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Fünftes Kapitel 3 page

»Ihr habt die Menschen gewißlich recht von Herzen geliebt!« rief Sternbald aus.

»Nicht immer«, sagte jener, »die Tiere stehen uns näher, denn sie sind wie kindische Kinder, deren Liebe unterhalten sein will, weil sie ungewiß und unbegreiflich ist, mit den Menschen rechnen wir gern, und wenn wir Bezahlung wahrnehmen, vermissen wir schon die Liebe; gegen Tiere sind wir duldend, weil sie unsre Trefflichkeiten nicht bemerken können, und wir ihnen dadurch immer wieder gleichstehn; indem wir aber ihre dumpfe Existenz fühlen und einsehen, entsteht eine magische Freundschaft, aus Mitleiden, Zuneigung, ja, ich möchte sagen, aus Furcht gemischt, die sich durchaus nicht erklären läßt. Wollt Ihr mir folgen, junger Mensch, so will ich Euch kürzlich etwas von mir erzählen, damit Ihr begreift, wie ich hiehergeraten bin.«

Sie verließen die Hütte und setzten sich in den Schatten eines alten Baumes, und der Maler fing darauf mit folgenden Worten an:

»Ich bin in Italien geboren und heiße Anselm. Weiter kann ich Euch eben von meiner Jugend nichts sagen. Meine Eltern starben früh, und hinterließen mir ein kleines Vermögen, das mir zufiel, als ich mündig war. Meine Jugend war wie ein leichter Traum verflogen, keine Erinnerung war in meinem Gedächtnisse gehaftet, ich hatte nicht eine Erfahrung gemacht. Aber ich hatte die entflohene Zeit auf meine Art genossen, ich war immer zufrieden und vergnügt gewesen.

Jetzt nahm ich mir vor, in das Leben einzutreten, und auch, wie andere, einen Platz auszufüllen, damit von mir die Rede sei, daß ich geachtet würde. Schon von meiner Kindheit hatte ich in mir einen großen Trieb zur Kunst gespürt, die Malerei war es, die meine Seele angezogen hatte, der Ruhm der damaligen Künstler begeisterte mich. Ich ging nach Perugia, weil dort Pietro in besonderem Rufe stand, und seine Bilder in ganz Italien gesucht wurden, ihm wollte ich mich in die Lehre geben. Aber bald ermüdete meine Geduld, ich lernte junge Leute kennen, deren ähnliche Gemütsart mich zu ihrem vertrauten Freunde machte. Wir waren lustig miteinander, wir sangen, wir tanzten und scherzten, an die Kunst ward wenig gedacht.«

Franz fiel ihm in die Rede, indem er fragte: »Könnt Ihr Euch vielleicht erinnern, ob damals bei diesem Meister Pietro auch Raffael in der Lehre stand? Raffael Sanzio?«

»Mir dünkt«, sagte der Alte, »es kam in der letzten Zeit, als ich dort war, ein unbedeutender Knabe dieses Namens zu ihm, und ich verwundre mich, daß Ihr den Namen so eigentlich wißt.«

»Und ich erstaune über Eure Worte«, rief Sternbald aus. »So wißt Ihr es denn gar nicht, daß dieser Knabe seitdem der erste von allen Malern geworden ist? daß jedermann seinen Namen im Munde führt? Er ist seit einem Jahre gestorben, und alle Künstler in Europa trauern über seinen Verlust; wo Menschen wohnen, die die Kunst kennen, da ist auch er gekannt, denn noch keiner hat die Göttlichkeit der Malerei so tief ergründet.«



Anselm war eine Weile in sich gekehrt, dann brach er aus: »O wunderbare Vergangenheit! Wo ist all mein Bestreben geblieben, wie ist es gekommen, daß dieser mir Unbekannte meine innigsten Wünsche ergriffen und zu seinem Eigentume gemacht hat? Ja, ich habe wahrlich umsonst gelebt. Doch, es sei, weil es ist, ich will fortfahren, von mir zu sprechen.

Damals schien die ganze Welt glänzend in mein junges Leben hinein, ich erblickte auf allen Wegen Freundschaft und Liebe. Unter den Mädchen, die ich kennenlernte, zog eine besonders meine ganze Aufmerksamkeit an sich, ich liebte sie innig, nach einigen Wochen war sie meine Gattin. Ich hemmte meine Freude und Entzückungen durch nichts, ein blendender, ungestörter Strom war mein Lebenslauf. In der Gesellschaft der Freunde und der Liebe, vom Wein erhitzt, war es mir oft, als wenn sich wunderbare Kräfte in meinem Innersten entwickelten, als beginne mit mir die Welt eine neue Epoche. In den Stunden, die mir die Freude übrigließ, legte ich mich wieder auf die Kunst, und es war zuweilen, als wenn vom Himmel herab goldene Strahlen in mein Herz hineinschienen, und alle meine Lebensgeister erläuterten und erfrischten. Dann drohte ich mir gleichsam mit ungebornen und unsterblichen Werken, die meine Hand noch ausführen sollte, ich sah auf die übrige Kunst, wie auf etwas Gemeines und Alltägliches hinab, ich wartete selber mit Sehnsucht auf die Malereien, durch die sich mein hoher Genius ankündigen würde. Diese Zeit war die glücklichste meines Lebens. Sie war die meines wildesten Wahnsinns.

Indessen war mein kleines Vermögen aufgegangen. Meine Freunde wurden kälter, meine Freude erlosch, meine Gattin war krank und ihrer Entbindung nahe, und ich fing an, an meinem Kunsttalent zu zweifeln. Wie ein dürrer Herbstwind wehte es durch alle meine Empfindungen, wie ein Traum wurde mein frischer Geist von mir entrückt. Meine Not ward größer, ich suchte Hülfe bei meinen Freunden, die mich verließen, die sich bald ganz von mir entfremdeten. Ich hatte geglaubt, ihr Enthusiasmus würde nie erlöschen, es könne mir an Glück niemals mangeln, und nun sah ich mich plötzlich einsam. Ich erschrak, daß mir mein Streben als etwas Törichtes erschien, ja daß ich in meinem Innersten ahndete, ich hätte die Kunst niemals geliebt.

Ach, wenn ich an jene drückenden Monate zurückdenke! Wie sich nun in meinem Herzen alles entwickelte, wie grausam sich die Wirklichkeit von meinen Phantasieen losarbeitete und trennte! Ich versuchte die schmählichsten Mittel, mir zu helfen, und fristete mich dadurch kaum von einem Tage zum andern hin. Nun fühlte ich das Treiben der Welt, nun lernte ich die Not kennen, die meine armen Brüder mit mir teilten. Vorher hatte ich die menschliche Tätigkeit, diese mitleidswürdige Arbeitseligkeit verachtet, mit Tränen in den Augen verehrte ich sie jetzt, ich schämte mich vor dem zerlumpten Tagelöhner, der im Schweiße seines Angesichtes sein tägliches Brot erwirbt, und nicht höher hinaus denkt, als wie er morgen von neuem beginnen will. Vorher hatte ich in der Welt die schönen Formen mit lachenden Augen aufgesucht und mir eingeprägt, jetzt sah ich im angespannten Pferde und Stiere nur die Sklaverei, die Dienstbarkeit, die den Landmann ernährte; ich sah neidisch in die kleinen schmutzigen Fenster der Hütten hinein, nicht mehr um seltsame poetische Ideen anzutreffen, sondern um den Hausstand und das Glück dieser Familien zu berechnen. Oh, ich errötete, wenn man das Wort Kunst aussprach, ich fühlte mich selbst unwürdig, und dasjenige, was mir vorher als das Göttlichste erschien, kam mir nun als ein müßiges, zeitverderbendes Spielwerk vor, als eine Anmaßung über die leidende und arbeitende Menschheit. Ich war meines Daseins überdrüssig.

Einer meiner Freunde, der mir vielleicht geholfen hätte, war in ferne Lande weit weg verreist. Ich überließ mich der Verzweiflung. Meine Gattin starb im Wochenbette, das Kind war tot. Ich lag in der Kammer nebenan, und alles erlosch vor meinen Augen. Alles, was mich geliebt hatte, trat in einer fürchterlichen Gleichgültigkeit auf mich zu: alles, was ich für mein gehalten hatte, nahm wie Fremdling von mir auf immer Abschied.

Die Gestalten der Welt, alles, was sich je in meinem Innern bewegt hatte, verwirrte sich verwildert durcheinander. Es war, als wenn ich mich verlor, und das Fremdeste, mir bis dahin Verhaßteste mein Selbst würde. So rang ich im Kampfe, und konnte nicht sterben, sondern verlor nur meine Vernunft. Ich wurde wahnsinnig, wie ich nachher gehört habe. Ich weiß nicht, wo ich mich herumtrieb, was mir damals begegnet ist. In einer kleinen Kapelle einige Meilen von hier fand ich zuerst mich und meine Besinnung wieder. Wie man aus einem Traume erwacht, und einen längst vergessenen Freund vor sich stehen sieht, so seltsam überrascht, so durch mich erschreckt, war ich selber.

Seitdem wohne ich hier. Mein Gemüt ist dem Himmel gewidmet. Ich habe alles vergessen. Ich brauche wenig, und dies wenige besitze ich durch die Gutheit einiger Menschen.

Jetzt, im ruhigen Alter«, fuhr er nach einigem Stillschweigen fort, »ist die Natur mein vorzüglichstes Studium. Ich finde allenthalben wunderbare Bedeutsamkeit und rätselhafte Winke. Jede Blume, jede Muschel erzählt mir eine Geschichte, so wie ich Euch eine erzählt habe. Seht diese wunderbaren Moose. Ich weiß nicht, was alles dergleichen in der Welt soll, und doch besteht daraus die Welt. So tröste ich mich über mich und die übrigen Menschen. Die unendliche Mannigfaltigkeit der Gestalten, die sich bewegen, die gleichsam mehr ein Leben erstreben und andeuten, als wirklich leben, beruhigt mich, daß auch ich vielleicht so sein mußte, und mich von meiner Bahn niemals so sehr verirrt habe, als ich wohl ehemals wähnte.« –

Es war indessen spät geworden. Franz wollte gehen, ihm aber gern vorher etwas abkaufen, damit er ihm auf eine leichtere Art ein Geschenk machen könne. Er sah noch einmal umher, und begriff es selber nicht, wie ihm ein kleines Bild habe entgehen können, das er nun jetzt erst bemerkte. Es war das genaue Bildnis seiner Unbekannten, jeder Zug, jede Miene, soviel er sich nur erinnern konnte. Er nahm es hastig herab und verschlang es mit den Augen, sein Herz klopfte ungestüm. Als er darnach fragte, erzählte der Alte, daß es eine junge Dame vorstelle, die er vor einem Jahre gemalt habe; sie habe ihn besucht, und ihr holdseliges Gesicht habe sich seinem Gedächtnisse dermaßen eingeprägt, daß er es nachher mit Leichtigkeit habe zeichnen können. Weitere Nachrichten konnte er von der Unbekannten nicht geben.

Franz bat um das Bild, das ihm der Alte gern bewilligte. Franz drückte ihm hierauf ein größeres Geschenk in die Hand, als er ihm anfangs zugedacht hatte. Der Alte steckte es ein, ohne die Goldstücke nur zu besehen, dann umarmte er ihn und sagte: »Bleibe immer herzlich und treu gesinnt, mein Sohn, liebe deine Kunst und dich, dann wird es dir immer wohl gehen. Der Künstler muß sich selber lieben, ja verehren, er darf keiner nachteiligen Verachtung den Zugang zu sich verstatten. Sei in allen Dingen glücklich!«

Franz drückte ihn an seine Brust und ging dann den Berg hinunter.

Er war durch die Erzählung des alten Mannes wehmütig geworden, es leuchtete ihm ein, daß es ihm möglich sei, sich auch über seine Bestimmung zu irren, dabei war mit frischer Kraft das Andenken und das Bild seiner Geliebten in seine Seele zurückgekommen. Er langte im Schlosse an, indem er den Weg kaum bemerkt hatte, von der Gräfin war er schon vermißt, sie war auf ihr Bildnis begierig, und er mußte gleich am folgenden Morgen weitermalen. Franz fand sie an diesem Tage mutwilliger als je, sie scherzte und lachte, und auch Franz fühlte sich so vertraulich zu ihr, daß er ihr von seiner Wallfahrt zum alten Maler erzählte, dessen Geschichte er ihr kürzlich wiederholte. Die Gräfin sagte: »Nun wahrlich, der alte Einsiedler muß Euch auf eine ungemeine Art liebgewonnen haben, da er so viel mit Euch gesprochen hat, denn es ist sonst schon eine große Gefälligkeit, wenn er dem Fragenden nur ein einziges Wort erwidert, soviel ich aber weiß, hat er bisher noch keinem seine Geschichte erzählt.«

Franz zeigte ihr hierauf mit Zittern das Gemälde, das er gekauft hatte. Die Gräfin sagte erstaunt: »Wie? Mein eignes Bild bringt Ihr mit herunter, junger Mann? Die Aufmerksamkeit ist schmeichelhaft für mich.« »Das Eurige?« rief Franz bestürzt und sich vergessend, und jetzt wurde ihm die Ähnlichkeit noch deutlicher, und auf einen Augenblick ließ er sich durch den Gedanken entsetzen, daß es möglich sei. »Ach!« sagte die Gräfin plötzlich, und seufzte tief: »Nein, sie ist es, meine arme, unglückliche Schwester!«

»Eure Schwester?« sagte Franz erschrocken, »und Ihr nennt sie unglücklich?«

»Und mit Recht«, antwortete die Gräfin, »sie hat viel gelitten, jetzt ist sie seit neun Monaten tot.«

Franz verlor die Sprache, seine Hand zitterte, es war ihm unmöglich, weiterzumalen. Jene fuhr fort: »Sie trug und quälte sich mit einer unglücklichen Liebe, die ihr Leben wegzehrte; vor einem Jahre machte sie eine Reise durch Deutschland, um sich zu zerstreuen und gesunder zu werden, aber sie reiste in ihre Heimat zurück und starb. Der Alte hat sie damals gesehen, und wie ich jetzt erfahre, nachher gemalt.«

Franz war durch und durch erschüttert. Er stand auf und verließ den Saal. Er irrte umher, und warf sich endlich weinend an der dichtesten Stelle des Gehölzes nieder: die Worte, die ihn betäubt hatten, schallten noch immer in sein Ohr. – »So ist sie denn auf ewig mir verloren, die niemals mein war!« rief er aus. »O wie hart ist die Weise, mit der mich das Schicksal von meinem Wahnsinn heilen will! O ihr Blumen, ihr süßen Worte, die ihr mir so erfreulich wart! Du holdselige Schreibtafel, ihr Erinnerungen, ach! nun ist alles vorüber! Von diesem Tage, von heut ist meine Jugend beschlossen, alle jungen Wünsche, alle liebreizenden Hoffnungen verlassen mich nun, alles ruht tief im Grabe. Nun ist mein Leben kein Leben, mein Ziel, nach dem ich strebte, ist hinweggenommen, ich bin einsam. Das Haupt, das meine Sonne war, nach dem ich mich wie die Blume wandte, liegt nun unkenntlich im Grabe. Ja, Anselm, sie ist nun auch in den großen weiten Wald wieder hineingeflogen, meine liebste Sängerin, die ich so gern an diesem Herzen beherbergt hätte, aller Gesang erinnert mich nur an sie, die fließenden Waldbäche hier ermuntern mich, immerfort zu weinen, so wie sie selber tun. Was soll mir Kunst, was Ruhm, wenn sie nicht mehr ist, der ich alles zu Füßen legen wollte?«

Siebentes Kapitel

Am folgenden Tage kam Rudolph zurück, vor dem Franz sein Geheimnis nun noch geflissentlicher verbarg; er fürchtete den heitern Mutwillen seines Freundes, und mochte diese Schmerzen nicht seinen Spöttereien preisgeben. Rudolph erzählte ihm mit kurzen Worten die Geschichte seiner Wanderschaft, wo er sich herumgetrieben, was er in diesen Tagen erlebt. Franz hörte kaum darauf hin, weil er mit seinem Verluste zu innig beschäftigt war.

»Du hast ja hier einen Verwandten gefunden«, sagte Sternbald endlich, »aber mich dünkt, du freust dich darüber nicht sonderlich.«

»Meine Familie«, sagte jener, »ist ziemlich ausgebreitet, ich bin noch niemals lange an einem Orte geblieben, ohne einen Vetter oder eine Muhme anzutreffen. Darum ist mir dergleichen nichts Ungewöhnliches. Dieser da ist ein guter langweiliger Mann, mit dem ich nun schon alles gesprochen habe, was er zu sagen weiß. Ihr führt aber übrigens hier ein recht langweiliges Leben, und du, mein lieber Sternbald, wirst darüber ganz traurig und verdrüßlich, so wie es sich auch ziemt. Ich habe also dafür gesorgt, daß wir einige Beschäftigung haben, womit wir uns die Zeit vertreiben können.«

Er hatte alle Diener des Schlosses auf seine Seite gebracht und beredet, auch einige andre, besonders Mädchen aus der Nachbarschaft eingeladen, um am folgenden Tage ein lustiges Fest im Walde zu begehn. Franz entschuldigte sich, daß er ihm nicht Gesellschaft leisten könne, aber Florestan hörte nicht darauf. »Ich werde nie wieder vergnügt sein«, sagte Franz, als er sich allein sah, »meine Jugend ist vorüber, ich kann auch nicht mehr arbeiten, wenn ich in der Zukunft vielleicht auch geschäftig bin.«

Der folgende Tag erschien. Florestan hatte alles angeordnet. Man versammelte sich nachmittags im Walde, die Gräfin hatte allen die Erlaubnis erteilt, der kühlste, schattigste Platz wurde ausgesucht, wo die dicksten Eichen standen, wo der Rasen am grünsten war. Rudolph empfing jeden Ankömmling mit einem fröhlichen Schalmeiliede, die Mädchen waren zierlich geputzt, die Jäger und Diener mit Bändern und bunten Zieraten geschmückt. Nun kamen auch die Spielleute, die lustig aufspielten, wobei Wein und verschiedene Kuchen in die Runde gingen. Die Hitze des Tages konnte an diesen Ort nicht dringen, die Bäche und fernen Gewässer spielten wie eine liebliche Waldorgel dazu, alle Gemüter waren fröhlich.

Im grünen Grase gelagert, wurden Lieder gesungen, die alle Fröhlichkeit atmeten: da war von Liebe und Kuß die Rede, da wurde des schönen Busens erwähnt, und die Mädchen lachten fröhlich dazu. Franz wehrte sich anfangs gegen die Freude, die alle beseelte, er suchte seine Traurigkeit, aber der helle, liebliche Strom ergriff auch ihn mit seinen kristallenen plätschernden Wellen, er genoß die Gegenwart und vergaß, was er verloren hatte. Er saß neben einem blonden Mädchen, mit der er bald ein freundliches Gespräch begonn, und den runden frischen Mund, die lieblichen Augen, den hebenden Busen heiter betrachtete.

Als es noch kühler ward, ordnete man auf dem runden Rasenplatze einen lustigen Tanz an. Rudolph hatte sich auf seine Art phantastisch geschmückt, und glich einer schönen idealischen Figur auf einem Gemälde. Er war der Ausgelassenste, aber in ihm spiegelte sich die Fröhlichkeit am lieblichsten. Franz tanzte mit seiner blonden Emma, die manchen Händedruck erwiderte, wenn sie den Reigen herunter ihm entgegenkam.

Da aber der Platz für den Tanz fast ein wenig zu eng war, so sonderten sich einige ab, um auszuruhen; unter diesen waren Florestan, Sternbald und die Blonde. Abseits befestigten Franz und Rudolph ein Seil zwischen zwei dicken, nahestehenden Eichen, ein Brett war bald gefunden und die Schaukel fertig. Emma setzte sich furchtsam hinein, und flog nun nach dem Takte und Schwunge der Musik im Waldschatten auf und ab. Es war lieblich, wie sie bald hinauf in den Wipfel schwankte, bald wieder wie eine Göttin herabkam, und mit leichter Bewegung einen schönen Zirkel beschrieb.

»Nun, mein Freund«, rief Rudolph öfter, »bist du nun nicht vergnügt? Laß alle Grillen schwinden!« Franz sah nur die reizende Gestalt, die sich in der Luft bewegte.

Als man des Tanzes überdrüssig war, setzte man sich wieder nieder, und ergötzte sich an Liedern und aufgegebenen Rätseln. Jetzt ertrug Sternbald den Mutwillen der Poesie, die in alten Reimen die Reize der Liebsten lobpries: er stimmte mit ein, und verließ die blonde Emma niemals, wenigstens mit den Augen.

Der Abend brach ein, in gespaltenen Schimmern floß das Abendrot durch den Wald, die lieblichste, stillste Luft umgab die Natur, und bewegte auch nicht die Blätter am Baume. Rudolph, dessen Phantasie immer geschäftig war, ließ nun eine lange Tafel bereiten, auf die ebenso viele Blumen als Speisen gesetzt wurden, dazwischen die Lichter, die kein Wind verlöschte, sondern die ruhig fortbrannten, und einen zauberischen, berauschenden Anblick gewährten. Man aß unter schallender Musik, dann wurden die Tische auseinandergeschoben, und umher zwischen den Bäumen verteilt, die Wachskerzen brannten auch hier. Nun kam ein mutwilliges Pfänderspiel in den Gang, bei dem Sternbald manchen herzlichen Kuß von seiner Blonden empfing, wobei ihm jedesmal das Blut in die Wangen stieg.

Jetzt war es Nacht, man mußte sich trennen. Die Leute aus dem Dorfe und der kleinen Stadt gingen zurück, Rudolph und Sternbald begleiteten den Zug, Laternen gingen voran, dann folgten die Spielleute, die fast beständig ihre Musik erschallen ließen, und dadurch den Zug im Takte erhielten. – Jetzt standen sie vor dem Dorfe, er nahm mit einem herzlichen Kusse Abschied; Emma war stumm, er konnte kein Wort hervorbringen.

Schweigend ging er mit Rudolph durch den Wald zurück: als sie heraustraten, glänzte ihnen über die Ebene herüber der aufgehende Mond entgegen: das Schloß brannte in sanften goldenen Flammen.

Achtes Kapitel

Das Bildnis der Gräfin und des fremden Ritters war beendigt, sie war sehr zufrieden, und belohnte den Maler reichlicher, als es beide Freunde erwartet hatten.

Franz erstaunte oft in einsamen Stunden über sich selber, über die Ungenügsamkeit, die ihn peinigte. Er betrachtete dann mit wehmütiger Ungeduld das Bild seiner ehemaligen Geliebten, er wollte sie seiner Phantasie in aller vorigen Klarheit zurückzaubern, aber sein Geist und seine Sinne waren wie mit ehernen Banden in der Gegenwart festgehalten.

»Bravo!« sagte an einem Morgen Rudolph zu seinem Freunde, »du gefällst mir, denn ich sehe, du lernst von mir. Du ahmst mir nach, daß du auch eine Liebschaft hast, die deine Lebensgeister in Tätigkeit erhält, glaube mir, man kann im Leben durchaus nicht anders zurechtkommen. So aber verschönert sich uns jede Gegend, der Name der Dörfer und Städte wird uns teuer und bedeutend, unsre Einbildung wird mit lieblichen Bildern angefüllt, so daß wir uns allenthalben wie in einer ersehnten Heimat fühlen.«

»Aber wohin führt uns dieser Leichtsinn?« fragte Franz.

»Wohin?« rief Rudolph aus, »o mein Freund, verbittere dir nicht mit dergleichen Fragen deinen schönsten Lebensgenuß, denn wohin führt dich das Leben endlich?«

»Aber die Sinnlichkeit«, sagte Franz, »hörst du nicht jeden rechtlichen Menschen schlecht davon sprechen?«

»Oh, über die rechtlichen Menschen!« sagte Florestan lachend, »sie wissen selbst nicht, was sie wollen. Der Himmel gibt sich die Mühe, uns die Sinnen anzuschaffen, nun, so wollen wir uns deren auch nicht schämen, nach unserm löblichen Tode wollen wir uns dann mit des Himmels Beistand zur Freude besser gebärden.«

»Was war das für ein Mädchen«, fragte Franz, »das du in der Gegend von Antwerpen besuchtest?«

»Oh, das ist eine Geschichte«, antwortete jener, »die ich dir schon lange einmal habe erzählen wollen. Ich war vor einem Jahre auf der Reise, und ritt übers Feld, um schneller fortzukommen. Ich war müde, mein Pferd fing an zu hinken, die Meile kam uns unendlich lang vor. Ich sang ein Liedchen, ich besann mich auf hundert Schwänke, die mich in vielen andern Stunden erquickt hätten, aber alles war vergebens. Indem ich mich noch abquäle, sehe ich eine hübsche niederländische Bäuerin am Wege sitzen, die sich die Augen abtrocknet. Ich frage, was ihr fehlt, und sie erzählt mir mit der liebenswürdigsten Unbefangenheit, daß sie schon so weit gegangen sei, sich nun zu müde fühle, noch zu ihren Eltern nach Hause zu kommen, und darum weine sie, wie billig. Die Dämmerung war indes schon eingebrochen, mein Entschluß war bald gefaßt: ohne weiter um Rat zu fragen, bot ich ihr das müde Pferd an, um bequemer fortzukommen. Sie ließ sich eine Weile zureden, dann stieg sie hinauf, und setzte sich vor mich: ich hielt sie mit den Armen fest. Nun fing ich an, die Meile noch länger zu wünschen, der niedlichste Fuß schwebte vor mir, von der Bewegung entblößt, die frische rote Wange dicht an der meinigen, die freundlichen Augen mir nahe gegenüber. So zogen wir über das Feld, indem sie mir ihre Herkunft und Erziehung erzählte: wir wurden bald vertrauter, und sie sträubte sich gegen meine Küsse nicht mehr.

Nun wurde es Nacht, und die Bangigkeit, die sie erfüllte, erlaubte mir, dreister zu sein. Endlich kamen wir in der Nähe ihrer Behausung, sie stieg behende herunter, wir hatten schon unsre Abrede genommen. Sie eilte voraus, ich blieb eine Weile zurück, dann zwang ich mein Pferd, in einer Art von Galopp mit mir vor das Haus zu sprengen. Es war ein altes weitläuftiges Gebäude, das abseits vom übrigen Dorfe lag; das Mädchen kam mir entgegen, ich trat als ein verirrter Fremdling ein, und bat demütig um ein Nachtlager. Die Eltern bewilligten es mir gern, die Kleine spielte ihre Aufgabe gut durch, sie zeigte mir verstohlen, daß sie neben der Kammer schlafen würde, die man mir einräumte; sie wollte die Tür offen lassen. Das Abendessen, die umständlichen Gespräche wurden mir sehr lang, endlich ging alles schlafen, meine Freundin aber hatte in der Wirtschaft noch allerhand zu besorgen. Ich betrachtete indessen meine Kammer, sie führte auf der einen Seite nach dem Schlafzimmer des Mädchens, auf der andern in einen langen Gang, dessen äußerste Tür geöffnet war. Freundlich schien durch diese die runde Scheibe des Mondes, das schöne Licht lockt mich hinaus, ein Garten empfängt mich. Ich durchwandere auch diesen, gehe durch ein Gattertor, und verliere mich voller Erwartungen im Felde.

Man ist indessen sorgsam gewesen, alle Türen zu verschließen, es war das letzte Geschäft des Vaters, nach allen Riegeln im Hause zu sehn. Bestürzt komme ich zurück, die Gartentür ist verschlossen; ich rufe, ich klopfe, niemand hört mich, ich versuche überzusteigen, aber meine Mühe war vergebens. Ich verwünsche den Mond und die Schönheiten der Natur, ich sehe die Freundliche vor mir, die mich erwartet und mein Zögern nicht begreifen kann.

Unter Verwünschungen und unnützen Bemühungen sah ich mich genötigt, den Morgen auf dem freien Felde abzuwarten: alle Hunde wurden wach, aber kein Mensch hörte mich, der mich eingelassen hätte. Oh, wie segnete ich die ersten Strahlen des Frührots! Die Alten bedauerten mein Unglück, das Mädchen war so verdrüßlich, daß sie anfangs nicht mit mir sprechen wollte, ich versöhnte sie aber endlich, ich mußte fort, und versprach ihr, auf meiner Rückreise von England sie gewiß wieder zu besuchen. Und du sahst damals, daß ich ihr auch Wort hielt.

Ich kam an: schon sah ich mit Verdruß und klopfendem Herzen den Garten mit der mir so wohlbekannten Mauer, schon suchte mein Auge das Mädchen, aber die Sachen hatten sich indessen sehr verändert. Sie war verheiratet, sie wohnte in einem andern Hause, und was das Schlimmste war, sie liebte sogar ihren Mann; als ich sie besuchte, bat sie mich mit der höchsten Angst, doch ja je eher je lieber wieder fortzugehn. Ich gehorchte ihr, um ihr Glück nicht zu stören. – Siehst du, mein Freund, das ist die unbedeutende Geschichte einer Bekanntschaft, die sich ganz anders endigte, als ich erwartet hatte.«

»Dir geschieht schon recht«, sagte Franz, »wenn du manchmal für deinen übertriebenen Mutwillen bestraft wirst.«

»Oh, daß ihr allenthalben Übertreibungen findet!« rief Florestan aus, »ihr seid immer besorgt, euch in allen Gedanken und Gefühlen zu mäßigen. Aber es gelingt niemals und ist unmöglich, in einem Gebiete zu messen und zu wägen, wo kein Maß und Gewicht anerkannt wird. Es freut mich, dich auch einmal verliebt zu sehn.«

Franz sagte: »Ich weiß nicht, ob ich verliebt bin, aber du ängstigest mich mit deinen Reden; wozu wäre es auch, da wir so bald abreisen müssen?«

Florestan lachte, und gab ihm gar keine Antwort. – »Nun, wie haben dir die neulichen Lieder gefallen?« sagte er, »und die Lichter, der Wald? Nicht wahr, es war der Mühe wert, fröhlich zu sein?«

»Du marterst mich nur«, sagte Sternbald, als Rudolph geendigt hatte, »sprich wie du willst, ich werde niemals deiner Meinung sein. Man kann sich in einem leichtsinnigen Augenblicke vergessen, aber wenn man freiwillig den Sinnen den Sieg über sich selbst einräumt, so erniedrigt man sich dadurch unter sich selbst.«

»Du willst ein Maler sein, und sprichst so?« rief Rudolph aus, »oh, laß ja die Kunst fahren, wenn dir deine Sinnen nicht lieber sind, denn durch diese allein vermagst du die Rührungen hervorzubringen. Was wollt ihr mit allen euren Farben darstellen und ausrichten, als die Sinnen auf die schönste Weise ergötzen? Durch nichts kann der Künstler unsre Phantasie so gefangennehmen, als durch den Reiz der vollendeten Schönheit, das ist es, was wir in allen Formen entdecken wollen, wonach unser gieriges Auge allenthalben sucht. Wenn wir sie finden, so sind es auch nicht die Sinne allein, die in Bewegung sind, sondern alle unsre Entzückungen erschüttern uns auf einmal auf die lieblichste Weise. Der freie unverhüllte Körper ist der höchste Triumph der Kunst, denn was sollen mir jene beschleierten Gestalten? Warum treten sie nicht aus ihren Gewändern heraus, die sie ängstigen und sind sie selbst? Gewand ist höchstens nur Zugabe, Nebenschönheit. Das griechische Altertum verkündigt sich in seinen nackten Figuren am göttlichsten und menschlichsten. Die Dezenz unsers gemeinen prosaischen Lebens ist in der Kunst unerlaubt, dort in den heitern, reinen Regionen ist sie ungeziemlich, sie ist unter uns selbst das Dokument unsrer Gemeinheit und Unsittlichkeit. Der Künstler darf seine Bekanntschaft mit ihr nicht verraten, oder er gibt zu erkennen, daß ihm die Kunst nicht das Liebste und Beste ist, er gesteht, daß er sich nicht ganz aussprechen darf, und doch ist sein verschlossenes Innerstes gerade das, was wir von ihm begehren.«


Date: 2016-01-14; view: 425


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