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Fünftes Kapitel 2 page

Franz erzählte ihm treuherzig, was vorgefallen war, und verschwieg ihm den Eindruck nicht, den die Schönheit und die reizende Beweglichkeit der Gräfin auf ihn gemacht hatten. »Ja«, rief Arnold aus, »es ist etwas Furchtbares in dieser Schönheit, wenn sie ohne Schonung so grausam mit ihrer Macht spielen will. Ich bin seit meiner frühen Jugend in diesem Hause, und sah dieses sonderbare und reizende Wesen sich bilden. Sie ist die Freundlichkeit und Liebe selbst, mit Wohlwollen, ja Zärtlichkeit kommt sie jedem entgegen, sie weiß Vertrauen zu erregen, und bald meint der Getäuschte, daß er ihr unentbehrlich sei. Doch wie ihm das lose Spiel sich in Ernst verwandelt, wie sie es fühlt, daß jener sie sucht und wünscht, daß das leichte Verhältnis sich fest und fester knüpfen soll, so zieht sie sich zurück, doch ohne den Faden zu zerschneiden, an welchem der Gefangene flattert. So hatten sich ihr viele Männer mancherlei Gemütes aus der Nachbarschaft und Ferne genähert, und alle waren in diese seltsame Jagd befangen worden. So gewöhnt, aus dem Leben, der Liebe, der Rührung und dem süßen Wechsel zarter Empfindungen ein Spiel zu machen, und jeden neuen Gegenstand als Spiegel zu gebrauchen, in welchem sie sich selbst nur mit Wohlgefallen betrachtete, erschien ihr endlich jener Ritter aus Franken, von dem sie Euch erzählt hat. Er war ein feingebildeter, ja schöner Mann, weich und poetisch wie sie selbst, ebenso in Träumen lebend und süßen Gefühlen schwelgend. Sie wurden sich bald unentbehrlich, einer schien des andern nur bedurft zu haben, um den ganzen Reichtum seines innern Lebens zu erkennen und zu genießen. Endlich war gefunden, was sie umsonst bisher gesucht hatte, und sie erklärten laut ihre bevorstehende Verbindung.

Das ernste Wort war ausgesprochen, welches den Liebenden seines unwandelbaren Glückes versichert, beide aber schienen vor diesem Ernst des Lebens zurückzuzittern, der alle ihre Träume und ihr buntes Spielwerk zu zerbrechen drohte. Und gewiß, hat die Leidenschaft nicht so alle Kräfte ergriffen, die tiefste Sehnsucht das ganze Herz so durchdrungen, daß beide sich wie zum Tode gern und willig opfern, und keine Jugend mehr leben, und keine neuen Wünsche und Rührungen mehr finden wollen, so darf die Seele, die in den Wogen des Wohllauts schwimmt und mit Träumen der Entzückungen gaukelt, davor erzittern, daß nun das Höchste, das letzte Ziel errungen werden soll, hinter welchem Wahrheit, Ruhe, stille Befriedigung, wie ebenso viele graue Gespenster hervorzudrohen scheinen. So denke ich mir ihren Zustand, um mir einigermaßen zu erklären, was geschah. Er mochte in sich, noch mehr aber im Gegenstande seiner Liebe fühlen, wie das Herz noch etwas anderes als dieser Liebe bedürfe, wie sie nicht ihn selbst, sondern nur die Schimmer der Phantasie vergötterte, die aus ihr zu ihm hinüberleuchteten, und darum erweckte er sich freiwillig aus seinem Traume, und entfloh.



Sie war tief gekränkt, gestört, aber wie ich sie kenne, nicht wahrhaft unglücklich. Die Trauer und der Schmerz waren noch nie in ihre Seele gekommen, nun konnte sie sich an diesen üben, und sie zu ihren Spielgefährten machen. Sie schmückte sie auch so reizend auf, sie machte sie so schön, daß man zugeben mußte, daß sich neue wundersame Gaben und Bezauberungen an diesem verführerischen Weibe durch sie enthüllten, und ich machte die Erfahrung, daß ich sie anbetete, indem ich ihr zu zürnen glaubte, daß alle jene Mängel, die ich zu kennen wähnte und in stolzer Sicherheit schalt, sich plötzlich gegen mich selbst umwandten, und mir so holde Engelsangesichter zeigten, daß ich verehrend, geblendet niederfiel, und freudig meinem Verderben entgegeneilte.

Jetzt wurde ich ihr Vertrauter und tröstender Freund. Entfliehe der Mann doch diesen Klagen und Tränen eines schönen Weibes, diese Flut der geschmolzenen Perlen nimmt ihn unwiderstehlich mit, er tritt in die Vorhalle zum Herzen seiner Freundin und will bald selbst der Gegenstand ihrer Trauer und Tränen werden. Sie mochte sich nicht an dem gewöhnlichen Trost, an Musik, an Zerstreuung begnügen, ihr Leben selbst wollte sie zu einem Gedichte erhöhen, und ich war derjenige, der ihr zum Dichter und Maler ihrer Szenen dienen mußte. Sie liest die herrlichen Liebesgedichte unsrer Vorfahren, sie kennt sie alle und ich trug sie ihr von neuem vor, und jeder rührende Vers, jede Schilderung, in der sie Beziehung entdeckte, ward wiederholt, hergesagt, auswendig gelernt und gesungen. Aber sie befriedigt sich damit nicht, ich muß ihr eigne neue Lieder dichten, die wir abwechselnd singen, wie Ihr denn neulich eins dergleichen bei Eurer Ankunft gehört habt, diese müssen einfach in wenigen Akzenten das Gefühl gleichsam mehr anklingen, als aussprechen. So schweifen wir durch die Wälder, jagen, singen, und erfreuen uns der Natur und der Einsamkeit, die Waldhörner müssen den Schmerz mit ihren Tönen verherrlichen, sie selbst ist schön geschmückt in vielen abwechselnden Trachten, bald als Frau, bald als Jäger und Jüngling, als Amazone oder als Fürstin. Zuweilen fällt es ihr ein, als Isalde, Sigune oder Enite aufzutreten, von denen sie in ihren Büchern liest, in phantastischer Kleidung schweift sie dann mit ihrer Gesellschaft durch die Täler und Haine, und mir Unglücklichen fällt es dann anheim, den sehnlich erwarteten Tristan oder Iwein darzustellen, sie täuscht sich dann selbst mit ihrer Zärtlichkeit und ist glücklich, aber mir Armen, ihr so nahe, vor ihr knieend, ihre Hände und Arme fassend, in ihren schönen Locken tändelnd, leuchtet dann ein Paradies entgegen, und blitzend davor der Engel mit dem Feuerschwerte.

Nicht ist die Gefahr für die schuldlose Jungfrau so groß, wenn sie auf solche Weise mit dem Feuer scherzt, das die Welt durchglüht und erhellt, denn nur Wohlwollen, Vertrauen, Freundschaft, höchstens Zärtlichkeit erregen sich in ihrem Gemüte, und nur diese verlangt sie von dem Manne, mit dem sie den Tanz zwischen den bloßen Schwertern übt. Aber wehe dem Manne! Erst entzündet sich ein süßes Wohlgefallen, eine klare Heiterkeit in seiner Seele, er schwebt leicht durch die glänzenden Stunden, wie der Schmetterling durch den Frühlingsschein, dann faßt ihn der stärkere Strom, und im frischeren Leben fühlt er sich gebadet und erquickt, er triumphiert und jauchzt auf den Wogen, die ihn heben und tragen, den blühenden Ufern, den Traubenhügeln vorüber. Bald aber genügt ihm nicht diese Ruhe, an sich und in sich will er reißen, was ihn aus der Ferne entzückt, die Freude an der Schönheit wird im innigsten Verständnis Anbetung, Aufopferung seiner selbst: nun blitzt das Erkennen in der tiefsten Seele auf, nicht mehr daß dieses Wesen schön und liebreizend sei, sondern nur daß es dieses einzelne bestimmte, in Ewigkeiten nicht zum zweitenmal erscheinende Wesen ist, und die flammende Liebe erwacht mit den heiligen Glutaugen, und sieht und fühlt und denkt und weiß nichts anders als sie, nur sie. O Verzweiflung! sie wendet sich ab, und will nur Schönheit und Lockung, nicht diese Einzige sein: da mischt die Anbetung und Heiligkeit des Himmels sich mit den Greueln der Hölle, die liebliche Lockung wird heiße Begier, im Genuß möchte der Unglückliche die Verehrte entweihen und vernichten, da sie ihm Liebe, Unschuld und Himmel versagt, und wieder kämpft mit diesen schwefelgelben Gewittern das sanfte Licht der Kindereinfalt, die ehemalige Heiterkeit, der Blumenfriede der glücklichen Tage, die man aber doch selbst um diese Qualen nicht zurückkaufen möchte. Ihr seht mich staunend an, indem ich Euch diese Abgründe male, ich fühle, Ihr versteht mich nicht; und wohl Euch in diesem Seelenfrieden!«

Er verließ ungestüm den sinnenden Jüngling, der ihm lange nachsah, und die sonderbaren Erscheinungen, die an diesem Tage in ihm aufgestiegen waren, nicht genug mit Verwundern betrachten konnte, die ihm in ihrer Seltsamkeit bekannt, und doch in ihrer Nähe so fremd und fern erschienen.

Sechstes Kapitel

Schon seit lange hatte Franz viel von einem wunderbaren Manne sprechen hören, der sich in den benachbarten Bergen aufhielt, der halb wahnsinnig in der Einsamkeit lebte und seinen öden Aufenthalt niemals verließ. Was Franz besonders anzog, war, daß dieser abenteuerliche Eremit ein Maler sein sollte, der gewöhnlich denen, die ihn besuchten, Bildnisse um einen billigen Preis verkaufte. Sternbald konnte der Begier nicht länger widerstehn, ihn aufzusuchen, und da Florestan immer noch nicht zurückkam, und die Gräfin wieder eine Jagd, ihre Lieblingsergötzung angeordnet hatte, so machte er sich an einem schönen Morgen auf den Weg, um den bezeichneten Aufenthalt zu suchen.

Er stand bald oben auf dem Hügel und sah im Tale die versammelte Jagd, die vom Schlosse ausritt, und sich durch die Ebene verbreitete. Es klangen wieder die musikalischen Töne zu ihm hinauf, die durch den frischen Morgen in den Bergen widerschallten. Bald verlor er die Jagd aus dem Gesicht, die Musik der Hörner verscholl, und er wandte sich tiefer in das Gebirge hinein, wo die Gegend plötzlich ihren anmutigen Charakter verließ, und wilder und verworrener ward; die Aussicht in das ebene Land schloß sich, man verlor den vollen herrlichen Strom aus dem Gesichte, und die Berge und Felsen wurden kahl und unfreundlich.

Der Weg wand sich enge und schmal zwischen Felsen hindurch, Tannengebüsch wechselte auf dem nackten Boden, und nach einer Stunde stand Franz auf dem höheren Gipfel des Gebirges.

Nun war es wieder wie ein Vorhang niedergefallen, seinen Blicken öffnete sich die Ebene von neuem, die kahlen Felsen unter ihm verloren sich lieblich in dem grünen Gemisch der Wälder und Wiesen, die unfreundliche Natur war verschwunden, sie war mit der lieblichen Aussicht eins, von dem übrigen verschönert diente sie selbst die andern Gegenstände zu verschönern. Da lag die Herrlichkeit der Ströme, der Berge, der Wälder vor ihm ausgebreitet, er glaubte vor dem plötzlichen Anblick der weiten, unendlichen, mannigfaltigen Natur zu vergehn, denn es war, als wenn sie mit herzdurchdringender Stimme zu ihm hinaufsprach, als wenn sie mit feurigen Augen vom Himmel und aus dem glänzenden Strom heraus nach ihm blickte, und mit ihren Riesengliedern nach ihm hindeutete. Franz streckte die Arme aus, als wenn er etwas Unsichtbares an sein ungeduldiges Herz drücken wollte, als möchte er nun erfassen und festhalten, wonach ihn die Sehnsucht so lange gedrängt. Die Wolken zogen unten am Horizont durch den blauen Himmel, die Widerscheine und die Schatten streckten sich auf den Wiesen aus und wechselten mit ihren Farben, fremde Wundertöne gingen den Berg hinab, und Franz fühlte sich wie ein Gebannter festgehalten, den die zaubernde Gewalt stehen heißt, und der sich dem unsichtbaren Kreise, trotz allen Bestrebens, nicht entreißen kann.

»O unmächtige Kunst!« rief er aus und setzte sich auf eine grüne Felsenbank nieder: »wie lallend und kindisch sind deine Töne gegen den vollen harmonischen Orgelgesang, der aus den innersten Tiefen, aus Berg und Tal und Wald und Stromesglanz in schwellenden, steigenden Akkorden heraufquillt! Ich höre, ich vernehme, wie der ewige Weltgeist mit meisterndem Finger die furchtbare Harfe mit allen ihren Klängen greift, wie die mannigfaltigsten Gebilde sich seinem Spiel erzeugen, und über die ganze Natur mit geistigen Flügeln ausbreiten. Die Begeisterung meines kleinen Menschenherzens will hineingreifen, und ringt sich müde und matt im Kampfe mit dem Hohen, der die Natur leise lieblich regiert, und mein Händeringen nach ihm, mein Winken nach Hülfe in dieser Allmacht der Schönheit still belächelt. Die unsterbliche Melodie jauchzt, jubelt und stürmt über mich hinweg, zu Boden geworfen schwindelt mein Blick und starren meine Sinnen. O ihr Törichten! die ihr der Meinung seid, die allgewaltige Natur lasse sich verschönen, wenn ihr mit Kunstgriffen und kleinlicher Hinterlist eurer Ohnmacht zu Hülfe eilt! Was könnt ihr anders, als uns die Natur nur ahnden lassen, wenn uns die Natur die Ahndung der Gottheit gibt? Nicht Ahndung, nicht Vorgefühl, urkräftige Empfindung selbst, sichtbar wandelt hier auf Höhen und Tiefen die Religion, empfängt und trägt mit gütigem Erbarmen auch meine Anbetung. Die Hieroglyphe, die das Höchste, die Gott bezeichnet, liegt da vor mir in tätiger Wirksamkeit, in Arbeit, sich selber aufzulösen und auszusprechen, ich fühle die Bewegung, das Rätsel im Begriff zu schwinden – und fühle meine Menschheit. – Die höchste Kunst kann sich nur selbst erklären, sie ist ein Gesang, deren Inhalt nur sie selbst zu sein vermag.«

Ungern verließ Sternbald seine Begeisterung, und die Gegend, die ihn entzückt hatte, ja er trauerte über diese Worte, über diese Gedanken, die er ausgesprochen, daß er sie nicht immer in frischer Kraft aufbewahren könne, daß neue Eindrücke und neue Gedanken diese Empfindungen vertilgen oder überschütten würden.

Ein dichter Wald empfing ihn auf der Höhe, er warf oft den Blick zurück und schied ungern, als wenn er das Leben verließe. Der einsame Schatten erregte ihm gegen die freie Landschaft eine beklemmende Empfindung. Als er kaum eine halbe Stunde gegangen war, stand er vor einer kleinen Hütte, die offen war, in der er aber niemand traf. Ermüdet warf er sich unter einen Baum, und betrachtete die beschränkte Wohnung, das dürftige Gerät, mit vieler Rührung eine alte Laute, die an der Wand hing, und auf der eine Saite fehlte. Paletten und Farben lagen und standen umher, so wie einige Kleidungsstücke; Sternbald war wie in die uralte Zeit versetzt, von der wir so gern erzählen hören, wo die Tür noch keinen Riegel kennt, wo noch kein Frevler des andern Gut betastet hat.

Nach einiger Zeit kam der alte Maler zurück; er wunderte sich gar nicht, einen Fremdling vor seiner Schwelle anzutreffen, sondern ging in seine Hütte, räumte auf, und spielte dann auf der Zither, als wenn niemand zugegen wäre. Franz betrachtete den Alten mit Verwunderung, der indessen wie ein Kind in seinem Hause saß, und zu erkennen gab, wie wohl ihm in seiner kleinen Heimat sei, unter den befreundeten, wohlbekannten Tönen seines Instrumentes. Als er sein Spiel geendigt, packte er Kräuter, Moos und Steine aus seinen Taschen, und legte sie sorgfältig in kleine Schachteln zurecht, indem er jedes aufmerksam betrachtete. Über manches lächelte er, anderes schien er mit einiger Verwunderung anzuschauen, indem er die Hände zusammenschlug, oder ernsthaft den Kopf schüttelte. Immer noch sah er nach Sternbald nicht hin, bis dieser endlich in das kleine Haus trat, und ihm seinen Gruß anbot. Der alte Mann gab ihm die Hand, und nötigte ihn schweigend, sich niederzusetzen, indem er sich weder verwunderte, noch ihn als einen Fremden genauer beachtete.

Die Hütte war mit mannigfaltigen Steinen aufgeputzt, Muscheln standen umher, durchmengt von seltsamen Kräutern, ausgestopften Tieren und Fischen, so daß das Ganze ein höchst abenteuerliches Ansehn erhielt. Stillschweigend holte der Alte unserm Freunde einige Früchte, die er ihm ebenfalls mit stummer Gebärde vorsetzte. Als Franz einige davon gegessen hatte, indem er immer den sonderbaren Menschen beobachtete, fing er mit diesen Worten das Gespräch an: »Ich habe mich schon seit lange darauf gefreut, Euch zu sehn, ich hoffe, Ihr zeigt mir auch einige von Euren Malereien, denn auf diese bin ich vorzüglich begierig, da ich mich selbst zur edlen Kunst bekenne.«

»Seid Ihr ein Maler?« rief der Alte aus, »nun wahrlich, so freut es mich, Euch hier zu sehn, seit lange ist mir keiner begegnet. Aber Ihr seid noch sehr jung, Ihr habt wohl schwerlich schon den rechten Sinn für die große Kunst.«

»Ich tue mein Mögliches«, antwortete Franz, »und will immer das Beste, aber ich fühle freilich wohl, daß das nicht zureicht.«

»Es ist immer schon genug«, rief jener aus; »freilich ist es nur wenigen gegeben, das Wahrste und Höchste auszudrücken, eigentlich können wir alle uns ihm nur nähern, aber wir haben unsern Zweck gewißlich schon erreicht, wenn wir das wollen und erkennen, was der Allmächtige in uns hineingelegt hat. Wir können in dieser Welt nur wollen, nur in Vorsätzen leben, das eigentliche Handeln liegt jenseits, und besteht gewiß aus den eigentlichsten, wirklichsten Gedanken, da in dieser bunten Welt alles in allem liegt. So hat sich der großmächtige Schöpfer heimlicher- und kindlicherweise durch seine Natur unsern schwachen Sinnen offenbart, er ist es nicht selbst, der zu uns spricht, weil wir dermalen zu schwach sind, ihn zu verstehn; aber er winkt uns zu sich, und in jedem Moose, in jeglichem Gestein ist eine geheime Ziffer verborgen, die sich nie hinschreiben, nie völlig erraten läßt, die wir aber beständig wahrzunehmen glauben. Fast ebenso macht es der Künstler: wunderliche, fremde, unbekannte Lichter scheinen aus ihm heraus, und er läßt die zauberischen Strahlen durch die Kristalle der Kunst den übrigen Menschen entgegenspielen, damit sie nicht vor ihm erschrecken, sondern ihn auf ihre Weise verstehn und begreifen. Nun vollendet sich das Werk, und dem es offenbart ist liegt ein weites Land, eine unabsehliche Aussicht da, mit allem Menschenleben, mit himmlischem Glanz überleuchtet, und heimlich sind Blumen hineingewachsen, von denen der Künstler selber nicht weiß, die Gottes Finger hineinwirkte, und die uns mit ätherischem Zauber anduften und uns still den Künstler als einen Liebling Gottes verkündigen. Seht, so denke ich über die Natur und über die Kunst.«

Franz erschrak vor sich selber, daß er aus dem Munde eines Mannes, den die übrigen Leute wahnsinnig nannten, seine eigensten Gedanken deutlich ausgesprochen hörte, so daß seine Ahndungen in anschaulichen Bildern vor ihm schwebten.

»Wie willkommen ist mir dieser Ton!« rief er aus, »so habe ich mich denn nicht geirrt, wenn ich mit dem stillen Glauben hier anlangte, daß Ihr mir behülflich sein würdet, mich aus der Irre zurechtzufinden.«

»Wir irren alle«, sagte der Alte, »wir müssen irren, und jenseit dem Irrtume liegt auch gewiß keine Wahrheit, beide stehn sich auch gewiß nicht entgegen, sondern sind nur Worte, die der Mensch in seiner Unbehülflichkeit dichtete, um etwas zu bezeichnen, was er gar nicht meinte. Versteht Ihr mich?«

»Nicht so ganz«, sagte Sternbald.

Der Alte fuhr fort: »Wenn ich nur malen, singen oder sprechen könnte, was mein eigentlichstes Selbst bewegt, dann wäre mir und auch den übrigen geholfen; aber mein Geist verschmäht die Worte und Zeichen, die sich ihm aufdrängen, und da er mit ihnen nicht hantieren kann, gebraucht er sie nur zum Spiel. So entsteht die Kunst, so ist das eigentliche Denken beschaffen.«

Franz erinnerte sich, daß Dürer einst diesen Gedanken mit fast den nämlichen Worten ausgedrückt habe. Er fragte: »Was haltet Ihr denn nun für das Höchste, wohin der Mensch gelangen könne?«

»Mit sich zufrieden sein«, rief der Alte, »mit allen Dingen zufrieden sein, denn alsdann verwandelt er sich und alles um sich her in ein himmlisches Kunstwerk, er läutert sich selbst mit dem Feuer der Gottheit.«

»Können wir es dahin bringen?« fragte Franz.

»Wir sollen es wollen«, fuhr jener fort, »und wir wollen es auch alle, nur daß vielen, ja den meisten, ihr eigner Geist auf dieser seltsamen Welt zu sehr verkümmert wird. Daraus entsteht, daß man so selten den andern, noch seltner sich selber innewird.«

»Ich suche nach Euren Gemälden«, sagte Sternbald, »aber ich finde sie nicht; nach Euren Gesprächen über die Kunst darf ich etwas Großes erwarten.«

»Das dürft Ihr nicht«, sagte der Alte mit einigem Verdruß, »denn ich bin nicht für die Kunst geboren, ich bin ein verunglückter Künstler, der seinen eigentlichen Beruf nicht angetroffen hat. Es ergreift manchen das Gelüste, und er macht sein Leben elend. Von Kindheit auf war es mein Bestreben, nur für die Kunst zu leben, aber sie hat sich unwillig von mir abgewendet, sie hat mich niemals für ihren Sohn erkannt, und wenn ich dennoch arbeitete, so geschah es gleichsam hinter ihrem Rücken.«

Er öffnete eine Tür, und führte den Maler in eine andere kleine Stube, die voller Gemälde hing. Die meisten waren Köpfe, einige Landschaften, die wenigsten Historien. Franz betrachtete sie mit vieler Aufmerksamkeit, indes der alte Mann schweigend einen alten Vogelbauer ausbesserte. In allen Bildern spiegelte sich ein ernstes, strenges Gemüt, die Züge waren bestimmt, die Zeichnung scharf, auf Nebendinge gar kein Fleiß gewendet, aber auf den Gesichtern schwebte ein Etwas, das den Blick zugleich anzog und zurückstieß, bei vielen sprach aus den Augen eine Heiterkeit, die man wohl grausam hätte nennen können, andre waren seltsamlich entzückt, und erschreckten durch ihre furchtbare Miene; Franz fühlte sich unbeschreiblich einsam, vollends wenn er aus dem kleinen Fenster über die Berge und Wälder hinübersah, wo er auf der fernen Ebene keinen Menschen, kein Haus unterscheiden konnte.

Als Franz seine Betrachtung geendigt hatte, sagte der Alte: »Ich glaube, daß Ihr etwas Besondres an meinen Bildern finden mögt, denn ich habe sie alle in einer seltsamen Stimmung verfertigt. Ich mag nicht malen, wenn ich nicht deutlich und bestimmt vor mir sehe, was ich darstellen will. Wenn ich nun manchmal im Schein der Abendsonne vor meiner Hütte sitze, oder im frischen Morgen, der die Berge hinab, über die Fluren geht, dann rauschen oft die Bildnisse der Apostel, der heiligen Märtyrer hoch oben in den Bäumen, sie sehen mich mit allen ihren Mienen an, wenn ich zu ihnen bete, und fordern mich auf, sie abzuzeichnen. Dann greife ich nach den Farben, und mein bewegtes Gemüt, von der Inbrunst zu den hohen Männern, von der Liebe zur verflossenen Zeit ergriffen, schattet die Trefflichkeiten mit irdischen Farben hin, die in meinem Sinn, vor meinen Augen erglänzen.«

»So seid Ihr ein glücklicher Mann«, sagte Franz, der über diese Rede erstaunte.

»Der Künstler«, sagte der Alte, »sollte nach meinem Urteile niemals anders arbeiten; und was ist seine Begeisterung denn anders? Dem Maler muß alles wirklich sein; denn was ist es sonst, das er darstellen will? Sein Gemüt muß wie ein Strom bewegt sein, so daß sich seine innere Welt bis auf den tiefsten Grund erschüttert, dann ordnen sich aus der bunten Verwirrung die großen Gestalten, die er seinen Brüdern offenbart. Glaube mir, noch nie ist ein Künstler auf eine andre Art begeistert gewesen; man spricht von dieser Begeisterung so oft, als von einem natürlichen Dinge, aber sie ist durchaus unerklärlich, sie kömmt, sie geht, gleich dem ersten Frühlingslichte, das unvermutet aus den Wolken niederkömmt, und oft, ehe du es genießest, zurückgeflohen ist.«

Franz sah den Alten verlegen an, er war ungewiß, ob Wahnsinn oder die Sprache der Begeisterung aus ihm rede.

»Zuweilen«, fuhr der Alte fort, »erregt mich auch die umgebende Natur, daß ich mich in der Kunst üben muß. Es ist mir aber bei allen meinen Versuchen niemals um die Natur zu tun, sondern ich suche den Charakter oder die Physiognomie herauszufühlen, und irgendeinen frommen Gedanken hineinzulegen, der das Bild dadurch in eine schöne Historie verwandelt.«

Er machte hierauf den jungen Maler auf eine Landschaft aufmerksam, die etwas abseits hing. Es war eine Nachtszene, Wald, Berg und Tal lag in fast unkenntlichen Massen durcheinander, schwarze Wolken tief vom Himmel herunter. Ein Pilgrim ging durch die Nacht, an seinem Stabe, an seinen Muscheln am Hute kennbar: um ihn zog sich das dichteste Dunkel, er selber nur von verstohlenen Mondstrahlen erschimmert; ein finsterer Hohlweg deutete sich an, oben auf einem Hügel von fernher glänzte ein Kruzifix, um das sich die Wolken teilten; ein Strahlenregen vom Monde ergoß sich, und spielte um das heilige Zeichen.

»Seht«, rief der Alte, »hier habe ich das zeitliche Leben, und die überirdische, himmlische Hoffnung malen wollen; seht den Fingerzeig, der uns aus dem finstern Tal herauf zur mondglänzenden Anhöhe ruft. Sind wir etwas weiter, als wandernde, verirrte Pilgrime? Kann etwas unsern Weg erhellen, als das Licht von oben? Vom Kreuze her dringt mit lieblicher Gewalt der Strahl in die Welt hinein, der uns belebt, der unsere Kräfte aufrechthält. Hier habe ich gesucht, die Natur wieder zu verwandeln, und das auf meine menschliche künstlerische Weise zu sagen, was die Natur selber zu uns redet; ich habe hier ein sanftes Rätsel niedergelegt, das sich nicht jedem entfesselt, das aber doch leichter zu erraten steht, als jenes erhabene, das die Natur als Bedeckung um sich schlägt.«

»Man könnte«, antwortete Franz, »dieses Gemälde ein allegorisches nennen.«

»Alle Kunst ist allegorisch«, sagte der Maler. »Was kann der Mensch darstellen, einzig und für sich bestehend, abgesondert und ewig geschieden von der übrigen Welt, wie wir die Gegenstände vor uns sehn? Die Kunst soll es auch nicht: wir fügen zusammen, wir suchen dem einzelnen einen allgemeinen Sinn aufzuheften, und so entsteht die Allegorie. Das Wort bezeichnet nichts anders als die wahrhafte Poesie, die das Hohe und Edle sucht, und es nur auf diesem Wege finden kann.«

Unter diesen Gesprächen war ein Hänfling unvermerkt aus seinem Käfige entwischt, denn der Alte hatte die Tür in der Zerstreuung offen gelassen. Er schrie erschreckend auf, als er seinen Verlust bemerkte, er suchte umher, er öffnete das Fenster, und lockte pfeifend und liebkosend den Flüchtigen, der nicht wiederkam. Er konnte sich auf keine Weise zufriedengeben, und hörte auf Sternbalds Worte nicht, der ihn zu trösten suchte.

Sternbald sagte, um ihn zu zerstreuen: »Ich glaube es einzusehn, wie Ihr über diese Landschaft denkt, und mir scheint, Ihr habt recht. Ich will nicht Bäume und Berge abschreiben, sondern mein Gemüt, meine Stimmung, die mich in dieser Stunde regiert, diese will ich mir selber festhalten, und den übrigen Verständigen mitteilen.«

»Ganz gut«, rief der Alte aus, »aber was kümmert mich das jetzt, da mein Hänfling auf und davon ist?«

»War er Euch denn so lieb?« fragte Franz.

Der Alte sagte verdrießlich: »So lieb, wie mir alles ist, was ich liebe; ich mache da eben nicht sonderliche Unterschiede. Ich denke an seinen schönen Gesang, an seine Freundschaft, die er mir immer bewies, warum ich mir auch diese Treulosigkeit um so weniger vermutete. Nun ist sein Gesang nicht mehr für mich, sondern er durchfliegt den Wald, und dieser einzelne, mir so bekannte Vogel vermischt sich mit den übrigen seines Geschlechts. Ich gehe vielleicht einmal aus und höre ihn, und sehe ihn, und kenne ihn doch nicht wieder, sondern halte ihn für eine ganz fremde Person. So haben mich schon so viele Freunde verlassen. Ein Freund, der stirbt, tut auch nichts weiter, als daß er sich wieder mit der großen allmächtigen Erde vermischt, und mir unkenntlich wird. So sind sie auch in den Wald hineingeflogen, die ich sonst wohl kannte, so daß ich sie nun nicht wieder herausfinden kann. Wir sind Toren, wenn wir sie verloren wähnen, Kinder, die schreien und jammern, wenn die Eltern mit ihnen Versteckens spielen, denn das tun die Gestorbenen nur mit uns, der kurze Augenblick zwischen Jetzt und dem Wiederfinden ist nicht zu rechnen. Und daß ich das Gleichnis vollende: so ist Freundschaft auch wohl einem Käfige gleich, ich trenne den Vogel von den übrigen, um ihn zu kennen und zu lieben, ich umgebe ihn mit einem Gefängnisse, um ihn mir so recht eigentlich abzusondern. Der Freund sondert den Freund von der ganzen übrigen Welt, und hält ihn in seinen ängstlichen Armen eingeschlossen; er läßt ihn nicht zurück, er soll nur für ihn so gut, so zärtlich, so liebevoll sein, die Eifersucht bewacht ihn vor jeder fremden Liebe, verlöre jener sich im Strudel der allgemeinen Welt, so wäre er auch dem Freunde verloren und abgestorben. – Sieh her, mein Sohn, er hat sein Futter nicht einmal verzehrt, so lieb ist es ihm gewesen, mich zu verlassen. Ich habe ihn so sorgfältig gepflegt, und doch ist ihm die Freiheit lieber.«


Date: 2016-01-14; view: 429


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