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TODSICHERE METHODEN, BERÜHMT ZU WERDEN

ALLERGIE-QUARTETT

Der moderne Mensch hat mindestens eine Allergie. Irgendetwas braucht man, das einen zum Husten, Niesen und Blau-Anlaufen bringt, sonst gehört man nicht zur Funky Crowd. Ohne Allergie kann man heutzutage eigentlich gar nicht mehr aus dem Haus. Mit Allergie natürlich auch nicht, zumindest wenn man Heuschnupfen hat, aber da muss man eben durch. Am besten ist, man hat irgendwas Ausgefallenes, Pollen kann ja jeder. Ein bisschen crazy sollte es schon sein, Kobalt-Nickel-Ionen vielleicht oder wenigstens eine Glutamat-Unverträglichkeit oder eine exotische Kreuzallergie wie «Apfel/Birke» oder «Physalis/Guave» – irgendwas, das eher nach einer neuen Bionade-Sorte klingt als nach einer Krankheit. Damit hat man auf jeder Party ein Gesprächsthema, kann bei Starbucks nach dem laktosefreien Frappuccino fragen und Dr.-Hauschka-Produkte kaufen, zehn Gramm für tausend Euro, weil: «Was anderes vertrag ich halt nicht.»

Und ich bin stolz, sagen zu können: Ich war von Anfang an dabei! Was mir bei Musikbands nur selten gelingt, kann ich hier bedenkenlos herauströten: Ich kannte die meisten Allergien schon, bevor sie berühmt wurden. Laktose-Intoleranz 1984 – ich war dabei! Ich hatte keinen Allergiepass, eher eine Allergie-Enzyklopädie: Dieses kleine blaue Heftchen war voller Klebezettel mit den unterschiedlichsten Reizstoffen. Ich hatte mehr von diesen Aufklebern als meine Mitschüler Panini-Bildchen. Hätte es ein Allergie-Quartett gegeben, ich hätte jedes Mal gewonnen. «Chlorhexidin-Sulfat – sticht!» Als viele Allergien noch gar nicht erforscht waren, riefen mich Ärzte aus aller Welt an und fragten: «Kann man eigentlich auf den und den Stoff allergisch sein?» Dann schaute ich in meinem Pass nach und sagte: «Kann man!», die Allergologen hauchten: «Faszinierend!», und legten wieder auf. Es war eine wilde Zeit.

Na gut, in Wahrheit war sie nicht ganz so wild. Tatsächlich waren Allergien damals noch gar nicht hip. Und Allergiker waren keine Funky Crowd, sondern eher verschleimte Loser. Das fing schon mit meinem Heuschnupfen an: Als ich sieben Jahre alt war, spielten meine Freunde mit mir am liebsten in einem Weizenfeld Verstecken. Da mussten sie nicht lange suchen, ich war da, wo alle zwei Sekunden geniest wurde. Irgendwann entschied dann meine Freundin Susi, dass wir das nicht mehr spielen sollten, denn, wie sie es ausdrückte: «Ich schlaf immer so schlecht, wenn ich den Markus mit seinen blutunterlaufenen Augen sehe!»

Es war, als wollte die Natur mir mitteilen: «Nimm’s nicht persönlich, aber ich kann dich nicht leiden. Such dir bitte ’nen anderen Planeten.» Da ich aber mit sieben keine Chance auf Teilnahme an einem Weltraumprogramm sah, bin ich einfach geblieben und musste jedes Jahr ertragen, dass Bäume, Büsche und Gräser mich mit Pollen bombardierten, bis meine Augen tränten, die Nase lief und ich – pünktlich zum Pubertätsbeginn – auch noch Neurodermitis bekam. Andere hatten ihren ersten Sex, ich hatte meinen ersten Ausschlag. Es gab Zeiten, da wünschte ich mir, ich hätte einfach ’ne ganz normale Akne. Pickel im Gesicht, das signalisierte Erwachsenwerden, Hormonüberschuss und sexuelles Erwachen. Rote Ekzeme am Hals sahen einfach scheiße aus. Vor allem wollte ich auch mal Clearasil benutzen dürfen, denn erst Clearasil und Bier machen einen Jungen zum Mann. Ich habe mir sogar mal eine Probepackung Anti-Pickel-Creme aus der Bravo ins Gesicht geschmiert. Dabei hatte ich keinen einzigen Pickel. Zumindest bis dahin. Danach sah mein Gesicht vier Tage lang aus wie ein zertrampeltes Erdbeerfeld, weil ich offensichtlich auf einen der Inhaltsstoffe allergisch reagierte.



 

Da war ich sechzehn. Und weil die Sommerferien gerade begonnen hatten und ich auch mal an einem Baggersee liegen wollte, ohne dass kleine Kinder weinend wegrennen und Mütter das Strandtuch ein Stückchen wegziehen, machte ich meinen ersten Allergietest. Ich hatte gerade meine Öko-Phase mit braunen Camel-Lederschuhen und Salzkristall-Deostift und entschied mich deshalb für einen Naturheilkundler.

«Du solltest auf jeden Fall auf Zucker verzichten», riet der mir, während er das Ergebnis des Tests studierte.

Zuvor hatte er mich an eine Maschine mit sehr vielen Zeigern und bizarr geformten Behältern gesetzt und mir zwei Metallstäbe in die Hand gedrückt, die mit der Maschine verbunden waren. Meine Füße musste ich auf zwei Metallplatten stellen, dann machte das Gerät eine halbe Stunde in unterschiedlichen Tonhöhen «Uiiiiiii, uiiiiiii!». Das Ganze wirkte so wissenschaftlich wie die Steuerungsinstrumente in «Raumpatrouille Orion».

«Wie, auf Zucker verzichten?», fragte ich ihn.

«Du solltest keinen Zucker mehr essen. Isst du denn viel Zucker?»

«Nö, eigentlich nicht», sagte ich, «aber …»

«Na, dann wird dir der Verzicht ja nicht schwerfallen», unterbrach er mich, und das Beratungs-Gespräch war beendet.

Etwas verwirrt trottete ich aus der Praxis und ging zurück zu meinem Ferienjob, den ich kurz vorher angenommen hatte. In dem einzigen Unternehmen, das bei uns im Ort Ferienjobs anbot: der Zuckerfabrik.

Ich aß also keinen Zucker mehr und presste vier Wochen lang die Lippen zusammen, während ich im Fabrik-Silo mit einem Spaten Zucker-Reste von der Wand kratzte. Meine Allergie wurde dadurch weder besser noch schlechter. Aber ich war der mit Abstand beliebteste Ferienjobber, den es in der Zuckerfabrik je gab.

«Du hältst wenigstens die Fresse», sagte mein Vorarbeiter, «aber wenn ich deine blutunterlaufenen Augen seh, krieg ich schlechte Träume!»

 

Da ich mittlerweile auch außerhalb der Pollensaison aussah wie ein Grottenolm mit Ausschlag, machte ich kurz vor dem Abitur Allergietest Nummer zwei. Ich saß im Behandlungszimmer meines Hausarztes auf einer Liege, und eine Arzthelferin trug mit einer Pipette 20 verschiedene Allergene auf meinem Rücken auf. Dann griff sie zu einer Nadel und fing an, meine Haut unter den Proben anzuritzen, damit die Allergene eindringen konnten. Ritz! Zwick! Piks! 20 Mal. Bei Nummer 14 bekam ich Schwindelgefühle. Bei Nummer 18 Mordgedanken. Zehn Minuten später schaute sich der Arzt meinen Rücken an und schrie: «Gütiger Himmel!» (Dieser Ausruf rangiert übrigens, liebe Ärzte, unter den Sätzen, die man von euch lieber nicht hören möchte, ziemlich weit vorne. Direkt gefolgt von: «Ach du liebe Zeit», «Wie sehen Sie denn aus?» und «Ups, vergessen Sie das mit der Chemo – ich hatte die falsche Behandlungskarte!»)

«Sie sind ja gegen alles allergisch!», rief der Arzt.

«Wie kommen Sie darauf?», fragte ich.

«Na, gucken Sie sich mal Ihren Rücken an – alles rot!», sagte er und hielt mir einen Spiegel hin.

«Ja, natürlich», sagte ich, «die Höllenbraut von Arzthelferin hat gerade 20 Mal da reingepikst!»

Er winkte ab: «Ach, das hat damit gar nichts zu tun. Das sind eindeutig die Allergene!»

Ich schaute den Arzt an und fragte: «Wenn ich Ihnen jetzt eine Ohrfeige verpasse und Ihre Wange dann rot wird – heißt das, Sie sind gegen Hände allergisch?»

Er schüttelte den Kopf und gab mir ein paar gute Tipps zu Allergenvermeidung. Ein Jahr lang achtete ich darauf, nicht mit Weißmehl-Produkten, Hausstaub und Schimmelpilzen in Kontakt zu kommen. Keine leichte Aufgabe für einen Studenten.

Die Jahre gingen vorüber, die Allergien blieben, und mein Allergiepass füllte sich mit jedem Arztbesuch ein bisschen mehr. Dann zog ich nach Köln. Es waren die späten Neunziger, und ich merkte plötzlich: «Verdammt, hier passiert was! Menschen bringen glutenfreien Nudelsalat auf Partys mit! Tchibo verkauft allergenarme Unterwäsche, und auf Cashew-Beuteln steht Kann Spuren von Nüssen enthalten!. Allergiker sind keine Freaks mehr! Wir sind eine Zielgruppe! Trendsetter! ’ne Funky Crowd!»

Im Frühjahr darauf ging ich im Kölner Stadtwald gut gelaunt auf einen schwer niesenden Allergiker zu und sagte: «Na, Heuschnupfen?»

Er nickte.

«Ich auch!» Ich lächelte ihn an und hoffte auf ein anregendes Gespräch unter Trendsettern. Aber er deutete nur auf meine Augen: «Dafür siehste aber ganz gut aus!» Dann nieste er und ließ mich stehen.

Erst da wurde mir bewusst: Er hatte recht. Irgendwie waren in den Monaten davor meine roten Flecken verschwunden. Und ich konnte auch ohne Atemmaske vor die Tür gehen. Verwirrt meldete ich mich für einen dritten Allergietest an. Den mit den Nadeln sogar! Mein Rücken blieb glatt wie ein Kinderpopo.

Erst wollte ich es nicht glauben. Ich hatte zwar kurz zuvor eine homöopathische Behandlung angefangen, aber dass winzige Zuckerkügelchen mit null Wirkstoff mein Allergieproblem lösen würden – damit konnte doch kein Mensch rechnen!

«Herzlichen Glückwunsch», sagte meine Homöopathin. «Es scheint zu funktionieren.»

Dann riss sie einen Zettel nach dem anderen aus meinem Allergiepass.

«Kann ich wenigstens Hausstaub behalten?», fragte ich in Panik. «Nur so für Unterhaltungen auf Partys?»

Sie lachte und rupfte auch den letzten Zettel aus dem kleinen Heftchen.[zur Inhaltsübersicht]

TODSICHERE METHODEN, BERÜHMT ZU WERDEN

Wer in den letzten Jahren die zahlreichen Staffeln «DSDS», «Germany’s Next Topmodel» und «Popstars» verfolgt hat, muss den Eindruck gewinnen, wir sind nur zu einem Zweck auf dieser Welt: um berühmt zu werden. Stimmt natürlich auch.

Wir alle wissen: Wer nicht mindestens ein Mal im Leben auf der BILD, der Gala oder dem «Münsterschen Orgelmagazin» war, hat sein Leben verschwendet. Man ist nun einmal erst dann ein Mensch, wenn man beim Bäcker die Frage «Entschuldigung, bist du nicht der Dings aus … na, weißt schon, der Sendung da?» mit einem stolzerfüllten «Genau der!» beantworten kann. Und so pilgern jedes Jahr Millionen Jugendlicher zum Dieter, zur Heidi und zum Hoppel-Detlef und kämpfen sich durch Castings, Recalls und Rerecalls, mit nur einem Ziel: eine Single, ein Foto oder ein Hoppel-Diplom zu ergattern. Leider klappt das oft nicht. Dann stehen die Jungs und Mädels vor der Kamera, bäumen sich ein letztes Mal auf und nuscheln: «Isch interessier misch nisch fur des, wo de Dieter sagt, isch geh mein Weg!»

Es ist faszinierend, wie viele junge Leute heutzutage «ihren Weg» gehen! Beziehungsweise wie viele von ihnen behaupten, ihren Weg zu gehen. Irgendwas stimmt da nämlich nicht, denn wenn all diese Jugendlichen ihren Weg tatsächlich gehen würden, hätten wir nicht so viele dicke Teenager in Deutschland.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ihr Weg sehr kurz ist. Oft führt er direkt zurück zur Berufsschule, wo sie ihren Traum von der Berühmtheit begraben und sich damit zufriedengeben, beim Bäcker die Frage «Wie immer?» mit einem nicht ganz so stolzen «Mhm» zu beantworten.

 

Schade eigentlich. Es gibt doch noch andere Wege zum Ruhm. Warum denn immer den traditionellen wählen? Hier mal 20 frische, unverbrauchte und todsichere Methoden, berühmt zu werden:1.

Als erster Mensch einen 9000er besteigen.2.

Als Kind von Madonna zur Welt kommen.3.

Als Kind von Benedikt XVI. zur Welt kommen.4.

Als Kind von Madonna und Benedikt XVI. zur Welt kommen.5.

Bei Langenscheidt den heiteren Sprachführer «Deutsch – Fruchtsafttechniker, Fruchtsafttechniker – Deutsch» veröffentlichen.6.

Als erster Promi im «Promidinner» auftreten. (Dazu müsste man allerdings schon berühmt sein. Ich denk nochmal drüber nach …)7.

Trotz leidlich guten Aussehens und dunkler Hautfarbe NICHT mit Boris Becker schlafen.8.

Amoklauf mal anders: erst sich selbst erschießen und dann niemanden.

 


Date: 2016-01-14; view: 543


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