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Fünftes Kapitel 7 page

Alles Volk war erstaunt. »Dies ist es«, sagte Franz zu sich, »was die Menge will, was einem jeden gefällt. Ein wunderbares Schicksal, wovon ein jeder glaubt, es hätte auch ihn ergreifen können, weil es einen Menschen trifft, dessen Stand der seinige ist. Oder eine lächerliche Unmöglichkeit. Seht, dies muß der Künstler erfüllen, diese abgeschmackten Neigungen muß er befriedigen, wenn er gefallen will.«

Ein Arzt hatte auf der andern Seite des Marktes sein Gerüst aufgeschlagen, und bot mit kreischender Stimme seine Arzneien aus. Er erzählte die ungeheuersten Wunder, die er vermittelst seiner Medikamente verrichtet hatte. Auch er hatte großen Zulauf, die Leute verwunderten sich und kauften.

Er verließ das Gewühl, und ging vors Tor, um recht lebhaft die ruhige Einsamkeit gegen das lärmende Geräusch zu empfinden. Als er unter den Bäumen auf und ab ging, begegnete ihm wirklich Bolz, der Bildhauer. Jener erkannte ihn sogleich, sie gingen miteinander und erzählten sich ihre Begebenheiten. Franz sagte: »Ich hätte niemals geglaubt, daß Ihr imstande wäret, einen Mann zu verletzen, der Euch für seinen Freund hielt. Wie könnt Ihr die Tat entschuldigen?«

»Oh, junger Mann«, rief Augustin aus, »Ihr seid entweder noch niemals beleidigt, oder habt sehr wenig Galle in Euch. Roderigo ruhte mit seinen Schmähworten nicht eher, bis ich ihm den Stoß versetzt hatte, es war seine eigene Schuld. Er reizte mich so lange, bis ich mich nicht mehr zurückhalten konnte.«

Franz, der keinen Streit anfangen wollte, ließ die Entschuldigung gelten, und Bolz fragte ihn: wie lange er sich in der Stadt aufzuhalten gedächte? »Ich will morgen abreisen«, antwortete Sternbald. »Ich rate Euch, etwas zu bleiben«, sagte der Bildhauer, »und wenn Ihr denn geneigt seid, kann ich Euch eine einträgliche Arbeit nachweisen. Hier vor der Stadt liegt ein Nonnenkloster, in dem Ihr, wenn Ihr wollt, ein Gemälde mit Öl auf der Wand erneuern könnt. Man hat schon nach einem ungeschickten Maler senden wollen, ich will Euch lieber dazu vorschlagen.«

Franz nahm den Antrag an, er hatte schon lange gewünscht, seinen Pinsel einmal an größern Figuren zu üben. Bolz verließ ihn mit dem Versprechen, ihn noch am Abend wiederzusehn.

Bolz kam zurück, als die Sonne schon untergegangen war. Er hatte den Vertrag mit der Äbtissin des Klosters gemacht, Sternbald war damit zufrieden. Sie gingen wieder vor die Stadt hinaus, Bolz schien unruhig, und etwas zu haben, das er dem jungen Maler gern mitteilen möchte; er brach aber immer wieder ab, und Sternbald, der im Geiste schon mit seiner Malerei beschäftigt war, achtete nicht darauf.

Es wurde finster. Sie hatten sich in die benachbarten Berge hineingewendet, ihr Gespräch fiel auf die Kunst. »Ihr habt mich«, sagte Sternbald, »auf die unsterblichen Werke des großen Michael Angelo sehr begierig gemacht, Ihr haltet sie für das Höchste, was die Kunst bisher hervorgebracht hat.«



»Und hervorbringen kann!« rief Bolz aus, »es ist bei ihnen nicht von der oder der Vortrefflichkeit, von dieser oder jener Schönheit die Rede, sondern sie sind durchaus schön, durchaus vortrefflich. Alle übrigen Künstler sind gleichsam als die Vorbereitung, als die Ahndung zu diesem einzig großen Manne anzusehn: vor ihm hat noch keiner die Kunst verstanden, noch gewußt, was er mit ihr ausrichten soll.«

»Aber wie kömmt es denn«, sagte Sternbald, »daß auch noch andere außer ihm verehrt werden, und daß noch niemand nach dieser Vollkommenheit gestrebt hat?«

»Das ist leicht einzusehn«, sagte der Bildhauer. »Die Menge will nicht die Kunst, sie will nicht das Ideal, sie will unterhalten und gereizt sein, und es versteht sich, daß die niedrigern Geister dies weit besser ins Werk zu richten wissen, weil sie selber mit den Geistesbedürfnissen der Menge, der Liebhaber und Unkenner vertraut sind. Sie erblicken wohl gar beim echten Künstler Mangel, und glauben über seine Fehler und Schwächen urteilen zu können, weil er vorsätzlich das verschmäht hat, was ihnen an ihren Lieblingen gefällt. Warum kein Künstler noch diese Größe erstrebt hat? Wer hat denn richtigen Begriff von seiner Kunst, um das Beste zu wollen? Ja, wer von den Künstlern will denn überhaupt irgendwas? Sie können sich ja nie von ihrem Talente Rechenschaft geben, das sie blindlings ausüben, sie sind ja zufrieden, wenn sie den leichtesten Wohlgefallen erregen, auf welchem Wege es auch sei. Sie wissen ja gar nicht, daß es eine Kunst gibt, woher sollen sie denn erfahren, daß diese Kunst eine höchste, letzte Spitze habe. Mit Michael Angelo ist die Kunst erst geboren worden, und von ihm wird eine Schule ausgehn, die die erste ist und bald die einzige sein wird.«

»Und wie meint Ihr«, fragte Franz, »daß dann die Kunst beschaffen sein wird?«

»Man wird«, sagte Bolz, »die unnützen Bestrebungen, die schlechten Manieren ganz niederlegen, und nur dem allmächtigen Buonarotti folgen. Es ist in jeder ausgeübten Kunst natürlich, daß sie sich vollendet, wenn nur ein erhabener Geist aufgestanden ist, der den Irrenden hat zurufen können: dorthin meine Freunde, geht der Weg! Das hat Buonarotti getan, und man wird nachher nicht mehr zweifeln und fragen, was Kunst sei. In jeglicher Darstellung wird dann ein großer Sinn liegen, und man wird die gewöhnlichen Mittel verschmähen, um zu gefallen. Jetzt nehmen fast alle Künstler die Sinnen in Anspruch, um nur ein Interesse zu erregen, dann wird das Ideal verstanden werden.«

Indem war es ganz dunkel geworden. Der Mond stieg eben unten am Horizont herauf, sie hatten schon fernher Hammerschläge gehört, jetzt standen sie vor einer Eisenhütte, in der gearbeitet wurde. Der Anblick war schön; die Felsen standen schwarz umher, Schlacken lagen aufgehäuft, dazwischen einzelne grüne Gesträuche, fast unkenntlich in der Finsternis. Vom Feuer und dem funkenden Eisen war die offene Hütte erhellt, die hämmernden Arbeiter, ihre Bewegungen, alles glich bewegten Schatten, die von dem hellglühenden Erzklumpen angeschienen wurden. Hinten war der wildbewachsene Berg so eben sichtbar, auf dem alte Ruinen auf der Spitze vom aufgehenden Monde schon beschimmert waren: gegenüber waren noch einige leichte Streifen des Abendrots am Himmel.

Bolz rief aus: »Seht den schönen, bezaubernden Anblick!«

Auch Sternbald war überrascht, er stand eine Weile in Gedanken und schwieg, dann rief er aus: »Nun, mein Freund, was könntet Ihr sagen, wenn Euch ein Künstler auf einem Gemälde diese wunderbare Szene darstellte? Hier ist keine Handlung, kein Ideal, nur Schimmer und verworrene Gestalten, die sich wie fast unkenntliche Schatten bewegen. Aber wenn Ihr dies Gemälde sähet, würdet Ihr Euch nicht mit mächtiger Empfindung in den Gegenstand hineinsehnen? Würde er die übrige Kunst und Natur nicht auf eine Zeitlang aus Eurem Gedächtnisse hinwegrücken, und was wollt Ihr mehr? Diese Stimmung würde dann so wie jetzt Euer ganzes Inneres durchaus ausfüllen, Euch bliebe nichts zu wünschen übrig, und doch wäre es nichts weiter, als ein künstliches, fast tändelndes Spiel der Farben. Und doch ist es Handlung, Ideal, Vollendung, weil es das im höchsten Sinne ist, was es sein kann, und so kann jeder Künstler an sich der Trefflichste sein, wenn er sich kennt und nichts Fremdartiges in sich hineinnimmt. Wahrlich! es ist, als hätte die alte Welt sich mit ihren Wundern aufgetan, als ständen dort die fabelhaften Zyklopen vor uns, die für Mars oder Achilles die Waffen schmieden. Die ganze Götterwelt kömmt dabei in mein Gedächtnis zurück: ich sehe nicht nur, was vor mir ist, sondern die schönsten Erinnerungen entwickeln sich im Innern meiner Seele, alles wird lebendig und wach, was seit lange schlief. Nein, mein Freund, ich bin innigst überzeugt, die Kunst ist wie die Natur, sie hat mehr als eine Schönheit.«

Bolz war still, beide Künstler ergötzten sich lange an dem Anblick, dann suchten sie den Rückweg nach der Stadt. Der Mond war indes heraufgekommen und glänzte ihnen im vollen Lichte entgegen, durch die Hohlwege, die sie durchkreuzten, über die feuchte Wiese herüber, von den Bergen in zauberischen Widerscheinen. Die ganze Gegend war in eine Masse verschmolzen, und doch waren die verschiedenen Gründe leicht gesondert, mehr angedeutet, als ausgezeichnet; keine Wolke war am Himmel, es war, als wenn sich ein Meer mit unendlichen goldenen Glanzwogen sanft über Wiese und Wald ausströmte und herüber nach den Felsen bewegte.

»Könnten wir nur die Natur genau nachahmen«, sagte Sternbald, »oder begleitete uns diese Stimmung nur so lange, als wir an einem Werke arbeiten, um in frischer Kraft, in voller Neuheit das hinzustellen, was wir jetzt empfinden, damit auch andre so davon ergriffen würden, wahrlich, wir könnten oft Handlung und Komposition entbehren, und doch eine große, herrliche Wirkung hervorbringen!«

Bolz wußte nicht recht, was er antworten sollte, er mochte nicht gern nachgeben, und doch konnte er Franz jetzt nicht widerlegen, sie stritten hin und her, und verwunderten sich endlich, daß sie die Stadt nicht erscheinen sahen. Bolz suchte nach dem Wege, und ward endlich inne, daß er sich verirrt habe. Beide Wanderer wurden verdrüßlich, denn sie waren müde und sehnten sich nach dem Abendessen, aber es schoben sich immer mehr Gebüsche zwischen sie, immer neue Hügel, und der blendende Schimmer des Mondes erlaubte ihnen keine Aussicht. Der Streit über die Kunst hörte auf, sie dachten nur darauf, wie sie sich wieder zurechtfinden wollten. Bolz sagte: »Seht, mein Freund, über die Kunst haben wir die Natur vernachlässigt; wollt Ihr Euch noch so in eine Gegend hineinsehnen, aus der wir uns so gern wieder herauswickeln möchten? Jetzt gäbt Ihr alle Ideale und Kunstwörter für eine gute Ruhestelle hin.«

»Wie Ihr auch sprecht!« sagte Sternbald, »davon kann ja gar nicht die Rede sein. Wir haben uns durch Eure Schuld verirrt, und es steht Euch nicht zu, nun noch zu spotten.«

Sie setzten sich ermüdet auf den Stumpf eines abgehauenen Baumes nieder. Franz sagte: »Wir werden hier wohl übernachten müssen, denn ich sehe noch keinen möglichen Ausweg.«

»Gut denn!« rief Bolz aus, »wenn es die Not so haben will, so wollen wir uns auch in die Not finden. Wir wollen sprechen, Lieder singen, und schlafen, so gut es sich tun läßt. Mit dem Aufgange der Sonne sind wir dann wieder munter, und kehren zur Stadt zurück. Fanget Ihr an zu singen.«

Sternbald sagte: »Da wir nichts Besseres zu tun wissen, will ich Euch ein Lied von der Einsamkeit singen, es schickt sich gut zu unserm Zustande.

Über mir das hellgestirnte Himmelsdach, Alle Menschen dem Schlaf ergeben, Ruhend von dem mühevollen Leben, Ich allein, allein im Hause wach. Trübe brennt das Licht herunter; Soll ich aus dem Fenster schauen, 'nüber nach den fernen Auen? Meine Augen bleiben munter. Soll ich mich im Strahl ergehen Und des Mondes Aufgang suchen? Sieh, er flimmert durch die Buchen, Weiden am Bach im Golde stehen. Ist es nicht, als käme aus den Weiden Ach ein Freund, den ich lange nicht gesehn, Ach, wie viel ist schon seither geschehn, Seit dem qualenvollen, bittern Scheiden! An den Busen will ich ihn mächtig drücken, Sagen, was so ofte mir gebangt, Wie mich inniglich nach ihm verlangt, Und ihm in die süßen Augen blicken. Aber der Schatten bleibt dort unter den Zweigen, Ist nur Mondenschein, Kömmt nicht zu mir herein, Sich als Freund zu zeigen. Ist auch schon gestorben und begraben, Und vergeß es jeden Tag, Weil ich's so übergerne vergessen mag; Wie kann ich mich an seinem Anblick laben? Geht der Fluß murmelnd durch die Klüfte, Sucht die Ferne nach eigner Melodie, Unermüdet sprechend spat und früh: Wehn vom Berge schon Septemberlüfte. Töne fallen von oben in die Welt, Lustge Pfeifen, fröhliche Schalmein, Ach, sollten es Bekannte sein? Sie wandern zu mir übers Feld. Fernab erklingt es, keiner weiß von mir, Alle meine Freunde mich verlassen, Die mich liebten, jetzt mich hassen, Kümmert sich keiner, daß ich wohne hier. Ziehn mit Netzen oft lustig zum See, Höre oft das ferne Gelach; Seufze mein kümmerlich Ach! Tut mir der Busen so weh. Ach! wo bist du Bild geblieben, Engelsbild vom schönsten Kind? Keine Freuden übrig sind, Unterstund mich, dich zu lieben. Hast den Gatten längst gefunden; – Wie der fernste Schimmerschein, Fällt mein Name dir wohl ein, Nie in deinen guten Stunden. Und das Licht ist ausgegangen, Sitze in der Dunkelheit, Denke, was mich sonst erfreut, Als noch Nachtigallen sangen. Ach! und warst nicht einsam immer? Keiner, der dein Herz verstand, Keiner sich zu dir verband. – Geh auch unter Mondesschimmer! Lösche, lösche letztes Licht! Auch wenn Freunde mich umgeben, Führ ich doch einsames Leben: Lösche, lösche letztes Licht! Der Unglückliche braucht dich nicht!«

Indem hörten sie nicht weit von sich eine Stimme singen:

»Wer lustgen Mut zur Arbeit trägt Und rasch die Arme stets bewegt, Sich durch die Welt noch immer schlägt. Der Träge sitzt, weiß nicht wo aus Und über ihm stürzt ein das Haus, Mit vollen Segeln munter Fährt der Frohe das Leben hinunter.«

Der Singende war ein Kohlenbrenner, der jetzt näher kam. Bolz und Sternbald gingen auf ihn zu, sie standen seiner Hütte ganz nahe, ohne daß sie es bemerkt hatten. Er war freundlich und bot ihnen von freien Stücken sein kleines Haus zum Nachtlager an. Die beiden Ermüdeten folgten ihm gern.

Drinnen war ein kleines Abendessen zurechtgemacht, kein Licht brannte, aber einige Späne, die auf dem Herde unterhalten wurden, erleuchteten die Hütte. Eine junge Frau war geschäftig, den Fremden einen Sitz auf einer Bank zu bereiten, die sie an den Tisch schob. Alle setzten sich nieder, und aßen aus derselben Schüssel; Franz saß neben der Frau des Köhlers, die ihn mit lustigen Augen zum Essen nötigte. Er fand sie artig, und bewunderte die Wirkung des Lichtes auf die Figuren.

Der Köhler erzählte viel vom nahen Eisenhammer, für den er die meisten Kohlen lieferte, er hatte noch so spät einen Weiler besucht. Ein kleiner Hund gesellte sich zu ihnen und war äußerst freundlich, die Frau, die lebhaft war, spielte und sprach mit ihm, wie mit einem Kinde. Sternbald fühlte in der Hütte wieder die ruhigen, frommen Empfindungen, die ihn schon so oft beglückt hatten: er prägte sich die Figuren und Erleuchtung seinem Gedächtnisse ein, um einmal ein solches Gemälde darzustellen.

Als sie mit dem Essen beinahe fertig waren, klopfte noch jemand an die Tür, und eine klägliche Stimme flehte um nächtliche Herberge. Alle verwunderten sich, der Köhler öffnete die Hütte, und Sternbald erstaunte, als er den Pilgrim hereintreten sah. Der Köhler war gegen den Wallfahrter sehr ehrerbietig, es wurde Speise herbeigeschafft, die Stube heller gemacht. Der Pilgrim erschrak, als er hörte, daß er der Stadt so nahe sei, er hatte sie schon seit zwei Tagen verlassen, sich auf eine unbegreifliche Art verirrt, und bei allen Zurechtweisungen immer den unrechten Weg ergriffen, so daß er jetzt kaum eine halbe Meile von dem Orte entfernt war, von dem er ausging.

Der Wirt erzählte noch allerhand, die junge Frau war geschäftig, der Hund war gegen Sternbald sehr zutunlich. Nach der Mahlzeit wurde für die Fremden eine Streu zubereitet, auf der sich der Wallfahrter und Bolz sogleich ausstreckten. Franz war gegen sein Erwarten munter. Der Köhler und seine Frau gingen nun auch zu Bette, der Hund ward nach seiner Behausung auf den kleinen Hof gebracht, Sternbald blieb bei den Schlafenden allein.

Der Mond sah durch das Fenster, in der Einsamkeit fiel des Bildhauers Gesicht dem Wachenden auf, es war eine Physiognomie, die Heftigkeit und Ungestüm ausdrückte. Franz begriff es nicht, wie er seinen anfänglichen Widerwillen gegen diesen Menschen so habe überwinden können, daß er jetzt mit ihm umgehe, daß er sich ihm sogar vertraue.

Bolz schien unruhig zu schlafen, er warf sich oft umher, ein Traum ängstigte ihn. Franz vergaß beinahe, wo er war, denn alles umher erhielt eine sonderbare Bedeutung. Seine Phantasie ward erhitzt, und es währte nicht lange, so glaubte er sich unter Räubern zu befinden, die es auf sein Leben angesehn hätten, jedes Wort des Kohlenbrenners, dessen er sich nur erinnerte, war ihm verdächtig, er erwartete es ängstlich, wie er mit seinen Spießgesellen wieder aus der Tür herauskommen würde, um sie im Schlafe umzubringen und zu plündern. Über diese Betrachtungen schlief er ein, aber ein fürchterlicher Traum ängstigte ihn noch mehr, er sah die entsetzlichsten Gestalten, die seltsamsten Wunder, er erwachte unter drückenden Beklemmungen.

Am Himmel sammelten sich Wolken, auf die die Strahlen des Mondes fielen, die Bäume vor der Hütte bewegten sich. Um sich zu zerstreuen, schrieb er folgendes in seiner Schreibtafel nieder:

Die Phantasie

  Wer ist dort der alte Mann, In einer Ecke festgebunden, Daß er sich nicht rührt und regt? Vernunft hält über ihn Wache, Sieht und erkundet jede Miene. Der Alte ist verdrüßlich, Um ihn in tausend Falten Ein weiter Mantel geschlagen. Es ist der launige Phantasus, Ein wunderlicher Alter, Folgt stets seiner närrischen Laune, Sie haben ihn jetzt festgebunden, Daß er nur seine Possen läßt, Vernunft im Denken nicht stört, Den armen Menschen nicht irrt, Daß er sein Tagsgeschäft In Ruhe vollbringe, Mit dem Nachbar verständig spreche Und nicht wie ein Tor erscheine. Denn der Alte hat nie was Kluges im Sinn, Immer tändelt er mit dem Spielzeug Und kramt es aus, und lärmt damit Sowie nur keiner auf ihn sieht und achtet. Der alte Mann schweigt und runzelt die Stirn, Als wenn er die Rede ungern vernähme, Schilt gern alles langweilig, Was in seinen Kram nicht taugt. Der Mensch handelt, denkt, die Pflicht Wird indes treu von ihm getan; Fällt in die Augen das Abendrot hinein, Stehn Schlummer und Schlaf aus ihrem Winkel auf Da sie den Schimmer merken. Vernunft muß ruhn und wird zu Bett gebracht, Schlummer singt ihr ein Wiegenlied: Schlaf ruhig, mein Kind, morgen ist auch noch ein Tag! Mußt nicht alles auf einmal denken, Bist unermüdet und das ist schön, Wirst auch immer weiter kommen, Wirst deinem lieben Menschen Ehre bringen, Er schätzt dich auch über alles, Schlaf ruhig, schlaf ein. – »Wo ist meine Vernunft geblieben?« sagt der Mensch, »Geh Erinnrung, und such sie auf.« Erinnrung geht und trifft sie schlafend, Gefällt ihr die Ruhe auch, Nickt über der Gefährtin ein. »Nun werden sie gewiß dem Alten die Hände frei machen«, Denkt der Mensch, und fürchtet sich schon. Da kömmt der Schlaf zum Alten geschlichen, Und sagt: »Mein Bester, du mußt erlahmen, Wenn dir die Glieder nicht aufgelöset werden, Pflicht, Vernunft und Verstand bringen dich ganz herunter, Und du bist gutwillig, wie ein Kind.« – Indem macht der Schlaf ihm schon die Hände los, Und der Alte schmunzelt: »Sie haben mir viel zu danken, Mühsam hab ich sie erzogen, Aber nun verachten sie mich alten Mann, Meinen ich würde kindisch, Sei zu gar nichts zu gebrauchen. Du, mein Liebster, nimmst dich mein noch an, Wir beide bleiben immer gute Kameraden.« Der Alte steht auf und ist der Banden frei, Er schüttelt sich vor Freude: Er breitet den weiten Mantel aus, Und aus allen Falten stürzen wunderbare Sachen Die er mit Wohlgefallen ansieht. Er kehrt den Mantel um und spreitet ihn weit umher, Eine bunte Tapete ist die untre Seite. Nun hantiert Phantasus in seinem Zelte Und weiß sich vor Freuden nicht zu lassen. Aus Glas und Kristallen baut er Schlösser, Läßt oben aus den Zinnen Zwerge kucken, Die mit dem großen Kopfe wackeln. Unten gehn Fontänen im Garten spazieren, Aus Röhren sprudeln Blumen in die Luft, Dazu singt der Alte ein seltsam Lied Und klimpert mit aller Gewalt auf der Harfe. Der Mensch sieht seinen Spielen zu Und freut sich, vergißt, daß Vernunft Ihn vor allen Wesen herrlich macht. Spricht: »Fahre fort, mein lieber Alter.« Und der Alte läßt sich nicht lange bitten, Schreiten Geistergestalten heran, Zieht die kleinen Marionetten an Fäden Und läßt sie aus der Ferne größer scheinen. Tummeln sich Reiter und Fußvolk, Hängen Engel in Wolken oben, Abendröten und Mondschein gehn durcheinander. Verschämte Schönen sitzen in Lauben, Die Wangen rot, der Busen weiß, Das Gewand aus blinkenden Strahlen gewebt. Ein Heer von Kobolden lärmt und tanzt, Alte Helden kommen von Troja wieder, Achilles, der weise Nestor, versammeln sich zum Spiel Und entzweien sich wie die Knaben. – Ja, der Alte hat daran noch nicht genug, Er spricht und singt: »Laß deine Taten fahren, Dein Streben, Mensch, deine Grübelein, Sieh, ich will dir goldne Kegel schenken, Ein ganzes Spiel, und silberne Kugeln dazu, Männerchen, die von selbst immer auf den Beinen stehn, Warum willst du dich des Lebens nicht freun? Dann bleiben wir beisammen, Vertreiben mit Gespräch die Zeit, Ich lehre dich tausend Dinge, Von denen du noch nichts weißt.« – Das blinkende Spielwerk sticht dem Menschen in die Augen, Er reckt die Hände gierig aus! Indem erwacht mit dem Morgen die Vernunft, Reibt die Augen und gähnt und dehnt sich: »Wo ist mein lieber Mensch? Ist er zu neuen Taten gestärkt?« so ruft sie. Der Alte hört die Stimme und fängt an zu zittern, Der Mensch schämt sich, läßt Kegel und Kugel fallen, Vernunft tritt ins Gemach. »Ist der alte Wirrwarr schon wieder los geworden?« Ruft Vernunft aus, »lässest du dich immer wieder locken Von dem kindschen Greise, der selber nicht weiß Was er beginnt?« – Der Alte fängt an zu weinen, Der Mantel wieder umgekehrt Ihm um die Schultern gehängt, Arm' und Beine festgebunden, Sitzt wieder grämlich da. Sein Spielzeug eingepackt, Ihm alles wieder ins Kleid gesteckt Und Vernunft macht 'ne drohende Miene. Der Mensch muß an die Geschäfte gehn, Sieht den Alten nur von der Seite an Und zuckt die Schultern über ihn. »Warum verführt ihr mir den lieben Menschen!« Grämelt der alte Phantasus, »Ihr werdet ihn matt und tot noch machen, Wird vor der Zeit kindisch werden, Sein Leben nicht genießen. Sein bester Freund sitzt hier gebunden, Der es gut mit ihm meint. Er verzehrt sich und möcht es gern mit mir halten, Aber ihr Überklugen Habt ihm meinen Umgang verleidet Und wißt nicht, was ihr mit ihm wollt. Schlaf ist weg und keiner steht mir bei.«

Der Morgen brach indessen an, die übrigen im Hause wurden munter, und Franz las dem Bildhauer seine Verse vor, der darüber lachte und sagte: »Auch dies Gedicht, mein Freund, rührt vom Phantasus her, man sieht es ihm wohl an, daß es in der Nacht geschrieben ist; dieser Mann hat, wie es scheint, Spott und Ernst gleich lieb.«

Das dunkle Gemach wurde erhellt, der Köhler trat mit seiner Frau herein. Franz lächelte über seine nächtliche Einbildung, er sah nun die Tür, die er immer gefürchtet hatte, deutlich vor sich stehn, nichts Furchtbares war an ihr sichtbar. Die Gesellschaft frühstückte, wobei der muntere Köhler noch allerhand erzählte. Er sagte, daß in einigen Tagen eine Nonne im benachbarten Kloster ihr Gelübde ablegen würde, und daß sich dann zu dieser Feierlichkeit alle Leute aus der umliegenden Gegend versammelten. Er beschrieb die Zeremonien, die dabei vorfielen, er freute sich auf das Fest, Sternbald schied von ihm und dem Pilgrim, und ging mit dem Bildhauer zur Stadt zurück.

Sternbald ließ sich im Kloster melden, er ward der Äbtissin vorgestellt, er betrachtete das alte Gemälde, das er auffrischen sollte. Es war die Geschichte der heiligen Genoveva, wie sie mit ihrem Sohne unter einsamen Felsen in der Wildnis sitzt, und von freundlichen, liebkosenden Tieren umgeben ist. Das Bild schien alt, er konnte nicht das Zeichen eines ihm bekannten Künstlers entdecken. Denksprüche gingen aus dem Munde der Heiligen, ihres Sohnes und der Tiere, die Komposition war einfach und ohne Künstlichkeit, das Gemälde sollte nichts als den Gegenstand auf die einfältigste Weise ausdrücken. Sternbald war willens, die Buchstaben zu verlöschen und den Ausdruck der Figur zu erhöhen, aber die Äbtissin sagte: »Nein, Herr Maler, Ihr müßt das Bild im ganzen so lassen, wie es ist, und um alles ja die Worte stehenlassen. Ich mag es durchaus nicht, wenn ein Gemälde zu zierlich ist.«

Franz machte ihr deutlich, wie diese weißen Zettel alle Täuschung aufhöben und unnatürlich wären, ja wie sie gewissermaßen das ganze Gemälde vernichteten, aber die Äbtissin antwortete: »Dies alles ist mir sehr gleich, aber eine geistliche, bewegliche Historie muß durchaus nicht auf eine ganz weltliche Art ausgedrückt werden, Reiz, und was ihr Maler Schönheit nennt, gehört gar nicht in ein Bild, das zur Erbauung dienen und heilige Gedanken erwecken soll. Mir ist hier das Steife, Altfränkische viel erwünschter, dies schon trägt zu einer gewissen Erhebung bei. Die Worte sind aber eigentlich die Erklärung des Gemäldes, und diese gottseligen Betrachtungen könnt Ihr nimmermehr durch den Ausdruck der Mienen ersetzen. An der sogenannten Wahrheit und Täuschung liegt mir sehr wenig: wenn ich mich einmal davon überzeugen kann, daß ich hier in der Kirche diese Wildnis mit Tieren und Felsen antreffe, so ist es mir ein kleines, auch anzunehmen, daß diese Tiere sprechen, und daß ihre Worte hingeschrieben sind, wie sie selbst nur gemalt sind. Es entsteht dadurch etwas Geheimnisvolles, wovon ich nicht gut sagen kann, worin es liegt. Die übertriebenen Mienen und Gebärden aber sind mir zuwider. Wenn die Maler immer bei dieser alten Methode bleiben, so werden sie sich auch stets in den Schranken der guten Sitten halten, denn dieser Ausdruck mit Worten führt gleichsam eine Aufsicht über ihr Werk. Ein Gemälde ist und bleibt eine gutgemeinte Spielerei, und darum muß man sie auch niemals zu ernsthaft treiben.«

Franz ging betrübt hinweg, er wollte am folgenden Morgen anfangen. Das Gerüst wurde eingerichtet, die Farben waren zubereitet; als er in der Kirche oben allein stand, und in die trüben Gitter hineinsah, fühlte er sich unbeschreiblich einsam, er lächelte über sich selber, daß er den Pinsel in der Hand führe. Er fühlte, daß er nur als Handwerker gedungen sei, etwas zu machen, wobei ihm seine Kunstliebe, ja sein Talent völlig überflüssig war. »Was ist bis jetzt von mir geschehen?« sagte er zu sich selber, »in Antwerpen habe ich einige Konterfeie ohne sonderliche Liebe gemacht, die Gräfin und Roderigo nachher gemalt, weil sie in ihn verliebt war, und nun stehe ich hier, um Denksprüche, schlecht geworfene Gewänder, Hirsche und Wölfe neu anzustreichen.«

Indem hatten sich die Nonnen zur Hora versammelt, und ihr feiner, wohlklingender Gesang schwung sich wundersam hinüber, die erloschene Genoveva schien darnach hinzuhören, die gemalten Kirchenfenster ertönten. Eine neue Lust erwachte in Franz, er nahm Palette und Pinsel mit frischem Mut und färbte Genovevens dunkles Gewand. »Warum sollte ein Maler«, sagte er zu sich, »nicht allenthalben, auch am unwürdigen Orte, Spuren seines Daseins lassen? Er kann allenthalben ein Monument seiner schönen Existenz schaffen, vielleicht daß doch ein seltener zarter Geist ergriffen und gerührt wird, ihm dankt, und aus den Trübseligkeiten sich eine schöne Stunde hervorsucht.« Er nahm sich nämlich vor, in dem Gesichte der Genoveva das Bildnis seiner teuren Unbekannten abzuschildern, so viel es ihm möglich war. Die Figuren wurden ihm durch diesen Gedanken teurer, die Arbeit lieber.

Er suchte in seiner Wohnung das Bildnis hervor, das ihm der alte Maler gegeben hatte, er sah es an, und Emma stand unwillkürlich vor seinen Augen. Sein Gemüt war wunderbar beängstigt, er wußte nicht, wofür er sich entscheiden solle. Dieser Liebreiz, diese Heiterkeit seiner Phantasie bei Emmas Angedenken, die lüsternen Bilder und Erinnerungen, die sich ihm offenbarten, und dann das Zauberlicht, das ihm aus dem Bildnisse des teuren Angesichts aus herrlicher Ferne entgegenleuchtete, die Gesänge von Engeln, die ihn dorthin riefen, die schuldlose Kindheit, die wehmütige Sehnsucht, das Goldenste, Fernste und Schönste, was er erwünschen und erlangen konnte, daneben Sebastians Freude und Erstaunen, dazwischen das Grab.


Date: 2016-01-14; view: 439


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