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Die grammatische Bedeutung der Wortformen 2 page


relative oder indirekte Tempora


 



 


 


Präsens


Vergangenheit- 1. Futur Perfekt Plusquam- 2. Futur
tempora -g perfekt


 



 


 


Präteritum


Perfekt


Innerhalb der absoluten und der relativen Tempora heben sich je drei Gegenglieder ab, die auf folgenden Oppositionen beruhen:

a) Innerhalb der absoluten Tempora reglementiert die Beziehungen zwi­schen den Tempusformen die dreigliedrige Opposition:


„Vor dem Redemo- / ment abgelaufen" (Präteritum, Perfekt)


„Im Redemo­ment gültig"

(Präsens)


/ „Nach dem Redemo-meiit eintretend" (1. Futur)



b) Innerhalb der relativen Tempora herrscht die dreigliedrige Opposi­tion:

Geschehen vorangehend" (2. Futur)

„Einem vor dem Rede- / „Einem im Rede- / „Einem nach dem Rede­
moment abgelaufenen moment gültigen moment eintretenden
Geschehen Geschehen
vorangehend" vorangehend"
(Plusquamperfekt) (Perfekt)

Mit Rücksicht auf diese Oppositionsverhältnisse baut Schendels [216] folgendes Schema des deutschen Tempussystems auf:

Perfekt


Plusquamperfekt


2. Futur


Das innere Dreieck stellt die absoluten Tempora, das äußere Dreieck die relativen Tempora dar.

Dieses sehr übersichtliche Schema sollte zwar in einem Punkt präzisiert werden, da Perfekt und Präteritum beide als absolute Vergangenheitstempo­ra verwendet werden, also paradigmatische Synonyme sind (s. o. S. 77 ff):

Perfekt



Präteritum Perfekt

Plusquamperfekt


2. Futur


Ein anderes Prinzip der Subkategorisierung der deutschen Tempusfor­men entwickelt in seinem Buch „Tempus. Besprochene und erzählte Welt" Harald Weinrich [272]. Der Verfasser unterscheidet folgende zwei Tempus-groppen mit verschiedener kommunikativ-pragmatischer Funktion:


Tempusgruppe I Tempusgruppe II

Präsens Präteritum

Perfekt Plusquamperfekt

Futur 1. Konditional

Weinrich schreibt: „In jeder der beiden Tempusgruppen ist die ganze Weltzeit, von der fernsten Vergangenheit bis zur fernsten Zukunft, erreich­bar... Die Strukturgrenze zwischen der Terapusgrappe I und der Tempus-grappe II ist keine Zeitgrenze" [272]. Zum Charakter dieser Grenze sagt Weinrich: „Es zeigen sich bestimmte Affinitäten zwischen den beiden Tem­pusgruppen und gewissen Sprechsituationen. Ein Roman etwa, als geschrie­bene Sprechsituation betrachtet, hat eine deutliche Vorliebe für die Tempora der Tempusgruppe II, während dieses Buch, wenn der Leser es für einen Augenblick als Specimen einer wissenschaftlichen Darstellung nehmen will, eine ebenso deutliche Vorliebe für die Tempora der Tempusgruppe I zeigt" (ebenda).

Die Funktion beider Tempusgruppen besteht in der Steuerung des Hörer­verhaltens. Die Tempusgruppe I nennt Weinrich die Tempora der besproche­nen Welt oder die besprechenden Tempora. Sie signalisieren dem Hörer, dass es unmittelbar um seine Sache geht und dass eine sprachliche oder nicht­sprachliche Antwort verlangt wird. Die besprechenden Tempora verlangen vom Hörer, „den Text mit einem gewissen Engagement zu rezipieren und sich durch ihn als grundsätzlich betroffen zu betrachten" [273].



Die Tempusgruppe Ï ist mit Sprechsituationen verbunden, in denen man erzählt. Weinrich nennt die Tempora der Tempusgruppe II Tempora der er­zählten Welt oder Erzähltempora. Sie geben dem Hörer Nachricht davon, dass die Mitteilung eine Erzählung ist und „lassen ihm Raum für eine gewis­se Gelassenheit beim Zuhören: die Sache des Hörers (Zuhörers!) steht nicht unmittelbar auf dem Spiel" [273].

Die Tempusgruppe II dominiert in der Novelle, im Roman und in jeder Art von schriftlicher oder mündlicher Erzählung. Die Tempusgruppe I do­miniert in der Lyrik, im Drama und in allen anderen Arten dialogischer Rede, in der Zeitung, im literarischen Essay, in der wissenschaftlichen Darstel­lung, in Beratungen, Beschreibungen, Briefen, Kommentaren, Diskussio­nen, Bühnenanweisungen, Referaten [272].

§ 25. DasPräsens

Die Bedeutung und die Verwendung des Präsens ist oben schon gehan­delt worden (vgl. S. 70). Hier soll also bloß eine Systematisierang der Ver­wendungen des Präsens sowie eine Übersicht über die Probleme gegeben werden, die mit der Mehrdeutigkeit des Präsens in Zusammenhang stehen.

1. Angesichts der unbegrenzten Zeitdauer der Geschehnisse, über die das Präsens berichten kann, — angefangen mit einer punktuellen Handlung (Es donnert) bis zu einem panchronischen Vorgang {Die Erde dreht sich um die Sonne), — verzichten die Sprachforscher immer entschiedener auf die her-


kömmliche Bestimmung des Präsens als „Tempus der Gegenwart", und auf die modernere Kennzeichnung des Präsens als Tempus, das auf den Zusam­menfall von Geschehen und Redemoment hinweist. Die neueren Definitio­nen des Präsens betonen vor allem zwei Momente: a) Dass das Präsens in die Vergangenheit und Zukunft hinüberreichen kann, aber im Gegensatz zu den anderen Tempora keinen Hinweisauf die zeitliche Begrenzungdes Vorgangs durch den Redemoment enthält (vgl. „Eintritt nach dem Redemo­ment" — Zukunft, „Aufhören vor dem Redemoment" — Vergangenheit); b) dass das Präsens den Redemoment miteinbeziehtSo sieht Brinkmann die Grundleistung des Präsens darin, dass es den Vorgang als ein Kontinu-umdarstellt [38]; Glänz kennzeichnet das Präsens als „allgemein und daher auch jetzt gültig" gegenüber „vergangen" [81]; Flämig sagt, dass das Prä­sens eine allgemeine Zeit ausdrückt. Es bezeichnet einen allgemeinen Zeit-ablauf, der zwar gegenwärtig ins Bewusstsein tritt, aber darüber hinausreicht [68]; Admoni schreibt: .„Alle Zeitabschnitte, die den Redemoment mitein-beziehen (nicht als äußere Grenze, sondern als einen der innerhalb dieses Abschnittes fallenden Zeitpunkt), gehören zur grammatischen Gegenwart, zum Präsens" [2]. Auch unsere Definition der Grundbedeutung des Präsens: „Gültigkeit im Redemoment" geht auf die oben genannten Momente der Charakteristik des Präsens hinaus. Das inklusiveund das exklusivePräsens unterscheidet Schendels. Das erstere schließt den Redemoment mit ein, das letztere bezieht sich auf Vergangenheit oder Zukunft (schließt also den Re­demoment aus) oder ist in zeitlicher Hinsicht „neutral" — verallgemeinernd, qualifizierend u. Ä. [216].

Das Präsens ist nach Weinrich das Haupttempus der besprochenen Welt. Das bestätigen auch die Tempusstatistiken von Kaj B. Lindgren. In den Dia-logpartien der Novellen von Theodor Storm ist die Gebrauchsfrequenz ein­zelner Tempora wie folgt:

Präsens 763 Belege 58%

Präteritum 118 Belege 9%

Perfekt 158 Belege 13%

Plusquamperfekt 10 Belege 0,8%

Konjunktiv 241 Belege 19%

Ähnlich im Roman von Hermann Sudermann „Frau Sorge":
Präsens 967 Belege 62%

Präteritum 114 Belege 8%

Perfekt 179 Belege 11%

Plusquamperfekt á Belege 0,4*

Konjunktiv 297 Belege 19%

Die Systematisierung der Verwendungen des Präsens s. o. (S. 70ff-)-Paradigmatische Synonyme hat das Präsens nicht. Alle synonymischen Beziehungen des Präsens zu den anderen Tempusformen sowie seine syno-


nymischen Beziehungen zum Imperativ sind das Ergebnis stilistischer Trans­position.

Der stilistische Effekt der Transposition beruht darauf, dass die Grand­bedeutung der transponierten Form einen gewissen Einfluss auf seine neue Verwendungsweise ausübt. Das steht im umgekehrten Verhältnis zur Häu­figkeit der Transposition.

2. Der Effekt der Transposition des Präsens auf die Zeitebene des Präter­
itums (das berichtende Präsens oder das Präsens historicum, Tempusme­
tapher der gespannten Erzählung nach Weinrich) besteht darin, dass die Ge­
schehnisse aus der Vergangenheit gleichsam in die Gegenwart rücken, ver­
sinnbildlicht und dem Zuhörer (Leser) vor Augen gebracht werden. Das hi­
storische Präsens kennzeichnet den Erzählstil. Der Übergang vom. Präter­
itum zum Präsens deutet auf die Wende des Geschehens, auf die Kulminati­
on der Handlung.

Vor seinem Löwengarten,

Das Kampfspiel zu erwarten,

Saß König Franz.

Und um ihn die Großen der Krone,

Und rings auf hohem Balkone

Die Damen in schönem Kranz.

Und wie er winkt mit dem Finger,

Auf tut sich der weite Zwinger,

Und hinein mit bedächtigem Schritt

Ein Löwe tritt,

Und sieht sich stumm

Rings um

Mit langem Gähnen,

Und schüttelt die Mähnen,

Und streckt die Glieder,

Und legt sich nieder.

(Schiller)

Man nennt dieses Präsens auch das, ,Präsens der belebten Erzählung", z. Â.:

Der Rennfahrer schießt durch die Kurve, rast heran, bremst scharf und hält mit einem Ruck vor dem Ersatzteillager [50].

3. Auch das konstatierende Präsens (Synonym des Perfekts) betont die
Aktualität der Äußerung für die Gegenwart, ihre „Gültigkeit im Redemo­
ment":

Ich höre, Sie wollen verreisen = Ich habe gehört, Sie wollen verreisen.

4. Nicht um Verschiebung des Präsens auf eine andere Zeitebene, son­
dern um Überführung einer Indikativform in den Bereich des Imperativs han­
delt es sich beim Imperativischen Präsens. Das Präsens verleiht der Auffor­
derung den Klang eines nachdrücklichen herrischen Befehls, der die Mög­
lichkeit von Unfolgsamkeit ausschließt und das Angeordnete aus dem Be­
reich des Gewünschten in den des Realisierten verschiebt, z. Â.;


,jSie können gehen, Leutnant", sagte der General. „Sie bleiben", erklärte Saint-Just... (W.Bredel)

5. Während die oben dargestellten Transpositionen von großer Ausdrucks­kraft sind, ist der stilistische Effekt bei der Verwendung des futurischenPräsens sehr gering. Das erklärt sich durch die historisch bedingte Häufig­keit seines Gebrauchs (als übliche Ausdrucksform der Zukunft im Deutschen bis zum 16./17. Jh.)- Im Alltagsstil ist das futurische Präsens bis heute vor­herrschend:

Ich komme sofort. In einer Stunde geht mein Zug.

Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass die futurische Bedeutung des Präsens eine syntagmatischeBedeutung ist. Das Präsens kann die Zu­kunft nur im günstigen Kontext bezeichnen, d.h. in Verbindung mit einem Adverbiale der Zeit (sofort, in einer Stunde), in futurischer Umgebung u. A. (vgl.: [110]). Im neutralen Kontext dagegen dient als Ausdrucksform der Zukunft regelmäßig das Futur.

§ 26. Die Zukunftstempora. Das 1. Futur

1.Das 1. Futur ist die einzige, paradigmatischeAusdrucksform der Zu­kunft, die, wie schon gesagt, die Zukunft im neutralen Kontext bezeichnen kann.

Vgl.: Ich lese Ich werde lesen

Er spricht ~ Er wird sprechen

Das 1. Futur zeigt, dass von einem Geschehen gesprochen wird, das im Redemoment noch ausbleibt und erst nach dem Redemoment eintreten wird („Tempus der Erwartung" nach Brinkmann [38]; „ausstehend" nach Glinz [81]). Demzufolge enthält das 1. Futur in seiner Grundbedeutung zwei Bedeutungskomponenten (Seme):

 

Grammem Bedeutungskomponenten (Seme)
1. Futur „Ausbleiben des Geschehens im Redemoment" „Eintritt des Geschehens nach dem Redemoment"

2. Ebenso wie das Präsens kann das 1. Futur in den Bereich anderer Gram­men» transponiert werden, was die Mehrdeutigkeit des Futurs erklärt. _

Die Analogie zwischen dem 1. Futur und dem Präsens kann noch weiter verfolgt werden, da auch das L Futur in den Bereich des Imperativs transpo­niert werden kann und wie das imperativische Präsens zum Ausdruck eines nachdrücklichen, herrischen Befehls dient:

Einige Minuten vergingen, die Stimmen drangen noch immer durch die Wand, dann hörte man wieder im Flur sprechen - „Sie werden pünktlich sein!" sagte eine unhöfliche Stimme. (Kellermann)


Das Imperativische 1. Futur wahrt seine zeitliche Bedeutung, so dass ihm folgende Bedeutungskomponenten (Seme) innewohnen:

 

Gramraem Bedeutungskomponenten (Seme)
1. Futur „Ausbleiben des Geschehens im Redemoment" „Aufforderung zur Handlung"

Die imperativische Bedeutung des 1. Futurs ist eine syntagmatische Be­deutung. Sie wird durch die Intonation der Aufforderung geprägt und ist der 2. Person Sg. / PL und der Höflichkeitsform eigen.

3. Eine andere syntagmatische Bedeutung des 1. Futurs ist das hypotheti­sche Futur:

Wurm: Ein väterlicher Rat vermag bei der Tochter viel, und hoffentlich werden Sie mich kennen, Herr Miller. (Schiller)

Saint-Just war vor fünf Uhr von seinem Rundgang zurück. Er wartete bis sechs. Der General kam nicht,

,ßr wird uns bei sich erwarten", meinte Le Bas. (Bredel)

Beim hypothetischen Futur handelt es sich um eine zweifache Transposi­tion: a) Eine modale Transposition aus dem Bereich des Indikativs als Rea­litätsform in den Bereich der Formen mit hypothetischer Bedeutung (vgl.: Er muss zu Hause sein; Sie mag 25 sein; s. S. 122); b) Eine zeitliche Trans­position in den Bereich des Präsens (Gegenwartsbezug).

Der Bedeutungsgehalt des hypothetischen Futurs ist:

 

Grammen) Bedeutungskomponenten (Seme)
1. Futur „Annahme" „Gültigkeit im Redemoment"

Der hypothetische Charakter des Futurs kann durch die Modalwörter wohl, hoffentlich, vielleicht unterstrichen werden. Doch wäre es falsch, die Modal­wörter als formales Merkmal des hypothetischen Futurs zu betrachten, da sie sehr häufig Alleinträger der hypothetischen Modalität sind, während die Verbalform keine Transposition erfährt:

,ffleine Frau schläft wohl schon? "fragte er, während er seinen Überzie­her in der Diele ablegte (Kellermann, — Präsens in seiner Grundbedeutung + wohl).

Fabian lächelte und trat zurück, da er eine plötzliche Umarmung des Rothaarigen fürchtete. „Es wird wohl einige Tage dauern, rufen sie täglich bei mir an", sagte er (Kellermann — 1. Futur in seiner Grundbedeutung + wohl).

Von entscheidender Bedeutung für die Aussonderung des hypotheti­schen 1. Futurs ist also nicht die Verbindung mit einem Modalwort, son-


dem die Transposition auf die Zeitebene des Präsens (der Gegenwartsbe­zug). Vgl.:

a) Er wird wohl zu Hause sein (von dem Sprechenden auf die Gegenwart
bezogen, hypothetisches 1. Futur).

b) Es wird wohl einige Tage dauern (von dem Sprechenden auf die Zu­
kunft bezogen, 1. Futur in seiner Grandbedeutung; die hypothetische Moda­
lität ist durch das Modalwort ausgedrückt).

Die Mehrdeutigkeit des 1. Futurs, seine teilweise Synonymic mit dem Präsens und die verhältnismäßige Häufigkeit modaler Transpositionen ge­ben den Grund für die Diskussion über das Wesen dieser Verbalform. Für den Stand des Problems ist bezeichnend, dass Saltweit einen Aufsatz über das 1. Futur mit dem Fragesatz betitelt: „Besitzt die deutsche Sprache ein Futur?" Der Verfasser vergleicht den rein zeitlichen Gebrauch des Futurs als Ausdracksform der Zukunft und den gegenwartsbezogenen modalen Ge­brauch des 1. Futurs (also das hypothetische Futur) und kommt zur Schlussfolgerang, dass die Fügung werden + Infinitiv kein eindeutiges Fu­tur sei [213]. Doch verhält sich nach seinen Beobachtungen der Gegenwarts­bezug — also der modale Gebrauch — zum Zukunftsbezug in der Litera­tursprache wie 1:23.

§ 27. Das 2. Futur

1. Im Paradigma des Verbs erscheint das 2. Futur als relatives Tempus, das im selben Verhältnis zum I. Futur steht, wie das relative Perfekt zum Präsens und das Plusquamperfekt zum Präteritum (vgl. S. 98 ff.). Die Grund­bedeutung des 2. Futurs ist also der Ausdruck der Vorzeitigkeit in der Zu­kunft,Es erscheint meistens in Verbindung mit dem 1. Futur:

Du wirst mich bedauern, wenn du alles gehört Itaben wirst (Wieland)

Das 2. Futur wird auch in Verbindung mit einem Zeitadverbiale gebraucht und bedeutet, dass ein Geschehen vor einem ausstehenden und ins Auge gefassten Zeitpunkt eintreten wird:

In ein paar Tagen wirst du mich vielleicht wieder vergessen haben, (Schnitzler)

Der Bedeutungsgehalt dieses Tempus ist also,-

 

Gramraem Bedeutungskomponenten (Seme)
1. Futur „Ausbleiben des Geschehens im Redemoment" „Ablauf vor einem anderen zukünftigen Geschehen oder einem ausstehenden und ins Auge gefassten Zeitpunkt"

Ein Synonym des 2. Futurs als Ausdrucksmittel der Vorzeitigkeit in der Zukunft ist das Perfekt. Es handelt sich auch hier um paradigmatisch-syn-


tagmatische Synonymie. Ein Anzeiger der Transposition des Perfekts auf die Ebene der Zukunft sind die Verbindungen des Perfekts mit dem 1. Futur, mit dem futurischen Präsens, mit dem Imperativ, mit den Adverbialen der Zeit, die auf die Zukunft deuten:

Du wirst die Rheinarmee zum Siege fuhren. Ist das geschehen, begebe dich unverzüglich zur Nordarmee. (Bredel)

Ich gebe noch eine halbe Stunde. Wenn das Lager nicht angerteten ist, dann lasse ich es mit Waffengewalt räumen. (Apitz)

2. Bezeichnend für das 2. Futurist, dass die Frequenz seines Gebrauchs in der Grundbedeutung (paradigmatische Bedeutung) hinter der des moda­len Gebrauchs als hypothetisches 2. Futurweit zurücksteht. Das hypothe­tische 2. Futur dient zum Ausdruck einer Vermutung, die auf die Vergangen­heit bezogen ist, und büdet ein korrelatives Gegenglied zum hypothetischen 1. Futur;

1. Futur 2. Futur

Er wird krank sein. Er wird krank gewesen sein.

(die Vermutung ist auf (die Vermutung ist auf die

die Gegenwart bezogen) Vergangenheit bezogen)

Der Bedeutungsgehalt des hypothetischen 2. Futurs ist also:

 

Grammcm Bedeutungskomponenten (Seme)
2. Futur „\fermutung" „Ausbleiben des Geschehens im Redemoment" „Ablauf vor dem Redemoment"

Kennzeichen des hypothetischen 2. Futurs ist nicht nur die Transposition auf die Ebene der Vergangenheit, sondern vor allem der Wechsel der Per­spektive, die Transposition auf die Ebene der direkten zeitlichen Perspekti­ve; —das hypothetische 2. Futur setzt keinen zeitlichen Bezug auf ein ande­res Geschehen voraus, sondern bezieht die Äußerung unmittelbar auf den Moment des Redeaktes,

Vgl.: a) Wenn du dir alles überlegt haben wirst, werden wir weiter dar­über reden (relatives 2. Futur; indirekte zeitliche Perspektive, Bezug auf ein anderes künftiges Geschehen = Vorzeitigkeit in der Zukunft);

b) Du wirst dir alles überlegt haben (hypothetisches 2. Futur; direkte zeitliche Perspektive, Bezug auf den Moment des Redeaktes = auf die Ver­gangenheit bezogene Vermutung).

§ 28. Die Vergangenheitstempora. Das Präteritum

Das Präteritum gilt allgemein als das Tempus der Erzählung. Weinrich bezeichnet es als das Haupttempus der Tempusgruppe II, d. h. der Tempus­gruppe der erzählten Wert. Die Statistik Lindgrens gibt dafür einen überzeu-


genden Beweis, Die statistische Analyse derselben literarischen Werke, die für die Dialogpartien die oben genannten Zahlen lieferte, ergibt für die Er­zählung:

In den Novellen von Theodor Storm
Präsens 116 Belege 3%

Präteritum 3493 Belege 79%

Perfekt 35 Belege 0,8%

Plusquamperfekt 439 Belege 10%

Konjunktiv 322 Belege 7%

Im Roman Sudermanns „Frau Sorge"

Präsens 36 Belege 0,7%

Präteritum 4180 Belege »4%

Perfekt 2 Belege

Plusquamperfekt 380 Belege »*

Konjunktiv 373 Belege 7%

Die Zusammenfassung der Zahlen aus einem größeren Korpus literari­scher Texte ergibt folgende Gebrauchsfrequenz einzelner Vergangenheits­tempora in der Erzählung:

Präteritum Perfekt Plusquamperfekt

89,8% 0,5% 9,7%

Soweit das Perfekt als direktes Vergangenheitstempus fungiert, sind Per­fekt und Präteritum paradigmatische Synonyme, da beide Tempora auf das Ausbleiben des Geschehens im Redemoment und auf dessen Ablauf vor dem Redemoment hinweisen. Auch in der syntagmatischen Dimension wer­den sie nicht durch die temporale Bedeutung unterschieden sondern durch die Bindung an verschiedene Sprechsituationen Das Präteritum ist ein Er-zähltempusTdas Perfekt dagegen nach der Defmifcon Wemnchs ein b*pre-chendes Tempus. Sie stehen nur ausnahmsweise im Ve^ltninsa^.f^n Variierang, sonst ist jedes auf die eigene Verwendungssphare angewie e£

Den pragmatischen Effekt des Präteritums als ^JJ^^JS viele Sprachforscher als Distanzierung.von dem Redemoment ^wahrend s¹ dem Perfekt ein Sem „der Aktualität des geschilderten Geschehens zuer

kennen.

Jean Fourquet fasst den Unterschied in der und Perfekt so zusammen: Das Präteritum kern einfach und ausschließlich der Vergangenheit '^^^^^ gen stellt es als Beginn des Zustandes dar, der noch immer fo daue t des sen Folgen auch in der Gegenwart bestehen [75]. Er veranschaulicht es durch folgende Beispiele:


1) Zuerst war das Wetter schön, dann regnete es. (Wetterbericht)
Es hat geregnet: der Boden ist noch nass.

2) Heute morgen erhielten wir den Befehl zum Angriff und gingen auch
gleich zum Angriff über.

Wir haben eben den Befehl zum Angriff erhalten und machen uns bereit.

Ähnliche Deutungen des Präteritums und des absoluten Perfekts geben die meisten modernen Grammatiken der deutschen Sprache. So heißt es in der Duden-Grammatik, dass das Präteritum (2. Stammform) „ein absolut in der Vergangenheit ablaufendes Geschehen ohne Bezug auf die Gegenwart ausdrückt (im Gegensatz zum umschriebenen Perfekt)". Es ist „das eigentli­che, neutrale Tempus der Abstand wahrenden Schilderang, der erzählenden, berichtenden Darstellung" [85]. Auch Brinkmann betont, dass das Präter­itum auf der Sonderang von Gegenwart und Vergangenheit beruht, und kenn­zeichnet es als „das Tempus der Erinnerung": „Die Vergangenheit, die im Präteritum zu Wort kommt, ist von der Gegenwart unterschieden;, das Konti-nuum der Zeit ist unterbrochen. Die Erinnerung, die dem Präteritum zugrun­de liegt, setzt diese Unterbrechung voraus" [38]. Flämig bestimmt das Prä­teritum, wie folgt: „Der Zeitablauf in der Vergangenheit reicht nicht bis in die Gegenwart hinein, das Geschehen erscheint von der Gegenwart losge­löst, wodurch eine objektive Darstellung vergangenen Geschehens gewis­sermaßen als Rückschau ermöglicht wird" [68].

Der Bedeutungsgehalt des Präteritums ist also:

 

Grammem Bedeutungskomponenten (Seme)
Präteritum „Ausbleiben des Gesche­hens im Redemoment" „Ablauf vor dem Redemoment" „Distanzierung des ver­gangenen Geschehens vom Redemoment"

Viele Sprachforscher betonen, dass das Präteritum im Gegensatz zum Perfekt das Geschehen nicht als Einzelfaktum, sondern als Glied in einer Kette von Ereignissen schildert. Das erkannte schon Wilmanns: „Das Prä­teritum ist das Tempus der Erzählung, in der das einzelne Ereignis nur als Glied in der zusammenhängenden Reihe vergangener Ereignisse aufgefaßt wird; das Perfektum braucht man, wenn man ein Ereignis als Faktum von selbständiger Bedeutung hinstellen will" [281, III—I], Seine Beispiele:

1) Als ich gestern am Rhein spazieren ging, fiel ein Kind ins Wasser
Erzählung über ein Ereignis, bei dem man zugegen gewesen ist: „Der Au­
genzeuge braucht das Präteritum, weil sich für ihn der Vorgang mit anderen
Umständen verknüpft, auch wenn er sie nicht erwähnt".

2) Denk mal, gestern ist wieder ein Kind ertrunken — Bericht über ein
Ereignis, bei dem man nicht zugegen gewesen ist: „Der Berichterstatter
braucht das Perfektum, weil er nur die Tatsache mitzuteilen hat".

Von den modernen Sprachforschern vertritt Brinkmann einen ähnlichen Standpunkt: „Die Präterita, die aufeinander folgen, werden als Glieder einer


Kette hingestellt, in der eins auf das andere in unmittelbarem Anschluß folgt, so daß ein Kontinuum entsteht, dem vergleichbar, das mit dem Präsens ent­worfen wird. Präsens und Präteritum sind so die einzigen Tempora, die auf eine längere Strecke hin durchgehalten werden können..." [38].

1. Die dem Präteritum innewohnende Vergangenheitsbedeutung tritt deut­
lich im sachlichen Bericht, in den erzählenden Partien publizistischer Texte,
in historischen Schriften hervor:

Die schriftliche Fixierung der deutschen Sprache begann erst in der Mitte des 8. Jh. Nun trat im Frankreich auch die geschriebene Volkssprache neben das Lateinische, die offizielle Sprache der Kirche und der Verwaltung.

Der VIII. Internationale Kongress über Anwendung der Mathematik in den Inge-nieurwissenschafien wurde am Montag in Weimar eröffnet. Seit 17 Jahren treffen sich aus diesem Anlass Wissenschaftler verschiedener Disziplinen— der Mathematik, der Datenverarbeitung, technischer und Wrtschafiswissenschafien mit Ingenieuren und Ökonomen aus der Industrie und dem Bauwesen. Rund 1000 Teilnehmer aus der DDR sowie 33 weiteren Ländern wurden vom Veranstalter, der Weimarer Hochschuleßr Ar­chitektur und Bauwesen, zu dem einwöchigen Kongress begrüßt.

2. Regelmäßig erscheint das sog. epische Präteritumin Märchen, Fa­
beln, Novellen und Romanen:

An einem unfreundlichen Novembertag wanderte ein armes Schneiderlein auf der Landstraße nach Goldach, einer kleinen, reichen Stadt, die nur wenige Stunden von Seldwyla entfernt ist. Der Schneider trug in seiner Tasche nichts als einen Fingerhut, welchen er, in Ermangelung irgendeiner Münze, unablässig zwischen den Fingern dreh­te, wem er der Kälte wegen die Hände in die Hosen steckte, und die Finger schmerzten ihm ordentlich von diesem Drehen und Reiben; denn er hatte wegen des Falümentes irgendeines Seldwyler Schneidermeisters seinen Arbeitslohn mit der Arbeit zugleich ver­tieren und auswandern müssen. (Keller)

Hiermit begannen schöne Sommerwochen fir Tony Buddenbrook, kurzweiligere und angenehmere, als sie jemals in Trawemünde erlebt hatte. Sie blühte auf, nichts lastete mehr auf ihr; in ihre Worte und Bewegungen kehrten Keckheit und Sorglosigkeit zurück. (Th.Mann)


Date: 2016-03-03; view: 1155


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