr strukturiert die zitierte Satzfolge als Ganzheit.

Ebenfalls nur bei der ganzheitlichen Betrachtung der Satzfolge kann der Tempuswechsel Präteritum — Plusquamperfekt im nachstehenden Beispiel erklärt werden (er stellt eine kausale Beziehung zwischen den Sätzen her):



Marcel erwachte mit entsetzlichen Schmerzen in der Schulter. Bürger Buzot hatte ihn auf die falsche Seite gelegt... (Bredel)

Diese den Rahmen einesSatzes überschreitenden grammatischen sowie zahlreichen hier nicht behandelten lexikalischen Mittel der Satzverflechtung veranlassten viele Sprachforscher schon seit geraumer Zeit von einer syn­taktischen Einheit zu sprechen, die größer als ein Satz ist. Diese wurde ein „komplexes syntaktisches Ganzes", „eine Ganzheit höherer Ordnung als der


Satz", „eine supraphrastische Ganzheit" bzw. „transphrastische Ganzheit", „Satzgemeinschaft", manchmal auch „Text" genannt [194,201,33, 250, 64 u. a.] Der Bergiff blieb aber bis zur letzten Zeit ziemlich vage, weil vor allem keine klare strukturgebundene Definition der in Frage stehenden syntakti­schen Einheit und noch weniger eine strukturgebundene Delimitation(Ab­grenzung) dieser Einheit vorlag.

Erst in den 60er- Jahren kam ein entscheidender Umschwung in die Er­forschung transphrastischer Mittel und entsprechender Einheiten. Er ist der Entwicklung einer neuen Disziplin, der Textlinguistik, zu verdanken, die durch die raschen Fortschritte der Kommunikations Wissenschaft und durch das funktional-pragmatische Herangehen an die Sprache angeregt wurde. Als ein Zweig der Textlinguistik entwickelte sich auch die Textgrammatik.

Der Grandbegriff der Texttheorie ist Text, Wie ernst es der modernen Linguistik um den Text als Forschungsgegenstand ist, zeigen folgende Aus­sprüche: „Wir reden normalerweise nicht in vereinzelten Wörtern, sondern in Sätzen und Texten" [273]. „Es wird, wenn überhaupt gesprochen wird, nur in Texten gesprochen" [102]. „Die obeiste und unabhängigste sprachli­che Einheit ist nicht der Satz, sondern der Text" (Dressler [54]). „Nur texthafte und textwertige Sprache ist das Kommunikationsmittel zwischen Menschen" [102].

Als Text bezeichnet man jedes Stück zusammenhängender Rede, ange­fangen mit einer schlichten Äußerung im Alltag bis zu einer Novelle, einem Roman, einer publizistischen Schrift oder einer wissenschaftlichen Abhand­lung, da sie alle Erzeugnisse der kommunikativen Sprechtätigkeit der Men­schen sind.

Die konkrete Forschung auf dem Gebiete der Textlinguistik und -gram-matik hat gezeigt, dass lexikalische und grammatische Verflechtungsmittel zwei Arten von Verbindungen zwischen den Komponenten des Textes her­stellen. Lexikalische und grammatische Verflechtungsmittel helfen der Auf­einanderbeziehung ganzer Kapitel sowie Kapitelabschnitte und beteiligen sich an deren Strukturierung; sie bestimmen also die Komposition des Grosstextes und seiner Teile mit ($.: [54; 146,210,250,101]; für das Russi­sche sehr interessant und ausführlich: [159]). Lossjewa nennt diese Art von Verbindungen Distanzverbindungen. In unseren Beispielen siehe dazu das satzeröffnende Hiermit..., das Wort mehr sowie die Wortwahl im Satz Nichts lastete mehr auf ihr... (der Auszug aus den „Buddenbrooks", s. S. 325).

Eine andere Art der Verbindung, von Lossjewa Nachbarbindungge­nannt, dient zur strukturellen Verflechtung einer Folge von Nachbarsätzen und strukturiert sie zu einer transphrastischen Ganzheit oder Satzgemein­schaft. Vgl. in demselben Beispiel das Pronomen sie, sowie die anderen Beispiele aufS. 325.

Die Textlinguistik ist bestrebt, diese Momente dadurch auseinander zu halten, dass sie zwischen Text = Großtext, Gesamttext und Teiltext, Unter­text, Kleintext unterscheidet [196,103, S. S ñ h m i d t]. Aber auch in dieser Verwendung bleiben die Termini Teiltext, Kleintext u. Ä. nicht eindeutig linguistisch, sie schweben zwischen Linguistik, Literaturwissenschaft und


Rhetorik, da mit Teiltext auch solche stilistisch-kompositorischen Begriffe aus dem Bereich von Literaturwissenschaft und Rhetorik wie Abschnitt des Textes, Absatz gemeint werden können. Einige Sprachforscher dagegen se­hen vom Großtext und seinen Kompositionsteilen ab und bezeichnen mit Text nur diejenige dem Satz übergeordnete syntaktische Einheit, die auch „transphrastisches Ganzes" bzw. „Satzgemeinschaft" genannt werden kann (s.: [128,109,106] u. a.).

Pfütze bestimmt den Text wie folgt: „Ich verstehe unter Text eine be­stimmte sinn- und zweckvoll geordnete Menge von Sätzen oder satzwerti-gen Einheiten (Elementen), zwischen denen Relationen mit Bedeutungen bzw. Funktionen bestehen, d. h. eine strukturierte Gesamtheit, die als eine linguistische Einheit einen komplexen Sachverhalt im Bewußtsein als rela­tiv abgeschlossene Sinneinheit darstellt" [195, ähnlich 196]. Horst Isenberg definiert den Text als „eine Folge von Sätzen", deren Vertextungsmechanis-mus zu untersuchen ist [128].

Es ist zweckmäßig, zwei Einheiten der Textebene zu unterscheiden:

1. den Gesamttext von einem beliebigen Umfang und funktionalem Stil,
also den Makrotext;

Den Teiltextalso eine Satzfolge oder eine Satzgemeinschaft, die inner­ halb eines Gesamttextes als Satzgrenzen überschreitende (satzübergreifen­ de, transphrastische) syntaktische Einheit ausgegliedert werden kann. Wir nennen diese Einheit hier Mikrotext.

Diese zwei Einheiten sind heute Grundeinheiten und Forschungsobjekte der Textlinguistik.

Der Mikrotext ist als eine Satzgrenzen überschreitende syntaktische Ein­heit Forschungsobjekt der Textgrammatik. Die Textgrammatik untersucht die lexikalisch-grammatischen Mittel der Verbindung der Sätze zu einem Mikrotext und die Struktur des Mikrotextes als einer kohärenten(lat. co-haerens „zusammenhängend") Satzfolge.

Der Makrotext (Gesamttext) ist Forschungsobjekt mehrerer linguistischer Disziplinen, vor allem der Textgrammatik, Stilistik und Psycholinguistik, der Literatur, wenn es um einen künstlerischen Text geht, der Kommunikati­onstheorie u. a. Die Textgrammatik ist also eine von vielen Wissenschaften, die sich mit dem Gesamttext befassen. Sie untersucht die grammatischen Mittel der Textgestaltung.

§ 118. Die Struktur des Mikrotextes

Der Mikrotext ist eine strukturierte kohärente Satzfolge innerhalb des Tex­tes, und als solche eine Satzgrenzen überschreitende syntaktische Einheit.

Der Umfang eines Mikrotextes kann verschieden sein. Die untere Gren­ze bildet der textwertige Einzelsatz,auch Ein-Satz-Text genannt (Feuer! Raus!). Der Ein-Satz-Text ist ein Sonderfall der Textstruktur. Die obere Gren­ze des Mikrotextes ist der monothematische Absatz. Da ein Absatz aber auch polythematisch sein kann [250,78], sind Text und Absatz nicht gleichzuset­zen. Auch gehören sie verschiedenen Begriffsbereichen. Text im oben be-


schriebenen Sinne ist eine syntaktische Einheit, Absatz eine stilistisch-kom­positorische Einheit [250, 159].

Ausdruck der inhaltlichen Ganzheitdes Mikrotextes ist der gemeinsa­me Themabezug seiner Komponente. Das heißt, dass alle Sätze des Mikro­textes auf dasselbe Teilthema des Mikrotextes bezogen sind und einander bei der Erschließung des Teilthemas ergänzen. Vgl. die Beschreibung der Verstimmung des kleinen Tonio in der Novelle Th. Manns „Tonio Kröger":

Tonio sprach nicht. Er empfand Schmerz. Indem er seine etwas schräg­stehenden Brauen zusammenzog und die Lippen zum Pfeifen gerundet hielt, blickte er seitwärts geneigten Kopfes ins Weite. Diese Haltung und Miene war ihm eigentümlich. (Th.Mann)

Die Grenzen von Mikrotext und Absatz fallen im folgenden Beispiel zu­sammen. Der nächste Absatz (er ist zugleich der nächste Mikrotext) schil­dert die Versöhnung von Tonio und Hans:

Plötzlich schob Hans seinen Arm unter den Tonios und sah ihn dabei von der Seite an, denn er begriff sehr wohl, um was es sich handelte... (Th. Mann)

Die kommunikative Ganzheitdes Mikrotextes hängt aufs Engste mit der inhaltlichen Ganzheit zusammen. Der Milcrotext dient zur Mitteilung über einThema, einenSachverhalt und alle Komponenten des Mikrotextes (Sätze) dienen der Fortführung und der Detaillierung der Mitteilung über denselben Sachverhalt. Ein Mikrotext unterscheidet sich vom Einzelsatz durch die Vollständigkeit der Mitteilung, ist aber wie der Satz eine Mitteilungsein­heit. Die enge Verflechtung der KommunikationsteUe im Kommunikations­ganzen bedingen die kommunikative Struktur des Textes. Diese wird durch Weitergeltungdes im Mikrotext schon Gesagten in den fortführenden Tei­len desselben [286] bestimmt.

Die Weitergeltung des schon Gesagten in den fortführenden Teilen des Mikrotextes wird durch verschiedene Modelle der kommunikativen (the­matischen) Progressionrealisiert (s.: [46]).

Eine einfache lineare Progressionentsteht dann, wenn bei der Fortfüh­rung der Rede das Rhema des vorangehenden Satzes zum Thema des nach­folgenden Satzes wird:

T2(=R,)------ R2

T3(=R2)------- R3...

Dank der unermüdlichen Arbeit der Genossenschaftsbauern und Land­arbeiter verfügt die DDR nicht nur über eine hoch entwickelte Industrie, sondern auch über eine leistungsfähige Landwirtschaft.

Die Leistungsfähigkeit der sozialistischen Landwirtschaft zeigt sich zum Beispiel in dem grundsätzlich steigenden staatlichen Aufkommen an tieri­schen Erzeugnissen.


Dadurch wurde es möglich, die Bevölkerung im Wesentlichen aus eige­nem Aufkommen mit Grundnahrungsmitteln zu versorgen. (Einführung in die sozialistische Produktion)

Die Satzfolge kann auch dadurch als ein kommunikatives Ganzes gestal­tet werden, dass alle Sätze im Mikrotext das gleiche Thema haben. Das ist eine thematische Progression mit durchlaufendemThema:

T,-~ Ri T,- — R2 T, — R3...

Tonio sprach nicht. Er empfand Schmerz. Indem er seine etwas schräg-stehenden Brauen zusammenzog und die Lippen zum Pfeifen gerundet hielt, blickte er seitwärts geneigten Kopfes ins Weite. (Th.Mann)

Schließlich können bei Themen der einzelnen Sätze im Mikrotext von einem genannten oder bloß gemeinten Oberbegriff, der sie vereinigt, abge­leitet werden. Auf diese Weise entsteht eine thematische Progression mit abgeleitetenThemen:

[T]



T3------ R3

 


Silberne Wässer brausten, süße Waldvögel zwitscherten, die Eerdenglöck-chen läuteten, die mannigfaltig grünen Bäume wurden von der Sonne goldig angestrahlt... (Heine)

Der Oberbegriff, von dem alle Themen in diesem Mikrotext abgeleitet sind, ist „ein sonniger Sommertag".

Es ist zu berücksichtigen, dass die Weitergeltung des im Text Vorerwähn­ten nicht immer eine explizite Form hat. Daher wird zwischen syntaktischerAnapher und semantischer Anapher unterschieden (D r e ss 1 e r).

Bei der semantischen Anapher besteht eine semantische Beziehung zwi­schen den Nachbarsätzen im Text, ohne dass eine explizite Anapher vor­liegt. Isenberg nennt folgende Typen spezieller semantischer Beziehungen zwischen den Nachbarsätzen, die eine semantische Anapher herstellen, wäh­rend eine syntaktische Anapher fehlt. Das sind nach Isenberg:

a) Kausalanknüpfung

Die Lampe brennt nicht. Die Sicherung ist durchgebrannt;

b) Spezifizierung

Gestern ist ein Unglück geschehen, Peter hat sich den Arm gebrochen;


ñ) Diagnostische Interpretation(„man erkennt das daran, dass...") Es hat Frost gegeben. Die Heizungsröhren sind gesprungen.

Die strukturelleGanzheit des Mikrotextes ist aufs Engste mit seiner in­haltlichen und kommunikativen Ganzheit verbunden.

Das wichtigste lexikalische Merkmal der strukturellen Ganzheit eines Mikrotextes, das eng mit deren thematischer Ganzheit verbunden ist, ist die lexikalische Isotopiedes Textes, d. h. die Wiederholung gleicher Wörter, die Verwendung von Synonymen sowie von Wörtern, die zu einerBedeu­tungssphäre gehören (ein gemeinsames Sem haben). Vgl. das Vorkommen der Wörter Kopf, Brauen, Lippen sowie der Verbalformen (die Brauen) zu­sammenziehen, (die Lippen zum Pfeifen) runden, seitwärts blicken bei der Beschreibung der Miene des verstimmten Tonio.

Zu den grammatischen Merkmalen der Ganzheit eines Mikrotextes ge­hören:

1. Die einheitliche temporaleGestaltung des Mikrotextes. Vgl. die Tex­
te Tonio sprach nicht..; Dank der unermüdlichen Arbeit...; s. S. 329;

2. Der Gebrauch des bestimmten Artikels als ein Mittel der Anapher
(Rückverweisung) auf die Vorerwähnung eines Gegenstandes (einer Person)
im Text Vgl. den Text Im Kanal lag ein Boot...;

3.Der anaphorische(rückverweisende) Gebrauch der Pronomen. Vgl.
den gleichen Text,

4. Der kataphorische(vorwärtsweisende) Gebrauch zwei- und mehrtei­
liger Konjunktionen, z. B. bald... bald, teils ... teils, erstens.... zweitens,..,
drittens ...,
des Adjektivs/c^e/idu. Ä.:

Damit ein Werkstuck umgeformt werden kann, muss der Werkstoff bild­sam (plastisch) sein. Je bildsamer ein Stoff ist, desto leichter und genauer lassen sich aus Rohteilen Fertigteile walzen, pressen, biegen und ziehen. (Einführung in die sozialistische Produktion)

5. Umstandsbestimmungen,die einen temporalen, lokalen, kausalen Zu­
sammenhang zwischen den Sachverhalten angeben, sowie Konjunktionen
und Pronominaladverbien:

Damals war des Knaben Herz ebenso vergnügt wie die flatternden Tier­chen. Jetzt aber war sein Herz älter geworden, die kleinen Sonnenstrahlen waren darin erloschen, alle Blumen waren darin abgestorben, im armen Herzen war nichts als Mut und Gram. (Heine)

6. Die Ellipseim dialogischen Text:

Du schläfst hier wohl, was? fragte der Mann und sah von oben auf das Haargestrüpp herunter. Jürgen blinzelte zwischen den Beinen des Mannes hindurch in die Sonne und sagte: Nein, ich schlafe nicht. Ich muss hier aufpassen. Der Mann nickte: So, dafür hast du wohl den gro­ßen Stock da? Ja, antwortete Jürgen mutig und hielt den Stock fest (Bor-chert)


7. Der syntaktische Parallelismus:

Wie ich mich unter dem Gespräche in den schwarzen Augen weidete! Wie die lebendigen Lippen und die frischen munteren Wangen meine gan­ze Seele anzogen! Wie ich, in den herrlichen Sinn ihrer Rede ganz ver­sunken, oft gar die Worte nicht hörte, mit denen sie sich ausdrückte! (Goethe)

Aus den dargestellten Beispielen lassen sich folgende Gemeinsamkeiten erkennen:

Der Mikrotext besitzt äußere Grenzen (Anfang und Ende) und Innen­struktur. Der Bestimmung der Grenzen und der Innenstruktur des Mikiotex-tes sind zwei Problemkreise der Textgrammatik gewidmet. Es sind die Pro­bleme der Delimitationdes Mikrotextes (Abgrenzung des Mikrotextes und Segmentierung des Gesamttextes in transphrastische syntaktische Einhei­ten) und die Probleme der Konstitution(der inneren Verfassung) des Mi­krotextes.

Größere Schwierigkeiten bietet das Problem der Textdelimitation. Es ist jedoch von erstrangiger Bedeutung, da die Delimitation sprachlicher Ein­heiten natürliche Vorbedingung ihrer weiteren Erforschung ist.

Bei der Prägung des Mikrotextes als syntaktische Einheit mit kommuni­kativer Funktion eine wichtige Rolle der Stimmführung gehört.

Obwohl die Erforschung der Stimmführung als Prägemittel des Mikro­textes heute noch in den Anfängen liegt, wird in der einschlägigen Litera­tur auf folgende intonatorische Charakteristiken des Mikrotextes hinge­wiesen:

1) Der Anfangssatz des Mikrotextes wird in einem höheren Register ge­
sprochen (s.: [140,78]).

2) Die Pause am Schluss des Textes übertrifft die Pause am Satzende an
Länge. Peschkowski [194]; Sserkowa [249]; letztere kennzeich­
net die Pause am Textschluss als „länger als 2 Moren", (Mora: kleinste Zeit­
einheit im Vers. Die Pause nach Satzschluss = 2 Moren.)

3) Im Textmnern wechselt die Stärke der Betonung bei der Ersterwäh­
nung eines Gegenstandes und bei seiner wiederholten Nennung (H a r w e g
[107]; sein Beispiel: Es war einmal ein älter Konig, Dieser König hatte eine
wunderschöne Töchter).

Von den oben genannten intonatorischen Charakteristiken des Mikrotex­tes sind für das Delimitationsproblem die Beobachtungen an der intonatori­schen Hervorhebung des Anfangssatzes von besonderer Bedeutung.

Ein weiterer Charakterzug des Textanfangs ist der Wechsel des Mikro-themas gegenüber dem vorangehenden Text (vgl. den Wechsel der Mikro-themen in den Beispieltexten aus der Novelle „Tonio Kröger", S. 328).

Die intonatorische Hervorhebung und der Wechsel des Mikrothemas sind nicht nur das Signal dafür, dass ein neuer Mikrotext im Rahmen des Gesamttextes oder seines Abschnittes beginnt, sondern auch Schlusssi­gnal für den vorausgehenden Mikrotext. Der Gedanke, dass das Ende des Mikrotextes am sichersten an den Anzeichen eines neuen Textanfangs


erkannt werden kann, wird von verschiedenen Textforschern ausgespro­chen. So sagt zum Beispiel Harweg: „Das Ende eines spezifischen Textes wird indirekt, durch die Markierung der Anfänge der anderen bzw. aller anderen spezifischen Texte gekennzeichnet [106]. Heidolph hat eben­falls den Anfangssatz des nachgehenden Textes für die Abschlussgrenze des vorangehenden Textes. Seine Formel für die Delimitation eines Tex­tes ist:

So# (S#-#S) So, wo So— Anfangssatz ist.

Der Text beginnt mit einem So und endet bei dem folgenden So [109].

Zur Bestimmung des Satzanfangs So markiert der Verfasser die Satzglie­der, die im Text noch nicht erwähnt worden sind, mit [— m] (vgl. engl. mentioned „vorerwähnt"). Die vorerwähnten Satzglieder (natürlich nicht im Anfangssatz, sondern nur in den Folgesätzen des Textes) markiert er mit [+m]. bn Anfangssatz eines Textes haben nach Heidolph alle Satzglieder das Kennzeichen [—m].

Pfütze und Schulze weisen außerdem darauf hin, dass der Anfangssatz eines neuen Textes und somit der Übergang von einem Text zum folgenden häufig durch Wörter oder Wortgrappen gekennzeichnet sind, die den Wech­sel von Geschehnisabläufen ankündigen, z. B. plötzlich, jäh, mit einem Ruck, Da geschah ... u. Ä. [196]. In unserem Beispieltext vgl. das texteröffnende Plätzlich... am Anfang des zweiten Textes (S. 328).

Unter Konstitutiondes Textes versteht man die Mittel der Satzverflech­tung oder der Kohärenz, d. h. vor allem die expliziten sprachlichen Zeichen der Koreferenz der Sätze im Rahmen des Textes, d, h. ihres Bezuges auf denselben Gegenstand, dasselbe Geschehen, denselben Sachverhalt (den­selben Referenzträger).

Der Kernbegriff für das Problem der Konstitution des Textes ist der Be­griff Pro-Formen[253]. Unter Pro-Formen versteht man sprachliche Wie­deraufnahmen bereits im Text erwähnter Referenzträger. Das sind Prono­men und Pronominaladverbien (er, sie, das, dies; hier, dort, dorthin, hierher, da, damals).

Bei der Verwendung von Pro-Formen handelt es sich um die rückver­weisende Anapher (Wiederholung des bereits Erwähnten). Signal einer Ka-tapher (Vbrwärtsweisung) ist der unbestimmte Artikel ein. Der bestimmte Artikel der ist Signal einer Anapher, des Rückverweises auf die Wieder­aufnahme desselben Referenzträgers; (s. dazu: [274]) sowie Wortstellung und andere Ausdrucksmittel der kommunikativen Satzperspektive. Mit Hil­fe anderer Termini wird die Verwendung von Pro-Formen zur Wiederauf­nahme eines vorerwähnten Referenzträgers von Harweg in seinem Buch „Pronomina und Textkonstitution" dargelegt [106], Er bezeichnet die Wie­deraufnahme des Referenzträgers im Rahmen eines Textes und die Ver­wendung verschiedener Bezeichnungen für ihn als Substitution und nennt den Referenzträger beim ersten Vorkommen Substituendum,alle Pro-For­men, die ihn bei der Fortführung des Textes vertreten aber Substituens (ebenda).



Date: 2016-03-03; view: 1487


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