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Fünftes Kapitel 5 page

Ich suchte ihre Bekanntschaft, ich verschwieg ihr meinen Namen. Ich fand sie meinen Wünschen geneigt, ich war auf dem höchsten Gipfel meiner Seligkeit. Wie arm kam mir mein Leben bis dahin vor, wie entsagte ich allen meinen Schwärmereien! Der Tag unsrer Hochzeit war festgesetzt.

Oh, meine Freunde, ich kann euch nicht beschreiben, ich kann sie selber nicht begreifen, die wunderbare Veränderung, die nun mit mir vorging! Ich sah ein bestimmtes Glück vor mir liegen, aber ich war an diesem Glücke festgeschmiedet: wie wenn ich in Meeresstille vor Anker läge, und nun sähe, wie Mast und Segel vom Schiffe heruntergeschlagen würden, um mich hier, nur hier ewig festzuhalten.

›Oh, süße Reiselust!‹ sagte ich zu mir selber, ›geheimnisreiche Ferne, ich werde nun von euch Abschied nehmen und eine Heimat dafür besitzen! Lockt mich nicht mehr weit weg, denn alle eure Töne sind vergeblich, ihr ziehenden Vögel, du Schwalbe mit deinen lieblichen Gesängen, du Lerche mit deinen Reiseliedern! Keine Städte, keine Dörfer werden mir mehr mit ihren glänzenden Fenstern entgegenblicken, und ich werde nun nicht mehr denken: Welche weibliche Gestalt steht dort hinter den Vorhängen, und sieht mir den Berg herauf entgegen? Bei keinem fremden liebreizenden Gesichte darf mir nun mehr einfallen: Wir werden bekannter miteinander werden, dieser Busen wird vielleicht am meinigen ruhn, diese Lippen werden vielleicht mit meinen Küssen vertraut sein.‹

Mein Gemüt ward hin- und zurückgezogen, häusliche Heimat, rätselhafte Fremde; ich stand in der Mitte, und wußte nicht, wohin. Ich wünschte, die Gräfin möchte mich weniger lieben, ein anderer möchte mich aus ihrer Gunst verdrängen, dann hätte ich sie zürnend und verzweifelt verlassen, um wieder umherzustreifen, und in den Bergen, im Talschatten, den frischen, lebendigen Geist wiederzusuchen, der mich verlassen hatte. Aber sie hing an mir mit allem Feuer der ersten Liebe, sie zählte die Minuten, die ich nicht bei ihr zugebracht: sie haderte mit meiner Kälte. Noch nie war ich so geliebt, und die Fülle meines Glücks übertäubte mich. Sehnsüchtig sah ich jedem Wandersmann nach, der auf der Landstraße vorüberzog; ›wie wohl ist dir‹, sagte ich, ›daß du dein ungewisses Glück noch suchst! ich habe es gefunden!‹

Ich ritt aus, um mich zu sammeln. Ich hielt mir in der Einsamkeit meinen Undank vor. ›Was willst du in der Welt als Liebe?‹ so redete ich mich selber an; ›siehe, sie ist dir geworden, sei zufrieden, begnüge dich, du kannst nicht mehr erobern: was du in einsamen Abenden mit aller Sehnsucht des Herzens erwünschtest, wonach du in Wäldern jagtest, was die Bergströme dir entgegensangen, dies unnennbare Glück ist dir geworden, ist wirklich dein, die Seele, die du weit umher gesucht, ist dir entgegengekommen.‹



Wie kam es, daß die Dörfer mit ihren kleinen Häusern so seltsamlich vor mir lagen? daß mir jede Heimat zu enge und beschränkt dünkte? Das Abendrot schien in die Welt hinein, da ritt ich vor einem niedrigen Bauernhause vorbei, auf dem Hofe stand ein Brunnen, davor war ein Mägdlein, das sich bückte, den schweren gefüllten Eimer heraufzuziehen. Sie sah zu mir herauf, indem ich stillhielt, der Abendschein lag auf ihren Wangen, ein knappes Mieder schloß sich traulich um den schönen vollen Busen, dessen genaue Umrisse sich nicht verbergen ließen. ›Wer ist sie?‹ sagte ich zu mir, ›warum hat sie dich betrachtet?‹ Ich grüßte, sie dankte und lächelte. Ich ritt fort, und rettete mich in die Dämmerung des Waldes hinein: mein Herz klopfte, als wenn ich dem Tode entgegenginge, als mir die Lichter aus dem Schlosse entgegenglänzten. ›Sie wartet auf dich‹, sagte ich zu mir, ›freundlich hat sie das Abendessen bereitet, sie sorgt, daß du müde bist, sie trocknet dir die Stirn. Nein, ich liebe sie‹, rief ich aus, ›wie sie mich liebt.‹

In der Nacht tönte der Lauf der Bergquellen in mein Ohr, die Winde rauschten durch die Bäume, der Mond stieg herauf und ging wieder unter: alles, die ganze Natur in freier, willkürlicher Bewegung, nur ich war gefesselt. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als ich wieder durch das Dorf ritt, es traf sich, daß das Mädchen wieder am Brunnen stand: ich war meiner nicht mehr mächtig. Ich stieg vom Pferde, sie war ganz allein, sie antwortete so freundlich auf alle meine Fragen, ich war in meinem Leben zum erstenmal mit einem Weibe verlegen, ich machte mir Vorwürfe, ich wußte nicht, was ich sprach. Neben der Tür des Hauses war eine dichte Laube, wir setzten uns nieder; die schönsten blauen Augen sahen mich an, ich konnte den frischen Lippen nicht widerstehen, die zum Kuß einluden, sie war nicht strenge gegen mich, ich vergaß die Stunde. Nachdenkend ritt ich zurück, ich wußte nun bestimmt, daß ich in dieser Einschränkung, in der Ehe mit der schönen Gräfin nicht glücklich sein würde. Ich hatte es sonst oft belacht, daß man mit dem gewechselten Ringe die Freiheit fortschenkte, jetzt erst verstand ich den Sinn dieser Redensart. Ich vermied die Gräfin, ihre Schönheit lockte mich wieder an, ich verachtete mich, daß ich zu keinem Entschlusse kommen konnte. Der Hochzeitstag war indes ganz nahe herangerückt, meine Braut machte alle Anstalten, ich hörte immer schon von den künftigen Einrichtungen sprechen; mein Herz schlug mir bei jedem Worte.

Man erzählt, daß man vor dem letzten Unglück des Markus Antonius wunderbare Töne wie von Instrumenten gehört habe, wodurch sein Schutzgott Herkules von ihm Abschied genommen: so hört ich in jedem Lerchengesange, in jedem Klang einer Trompete, jeglichen Instruments das Glück, das mir seinen Abschied wehmütig zurief. Immer lag mir die gründämmernde Laube im Sinne, das blaue Auge, der volle Busen. Ich war entschlossen. ›Nein, Ludovico‹, rief ich aus, ›ich will dir nicht untreu werden, du sollst mich nicht als Sklav wiederfinden, nachdem du mich von der ersten Kette losgemacht hast. Soll ich ein Ehemann werden, weil ich liebte? Seltsame Folge!‹

Ich nahm Abschied von ihr, ich versteckte mich in die Kleidung eines Mönchs, so streifte ich umher, und so traf ich auf jenen Bildhauer Bolz, der eben aus Italien zurückkam.

Ich glaubte in ihm einige Züge von meinem Freunde anzutreffen, und entdeckte ihm meine seltsame Leidenschaft. Er ward mein Begleiter. Wie genau lernte ich nun Laube, Haus und Garten meiner Geliebten kennen! Wie oft saßen wir da in den Nachtstunden Arm in Arm geschlungen, indem uns der Vollmond ins Gesicht schien! In der Kleidung eines gemeinen Bauern machte ich auch mit den Eltern Bekanntschaft, und schmeckte nun nach langer Zeit wieder die Süßigkeiten meiner sonstigen Lebensweise.

Dann brach ich plötzlich wieder auf; nicht weit von hier wohnt ein schönes Mädchen, die die Eltern dem Kloster bestimmt haben, sie beweint ihr Schicksal. Ich war bereit, sie in dieser Nacht zu entführen; ich vertraute dem Gefährten meinen Plan, dieser Tückische, der sie anbetet, lockt mich hierher in den dichten Wald, und versetzt mir heimlich diese Wunde. Darauf verließ er mich schnell. Seht, das ist meine Geschichte.

Unaufhörlich schwebt das Bild der Gräfin nun vor meinen Augen. Soll ich sie lassen? kann ich sie wiederfinden? soll ich einem Wesen mein ganzes Leben opfern?«

Franz sagte: »Eure Geschichte ist seltsam, die Liebe heilt Euch vielleicht einmal, daß Ihr Euch in der Beschränkung durchaus glücklich fühlt, denn noch habt Ihr die Liebe nicht gekannt.«

»Du bist zu voreilig, mein Freund«, sagte Florestan, »nicht alle Menschen sind wie du, und genau genommen, weißt du auch noch nicht einmal, wie du beschaffen bist.«

Der Einsiedler kam, um nach der Wunde des Ritters zu sehn, die sich sehr gebessert hatte.

Franz Sternbald suchte den Ritter wieder auf, nachdem Florestan ihn verlassen hatte, und sagte: »Ihr seid vorher gegen meinen Freund so willfährig gewesen, daß Ihr mich dreist gemacht habt, Euch um die Geschichte jenes alten Mannes zu bitten, dessen Ihr an dem Morgen erwähntet, als wir uns hinter Straßburg trafen.«

»So viel ich mich erinnern kann«, sagte der Ritter, »will ich Euch erzählen. – Auf einer meiner einsamen Wanderungen kam ich in ein Gehölz, das mich bald zu zwei einsamen Felsen führte, die sich wie zwei Tore gegenüberstanden. Ich bewunderte die seltsame Symmetrie der Natur, als ich auf einen schönen Baumgang aufmerksam wurde, der sich hinter den Felsen eröffnete. Ich ging hindurch, und fand einen weiten Platz, durch den die Allee von Bäumen gezogen war, ein schöner heller Bach floß auf der Seite, Nachtigallen sangen, und eine schöne Ruhe lud mich ein, mich niederzusetzen und auf das Plätschern einer Fontäne zu hören, die aus dichtem Gebüsche herausplauderte.

Ich saß eine Weile, als mich der liebliche Ton einer Harfe aufmerksam machte, und als ich mich umsah, ward ich die Büste Ariosts gewahr, die über einem kleinen Altar erhaben stand, unter dieser spielte ein schöner Jüngling auf dem Instrumente.« –

Hier wurde die Erzählung des Ritters durch einen sonderbaren Vorfall unterbrochen.

Viertes Buch

Erstes Kapitel

In der Klause entstand ein Geräusch und Gezänk, gleich darauf sah man den Eremiten und Pilgrim beide erhitzt heraustreten, aus dem Walde kam ein großer ansehnlicher Mann, auf den Roderigo sogleich hinzueilte, und ihn in seine Arme schloß. »Oh, mein Ludovico!« rief er aus, »bist du wieder da? Wie kömmst du hierher? geht es dir wohl? bist du noch wie sonst mein Freund?«

Jener konnte vor dem Entzücken Roderigos immer noch nicht zu Worte kommen, indessen die heiligen Männer in ihrem eifrigen Gezänk fortfuhren. Da Florestan den Namen Ludovico nennen hörte, verließ er auch Sternbald, und eilte zu den beiden, indem er aufrief: »Gott sei gedankt, wenn Ihr Ludovico seid! Ihr seid uns hier in der Einsamkeit unaussprechlich willkommen!«

Ludovico umarmte seinen Freund, indem Sternbald voller Erstaunen verlassen dastand, dann sagte er lustig: »Mich freut es, dich zu sehn, aber wir müssen doch dort die streitenden Parteien auseinanderbringen.«

Als sie den fremden schönen Mann auf sich zukommen sahen, der ganz so tat, als wenn es seine Sache sein müßte, ihren Zwist zu schlichten, ließen sie freiwillig voneinander ab. Sie waren von der edlen Gestalt wie bezaubert, Roderigo war vor Freude trunken, seinen Freund wieder zu besitzen, und Florestan konnte kein Auge von ihm verwenden. »Was haben die beiden heiligen Männer gehabt?« fragte Ludovico.

Der Eremit fing an, seinen Unstern zu erzählen. Der Pilger sei derselbe, der seine Geliebte geheiratet habe, diese Entdeckung habe sich unvermutet während ihrer Gebete hervorgetan, er sei darüber erbittert worden, daß er nun noch zum Überfluß seinem ärgsten Feinde Herberge geben müßte.

Der Pilgrim verantwortete sich dagegen: daß es seine Schuld nicht sei, daß jener gegen die Gastfreiheit gehandelt und ihn mit Schimpfreden überhäuft habe.

Ludovico sagte: »Mein lieber Pilger, wenn dir die Großmut recht an die Seele geheftet ist, so überlaß jenem eifrigen Liebhaber deine bisherige Frau, und bewohne du seine Klause. Vielleicht, daß er sich bald hierher zurücksehnt, und du dann gewiß nicht zum zweiten Male den Tausch eingehen wirst.«

Rudolph lachte laut über den wunderlichen Zank und über diese lustige Entscheidung. Franz aber erstaunte, daß Einsiedler, heilige Männer so unheiligen und gemeinen Leidenschaften, als dem Zorne, Raum verstatten könnten. Der Pilgrim war gar nicht willens, seine Frau zu verlassen, um ein Waldbruder zu werden, der Eremit schämte sich seiner Heftigkeit.

Alle Parteien waren ausgesöhnt, und sie setzten sich mit friedlichen Gemütern an das kleine Mittagsmahl.

»Du hast dich gar nicht verändert«, sagte Roderigo.

»Und muß man sich denn immer verändern?« rief Ludovico aus; »nein, auch Ägypten mit seinen Pyramiden und seiner heißen Sonne kann mir nichts anhaben. Nichts ist lächerlicher, als die Menschen, die mit ernsthaftern Gesichtern zurückkommen, weil sie etwa entfernte Gegenden gesehn haben, alte Gebäude und wunderliche Sitten. Was ist es denn nun mehr? Nein, mein Roderigo, hüte dich vor dem Anderswerden, denn an den meisten Menschen ist die Jugend noch das Beste, und was ich habe, ist mir auf jeden Fall lieber, als was ich erst bekommen soll. Eine Wahrheit, die nur bei einer Frau eine Ausnahme leidet. Nicht wahr, mein lieber Pilgrim? Du selbst kömmst mir aber etwas anders vor.«

»Und wie steht es denn in Ägypten?« fragte Florestan, der gern mit dem seltsamen Fremden bekannter werden wollte.

»Die alten Sachen stehn noch immer am alten Fleck«, sagte jener, »und wenn man dort ist, vergißt man, daß man sich vorher darüber verwundert hat. Man ist dann so eben und gewöhnlich mit sich und allem außer sich, wie mir hier im Walde ist. Der Mensch weiß nicht, was er will, wenn er Sehnsucht nach der Fremde fühlt, und wenn er dort ist, hat er nichts. Das Lächerlichste an mir ist, daß ich nicht immer an demselben Orte bleibe.«

»Habt Ihr die seltsamen Kunstsachen in Augenschein genommen?« fragte Franz bescheiden.

»Was mir vor die Augen getreten ist«, sagte Ludovico, »habe ich ziemlich genau betrachtet. Die Sphinxe sehn unsereins mit gar wunderlichen Augen an, sie stehn aus dem fernen Altertum gleichsam spöttisch da, und fragen: ›Wo bist du her? was willst du hier?‹ Ich habe in ihrer Gegenwart meiner Tollkühnheit mich mehr geschämt, als wenn vernünftige Leute mich tadelten, oder andre mittlern Alters mich lobten.«

»Oh, wie gern möchte ich Euer Gefährte gewesen sein!« rief Franz aus, »die Gegenden wirklich und wahrhaftig zu sehn, die schon in der Imagination unsrer Kindheit vor uns stehn, die Örter zu besuchen, die gleichsam die Wiege der Menschheit sind. Nun dem wunderbaren Laufe des alten Nils zu folgen, von Ruinen in fremder, schauerlicher, halbverständlicher Sprache angeredet zu werden, Sphinxe im Sande, die hohen Pyramiden, Memnons wundersame Bildsäule, und immer das Gefühl der alten Geschichten mit sich herumzutragen, noch einzelne lebende Laute aus der längst entflohenen Heldenzeit zu vernehmen, übers Meer nach Griechenland hinüberzublicken, zu träumen, wie die Vorwelt aus dem Staube sich wieder emporgearbeitet, wie wieder griechische Flotten landen – oh, alles das in unbegreiflicher Gegenwart nun vor sich zu haben, könnt Ihr gegen Euer Glück wirklich so undankbar sein?« –

»Ich bin es nicht«, sagte Ludovico, »und mir sind diese Empfindungen auch oft auf den Bergen, an der Seeküste durch die Brust gegangen. Oft faßte ich aber auch eine Handvoll Sand, und dachte: ›Warum bist du nun so mühsam, mit so mancher Gefahr, so weit gereist, um dies Teilchen Erde zu sehn, das Sage und Geschichte dir nun so lange nennt? Ist denn die übrige Erde jünger? Darfst du dich in deiner Heimat nicht verwundern? Sieh die ewigen Felsen dort an, den Ätna in Sizilien, den alten Schlund der Charybdis. Und mußt du dich verwundern, um glücklich zu sein?‹ – Ich sagte dann zu mir selber: ›Tor! Tor!‹ und wahrlich, ich verachtete in eben dem Augenblicke den Menschen, der diese Torheit nicht mit mir hätte begehen können.«

Unter mancherlei Erzählungen verstrich auch dieser Tag, der Einsiedel sagte oft: »Ich begreife nicht, wie ich in eurer Gesellschaft bin, ich bin wohl und sogar lustig, ja meine Lebensweise ist mir weniger angenehm, als bisher. Ihr steckt uns alle mit der Reisesucht an; ich glaubte über alle Torheiten des Lebens hinüber zu sein, und ihr weckt eine neue Lust dazu in mir auf.«

Am folgenden Morgen nahmen sie Abschied; der Pilgrim hatte sich mit dem Einsiedel völlig versöhnt, sie schieden als gute Freunde. Ludovico führte den Zug an, die übrigen folgten ihm.

Auf dem Wege erkundigte sich Ludovico nach Sternbald und seinem Gefährten Florestan, er lachte über diesen oft, der sich alle Mühe gab, von ihm bemerkt zu werden, Sternbald war still, und begleitete sie in tiefen Gedanken. Ludovico sagte zu Franz, als er hörte, dieser sei ein Maler: »Nun, mein Freund, wie treibt Ihr es mit Eurer Kunst? Ich bin gern in der Gesellschaft von Künstlern, denn gewöhnlich sind es die wunderlichsten Menschen, auch fallen wegen ihrer seltsamen Beschäftigung alle ihre Launen mehr in die Augen, als bei andern Leuten. Ihr Stolz macht einen wunderlichen Kontrast mit ihrem übrigen Verhältnis im Leben, ihre poetischen Begeisterungen tragen sie nur zu oft in alle Stunden über, auch unterlassen sie es selten, die Gemeinheit ihres Lebens in ihre Kunstbeschäftigungen hineinzunehmen. Sie sind schmeichelnde Sklaven gegen die Großen, und doch verachten sie alles in ihrem Stolze, was nicht Künstler ist. Aus allen diesen Mißhelligkeiten entstehen gewöhnlich Charaktere, die lustig genug ins Auge fallen.«

Franz sagte beschämt: »Ihr seid ein sehr strenger Richter, Herr Ritter.«

Ludovico fuhr fort: »Ich habe noch wenige Künstler gesehen, bei denen man es nicht in den ersten Augenblicken bemerkt hätte, daß man mit keinen gewöhnlichen Menschen zu tun habe. Fast alle sind unnötig verschlossen und zudringlich offenherzig. Ich habe mich selbst zuweilen geübt, dergleichen Leute darzustellen, und es niemals unterlassen, diese Seltsamkeiten in das hellste Licht zu stellen. Es fällt gewiß schwer, Mensch wie die übrigen zu bleiben, wenn man sein Leben damit zubringt, etwas zu tun und zu treiben, wovon ein jeder glaubt, daß es übermenschlich sei: in jedem Augenblicke zu fühlen, daß man mit dem übrigen Menschengeschlechte eben nicht weiter zusammenhänge. Diese Sterblichen leben nur in Tönen, in Zeichen, gleichsam in einem Luftreviere wie Feen und Kobolde, es ist nur scheinbar, wenn man sie glaubt die Erde betreten zu sehen.«

»Ihr mögt in einiger Hinsicht nicht unrecht haben«, sagte Franz.

»Wer sich der Kunst ergibt«, sagte jener weiter, »muß das, was er als Mensch ist und sein könnte, aufopfern. Was aber das schlimmste ist, so suchen jene Leute, die sich für Künstler wollen halten lassen, noch allerhand Seltsamkeiten und auffallende Torheiten zusammen, um sie recht eigentlich zur Schau zu tragen, als Orden oder Ordenskreuz, in Ermangelung dessen, damit man sie in der Ferne gleich erkennen soll, ja sie halten darauf mehr, als auf ihre wirkliche Kunst. Hütet Euch davor, Herr Maler.«

»Man erzählt doch von manchem großen Manne«, sagte Franz, »der von dergleichen Torheiten frei geblieben ist.«

»Nennt mir einige«, rief Ludovico.

Sternbald sagte: »Zum Beispiel der edle Malergeist Raffael Sanzio von Urbin.«

»Ihr habt recht«, sagte der heftige Ritter, »und überhaupt«, fuhr er nach einem kleinen Nachdenken fort, »laßt Euch meine Rede nicht so sehr auffallen, denn sie braucht gar nicht so ganz wahr zu sein. Ihr habt mich mit dem einzigen Namen beschämt und in die Flucht geschlagen, und alle meine Worte erscheinen mir nun wie eine Lästerung auf die menschliche Größe. Ich bin selbst ein Tor, das wollen wir für ausgemacht gelten lassen.«

Roderigo sagte: »Du hast manche Seiten von dir selbst geschildert.«

»Mag sein«, sagte sein Freund, »man kann nichts Bessers und nichts Schlechters tun. Laßt uns lieber von der Kunst selber sprechen. Ich habe mir in vielen Stunden gewünscht, ein Maler zu sein.«

Sternbald fragte: »Wie seid Ihr darauf gekommen?«

»Erstlich«, antwortete der junge Ritter, »weil es mir ein großes Vergnügen sein würde, manche von den Mädchen so mit Farben vor mich hinzustellen, die ich wohl ehemals gekannt habe, dann mir andre noch schönere abzuzeichnen, die ich manchmal in glücklichen Stunden in meinem Gemüte gewahr werde. Dann erleide ich auch zuweilen recht sonderbare Begeisterung, so daß mein Geist sehr heftig bewegt ist, dann glaube ich, wenn mir die Geschicklichkeit zu Gebote stände, ich würde recht wunderbare und merkwürdige Sachen ausarbeiten können. Seht, mein Freund, dann würde ich einsame, schauerliche Gegenden abschildern, morsche zerbrochene Brücken über zwei schroffen Felsen, einem Abgrunde hinüber, durch den sich ein Waldstrom schäumend drängt: verirrte Wandersleute, deren Gewänder im feuchten Winde flattern, furchtbare Räubergestalten aus dem Hohlwege heraus, angefallene und geplünderte Wägen, Kampf mit den Reisenden. – Dann wieder eine Gemsenjagd in einsamen, furchtbaren Felsenklippen, die kletternden Jäger, die springenden, gejagten Tiere von oben herab, die schwindelnden Abstürze. Figuren, die oben auf schmalen überragenden Steinen Schwindel ausdrücken, und sich eben in ihren Fall ergeben wollen, der Freund, der jenen zu Hülfe eilt, in der Ferne das ruhige Tal. Einzelne Bäume und Gesträuche, die die Einsamkeit nur noch besser ausdrücken, auf die Verlassenheit noch aufmerksamer machen. – Oder dann wieder den Bach und Wassersturz, mit dem Fischer, der angelt, mit der Mühle, die sich dreht, vom Monde beschienen. Ein Kahn auf dem Wasser, ausgeworfene Netze. – Zuweilen kämpft meine Imagination, und ruht nicht und gibt sich nicht zufrieden, um etwas durchaus Unerhörtes zu ersinnen und zustande zu bringen. Äußerst seltsame Gestalten würde ich dann hinmalen, in einer verworrenen, fast unverständlichen Verbindung, Figuren, die sich aus allen Tierarten zusammenfänden und unten wieder in Pflanzen endigten: Insekten und Gewürme, denen ich eine wundersame Ähnlichkeit mit menschlichen Charakteren aufdrücken wollte, so daß sie Gesinnungen und Leidenschaften possierlich und doch furchtbar äußerten; ich würde die ganze sichtbare Welt aufbieten, aus jedem das Seltsamste wählen, um ein Gemälde zu machen, das Herz und Sinnen ergriffe, das Erstaunen und Schauder erregte, und wovon man noch nie etwas Ähnliches gesehn und gehört hätte. Denn ich finde das an unsrer Kunst zu tadeln, daß alle Meister ohngefähr nach einem Ziele hinarbeiten, es ist alles gut und löblich, aber es ist immer mit wenigen Abänderungen das Alte.«

Franz war einen Augenblick stumm, dann sagte er: »Ihr würdet auf eine eigene Weise das Gebiet unsrer Kunst erweitern, mit wunderbaren Mitteln das Wunderbarste erringen, oder in Euren Bemühungen erliegen. Eure Einbildung ist so lebhaft und lebendig, so zahlreich an Gestalt und Erfindung, daß ihr das Unmöglichste nur ein leichtes Spiel dünkt. Oh, wie viel billigere Forderungen muß der Künstler aufgeben, wenn er zur wirklichen Arbeit schreitet!«

Hier stimmte der Pilgrim plötzlich ein geistliches Lied an, denn es war nun die Tageszeit gekommen, an welcher er es nach seinem Gelübde absingen mußte. Das Gespräch wurde unterbrochen, weil alle aufmerksam zuhörten, ohne daß eigentlich einer von ihnen wußte, warum er es tat.

Mit dem Schlusse des Gesanges traten sie in ein anmutiges Tal, in dem eine Herde weidete, eine Schalmei tönte herüber, und Sternbalds Gemüt ward so heiter und mutig gestimmt, daß er von freien Stücken Florestans Schalmeilied zum Ergötzen der übrigen wiederholte; als er geendigt hatte, stieg der mutwillige Ludovico auf einen Baum, und sang von oben in den Tönen einer Wachtel, eines Kuckucks und einer Nachtigall herunter. »Nun haben wir alle unsre Pflicht getan«, sagte er, »jetzt haben wir es wohl verdient, daß wir uns ausruhen dürfen, wobei uns der junge Florestan mit einem Liede erquicken soll.«

Sie setzten sich auf den Rasen nieder, und Florestan fragte: »Welcher Inhalt soll denn in meinem Liede sein?«

»Welcher du willst«, antwortete Ludovico, »wenn es dir recht ist, gar keiner; wir sind mit allem zufrieden, wenn es dir nur gemütlich ist, warum soll eben Inhalt den Inhalt eines Gedichts ausmachen?«

»Durch den Himmel zieht der Vögel Zug, Sie sind auf Wanderschaft begriffen, Da hört man gezwitschert und gepfiffen Von Groß und Klein der Melodien genug. Der Kleine singt mit feiner Stimm, Der Große krächzt gleich wie im Grimm Und einge stottern, andre schnarren, Und Drossel, Gimpel, Schwalbe, Staren, Sie wissen alle nicht, was sie meinen, Sie wissen's wohl und sagen's nicht, Und wenn sie auch zu reden scheinen, Ist ihr Gerede nicht von Gewicht. – ›Holla! warum seid ihr auf der Reise?‹ – ›Das ist nun einmal unsre Weise.‹ – ›Warum bleibt ihr nicht zu jeglicher Stund?‹ – ›Die Erd ist allenthalben rund.‹ Auf die armen Lerchen wird Jagd gemacht, Die Schnepfen gar in Dohnen gefangen, Dort sind die Vöglein aufgehangen, An keine Rückfahrt mehr gedacht. – ›Ist das die Art mit uns zu sprechen? Uns armen Vögeln den Hals zu brechen?‹ – ›Verständlich ist doch diese Sprache‹, So ruft der Mensch, ›sie dient zur Sache, In allen Natur die Sprache regiert, Daß eins mit dem andern Kriege führt, Man dann am besten räsoniert und beweist, Wenn eins vom andern wird aufgespeist: Die Ströme sind im Meere verschlungen, Vom Schicksal wieder der Mensch bezwungen, Den tapfersten Magen hat die Zeit, Ihr nimmermehr ein Essen gereut, Doch wie von der Zeit eine alte Fabel besagt Macht auf sie das Jüngste Gericht einst Jagd. Ein' andre Speise gibt's nachher nicht, Heißt wohl mit Recht das letzte Gericht.‹«

Rudolph sang diese tollen Verse mit so lächerlichen Bewegungen, daß sich keiner des Lachens enthalten konnte. Als der Pilgrim wieder ernsthaft war, sagte er sehr feierlich: »Verzeiht mir, man wird unter euch wie ein Trunkener, wenn ihr mich noch lange begleitet, so wird aus meiner Pilgerschaft gleichsam eine Narrenreise.«

Man verzehrte auf der Wiese ein Mittagsmahl, das sie mitgenommen hatten, und Ludovico wurde nicht müde, sich bei Roderigo nach allerhand Neuigkeiten zu erkundigen. Roderigo verschwieg, ob aus einer Art von Scham, oder weil er vor den beiden die Erzählung nicht wiederholen mochte, seine eigne Geschichte. Er kam durch einen Zufall auf Luthern und die Reformation zu sprechen.

»Oh, schweig mir davon«, rief Ludovico aus, »denn es ist mir ein Verdruß zu hören. Jedweder, der sich für klug hält, nimmt in unsern Tagen die Partei dieses Mannes, der es gewiß gut und redlich meint, der aber doch immer mit seinen Ideen nicht recht weiß, wo er hinaus will.«

»Ihr erstaunt mich!« sagte Franz.

»Ihr seid ein Deutscher«, fuhr Ludovico fort, »ein Nürnberger, es nimmt mich nicht wunder, wenn Ihr Euch der guten Sache annehmt, wie sie Euch wohl erscheinen muß. Ich glaube auch, daß Luther einen wahrhaft großen Geist hat, aber ich bin ihm darum doch nicht gewogen. Es ist schlimm, daß die Menschen nichts einreißen können, nicht die Wand eines Hofs, ohne gleich darauf Lust zu kriegen, ein neues Gebäude aufzuführen. Wir haben eingesehn, daß Irren möglich sei, nun irren wir lieber noch jenseits, als in der geraden lieblichen Straße zu bleiben. Ich sehe schon im voraus die Zeit kommen, die die gegenwärtige Zeit fast notwendig hervorbringen muß, wo ein Mann sich schon für ein Wunder seines Jahrhunderts hält, wenn er eigentlich nichts ist. Ihr fangt an zu untersuchen, wo nichts zu untersuchen ist, ihr tastet die Göttlichkeit unsrer Religion an, die wie ein wunderbares Gedicht vor uns daliegt, und nun einmal keinem andern verständlich ist, als der sie versteht: hier wollt ihr ergrübeln und widerlegen, und könnt mit allem Trachten nicht weiter vorwärts dringen, als es dem Blödsinne auch gelingen würde, da im Gegenteil die höhere Vernunft sich in der Untersuchung wie in Netzen würde gefangen fühlen, und lieber die edle Poesie glauben, als sie den Unmündigen erklären wollen.«

»Oh, Martin Luther!« seufzte Franz, »Ihr habt da ein kühnes Wort über ihn gesprochen.«

Ludovico sagte: »Es geht eigentlich nicht ihn an, auch will ich die Mißbräuche des Zeitalters nicht in Schutz nehmen, gegen die er vornehmlich eifert, aber mich dünkt doch, daß diese ihn zu weit führen, daß er nun zu ängstlich strebt, das Gemeine zu sondern, und darüber das Edelste mit ergreift. Wie es den Menschen geht, seine Nachfolger mögen leicht ihn selber nicht verstehn, und so erzeugt sich statt der Fülle einer göttlichen Religion eine dürre vernünftige Leerheit, die alle Herzen schmachtend zurückläßt, der ewige Strom voll großer Bilder und kolossaler Lichtgestalten trocknet aus, die dürre gleichgültige Welt bleibt zurück und einzeln, zerstückt, und mit ohnmächtigen Kämpfen muß das wiedererobert werden, was verloren ist, das Reich der Geister ist entflohn, und nur einzelne Engel kehren zurück.«


Date: 2016-01-14; view: 440


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