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Fünftes Kapitel 8 page

Die Verworrenheit aller dieser Vorstellungen bemächtigte sich seiner so sehr, daß er zu weinen anfing, und keinen Gedanken erhaschte, der ihn trösten konnte. Ihm war, als wenn seine innerste Seele in den brennenden Tränen sich aus seinen Augen hinausweinte, als wenn er nachher nichts wünschen und hoffen dürfte, und nur ungewisse, irrende Reue ihn verfolgen könne. Seine Kunst, sein Streben, ein edler Künstler zu werden, sein Wirken und Werden auf der Erde erschien ihm als etwas Armseliges, Kaltes und jämmerlich Dürftiges. In Dämmerung gingen die Gestalten der großen Meister an ihm vorüber, er mochte nach keinem mehr die Arme ausstrecken; alles war schon vorüber und geendigt, wovon er noch erst den Anfang erwartete.

Er schweifte durch die Stadt, und die bunten Häuser, die Brücken, die Kirchen mit ihrer künstlichen Steinarbeit, nichts reizte ihn, es genau zu betrachten, es sich einzuprägen, wie er sonst so gern tat, in jedem Werke schaute ihn Vergänglichkeit und zweckloses Spiel mit trüben Augen, mit spöttischer Miene an. Die Mühseligkeit des Handwerkers, die Emsigkeit des Kaufmanns, das trostlose Leben des Bettlers daneben schien ihm nun nicht mehr, wie immer, durch große Klüfte getrennt: sie waren Figuren und Verzierungen von einem großen Gemälde, Wald, Bergstrom, Gebirge, Sonnenaufgang waren Anhang zur trüben, dunkeln Historie, die Dichtkunst, die Musik machten die Worte und Denksprüche, die mit ungeschickter Hand hineingeschrieben wurden. »Jetzt weiß ich«, rief er im Unmute aus, »wie dir zumute ist, mein vielgeliebter Sebastian, erst jetzt lese ich aus mir selber deinen Brief, erst jetzt entsetze ich mich darüber, daß du recht hast. So kann keiner dem andern sagen und sprechen, was er denkt; wenn wir selbst wie tote Instrumente, die sich nicht beherrschen können, so angeschlagen werden, daß wir dieselben Töne angeben, dann glauben wir den andern zu vernehmen.«

Die Melodie des Liedes von der Einsamkeit kam ihm ins Gedächtnis, er konnte es nicht unterlassen, das Gedicht leise vor sich hinzusingen, wobei er immer durch die Straßen lief, und sich endlich in das Getümmel des Marktes verlor.

Er stand im Gedränge still, und ihm fiel bei, daß vielleicht keiner von den hier bewegten unzähligen Menschen seine Gedanken und seine Empfindungen kenne, daß er schon oft selbst ohne Arg herumgewandert sei, daß er auch vielleicht in wenigen Tagen alles vergessen habe, was ihn jetzt erschüttre, und er sich dann wohl wieder klüger und besser als jetzt vorkomme. Wenn er so in sein bewegtes Gemüt sah, so war es, als wenn er in einen unergründlichen Strudel hinabschaute, wo Woge Woge drängt und schäumt, und man doch keine Welle sondern kann, wo alle Fluten sich verwirren und trennen, und immer wieder durcheinanderwirbeln, ohne Stillstand, ohne Ruhe, wo dieselbe Melodie sich immer wiederholt, und doch immer neue Abwechselung ertönt: kein Stillstand, keine Bewegung, ein rauschendes, tosendes Rätsel, eine endlose, endlose Wut des erzürnten, stürzenden Elements.



Käufer und Verkäufer schrien und lärmten durcheinander, Fremde, die sich zurechtfragten, Wagen, die sich gewaltsam Platz machten. Alle Arten von Eßwaren umher gelagert, Kinder und Greise im Gewühl, alle Stimmen und Zungen zum verwirrten Unisono vereinigt. Nach der andern Seite drängte sich das Volk voll Neugier, und Franz ward von dem ungestümen Strome mit ergriffen und fortgezogen, er bemerkte es kaum, daß er von der Stelle kam.

Als er näher stand, hörte er durch das Geräusch der Stimmen, durch die öftere Unterbrechung, Fragen, Antworten und Verwunderung folgendes Lied singen:

»Wie über Matten Die Wolke zieht, So auch der Schatten Vom Leben flieht. Die Jahre eilen Kein Stillestand, Und kein Verweilen, Sie hält kein Band. Nur Freude kettet Das Leben hier, Der Frohe rettet Die Zeiten schier. Ihm sind die Stunden Was Jahre sind, Sind nicht verschwunden Wer so gesinnt. Ihm sind die Küsse Der goldne Wein Noch mal so süße Im Sonnenschein. Ihm naht kein Schatten Vergänglichkeit, Für ihn begatten Sich Freud und Zeit. Drum nehmt die Freude Und sperrt sie ein, Dann müßt ihr beide Unsterblich sein.«

Es war ein Mädchen, die dieses Lied absang, indem kam Franz durch eine unvermutete Wendung dicht an die Sängerin zu stehn, das Gedränge preßte ihn an sie, und indem er sie genau betrachtete, glaubte er Ludovico zu erkennen. Jetzt hatte ihn der Strom von Menschen wieder entfernt, und er konnte daher seiner Sache nicht gewiß sein, ein Leierkasten fiel ihm mit seinen schwerfälligen Tönen in die Ohren, und eine andre Stimme sang:

»Aus Wolken kommt die frohe Stunde, O Mensch gesunde, Laß Leiden sein und Bangigkeit Wenn Liebchens Kuß dein Herz erfreut. In Küssen webt ein Zaubersegen, Drum sei verwegen, Was schadet's, wenn der Donner rollt, Wenn nur der rote Mund nicht schmollt.«

Franz war erstaunt, denn er glaubte in diesem begleitenden Sänger Florestan zu erkennen. Er war wie ein alter Mann gestaltet, und verstellte, wie Sternbald glaubte, auch seine Stimme; doch war er noch zweifelhaft. – In kurzer Zeit hatte er beide aus den Augen verloren, sosehr er sich auch bemühte, sich durch die Menschen hindurchzudrängen.

Die beiden Gestalten lagen ihm immer im Sinne, er ging zum Kloster zurück, aber er konnte sie nicht vergessen, er wollte sie wieder aufsuchen, aber es war vergebens. Indem er malte, kam die Äbtissin mit einigen Nonnen hinzu, um ihm bei der Arbeit zuzusehn, die größte von ihnen schlug den Schleier zurück, und Franz erschrak über die Schönheit, über die Majestät eines Angesichts, die ihm plötzlich in die Augen fielen. Diese reine Stirn, diese großen dunkeln Augen, das schwermütige, unaussprechlich süße Lächeln der Lippen nahm sein Auge gleichsam mit Gewalt gefangen, sein Gemälde, jede andre Gestalt kam ihm gegen diese Herrlichkeit trübe und unscheinbar vor. Er glaubte auch noch nie einen so schlanken Wuchs gesehen zu haben, ihm fielen ein paar Stellen aus alten Gedichten ein, wo der Dichter von der siegenden Gewalt der Allerholdseligsten sprach, von der unüberwindlichen Waffenrüstung ihrer Schöne. – Ein altes Lied sagte:

Laß mich los, um Gottes willen Gib mich armen Sklaven frei, Laß die Augen dir verhüllen, Daß ihr Glanz nicht tödlich sei. Mußt du mich in Ketten schleifen Stärker als von Demantstein? Muß das Schicksal mich ergreifen, Ich ihr Kriegsgefangner sein? –

»Wie«, dachte Sternbald, »muß dem Manne sein, dem sich diese Arme freundlich öffnen? dem dieser heilige Mund den Kuß entgegenbringt? Die Grazie dieser übermenschlichen Engelsgestalt ganz sein Eigentum!«

Die Nonne betrachtete das Gemälde und den Maler in einer nachdenklichen Stellung, keine ihrer Bewegungen war lebhaft, aber wider Willen ward das Auge nachgezogen, wenn sie ging, wenn sie die Hand erhob, das Auge war entzückt, in den Linien mitzugehn, die sie beschrieb. Franz gedachte an Roderigos Worte, der von der Gräfin gesagt hatte, daß sie in Bewegungen Musik schriebe, daß jede Biegung der Gelenke ein Wohllaut sei.

Sie gingen fort, der Gesang der Nonnen erklang wieder. Franz fühlte sich verlassen, daß er nicht neben der schönen Heiligen knien konnte, ganz in Andacht hingegossen, die Augen dahin gerichtet, wohin die ihrigen blickten, er glaubte, daß das allein schon ein höchst seliges Gefühl sein müsse, nur mit ihr dieselben Worte zu singen, zu denken. Wie widerlich waren ihm die Farben, die er auftragen, die Figuren, die er neu beleben sollte!

Auf den Abend sprach er den Bildhauer. Er schilderte ihm die Schönheit, die er gesehn hatte, Augustin schien beinahe eifersüchtig. Er erzählte, wie es dasselbe Mädchen sei, das in kurzem das Gelübde ablegen werde, von der der Köhler gesprochen habe, sie sei mit ihrem Stande unzufrieden, müsse sich aber dem Willen der Eltern fügen. »Ihr habt recht«, fuhr er gegen Franz fort, »wenn Ihr sie eine Heilige nennt, ich habe noch nie eine Gestalt gesehn, die etwas so Hohes, so Überirdisches ausgedrückt hätte. Und nun denkt Euch diesen züchtigen Busen entfesselt, diese Wangen mit Scham und Liebe kämpfend, diese Lippen in Küssen entbrannt, das große Auge der Trunkenheit dahingegeben, dies Himmlische des Weibes im Widerspruch mit sich selbst und doch ihre schönste Bestimmung erfüllend – oh, wer auf weiter Erde ist denn glückseliger und gebenedeiter, als dieser ihr Geliebter? Höhere Wonne wird auf dieser magern Erde nicht reif, und wem diese bescheret ist, vergißt die Erde und sich, und alles!«

Er schien noch weitersprechen zu wollen, aber plötzlich brach er ab, und verließ Sternbald, der im unnützen Nachsinnen verloren war.

Franz hatte noch keine seiner Arbeiten mit dieser Unentschlossenheit und Beklemmung gemacht, er schämte sich eigentlich seines Malens an diesem Orte, besonders in Gegenwart der majestätischen Gestalt. Sie besuchte ihn regelmäßig und betrachtete ihn genau. Ihre Gestalt prägte sich jedesmal tiefer in seine Phantasie, er schied immer weniger gern.

Die Malerei ging rascher fort, als er sich gedacht hatte. Die Genoveva machte er seiner teuren Unbekannten ähnlich, er suchte den Ausdruck ihrer Physiognomie zu erhöhen, und den geistreichen Schmerz gut gegen die unschuldigen Gesichter der Tiergestalten abstechen zu lassen. Wenn die Orgel zuweilen ertönte, fühlte er sich wohl selbst in schauerliche Einsamkeit entrückt, dann fühlte er Mitleid mit der Geschichte, die er darstellte, ihn erschreckte dann der wehmütige Blick, den die Unbekannte von der Wand herab auf ihn warf, die Tiere mit ihren Denksprüchen rührten ihn innerlich. Aber fast immer sehnte er sich zu einer andern Arbeit hin.

Manchmal glaubte er, daß die schöne Nonne ihn mit Teilnahme und Rührung betrachte, denn es schien zuweilen, als wenn sie jeden seiner Blicke aufzuhaschen suchte, sooft er die Augen auf sie wandte, begegnete er ihrem bedeutenden Blicke. Er wurde rot, der Glanz ihrer Augen traf ihn wie ein Blitz. Die Äbtissin hatte sich an einem Morgen auf eine Weile entfernt, die übrigen Nonnen waren nicht zugegen, und Sternbald war gerade unten am Gemälde beschäftigt, als das schöne Mädchen ihm plötzlich ein Papier in die Hand drückte. Er wußte nicht, wie ihm geschah, er verbarg es schnell. Die wunderbarste Zeit des Altertums mit allen ihren ungeheuren Märchen, dünkte ihm, wäre ihm nahegetreten, hätte ihn berührt, und sein gewöhnliches Leben sei auf ewig völlig entschwunden. Seine Hand zitterte, sein Gesicht glühte, seine Augen irrten umher, und scheuten sich, den ihrigen zu begegnen. Er schwur ihr im Herzen Treue und feste Kühnheit, er unternahm jegliche Gefahr, ihm schien es Kleinigkeit, das Gräßlichste um ihrentwillen zu unternehmen. Er sah im Geiste Entführung und Verfolgung vor sich, er flüchtete sich schon in Gedanken zu seiner Genoveva in die unzugängliche Wüste.

»Wer hätte das gedacht«, sagte er zu sich, »als ich zuerst den steinernen Fußboden dieses Klosters betrat, daß hier mein Leben einen neuen Anfang nehmen würde? daß mir das gelingen könne, was ich für das Unmöglichste hielt?«

Indem versammelten sich die Nonnen auf dem Chor, die Glocke schlug ihre Töne, die ihm ins Herz redeten, man ließ ihn allein, und der herzdurchdringende, einfache Gesang hob wieder an. Er konnte kaum atmen, so schienen ihn die Töne wie mit mächtigen Armen zu umfassen und sich dicht an seine entzückte Brust zu drücken.

Als alles wieder ruhig war, als er sich allein befand, nahm er den Brief wieder hervor, seine Hand zitterte, als er ihn erbrechen wollte, aber wie erstaunte er, als er die Aufschrift: An Ludovico, las! – Er schämte sich vor sich selber, er stand eine Weile tief nachsinnend, dann arbeitete er mit neuer Inbrunst am Antlitz seiner Heiligen weiter, er konnte den Zusammenhang nicht begreifen, alle seine Sinne verwirrten sich. Das Gemälde schien ihn mit seinen alten Versen anzureden, Genoveva ihm seine Untreue, seinen Wankelmut vorzuwerfen.

Es war Abend geworden, als er das Kloster verließ. Er ging über den Kirchhof nach dem Felde zu, als ihm wieder die dumpfen Leiertöne auffielen. Der Alte kam auf ihn zu und nannte ihn bei Namen. Es war niemand anders als Florestan.

Sternbald konnte sich vor Erstaunen nicht finden, aber jener sagte: »Sieh, mein Freund, dies ist das menschliche Leben, wir nahmen vor kurzem so wehmütig Abschied voneinander, und nun triffst du mich so unerwartet und bald wieder, und zwar als alten Mann. Sei künftig niemals traurig, wenn du einen Freund verlässest. Aber hast du nichts an Ludovico abzugeben?«

Sternbald ahndete nun den Zusammenhang, mit zitternder Hand gab er ihm den Brief, den er von der Nonne empfangen hatte. Florestan empfing ihn freudig. Als Franz ihn weiter befragte, antwortete er lustig: »Sieh, mein Freund, wir sind jetzt auf Abenteuer, Ludovico liebt sie, sie ihn, in wenigen Tagen will er sie entführen, alle Anstalten dazu sind getroffen, ich führe bei ihm ein Leben wie im Himmel, alle Tage neue Gefahren, die wir glücklich überstehn, neue Gegenden, neue Lieder und neue Gesinnungen.«

Franz wurde empfindlich. »Wie?« sagte er im Eifer, »soll auch sie ein Schlachtopfer seiner Verführungskunst, seiner Treulosigkeit werden? Nimmermehr!«

Rudolph hörte darauf nicht, sondern bat ihn, nur einen Augenblick zu verweilen, er müsse Ludovico sprechen, würde aber sogleich zurückkommen. Vor allen Dingen aber solle er dem Bildhauer Bolz nicht ein Wort davon entdecken.

Franz blieb allein und konnte sich über sich selbst nicht zufriedengeben, er wußte nicht, was er zu allem sagen solle. Er setzte sich unter einem Baume nieder, und Rudolph kam nach kurzer Zeit zurück. »Hier, mein liebster Freund«, sagte dieser, »diesen Zettel mußt du morgen deiner schönen Heiligen übergeben, er entscheidet ihr Schicksal.«

»Wie?« rief Franz bewegt aus, »soll ich mich dazu erniedrigen, das herrlichste Geschöpf vernichten zu helfen? Und du Rudolph kannst mit diesem Gleichmute ein solches Unternehmen beginnen? Nein, mein Freund, ich werde sie vor dem Verführer warnen, ich werde ihr raten, ihn zu vergessen wenn sie ihn liebt, ich werde ihr erzählen, wie er gesinnt ist.«

»Sei nicht unbesonnen«, sagte Florestan, »denn du schadest dadurch dir und allen. Sie liebt ihn, sie zittert vor dem Tage ihrer Einkleidung, die Flucht ist ihr freier Entschluß, was geht dich das übrige an? Und Ludovico wird und kann ihr nicht niedrig begegnen. – Seit er sie kennt, ist er, möchte ich sagen, durchaus verändert. Er betet sie an, wie ein himmlisches, überirdisches Wesen, er will sie zu seiner Gattin machen, und ihr die Treue seines Lebens widmen. Aber lebe wohl, ich habe keine Zeit zu verlieren, sprich zum Bildhauer kein Wort, ich lasse dir den Brief, denn du bist mein und Ludovicos Freund, und wir trauen dir beide keine Schändlichkeit zu.«

Mit diesen Worten eilte Florestan fort, und Sternbald ging zur Stadt zurück. Er wich dem Bildhauer aus, um sich nicht zu verraten. Am folgenden Morgen erwartete er mit Herzklopfen die Gelegenheit, mit der er der schönen Nonne das Billet zustecken könne. Sie nahm es mit Erröten, und verbarg es im Busen. Über ihr lilienweißes Gesicht legte sich ein so holdes Schamrot, ihre gesenkten Augen glänzten so hell, daß Franz ein vom Himmel verklärtes Wesen vor sich zu sehen glaubte. Sie schien nun ein Vertrauen zu Franz zu haben und doch seine Augen zu fürchten, ihre Majestät war sanfter und um so lieblicher. Franz war im innersten Herzen bewegt.

Die Zeit verging, die Arbeit am Gemälde nahte sich ihrer Vollendung. Bolz schien mit einem großen Unternehmen schwanger zu gehen, seinem Freunde Sternbald sich aber nicht ganz vertrauen zu wollen. An einem Morgen, als er wieder zum Malen ging, es war der letzte Tag seiner Arbeit, fand er das ganze Kloster in der größten Bewegung. Alle liefen unruhig durcheinander, man suchte, man fragte, man erkundigte sich, die schöne Novize ward vermißt, der Tag ihrer Einkleidung war ganz nahe. Sternbald ging schnell an seine Arbeit, sein Herz war unruhig, er war ungewiß, ob er sich etwas vorzuwerfen habe.

Wie freute er sich, als er nun das Gemälde vollendet hatte, als er wußte, daß er das Kloster nicht mehr zu besuchen brauche, in welchem die Schönheit nicht mehr war, die seine Augen nur zu gern aufgesucht hatten. Er erhielt von der Äbtissin seine Bezahlung, betrachtete das Gemälde noch einmal, und ging dann übers Feld nach der Stadt zurück.

Er zitterte für seine Freunde, für die schöne Nonne; er suchte den Bildhauer auf, der aber nirgends anzutreffen war. Er verließ schon am folgenden Morgen die Stadt, um sich endlich Italien zu nähern, und Rom den erwünschten Ort zu sehn.

Gegen Mittag fand er am Wege den Bildhauer Bolz liegen, der ganz entkräftet war. Franz erstaunte nicht wenig, ihn dort zu finden. Mit Hülfe einiger Vorüberwandernden brachte er ihn ins nahe Städtchen, er war verwundet, entkräftet und verblutet, aber ohne Gefahr.

Franz sorgte für ihn, und als sie allein waren, sagte Augustin: »Ihr trefft mich hier, mein Freund, gewiß gegen Eure Erwartung an, ich hätte Euch mehr vertrauen, und mich früher Eurer Hülfe bedienen sollen, so wäre mir dies Unglück nicht begegnet. Ich wollte die Nonne, die man in wenigen Tagen einkleiden wollte, entführen, ich beredete Euch deshalb, Euch im Kloster dort zu verdingen. Aber man ist mir zuvorgekommen. In der verwichenen Nacht traf ich sie in Gesellschaft von zwei unbekannten Männern, ich fiel sie an und ward überwältigt. Ich zweifle nicht, daß es ein Streich von Roderigo ist, der sie kannte, und sie schon vor einiger Zeit rauben wollte.«

Franz blieb einige Tage bei ihm, bis er sich gebessert hatte, dann nahm er Abschied, und ließ ihm einen Teil seines Geldes zur Pflege des Bildhauers zurück.

Drittes Kapitel

Aus Florenz antwortete Franz seinem Freunde Sebastian folgendermaßen:

 

Liebster Sebastian!

Ich möchte zu Dir sagen: sei gutes Muts! wenn Du jetzt imstande wärest, auf meine Worte zu hören. Aber leider ist es so beschaffen, daß wenn der andre uns zu trösten vermöchte, wir uns auch selber ohne weiteres trösten könnten. Darum will ich lieber schweigen, liebster Freund, weil überdies wohl bei Dir die trüben Tage vorübergegangen sein mögen.

In jedem Falle, lieber Bruder, verliere nicht den Mut zum Leben, bedenke, daß die traurigen Tage ebenso gewiß als die fröhlichen vorübergehen, daß auf dieser veränderlichen Welt nichts eine dauernde Stelle hat. Das sollte uns im Unglück trösten und unsre übermütige Fröhlichkeit dämpfen.

Wenn ich Dich doch, mein Liebster, auf meiner Reise bei mir hätte! Wie ich da alles mehr und inniger genießen würde! Wenn ich Dir nur alles sagen könnte, was ich lerne und erfahre, und wie viel Neues ich sehe und schon gesehen habe! Es überschüttet und überwältigt mich oft so, daß ich mich ängstige, wie ich alles im Gedächtnis, in meinen Sinnen aufbewahren will. Die Welt und die Kunst ist viel reicher, als ich vorher glauben konnte. Fahre nur eifrig fort zu malen, Sebastian, damit Dein Name auch einmal unter den würdigen Künstlern genannt werde, Dir gelingt es gewiß eher und besser als mir. Mein Geist ist zu unstet, zu wankelmütig, zu schnell von jeder Neuheit ergriffen; ich möchte gern alles leisten, und darüber werde ich am Ende gar nichts tun können.

So ist mein Gemüt aufs heftigste von zwei neuen großen Meistern bewegt, vom venezianischen Tizian und von dem allerlieblichsten Antonio Allegri von Correggio. Ich habe, möcht ich sagen, alle übrige Kunst vergessen, indem diese edlen Künstler mein Gemüt erfüllen, doch hat der letztere auch beinahe den erstern verdrängt. Ich weiß mir in meinen Gedanken nichts Holdseligers vorzustellen, als er uns vor die Augen bringt, die Welt hat keine so liebliche, so vollreizende Gestalten, als er zu malen versteht. Es ist, als hätte der Gott der Liebe selber in seiner Behausung gearbeitet und ihm die Hand geführt. Wenigstens sollte sich nach ihm keiner unterfangen, Liebe und Wollust darzustellen, denn keinem andern Geiste hat sich so das Glorreiche der Sinnenwelt offenbart.

Es ist etwas Köstliches, Unbezahlbares, Göttliches, daß ein Maler, was er in der Natur nur Reizendes findet, was seine Imagination nur veredeln und vollenden kann, uns nicht in Gleichnissen, in Tönen, in Erinnerungen oder Nachahmungen aufbewahrt, sondern es auf die kräftigste und fertigste Weise selber hinstellt und gibt. Darum ist auch in dieser Hinsicht die Malerei die erste und vollendeteste Kunst, das Geheimnis der Farben ist anbetungswürdig. Der Reiche, der Correggios Gemälde, seine Leda, seine badenden schönsten Nymphen besitzt, hat sie wirklich, sie blühen in seinem Palaste in ewiger Jugend, der allerhöchste Reiz ist bei ihm einheimisch, wonach andre mit glühender Phantasie suchen, was Stumpfere mit ihren Sinnen sich nicht vorstellen können, lebt und webt bei ihm wirklich, ist seine Göttin, seine Geliebte, sie lächelt ihn an, sie ist gern in seiner Gegenwart.

Wie ist es möglich, wenn man diese Bilder gesehen hat, daß man noch vom Kolorit geringschätzend sprechen kann? Wer würde nicht von der Allmacht der Schönheit besiegt werden, wenn sie sich ihm nackt und unverhüllt, ganz in Liebe hingegeben, zu zeigen wagte? – Das Studium dieser himmlischen Jugendgeister hat die große Zauberei erfunden, dies und noch mehr unsern Augen möglich zu machen.

Was die Gesänge des liebenden Petrarka wie aus der Ferne herüberwehen, Schattenbilder im Wasser, die mit den Wogen wieder wegfließen, was Ariosts feuriger Genius nur lüstern und in der Ferne zeigen kann, wonach wir sehen und es doch nicht entdecken können, im Walde fernab die ungewissesten Spuren, die dunkeln Gebüsche verhüllen es, sosehr wir darnach irren und suchen; alles das steht in der allerholdseligsten Gegenwart dicht vor uns. Es ist mehr, als wenn Venus uns mit ihrem Knaben selber besuchte, der Genuß an diesen Bildern ist die hohe Schule der Liebe, die Einweihung in die höchsten Mysterien, wer diese Gemälde nicht verehrt, versteht und sich an ihnen ergötzt, der kann auch nicht lieben, der muß nur gleich sein Leben an irgendeine unnütze, mühselige Beschäftigung wegwerfen, denn ihm ist es verborgen, was er damit anfangen kann.

Eine Zeichnung mag noch so edel sein, die Farbe bringt erst die Lebenswärme, und ist mehr und inniger, als der körperliche Umfang der Bildsäule.

Auch in seinen geistlichen Kompositionen spiegelt sich eine liebende Seele, der Gürtel der Venus ist auch hier verborgen, und man weiß immer nicht, welche seiner Figuren ihn heimlich trägt. Auge und Herz bleiben gern verweilend zurückgezogen; der Mensch fühlt sich bei ihm in der Heimat der glücklichsten Poesie, er denkt: ja, das war es, was ich suchte, was ich wollte und es immer zu finden verzweifelte. Vulkans künstliches Netz zieht sich unzerreißbar um uns her, und schließt uns eng und enger an Venus, die vollendete Schönheit an.

Es herrscht in seinen Bildern nicht halbe Lüsternheit, die sich verstohlen und ungern zu erkennen gibt, die der Maler erraten läßt, der sich gleich darauf gern wieder zurückzöge, um viel zu verantworten zu haben, sich aber auch wirklich zu verantworten; es ist auch nicht gemeine Sinnlichkeit, die sich gegen den edlern Geist empört, um sich nur bloßzustellen, um in frecher Schande zu triumphieren, sondern die reinste und hellste Menschheit, die sich nicht schämt, weil sie sich nicht zu schämen braucht, die in sich selbst durchaus glückselig ist. Es ist, so möcht ich sagen, der Frühling, die Blüte der Menschheit: alles im vollen, schwelgenden Genuß, alle Schönheit emporgehoben in vollster Herrlichkeit, alle Kräfte spielend und sich übend im neuen Leben, im frischen Dasein. Herbst ist weitab, Winter ist vergessen, und unter den Blumen, unter den Düften und grünglänzenden Blättern wie ein Märchen, von Kindern erfunden.

Es ist, als wenn ich mit der weichen, ermattenden und doch erfrischenden Luft Italiens eine andere Seele einzöge, als wenn mein inneres Gemüt auch einen ewigen Frühling hervortriebe, wie er von außen um mich glänzt und schwillt und sich treibend blüht. Der Himmel hier ist fast immer heiter, alle Wolken ziehen nach Norden, so auch die Sorgen, die Unzufriedenheit. Oh, liebster Bruder, Du solltest hiersein, die Harfenstimmen der Geister, die Blumenhände der unsichtbaren Engel würden auch Dich berühren und heilen.

In wenigen Tagen reise ich nach Rom. Ein verständiger Mann, der die Kunst über alles liebt, ist mein Begleiter, er und seine junge schöne Frau reisen ebenfalls nach Rom. Er heißt Castellani.

Ich habe mancherlei unterdessen gearbeitet, womit ich aber nicht sonderlich zufrieden bin: doch erleichtert mir mein Verdienst die Reise. Laß es mir doch niemals an Nachrichten von Dir mangeln. Lebe wohl, liebe immer wie sonst

Deinen Franz Sternbald

 

Viertes Kapitel

Franz blieb länger in Florenz, als er sich vorgenommen hatte, sein neuer Freund Castellani ward krank, und Sternbald war gutherzig genug, ihm Gesellschaft zu leisten, da jener zu Florenz fast ganz fremde war. Er konnte den Bitten seiner jungen Frau, der freundlichen Lenore, sich nicht widersetzen, und da er in Florenz für seine Kunst noch genug zu lernen fand, so gereute ihn auch dieser Abschub nicht.

Es ereignete sich außerdem noch ein sonderbarer Vorfall. Es fügte sich oft, daß er bei seinen Besuchen seinen Freund nicht sprechen konnte, Lenore war dann allein, und noch ehe er es bemerken konnte, war er an sie gefesselt. Er kam bald nur, um sie zu sehen. Lenore schien gegen Franz sehr gefällig, ihre schalkhaften Augen sahen ihn immer lustig an, ihr mutwilliges Gespräch war immer belebt. An einem Morgen entdeckte sie ihm unverhohlen, daß Castellani nicht mit ihr verheiratet sei, sie reise, sie lebe nur mit ihm, in Turin habe sie ihn kennengelernt, und er sei ihr damals liebenswürdig vorgekommen. Franz war sehr verlegen, was er antworten solle; ihn entzückte der leichte, flatterhafte Sinn dieses Weibes, obgleich er ihn verdammen mußte, ihre Gestalt, ihre Freundlichkeit gegen ihn. Sie sahen sich öfter und waren bald einverstanden; Franz machte sich Vorwürfe, aber er war zu schwach, dies Band wieder zu zerreißen.

Es gelang ihm, mit einem Maler in Florenz in Bekanntschaft zu geraten, der niemand anders war, als Franz Rustici, der damals in dieser Stadt und Italien in großem Ansehn stand. Dieser verschaffte ihm ein Bild zu malen, und schien an Sternbald Anteil zu nehmen. Sie sahen sich öfter, und Franz ward in Rusticis Freundschaft aufgenommen.

Dieser Maler war ein lustiger, offener Mann, der ernst sein konnte, wenn er wollte, aber immer für leichten Scherz Zeit genug übrigbehielt. Franz besuchte ihn oft, um von ihm zu lernen und sich an seinen sinnreichen Gesprächen zu ergötzen. Rustici war ein angesehener Mann in Florenz, aus einer guten Familie, der bei Andrea Verocchio und dem berühmten Leonard da Vinci seine Kunst erlernt hatte. Franz bewunderte den großen Ausdruck an seinen Bildern, die wohlüberdachte Komposition.

Nachdem sich beide oft gesehen hatten, sagte Rustici an einem Tage zu Sternbald: »Mein lieber deutscher Freund, besucht mich am künftigen Sonnabend in meinem Garten vor dem Tore, wir wollen dort lustig miteinander sein, wie es sich für Künstler ziemt. Wir machen oft eine fröhliche Gesellschaft zusammen, zu der der Maler Andrea gehört, den Ihr kennt, und den man immer del Sarto von seinem Vater her zu nennen pflegt; dieser wird auch dort sein. Die Reihe, einen Schmaus zu geben, ist nun an mich gekommen, Ihr mögt auch Eure Geliebte mitbringen, denn wir wollen tanzen, lachen und scherzen.«


Date: 2016-01-14; view: 452


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