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Fünftes Kapitel 2 page

›Glaubst du denn eine Silbe von diesem alten Märchen?‹ fuhr Leopold auf. ›Dergleichen ist nicht möglich und gegen alle Natur, es ist nur Dichtung und Lüge eines Müßiggängers.‹«

»Der trifft den Nagel auf den Kopf«, sagte Vansen, »dergleichen hat sich nie wirklich begeben.«

»Es ist unbegreiflich«, merkte Peters an, »wie der menschliche Geist nur auf dergleichen Torheiten verfallen kann: noch seltsamer aber, daß sich ein andrer Aberwitziger mit solchem Wahnsinn trösten will.«

»Und ist es denn nicht dasselbe«, sagte Sternbald nicht ohne Rührung, »diese Geschichte mag wahr oder ersonnen sein? Wer erfand sie denn wohl? Niemand als die Liebe selbst, und diese ist ja doch wundervoller, als alle Dichtungen und Lieder sie darstellen können?«

»Wenn Ihr in der Malerei«, sagte Vansen, »ebensosehr für das Unnatürliche eingenommen seid, wo dann Farben und Figuren hernehmen, junger Freund?«

»Nach dieser Erzählung«, so fing Florestan von neuem an, »nahm Ferdinand seinen Freund herzlich in die Arme. ›Laß mich gehen‹, sagte er, ›sei nicht traurig, denn du siehst mich gewiß wieder, ich bleibe gewiß nicht aus. Vielleicht ändert sich auch unterwegs mein Gemüt, wenn ich die mannigfaltige Welt mit ihren wechselnden Gestalten erblicke; wie sich dieses Gefühl wunderbarlich meines Herzens bemeistert hat, so kann es mich ja auch plötzlich wieder loslassen.‹

Sie gingen nach Hause, und am folgenden Morgen trat Ferdinand wirklich seine seltsame Wanderschaft an. Leopold sah ihm mit Tränen nach, denn er hielt die Leidenschaft seines Freundes für Wahnsinn, er hätte ihn gern begleitet, aber jener wollte durchaus nur allein das Ziel seiner Pilgerfahrt suchen.

Er wußte natürlich nicht, wohin er seinen Weg richten sollte, er ging daher auf der ersten Straße fort, auf welche er traf. Seine Seele war unaufhörlich mit dem geliebten Bilde angefüllt, in der reizendsten Gestalt sah er es vor sich hinschweben und folgte ihm wie unwillkürlich nach. In den Wäldern saß er oft still und dichtete ein Lied auf seine wunderbare Leidenschaft; dann hörte er dem Gesange der Nachtigallen zu, und vertiefte und verlor sich so sehr in sich selber, daß er die Nacht im Walde bleiben mußte.

Zuweilen erwachte er wie aus einem tiefen Schlafe, und überdachte dann seinen Vorsatz mit kälterem Blute, alles, was er wollte und wünschte, kam ihm dann wie eine Traumgestalt vor; er bestrebte sich oft, sich des Zustandes seiner Seele zu erinnern, ehe er das Bildnis im Grase gefunden hatte, aber es war ihm unmöglich. So wandelte er fort, und verirrte sich endlich von der Straße, indem er in einen dicken Wald geriet, der gar kein Ende zu haben schien.

Er ging weiter und traf immer noch keinen Ausweg, das Gehölz ward immer dichter, Vögel schrien und lärmten mit seltsamen Tönen durch die stille Einsamkeit. Jetzt dachte er an seinen Freund, ihm schien selber sein Unternehmen wahnsinnig, und er nahm sich vor, am folgenden Tage nach seinem Schlosse zurückzukehren. Es wurde Nacht, und wie wenn eine Verblendung, eine Krankheit, eine träumende Betäubung plötzlich von ihm genommen sei, so verschwand seine Leidenschaft, es war wie ein Erwachen aus einem schweren Traume. Er wanderte durch die Nacht weiter, denn der Mond warf seinen Schimmer durch die Zweige, er sah schon seinen Freund vergnügt und versöhnt vor sich stehn, er dachte sich sein künftiges ruhiges Leben. Unter diesen Betrachtungen brach der Morgen an, die Sonne senkte ihre frühen Strahlen durch das grüne Gebüsch, und neuer Mut und neue Heiterkeit ward in ihm wach. Er betrachtete das Gemälde wieder, und wußte nicht, was er tun sollte. Alle seine Entschlüsse fingen an zu wanken, jedes andre Leben erschien ihm leer und nüchtern, er wünschte und dachte nur sie. Denn aus der Farbe, aus dem Schmuck blühte wie ein voller knospenschwerer Frühling die Sehnsucht wieder auf ihn zu und umfing ihn mit duftenden blumenden Zweigen. Da war keine Rettung, er mußte sie wieder glauben, sie von neuem wünschen und suchen. ›Wohin soll ich mich wenden?‹ rief er aus. ›O Morgenrot! zeige mir den Weg! ruft mir, ihr Lerchen, und zieht auf meiner Bahn voran, damit ich wissen möge, wohin ich den irren Fuß setzen soll. Meine Seele schwankt in Leid und Freude, kein Entschluß kann Wurzel fassen, ich weiß nicht, was ich bin, ich weiß nicht, was ich suche.‹



Indem er so mit sich selber sprach, trat er aus dem Walde, und eine schöne Ebene mit angenehmen Hügeln lag vor ihm. In der Ferne standen Kruzifixe und kleine Kapellen im Glanz der Morgensonne. Der Trieb weiterzuwandern, und den Inhalt seiner Gedanken aufzusuchen, ergriff den Jüngling mit neuer Gewalt. Da sah er in der Entfernung eine Gestalt sich auf der Wiese bewegen, und als er weiterging, unterschied er, daß es eine Pilgerin sei. Die Gegenwart eines Menschen zog ihn nach der langen Einsamkeit an, er verdoppelte seine Schritte. Jetzt war er näher gekommen, als die Pilgerin vor einem Kruzifix am Wege niederkniete, die Hände in die Höhe hob, und andächtig betete. Indem kam ein Reuter vom nächsten Hügel heruntergesprengt; als er näher kam, sah Ferdinand, daß es derselbe sei, der ihm an jenem Morgen vorüberflog, als er sein geliebtes Bildnis fand. Der Reuter stieg schnell ab und näherte sich der Betenden; als er sie mit einem genauen Blicke geprüft, ergriff er sie mit einer ungestümen Bewegung. Sie streckte die Hände aus und rief um Hülfe. Zwei Diener kamen mit ihren Pferden, und wollten sich auf Befehl ihres Herrn der Pilgerin bemächtigen. Ferdinands Herz ward bewegt, er zog den Degen und stürzte auf die Räuber ein, die sich zur Wehre setzten. Nach einem kurzen Gefechte verwundete er den Ritter; dieser sank nieder, und die Diener nahmen sich erschreckt seiner an. Da er in Ohnmacht lag, so trugen sie ihn zu seinem Pferde, um im nächsten Orte Hülfe zu suchen. Die Pilgerin hatte die Zeit des Kampfes benutzt, und war indessen feldeinwärts geflohen, Ferdinand erblickte sie in einer ziemlichen Entfernung. Er eilte ihr nach und sagte: ›Ihr seid gerettet, Pilgerin, Ihr mögt nun ungehindert Eures Weges fortziehen, die Räuber haben sich entfernt.‹ Sie konnte vor Angst noch nicht antworten, sie dankte ihm mit einem scheuen Blicke. Er glaubte sie zu kennen, doch konnte er sich nicht erinnern, sie sonst schon gesehn zu haben. ›Ich bin Euch meinen herzlichsten Dank schuldig‹, sagte sie endlich, ›ich wollte nach einem wundertätigen Bilde der Muttergottes wallfahrten, als jener Räuber mich überfiel.‹

›Ich will Euch begleiten‹, sagte Ferdinand, ›bis Ihr völlig in Sicherheit seid; aber fürchtet nichts, er ist schwer verwundet, vielleicht tot. Doch kehrt zur Straße zurück, denn auf diesem Wege gehn wir nur in der Irre.‹

Indem kam ein Gewitter heraufgezogen, und ein Hagelschauer fiel nieder. Die beiden Wanderer retteten sich vor dem Platzregen in einer kleinen Kapelle, die dicht vor einem Walde stand. Die Pilgerin war ängstlich, indem die Donnerschläge in den Bergen widerhallten, und Ferdinand suchte sie zu beruhigen; die Furcht drückte sie an seine Brust, seine Wange trank ihren Atem. Endlich hörte das Gewitter auf, und ein lieblicher Regenbogen stand am Himmel, der Wald war frisch und grün und alle Blätter funkelten von Tropfen, die Schwüle des Tages war vorüber, die ganze Natur durchwehte ein kühler Lufthauch, alle Bäume, alle Blumen waren fröhlich. Sie standen beide und sahen in die erfrischte Welt hinaus, die Pilgerin lehnte sich an Ferdinands Schulter. Da war es ihm, als wenn sich ihm alle Sinne auftäten, als wenn auch aus seinem Gemüte die drückende Schwüle fortzöge, denn er erkannte nun das liebliche Gesicht, das ihm vertraulich so nahe war; es war das Original jenes Gemäldes, das er mit so heftiger Sehnsucht gesucht hatte. So freut sich der Durstende, wenn er lange schmachtend in der heißen Wüste umherirrte, und nun den Quell in seiner Nähe rieseln hört; so der verirrte Wandersmann, der nun endlich am späten Abend die Glocken der Herden vernimmt, das abendliche Getöse des nahen Dorfes, und dem nun vor allen Menschen ein alter Herzensfreund zuerst entgegentritt.

Ferdinand zog das Gemälde hervor, die Pilgerin erkannte es. Sie erzählte, daß derselbe junge Ritter, von dem Ferdinand sie heute befreite, und der in ihrer Nachbarschaft lebe, sie habe malen lassen; sie sei elternlos und von armen Leuten auferzogen, aber sie habe sich entschließen müssen, von dort der Liebe des Ritters zu entfliehen, weil seine Leidenschaft, sein Lobpreisen ihrer Schönheit nur ihren tiefsten Unwillen erweckte. ›Drum hab ich‹, so beschloß sie, ›nach dem heiligen wundertätigen Marienbilde eine Wallfahrt tun wollen, und bin dabei unter Euren Schutz geraten, den ich Euch nie genug danken kann.‹

Ferdinand konnte erst vor Entzücken nicht sprechen, er traute seiner eigenen Überzeugung nicht, daß er den gesuchten Schatz wirklich erbeutet habe; er erzählte der Fremden, die sich Leonore nannte, wie er das Bildnis gefunden und wie es ihn bewegt habe, wie er endlich den Entschluß gefaßt, sie in weiter Welt aufzusuchen, um zu sterben, oder sein Gemüt zu beruhigen. Sie hörte ihm geduldig und mit Lächeln zu, und als er geendigt hatte, nahm sie seine Hand und sagte: ›Wahrlich, Ritter, ich bin Euch mein Leben schuldig, und noch gegen niemand habe ich die Freundschaft empfunden, die ich zu Euch trage. Aber kommt, und laßt uns irgendeine Herberge suchen, denn der Abend bricht herein.‹

Die untergehende Sonne färbte die Wolken schon mit Gold und Purpur, der Weg führte sie durch den Wald, in welchem ein kühler Abendwind sich in den nassen Blättern bewegte. Ferdinand führte die Pilgerin und drückte ihre Hand an sein klopfendes Herz; sie war stumm. Die Nacht näherte sich mehr und mehr, und noch trafen sie kein Dorf und keine Hütte; der Jungfrau ward bange, der Wald wurde dichter, und einzelne Sterne traten schon aus dem blauen Himmel hervor. Da hörten sie plötzlich von abseits her ein geistliches Lied ertönen, sie gingen dem Schalle nach, und sahen in einiger Entfernung die Klause eines Einsiedels vor sich, ein kleines Licht brannte in der Zelle, und er kniete vor einem Kreuze, indem er mit lauter Stimme sang. Sie hörten eine Weile dem Liede zu, die Nacht war hereingebrochen, die ganze übrige Welt war still; dann gingen sie Hand in Hand näher. Als sie vor der Zelle standen, fragte Ferdinand das Mädchen leise: ›Liebst du mich?‹ Sie schlug die Augen nieder und drückte ihm die Hand; er wagte es und heftete einen Kuß auf ihren schönen Mund, sie widersetzte sich nicht. Zitternd traten sie zum Eremiten hinein, und baten um ein Nachtlager als verirrte Wanderer. Der alte Einsiedel hieß sie willkommen und ließ sie niedersitzen; dann trug er ihnen ein kleines Mahl von Milch und Früchten auf, an dem sie sich erquickten. Ferdinand war sich vor Glückseligkeit kaum seiner selbst bewußt, er fühlte sich wie in einer neuen Welt, alles, was vor heute geschehen war, gehörte gleichsam nicht in seinen Lebenslauf; von diesem entzückenden Kusse, der ihm alle Sinnen geraubt hatte, begann ihm ein neues Gestirn, eine neue Sonne emporzuleuchten, alles vorige Licht war nur Dämmerung und Finsternis gewesen. Der Einsiedel wies Leonoren ein Lager an, und Ferdinand mußte sich gegenüber in eine kleine leere Hütte begeben.

Er konnte in der Nacht nicht schlafen, seine glückliche Zukunft trat vor sein Lager und erhielt seine Augen wach, er ward nicht müde hinunterzusehn und in dem glücklichen Reiche seiner Liebe auf und ab zu wandeln. Leonorens Stimme schien ihm beständig widerzutönen, er glaubte sie nahe und streckte die Arme nach ihr aus, er rief sie laut und weinte, indem er sich allein sah. Als der Mondschimmer erblaßte, und die Morgenröte nach und nach am Himmel heraufspielte, da verließ er die Hütte, setzte sich unter einen Baum und träumte von seinem Glücke.

Da sah er plötzlich den Ritter wieder aus dem Dickicht kommen, den er gestern auf dem Felde verwundet hatte; zwei Diener folgten ihm. Eben sollte der Zweikampf von neuem beginnen, als der Eremit aus seiner Klause trat. Dieser hörte den Verwundeten Bertram nennen, und erkundigte sich nach dem Orte seines Aufenthaltes und nach seinen Verwandten. Der Fremde nannte beides und der Einsiedel fiel ihm weinend um den Hals, indem er ihn seinen Sohn nannte. Er war es wirklich; als der Vater sich aus der Welt zurückzog, übergab er diesen Sohn seinem Bruder, der nach einiger Zeit von den Unruhen des Krieges vertrieben seinen Wohnort änderte, und so den Sohn dem Einsiedler näher brachte, als er es ahnden konnte. ›Wenn ich jetzt nur noch Nachrichten von meiner Tochter überkäme‹, rief der Einsiedler aus, ›so wäre ich unaussprechlich glücklich!‹ Leonore trat aus der Tür, weil sie das Geräusch vernommen hatte. Ferdinand ging auf sie zu, und Bertram stürzte sogleich herbei, als er die Pilgerin gewahr ward. Der Einsiedler betrachtete sie aufmerksam; ›woher, schönes Kind‹, fragte er zagend, ›habt Ihr diesen kunstreich gefaßten Stein, der Euer Ohr schmückt?‹ Leonore sagte: ›Meine Pflegeeltern haben mir schon früh dies Geschmeide eingehängt, und mich beschworen, es wie einen Talisman zu bewahren, indem es das Andenken von einem höchst würdigen Manne sei.‹

›Du bist meine Tochter!‹ sagte der alte Eremit, ›ich übergab dich jenen Leuten, als ich von meinem Wohnsitze durch der Feinde siegreiches Heer vertrieben wurde. O wie glücklich macht mich dieser Tag!‹«

»Was kann das für ein Krieg gewesen sein?« rief Vansen aus.

»O irgendeiner«, antwortete Rudolph hastig. »Ihr müßt die Sachen nie so genau nehmen, es ist mir in der Geschichte um einen Krieg zu tun, und da müßt Ihr gar nicht fragen: Wie? Wo? Wann geschahe das? Denn solche Erzählungen sind immer nur aus der Luft gegriffen, und man muß sich für die Geschichte, aber für nichts anders außer ihr interessieren.«

»Erlaubt«, sagte Franz bescheiden, »daß ich Euch widerspreche, denn ich bin hierin ganz andrer Meinung. Wenn mir eine Erzählung, sei sie auch nur ein Märchen, Zeit und Ort bestimmt, so macht sie dadurch alles um so lebendiger, die ganze Erde wird dadurch mit befreundeten Geistern bevölkert, und wenn ich nachher den Boden betrete, von dem mir eine liebe Fabel sagte, so ist er dadurch gleichsam eingeweiht, jeder Stein, jeder Baum hat dann eine poetische Bedeutung für mich. Ebenso ist es mit der Zeit. Höre ich von einer Begebenheit, werden Namen aus der Geschichte genannt, so fallen mir zugleich jene poetischen Schatten dabei ins Gedächtnis, und machen mir den ganzen Zeitraum lieber.«

»Nun das kann alles gut sein«, sagte Rudolph, »das andre ist aber auch nicht minder gut und vernünftig, daß man sich weder um Zeit noch Ort bekümmert. So mag es also wohl der Hussitenkrieg gewesen sein, der alle diese Verwirrungen in unsrer Familie angerichtet hat.

Der Schluß der Geschichte findet sich von selbst. Alle waren voller Freude, Leonore und Ferdinand fühlten sich durch gegenseitige Liebe glücklich, und der Eremit blieb im Walde, sosehr ihm auch alle zuredeten, zur Welt zurückzukehren.

Es vermehrte noch eine Person die Gesellschaft, und niemand anders als Leopold, der ausgereiset war, seinen Freund aufzusuchen. Ferdinand erzählte ihm sein Glück und stellte ihm Leonoren als seine Braut vor. Leopold freute sich mit ihm und sagte: ›Aber, liebster Freund, danke dem Himmel, denn du hast bei weitem mehr Glück als Verstand gehabt.‹ – ›Das begegnet jedem Sterblichen‹, erwiderte Ferdinand, ›und wie elend müßte der Mensch sein, wenn es irgendeinmal einen solchen geben sollte, der mehr Verstand als Glück hätte?‹«

Hier schwieg Rudolph. Einige von den Herren waren während der Erzählung eingeschlafen; Franz war sehr nachdenkend geworden. Fast alles, was er hörte und sah, bezog er auf sich, und so traf er in dieser Erzählung auch seine eigene Geschichte an. Sonderbar war es, daß ihn der Schluß beruhigte, daß er dem Glücke vertraute, daß es ihn seine Geliebte und seine Eltern würde finden lassen.

Franz und Rudolph wurden im Verfolg der Reise vertrauter, sie beschlossen miteinander nach Italien zu gehn. Rudolph war immer vergnügt, sein Mut verließ ihn nie, und das war für Franz in vielen Stunden sehr erquicklich, der fast beständig ein Mißtrauen gegen sich selber hatte. Es fügte sich, daß einige Meilen vor Antwerpen das Schiff eine Zeitlang stilliegen mußte, ein Boot ward ausgesetzt, und Franz und Rudolph nahmen sich vor, den kleinen Rest der Reise zu Lande zu machen.

Es war ein schöner Tag. Die Sonne breitete sich hell über die Ebene aus, Rudolph war willens, nach einem Dorfe zu gehn, um ein Mädchen dort zu besuchen, das er vor sechs Monaten hatte kennen lernen. »Du mußt nicht glauben, Franz«, sagte er, »daß ich meiner Geliebten in Italien wahrhaft untreu bin, oder daß ich sie vergesse, denn das ist unmöglich, aber ich lernte diese Niederländerin auf eine wunderliche Weise kennen, wir wurden so schnell miteinander bekannt, daß mir das Andenken jener Stunden immer teuer sein wird.«

»Dein frohes Gemüt ist eine glückliche Gabe des Himmels«, antwortete Franz, »dir bleibt alles neu, keine Freude veraltet dir, und du bist mit der ganzen Welt zufrieden.«

»Warum sollte man es nicht sein?« rief Rudolph aus; »ist denn die Welt nicht schön, so wie sie ist? Mir ist das ernsthafte Klagen zuwider, weil die wenigsten Menschen wissen, was sie wollen, oder was sie wünschen. Sie sind blind und wollen sehen, sie sehn, und sie wollen blind sein.«

»Bist du aber nie traurig oder verdrießlich?«

»O ja, warum das nicht? Es kehren bei jedem Menschen Stunden ein, in denen er nicht weiß, was er mit sich selber anfangen soll, wo er herumgreift, und nach allen seinen Talenten, oder Kenntnissen, oder Narrheiten sucht, um sich zu trösten, und nichts will ihm helfen. Oft ist unser eigenes närrisches Herz die Quelle dieser Übel. Aber bei mir dauert ein solcher Zustand nie lange. So könnt ich mich grämen, wenn ich an Bianca denke, sie kann krank sein, sie kann sterben, sie kann mich vergessen, und dann mache ich mir Vorwürfe darüber, daß ich mich zu dieser Reise drängte, die auch jeder andre hätte unternehmen können. Doch, was hilft alles Sorgen?«

Sie hatten sich unter einen Baum niedergesetzt, jetzt stand Rudolph auf. »Lebe wohl«, sagte er schnell, »es ist zu kalt zum Sitzen; ich muß noch weit gehn, das Mädchen wird auf mich warten, ich sprach sie, als ich nach England hinüberging. In Antwerpen sehn wir uns wieder.«

Er eilte schnell davon und Franz setzte seinen Weg nach der Stadt fort, da aber die Tage schon kurz waren, mußte er in einem Dorfe vor Antwerpen übernachten.

Sechstes Kapitel

Die große Handelstätigkeit in Antwerpen war für Franz ein ganz neues Schauspiel. Es kam ihm wunderbar vor, wie sich hier die Menschen untereinander verliefen, wie sie ein bewegtes Meer darstellten, und jeglicher nur seinen Vorteil vor Augen hatte. Hier fiel ihm kein Kunstgedanke ein, ja wenn er die Menge der großen Schiffe sah, die Betriebsamkeit Geld zu gewinnen, die Spannungen aller Gemüter auf den Handel, die Versammlungen auf der Börse, so kam es ihm als etwas Unmögliches vor, daß irgendein Mensch aus diesem verwirrten Haufen sich der stillen Kunst ergeben könne. Er hörte nichts anders, als welche Schiffe gekommen und abgegangen waren, so wie die Namen der vornehmsten Kaufleute, die jedem Knaben geläufig waren, es entging ihm nicht, wie selbst auf den Spaziergängen die Handelsleute ihre kaufmännischen Gespräche und Spekulationen fortsetzten, und er ward von diesem neuen Anblicke des Lebens zu sehr betrübt, als daß er ihn hätte niederschlagen können.

Vansen lebte hier als Kaufmann vom zweiten oder dritten Range, der nicht sehr bedeutende Geschäfte machte, und daher nicht zu den bekannteren gehörte, der sich aber durch Aufmerksamkeit und gute Haushaltung ein ansehnliches Vermögen erworben hatte. Sternbald suchte ihn nach einigen Tagen auf, und das Haus seines neuen Freundes war ihm wie ein Schutzort, wie ein stilles Asyl gegen das tobende Gewühl der Stadt. Vansen wohnte in einer entlegenen Gegend, ein kleiner Garten war hinter seinem Hause; er sprach nur selten von seinen kaufmännischen Geschäften, und hatte nicht die Eitelkeit, andern, die nichts davon begriffen, seine Spekulationen mitzuteilen: er liebte es im Gegenteil, sich von der Kunst zu unterhalten, und er suchte eine Ehre darin, für einen Kenner zu gelten. Sternbalds kindliches Gemüt schloß sich nach kurzer Zeit diesem Manne an, er hielt ihn in seiner Unbefangenheit für mehr, als er wirklich war; denn Vansens Liebe zur Malerei war nichts als ein blinder Trieb, der sich zufälligerweise auf diese Kunst geworfen hatte. Er hatte angefangen, Gemälde zu kaufen, und nachdem er sich einige Kenntnisse erworben hatte, war es nur Eitelkeit und Sucht zu sammeln und aufzuhäufen, daß er es nicht müde ward, sich um Gemälde und ihre Meister zu bekümmern. So treiben viele Menschen irgendeine Wissenschaft oder Beschäftigung, und der wahre Künstler irrt sehr, wenn er unter diesen die verwandten Geister und die Verehrer der Kunst sucht.

Vansen hatte nur eine einzige Tochter, die er ungemein liebte. Sie galt in der Nachbarschaft für schön, und wirklich war ihr üppiger Wuchs, ihr heitres, strahlendes Gesicht in seiner kindlichen Rundung, und ihre klare weiße und rote Farbe neben den sprechenden Augen reizend zu nennen. Der Kaufmann bat unsern jungen Maler, sich mit dem Bildnis seiner Tochter zu versuchen, und Franz machte sich hurtig an die Arbeit. Seine Phantasie war nicht gespannt, er forderte nicht zu viel von sich, und das Bild rückte schnell fort und gelang ihm ungemein. Auch gefiel ihm das Antlitz und der volle blendende Busen um so mehr, je länger er daran malte.

Er bemerkte, daß das Mädchen fast immer traurig war; er suchte sie zu erheitern und ließ oft, wenn er malte, auf einem Instrumente lustige Lieder spielen, aber es hatte gewöhnlich die verkehrte Wirkung, sie wurde noch trübseliger, oder weinte gar: vor dem Vater suchte sie ihre Melancholie geflissentlich zu verbergen. Franz war zu gut, um sich in das Vertrauen eines Leidenden einzudrängen, er kannte auch die Künste nicht, oder verschmähte sie, sich zum Teilnehmer eines Geheimnisses zu machen, daher war er in ihrer Gegenwart nur in Verlegenheit.

In Vansens Hause versammelten sich oft viele Menschen, und zwar von den verschiedensten Charakteren, von denen der Wirt manche Redensart lernte, mit welchen er nachher wieder gegen andere glänzte. Franz hörte diesen Gesprächen mit großer Aufmerksamkeit zu, denn bis dahin hatte er noch nie so verschiedene Meinungen gehört, wie er hier, oft schnell hintereinander, vernahm. Vorzüglich zog ihn ein alter Mann an, dem er besonders gern zuhörte, weil jedes seiner Worte das Gepräge eines eigenen festen Sinnes trug. An einem Abend fing der Wirt, wie er oft tat, an, über die Kunst zu reden, und den herrlichen Genuß zu preisen, den er vor guten Gemälden empfände. Alle stimmten ihm bei, nur der Alte schwieg still, und als man ihn endlich um seine Meinung fragte, sagte er:

»Ich mag ungern so sprechen, wie ich darüber denke, weil niemand meiner Meinung sein wird; aber es tut mir immer innerlich wehe, ja ich spüre ein gewisses Mitleiden gegen die Menschen, wenn ich sie mit einer so ernsthaften Verehrung von der sogenannten Kunst reden höre. Was ist es denn alles weiter, als eine unnütze Spielerei, wo nicht gar ein schädlicher Zeitverderb? Wenn ich bedenke, was die Menschen in einer versammelten Gesellschaft sein könnten, wie sie durch die Vereinigung stark und unüberwindlich sein müßten, wie jeder dem Ganzen dienen sollte, und nichts da sein, nichts ausgeübt werden dürfte, was nicht den allgemeinen Nutzen beförderte: und ich betrachte dann die menschliche Gesellschaft, wie sie wirklich ist, so möchte ich fast sagen, es scheint, daß die Vereinigung nicht entstanden ist, um allgemein besser zu werden, sondern um sich gegenseitig zu verschlimmern. Da ist keine Aufmunterung zur Tugend, keine Abhärtung zum Kriege, keine Liebe des Vaterlands und der Religion, ja es ist keine Religion und kein Vaterland da, sondern jeder glaubt sich selbst der nächste zu sein, und häuft, ohne auf den gemeinen Nutzen zu sehn, die Güter auf erlaubte und unerlaubte Art zusammen, und vertändelt übrigens seine Zeit mit der ersten besten Torheit. Die Kunst vorzüglich scheint ordentlich dazu erfunden, die bessern Kräfte im Menschen zu erlahmen, und nach und nach abzutöten. Ihre gaukelnde Nachäffung, diese armselige Nachahmung der Wirklichkeit, worauf doch alles hinausläuft, zieht den Menschen von allen ernsten Betrachtungen ab, und verleitet ihn, seine angeborne Würde zu vergessen. Wenn unser innerer Geist uns zur Tugend antreibt, so lehren uns die mannigfaltigen Künstler sie verspotten; wenn die Erhabenheit mich in ihrer göttlichen Sprache anredet, so unterlassen es die Reimer oder Poeten nicht, sie mit Nichtswürdigkeiten zu überschreien. Und daß ich namentlich von der gepriesenen Malerei rede. – Ich habe den Maler, der mir Figuren, oder Bäume und Tiere auf Flächen hinzeichnet, nie höher angeschlagen, als den Menschen, der mit seinem Munde Vögel- und Tiergeschrei nachzuahmen versteht. Es ist eine Künstelei, die keinem frommt, und die dabei doch die Wirklichkeit nicht erreicht. Jeder Maler erlernt von seinem Meister eine gewisse Fertigkeit, einige Handgriffe, die er immer wieder anbringt, und wir sind dann gutmütige Kinder genug, uns vor sein Machwerk hinzustellen, und uns darüber zu verwundern. Wie da von Genuß der Kunst die Rede sein kann, oder von Schönheit, begreife ich nicht, da diese Menschen die Begeisterung nicht kennen, da ihre Schöpfungen nicht aus schönen Stunden hervorgehn, sondern sie sich des Gewinstes wegen niedersetzen und Farben über Farben streichen, bis sie nach und nach ihre Figuren zusammengebettelt haben, und nun den Lohn an Geld dafür empfangen. Wie sollen diese knechtischen Arbeiter auf edle Seelen wirken können, da sie es selber nicht einmal wollen? Sie dienen höchstens der Sinnlichkeit, und trachten vielleicht, elende Begierden zu erwecken, oder uns ein Lächeln über ihre verzerrten Gestalten abzuzwingen, damit sie doch irgendwas hervorbringen. Ich meine also, daß man auf jeden Fall seine Zeit besser anwenden könne, als wenn man sich mit der Kunst beschäftiget.«

Franz konnte sich im Unwillen nicht länger halten, sondern rief aus: »Ihr habt nur von unwürdigen Menschen gesprochen, die keine Künstler sind, die die Göttlichkeit ihres Berufs selber nicht kennen, und weil Ihr Euer Auge nur auf diese wendet, so wagt Ihr es, alle übrigen zu verkennen. O Albert Dürer! wie könnte ich es dulden, daß man so von deinem schönsten Lebenslaufe sprechen darf? Ihr habt entweder noch keine guten Bilder gesehn, oder die Augen sind Euch für ihre Göttlichkeit verschlossen geblieben, daß Ihr Euch erkühnt, sie so zu lästern. Es mag gut sein, wenn in einem Staate alles zu einem Zwecke dient, es mag in gewissen Zeiträumen nötig sein, für das Wohl der Bürger, für die Unabhängigkeit, daß sie nur ihr Vaterland, nur die Waffen, die bürgerliche Freiheit, und nichts weiter lieben; aber Ihr bedenkt nicht, daß in solchen Staaten jedes eigene Gemüt zugrunde geht, um nur das allgemeine Bild des Ganzen aufrecht zu erhalten. Die Güter, um derentwillen dem Menschen die Freiheit teuer sein muß, die Regung aller seiner Kräfte, die Entwickelung aller Schätze seines Geistes, diese kostbarsten Kleinodien müssen wieder aufgeopfert werden, um nur jene Freiheit zu bewahren. Über die Mittel geht der Zweck verloren, nach welchem jene Mittel streben sollten. Ist es nicht die herrlichste Erscheinung, den Menschengeist kühn in tausend Richtungen, in tausend mannigfaltigen Strömen, wie die Röhren eines künstlichen Springbrunnens, der Sonne entgegenspielen zu sehn? Eben daß nicht alle Geister ein und dasselbe wollen ist erfreulich. Darum laßt der unschuldigen kindischen Kunst ihren Gang, denn sie ist es doch, in der sich am reinsten, am lieblichsten, und auf die unbefangenste Weise die Hoheit der Menschenseele offenbart, sie ist nicht ernst, wie die Weisheit, sondern ein frommes Kind, dessen unschuldige Spiele jedes reine Herz rühren und erfreuen müssen. Sie drückt den Menschen am deutlichsten aus, sie ist Spiel mit Ernst gemischt, und Ernst durch Lieblichkeit gemildert. Wozu soll sie dem Staate, der versammelten Gesellschaft nützen? Wann hat sich je das Große und Schöne so tief erniedrigt, um zu nützen? Ein neues Feuer facht der große Mann, die edle Tat in einem einzelnen Busen an; der Haufe staunt dumm, und begreift nicht und fühlt nicht, er betrachtet ebenso ein noch nie gesehenes Tier, er belächelt die Erhabenheit, und hält sie für Fabel. Wen verehrt die Welt, und welchem Geiste wird gehuldigt? Nur das Niedrige versteht der Pöbel, nur das Verächtliche wird von ihm geachtet. Zufälle und Nichtswürdigkeiten sind die Wohltäter des Menschengeschlechts gewesen, wenn du den häuslichen Nutzen dieser armen Welt so hoch anschlägst. Und was drückst du mit dem Worte Nutzen aus? Muß denn alles auf Essen, Trinken und Kleidung hinauslaufen? oder daß ich besser ein Schiff regiere, bequemere Maschinen erfinde, wieder nur um besser zu essen? Ich sage es noch einmal, das wahrhaft Hohe kann und darf nicht nützen; dieses Nützlichsein ist seiner göttlichen Natur ganz fremd, und es fordern, heißt, die Erhabenheit entadeln und zu den gemeinen Bedürfnissen der Menschheit herabwürdigen. Denn freilich bedarf der Mensch vieles, aber er muß seinen Geist nicht zum Knecht seines Knechtes, des Körpers, erniedrigen: er muß wie ein guter Hausherr sorgen, aber diese Sorge für den Unterhalt muß nicht sein Lebenslauf sein. So halte ich die Kunst für ein Unterpfand unsrer Unsterblichkeit, für ein geheimes Zeichen, an dem die ewigen Geister sich wunderbarlich erkennen. Der Engel in uns strebt, sich zu offenbaren, und trifft nur Menschenkräfte an, er kann von seinem Dasein nicht überzeugen, und wirkt und regiert nun auf die lieblichste Weise, um uns, wie in einem schönen Traum, den süßen Glauben beizubringen. So entsteht in der Ordnung, in wirkender Harmonie die Kunst. Was der Weise durch Weisheit erhärtet, was der Held durch Aufopferung bewährt, ja, ich bin kühn genug es auszusprechen, was der Märtyrer durch seinen Tod besiegelt, das kann der große Maler durch seine Farben auswirken und bekräftigen. Es ist der himmlische Strahl, der diesen Geistern nicht die müßige Ruhe erlaubt, sondern sie zu einer glänzenden Tätigkeit weckt. Und daher sind es wohl die schönsten, die erhabensten Stunden, die ein Meister vor seinem Werke zubringt; er legt bildlich die Liebe hinein, mit der er die ganze Welt an sein Herz drücken möchte, die Urschönheit, die Hoheit, vor der er niederkniet. Alles dies trifft der verwandte Geist in den lieblichen Zügen wieder, die dem Barbaren unverständlich sind, er wird von diesen Winken entzückt, er fühlt seinen Geist in seiner Brust emporsteigen, er gedenkt alles Schönen, alles Großen, das ihn schon einst bewegte, und es ist nun nicht mehr das irdische Bild, das ihn rührt, liebliche Schatten vom Himmel herab fallen in sein Gemüt, und erregen eine bunte Welt von Wohllaut und süßer Harmonie in ihm. O wenn uns die holde Natur lieb ist, wenn wir gern die Pracht des Morgens, die Schimmer des Abends sehn, wenn die Schönheit in Menschengestalten uns anspricht, wie könnten wir uns dann gegen die süßvertrauliche Kunst so unfreundlich bezeigen? Gegen die Kunst, die sich bestrebt, uns alles das noch werter und teurer zu machen, uns mit uns selbst zu befreunden, die äußre Welt, die oft so hart um uns steht, mit unserm weichen Herzen zu versöhnen? Nein, es ist unmöglich, daß sich der Sinn irgendeines Menschen freiwillig abwende, es sind nur Mißverständnisse, die ihn vom himmlischen Genusse zurückhalten dürfen. Zweifelt nicht, daß der Künstler in seinem schönen Wahne die ganze Welt, und jede Empfindung seines Herzens in seine Kunst verflicht; er führt sein Leben nur für die Kunst, und wenn die Kunst ihm abstürbe, würde er nicht wissen, was er mit seinem übrigen Leben beginnen sollte. Ihr erwähnt es als etwas Schändliches, daß der arme Künstler sich genötigt sieht, um Lohn zu arbeiten, daß er das Werk seines Geistes fortgeben muß, um seinem Körper dadurch fortzuhelfen; er ist aber deshalb eher zu beklagen, als zu verachten. Ihr kennt die Empfindung nicht, wenn ein Mann sein liebstes Werk, mit dem er so innig vertraut geworden ist, aus dem ihn sein Fleiß, und so viele mühevolle Stunden anlächeln, wenn er es nun aufopfern muß, es verstoßen und von sich entfremden, daß er es vielleicht niemals wiedersieht, bloß des schnöden Gewinstes wegen, und weil eine Familie ihn umgibt, die Nahrung fordert. Es ist zu bejammern, daß in unserm irdischen Leben der Geist so von der Materie abhängig ist. O wahrlich, kein größeres Glück könnte ich mir wünschen, als wenn mir der Himmel vergönnte, daß ich arbeiten dürfte, ohne an den Lohn zu denken, daß ich so viel Vermögen besäße, um ganz ohne weitere Rücksicht meiner Kunst zu leben, denn schon oft hat es mir Tränen ausgepreßt, daß sich der Künstler muß bezahlen lassen, daß er mit den Ergießungen seines Herzens Handel treibt, und oft von kalten Seelen in seiner Not die Begegnung eines Sklaven erfahren muß.«


Date: 2016-01-14; view: 454


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