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Fünftes Kapitel 3 page

Er kam auf einen freien Platz im Walde, und plötzlich stand er still. Er wußte selbst nicht, warum er innehielt, er verweilte, um darüber nachzudenken. Ihm war, als habe er sich hier auf etwas zu besinnen, das ihm so lieb, so unaussprechlich teuer gewesen sei; jede Blume im Grase nickte so freundlich, als wenn sie ihm auf seine Erinnerungen helfen wollte. »Es ist hier, gewißlich hier!« sagte er zu sich selber und suchte emsig nach dem glänzenden Bilde, das wie von schwarzen Wolken in seiner innersten Seele zurückgehalten wurde. Mit einem Male brachen ihm die Tränen aus den Augen, er hörte vom Felde herüber eine einsame Schalmei eines Schäfers, und nun wußte er alles. Als Knabe von sechs Jahren war er hier im Walde gegangen, auf diesem Platze hatte er Blumen gesucht, ein Wagen kam dahergefahren und hielt still, eine Frau stieg ab und hob ein Kind herunter, und beide gingen auf dem grünen Plane hin und her, dem kleinen Franz vorüber. Das Kind, ein liebliches blondes Mädchen, kam zu ihm und bat um seine Blumen, er schenkte sie ihr alle, ohne selbst seine Lieblinge zurückzubehalten, indes ein alter Diener auf einem Waldhorne blies, und Töne hervorbrachte, die dem jungen Franz damals äußerst wunderbar in das Ohr erklangen. So verging eine geraume Zeit, indem er das volle Antlitz des Kindes betrachtete, das ihn wie ein voller Mond anschaute und anlächelte: dann fuhren die Fremden wieder fort, und er erwachte wie aus einem Entzücken zu sich und den gewöhnlichen Empfindungen, den gewöhnlichen Spielen, dem gewöhnlichen Leben von einem Tage zum andern hinüber. Dazwischen klangen immer die holden Waldhornstöne in seine Existenz hinein und vor ihm stand glühend und blühend das holde Angesicht des Kindes, dem er seine Blumen geschenkt hatte, nach denen er im Schlummer oft die Hände ausstreckte, weil ihn dünkte, das Mädchen neige sich über ihn, sie ihm zurückzugeben. Er wußte und begriff nicht, warum ihm dieser Augenblick seines Lebens so wichtig und glänzend war, aber alles Liebe und Holde entlehnte er von dieser Kindergestalt, alles Schöne was er sah, trug er in des Mädchens Bild hinüber: wenn er von Engeln hörte, glaubte er einen zu kennen und sich von ihm gekannt, er war es überzeugt, daß die Feldblumen einst ein Erkennungszeichen zwischen ihnen beiden sein würden.

Als er so deutlich wieder an alles dieses dachte, als ihm einfiel, daß er es in so langer Zeit gänzlich vergessen hatte, setzte er sich in das grüne Gras nieder und weinte; er drückte sein heißes Gesicht an den Boden und küßte mit Zärtlichkeit die Blumen. Er hörte in der Trunkenheit wieder die Melodie eines Waldhorns, und konnte sich vor Wehmut, vor Schmerzen der Erinnerung und süßen[15] ungewissen Hoffnungen nicht fassen. »Bin ich wahnsinnig, oder was ist es mit diesem törichten Herzen?« rief er aus. »Welche unsichtbare Hand fährt so zärtlich und grausam zugleich über alle Saiten in meinem Innern hinweg, und scheucht alle Träume und Wundergestalten, Seufzer und Tränen und verklungene Lieder aus ihrem fernen Hinterhalte hervor? O mein Geist, ich fühle es, strebt nach etwas Überirdischem, das keinem Menschen gegönnt ist. Mit magnetischer Gewalt zieht der unsichtbare Himmel mein Herz an sich und bewegt alle Ahndungen durcheinander, die längst ausgeweinten Freuden, die unmöglichen Wonnen, die Hoffnungen, die keine Erfüllungen zulassen. Und ich kann es keinem Menschen, keinem Bruder einmal klagen, wie mein Gemüt zugerichtet ist, denn keiner würde meine Worte verstehen. Daher aber gebricht mir die Kraft, die den übrigen Menschen verliehen ist, und die uns zum Leben notwendig bleibt, ich matte mich ab in mir selber und keiner hat dessen Gewinn, mein Mut verzehrt sich, ich wünsche was ich selbst nicht kenne. Wie Jakob seh ich im Traum die Himmelsleiter mit ihren Engeln, aber ich kann nicht selbst hinaufsteigen, um oben in das glänzende Paradies zu schauen, denn der Schlaf hat meine Glieder bezwungen, und was ich sehe und höre, ahnde und hoffe und lieben möchte, ist nur Traumgestalt in mir.«



Jetzt schlug die Glocke im Dorfe. Er stand auf und trocknete sich die Augen, indem er weiterging, und nun schon die Hütten und die kleine Kirche durch das grüne Laub schimmern sah. Er ging an einem Garten vorbei, über dessen Zaun ein Zweig voll schöner roter Kirschen hing. Er konnte es nicht unterlassen, einige abzubrechen und sie zu kosten, weil die Frucht dieses Baumes ihn in der Kindheit oft erfreut hatte; es waren dieselben Zweige, die sich ihm auch jetzt freundlich entgegenstreckten, aber die Frucht schmeckte ihm nicht wie damals. »In der Kindheit«, sagte er zu sich selber, »wird der Mensch von den blanken, glänzenden, und vielfarbigen Früchten und ihrem süßen lieblichen Geschmacke angelockt, das Leben liebzugewinnen, wie es die Schulmeister in den Schulen machen, die im Anbeginn mit Süßigkeiten dem Kinde Lust zum Lernen beibringen wollen; nachher verliert sich im Menschen dieses frohe Vorgefühl des Lebens, der Lehrer wird streng, die Arbeit fängt an, und die Lockung selbst verliert ihren Wohlgeschmack.«[16]

Franz ging über den Kirchhof und las die Kreuze im Vorbeigehn schnell, aber an keinem stand der Name seines Vaters oder seiner Mutter geschrieben, und er fühlte sich zuversichtlicher. Die Mauer des Turms kam ihm nicht so hoch vor, alles war ihm beengter, das Haus seiner Eltern kannte er kaum wieder. Er zitterte, als er die Tür anfaßte, und doch war es ihm schon wieder wie gewöhnlich, diese Tür zu öffnen. In der Stube saß die Mutter mit verbundenem Kopf und weinte; als sie ihn erkannte, weinte sie noch heftiger; der Vater lag im Bette und war krank. Er umarmte sie beide mit gepreßtem Herzen, er erzählte ihnen, sie ihm, sie sprachen durcheinander und fragten sich, und wußten doch nicht recht, was sie reden sollten. Der Vater war matt und bleich. Franz hatte ihn sich ganz anders vorgestellt, und darum war er nun so gerührt, und konnte sich gar nicht wieder zufriedengeben. Der alte Mann sprach viel vom Sterben, von der Hoffnung der Seligkeit, er fragte den jungen Franz, ob er auch Gott noch so treu anhange, wie er ihm immer gelehrt habe. Franz drückte ihm die Hand und sagte: »Haben wir in diesem irdischen Leben etwas anders zu suchen, als die Ewigkeit? Ihr liegt nun da an der Grenze, Ihr werdet nun bald in Eurer Andacht nicht mehr gestört werden, und ich will mir gewiß auch alle Mühe geben, mich von den Eitelkeiten zu entfernen.«

»Liebster Sohn«, sagte der Vater, »ich sehe mein Lehren ist an dir nicht verlorengegangen. Wir müssen arbeiten, sinnen und denken, weil wir einmal in dieses Leben, in dieses Joch eingespannt sind, aber darum müssen wir doch nie das Höhere aus den Augen verlieren. Sei redlich in deinem Gewerbe, damit es dich ernährt, aber laß nicht deine Nahrung, deine Bekleidung den letzten Gedanken deines Lebens sein; trachte auch nicht nach dem irdischen Ruhme, denn alles ist doch nur eitel, alles bleibt hinter uns, wenn der Tod uns fordert. Male, wenn es sein kann, die heiligen Geschichten recht oft, um auch in weltlichen Gemütern die Andacht zu erwecken.«

Franz aß wenig zu Mittage, der Alte schien sich gegen Abend zu erholen. Die Mutter war nun schon daran gewöhnt, daß Franz wieder da sei; sie machte sich seinetwegen viel zu tun, und vernachlässigte den Vater beinah. Franz war unzufrieden mit sich, er hätte dem Kranken gern alle glühende Liebe eines guten Sohnes gezeigt, auf seine letzten Stunden gern alles gehäuft, was ihn durch ein langes Leben hätte begleiten sollen, aber er fühlte sich so verworren und sein Herz so matt, daß er über sich selber erschrak. Er dachte an tausend Gegenstände die ihn zerstreuten, vorzüglich an Gemälde von Kranken, von trauernden Söhnen und wehklagenden Müttern, und darüber machte er sich dann die bittersten Vorwürfe.

Als sich die Sonne zum Untergange neigte, ging die Mutter hinaus, einige Gemüse aus ihrem kleinen Garten, der in einiger Entfernung lag, zur Abendmahlzeit zu holen. Der Alte ließ sich im Sessel von seinem Sohne vor die Haustüre tragen, um sich von den roten Abendstrahlen bescheinen zu lassen.

Es stand ein Regenbogen am Himmel, und im Westen regnete der Abend in goldnen Strömen nieder. Schafe weideten gegenüber und Birken säuselten, der Vater schien stärker zu sein. »Nun sterb ich gerne«, rief er aus, »da ich dich noch vor meinem Tode gesehen habe.«

Franz konnte nicht viel antworten, die Sonne sank tiefer und schien dem Alten feurig ins Gesicht, der sich wegwendete und seufzte: »Wie Gottes Auge blickt es mich noch zu guter Letzt an und straft mich Lügen; ach! wenn doch erst alles vorüber wäre!« Franz verstand diese Worte nicht, aber er glaubte zu bemerken, daß sein Vater von Gedanken beunruhigt würde. »Ach wenn man so mit hinuntersinken könnte!« rief der Alte aus, »mit hinunter mit der lieben Gottes-Sonne! O wie schön und herrlich ist die Erde, und jenseit muß es noch schöner sein; dafür ist uns Gottes Allmacht Bürge. Bleib immer fromm und gut, lieber Franz, und höre mir aufmerksam zu, was ich dir jetzt noch zu entdecken habe.«

Franz trat ihm näher, und der Alte sagte: »Du bist mein Sohn nicht, liebes Kind.« – Indem kam die Mutter zurück; man konnte sie aus der Ferne hören, weil sie mit lauter Stimme ein geistliches Lied sang, der Alte brach sehr schnell ab und sprach von gleichgültigen Dingen. »Morgen«, sagte er heimlich zu Franz, »morgen!«

Die Herden kamen vom Felde mit den Schnittern, alles war fröhlich, aber Franz war sehr in Gedanken versunken, er betrachtete die beiden Alten in einem ganz neuen Verhältnisse zu sich selber, er konnte kein Gespräch anfangen, die letzten Worte seines vermeintlichen Vaters schallten ihm noch immer in den Ohren, und er erwartete mit Ungeduld den Morgen.

Es ward finster, der Alte ward hineingetragen und legte sich schlafen; Franz aß mit der Mutter. Plötzlich hörten sie nicht mehr den Atemzug des Vaters, sie eilten hinzu und er war verschieden. Sie sahen sich stumm an, und nur Brigitte konnte weinen. »Ach! so ist er denn gestorben ohne von mir Abschied zu nehmen?« sagte sie seufzend; »ohne Priester und Einsegnung ist er entschlafen! – Ach! wer auf der weiten Erde wird nun noch mit mir sprechen, da sein Mund stumm geworden ist? Wem soll ich mein Leid klagen, wer wird mit mir davon reden, daß die Bäume blühen und ob wir die Früchte abnehmen sollen? – Oh! der gute alte Vater! Nun ist es also vorbei mit unserm Umgang, mit unsern Abendgesprächen, und ich kann gar nichts dazu tun, sondern ich muß mich nur so eben darin finden. Unser aller Ende sei ebenso sanft!«

Die Tränen machten sie stumm und Franz tröstete sie. Er sah in Gedanken betende Einsiedler, die verehrungswürdigen Märtyrer, und alle Leiden der armen Menschheit gingen in mannigfaltigen Bildern seinem Geiste vorüber.

Sechstes Kapitel

Die Leiche des Alten lag in der Kammer auf Stroh ausgebreitet, und Franz stand sinnend vor der Tür. Die Nachbarn traten herzu und trösteten ihn; Brigitte weinte von neuem, sooft darüber gesprochen wurde, sein Herz war zu, seine Augen waren wie vertrocknet, tausend neue Bilder zogen durch seine Sinne, er konnte sich selber nicht verstehn, er hätte gern mit jemand sprechen mögen, er wünschte Sebastian herbei, um ihm alles klagen zu können.

Am dritten Tage war das Begräbnis, und Brigitte weinte und klagte laut am Grabe, als sie den nun mit Erde zudeckten, den sie seit zwanzig Jahren so genau gekannt hatte, den sie fast einzig liebte. Sie wünschte auch bald zu sterben, um wieder in seiner Gesellschaft zu sein, um mit ihm die Gespräche fortzusetzen, die sie hier hatte abbrechen müssen. Franz schweifte im Felde umher, und betrachtete die Bäume, die sich in einem benachbarten Teiche spiegelten. Er hatte noch nie eine Landschaft mit diesem Vergnügen beschaut, es war ihm noch nie vergönnt gewesen, die mannigfaltigen Farben mit ihren Schattierungen, das Süße der Ruhe, die Wirkung des Baumschlages in der Natur zu entdecken, wie er es jetzt im klaren Wasser gewahr ward. Über alles ergötzte ihn aber die wunderbare Perspektive, die sich bildete, und der Himmel dazwischen mit seinen Wolkenbildern, das zarte Blau, das zwischen den krausen Figuren und dem zitternden Laube schwamm. Franz zog seine Schreibtafel hervor, und wollte anfangen, die Landschaft zu zeichnen; aber schon die wirkliche Natur erschien ihm trocken gegen die Abbildung im Wasser, noch weniger aber wollten ihm die Striche auf dem Papiere genügen, die durchaus nicht das nachbildeten, was er vor sich sah. Er war bisher noch nie darauf gekommen, eine Landschaft zu zeichnen, er hatte sie immer nur als eine notwendige Zugabe zu manchen historischen Bildern angesehn, aber noch nie empfunden, daß die leblose Natur etwas für sich Ganzes und Vollendetes ausmachen könne, und so der Darstellung würdig sei.[17] Unbefriedigt ging er nach der Hütte seines Pflegevaters zurück.

Seine Mutter kam ihm entgegen, die sich in der ungewohnten Einsamkeit nicht zu lassen wußte. Sie setzten sich beide auf eine Bank, die vor dem Hause stand, und unterredeten sich von mancherlei Dingen. Franz ward durch jeden Gegenstand den er sah, durch jedes Wort das er hörte, niedergeschlagen, die weidenden Herden, die ziehenden Töne des Windes durch die Bäume, das frische Gras und die sanften Hügel weckten keine Poesie in seiner Seele auf. Er hatte Vater und Mutter verloren, seine Freunde verlassen, er kam sich so verwaist und verachtet vor, besonders hier auf dem Lande, wo er mit niemand über die Kunst sprechen konnte, daß ihn fast aller Mut zum Leben verließ. Seine Mutter nahm seine Hand und sagte: »Lieber Sohn, du willst jetzt in die weite Welt hineingehn, wenn ich dir raten soll, tu es nicht, denn es bringt dir doch keinen Gewinn. Die Fremde tut keinem Menschen gut, wo er zu Hause gehört, da blüht auch seine Wohlfahrt; fremde Menschen werden es nie ehrlich mit dir[18] meinen, das Vaterland ist gut, und warum willst du so weit weg und Deutschland verlassen, und was soll ich indessen anfangen? Dein Malen ist auch ein unsicheres Brot, wie du mir schon selber gesagt hast, du wirst darüber alt und grau; deine Jugend vergeht, und mußt noch obenein wie ein Flüchtling aus deinem Lande wandern. Bleib hier bei mir, mein Sohn, sieh, die Felder sind alle im besten Zustande, die Gärten sind gut eingerichtet, wenn du dich des Hauswesens und des Ackerbaues annehmen willst, so ist uns beiden geholfen, und du führst doch ein sichres und ruhiges Leben, du weißt doch dann, wo du deinen Unterhalt hernimmst. Du kannst hier heiraten, es findet sich wohl eine Gelegenheit; du lernst dich bald ein, und die Arbeit des Vaters wird dann von dir fortgesetzt. Was sagst du zu dem allen, mein Sohn?«

Franz schwieg eine Weile still, nicht weil er den Vorschlag bei sich überlegte, sondern weil an diesem Tage alle Vorstellungen so schwer in seine Seele fielen, daß sie lange hafteten. Ihm lag Herr Zeuner von neuem in den Gedanken, er sah die ganze Gesellschaft noch einmal, und fühlte alle Beängstigungen wieder, die er dort erlitten hatte. »Es kann nicht sein, liebe Mutter«, sagte er endlich. »Seht, ich habe so lange auf die Gelegenheit zum Reisen gewartet, jetzt ist sie gekommen, und ich kann sie nicht wieder aus den Händen gehen lassen. Ich habe mir ängstlich und sorgsam all mein Geld, dessen ich habhaft werden konnte, dazu gesammelt; was würde Dürer sagen, wenn ich jetzt alles aufgäbe?«

Die Mutter wurde über diese Antwort sehr betrübt, sie sagte sehr weichherzig: »Was aber suchst du in der Welt, lieber Sohn? Was kann dich so heftig antreiben, ein ungewisses Glück zu erproben? Ist denn der Feldbau nicht auch etwas Schönes, und immer in Gottes freier Welt zu hantieren und stark und gesund zu sein? Mir zuliebe könntest du auch etwas tun, und wenn du noch so glücklich bist, kömmst du doch nicht weiter, als daß du dich satt essen kannst, und eine Frau ernährst und Kinder großziehst, die dich lieben und ehren. Alles dies zeitliche Wesen kannst du nun hier schon haben, hier hast du es gewiß, und deine Zukunft ist noch ungewiß. Ach lieber Franz, und es ist denn doch auch eine herzliche Freude, das Brot zu essen, das man selber gezogen hat, seinen eigenen Wein zu trinken, mit den Pferden und Kühen im Hause bekannt zu sein, in der Woche zu arbeiten und des Sonntags zu rasten. Aber dein Sinn steht dir nach der Ferne, du liebst deine Eltern nicht, du gehst in dein Unglück, und verlierst gewiß deine Zeit, vielleicht noch deine Gesundheit.«

»Es ist nicht das, liebe Mutter!« rief Franz aus, »und Ihr werdet mich auch gar nicht verstehn, wenn ich es Euch sage. Es ist mir gar nicht darum zu tun, Leinwand zu nehmen und die Farben mit mehr oder minder Geschicklichkeit aufzutragen, um damit meinen täglichen Unterhalt zu erwerben, denn seht, in manchen Stunden kömmt es mir sogar sündhaft vor, wenn ich es so beginnen wollte. Ich denke an meinen Erwerb niemals, wenn ich an die Kunst denke, ja ich kann mich selber hassen, wenn ich zuweilen darauf verfalle. Ihr seid so gut, Ihr seid so zärtlich gegen mich, aber noch weit mehr als Ihr mich liebt, liebe ich meine Hantierung. Nun ist es mir vergönnt, alle die Meister wirklich zu sehn, die ich bisher nur in der Ferne verehrt habe. Wenn ich dies erleben kann, und beständig neue Bilder sehn, und lernen, und die Meister hören; wenn ich durch ungekannte Gegenden mit frischem Herzen streifen kann, so mag ich keines ruhigen Lebens genießen. Tausend Stimmen rufen mir herzstärkend aus der Ferne zu, die ziehenden Vögel, die über meinem Haupte wegfliegen, scheinen mir Boten aus der Ferne, alle Wolken erinnern mich an meine Reise, jeder Gedanke, jeder Pulsschlag treibt mich vorwärts, wie könnt ich da wohl in meinen jungen Jahren ruhig hier sitzen und den Wachstum des Getreides abwarten, die Einzäunung des Gartens besorgen und Rüben pflanzen! Nein, laßt mir meinen Sinn, ich bitte Euch darum, und redet mir nicht weiter zu, denn Ihr quält mich nur damit.«

»Nun so magst du es haben«, sagte Brigitte in halbem Unwillen, »aber ich weiß, daß es dich noch einmal gereut, daß du dich wieder hieherwünschest, und dann ist's zu spät, daß du dann das hoch und teuer schätzest, was du jetzt schmähst und verachtest.«

»Ich habe Euch etwas zu fragen, liebe Mutter«, fuhr Franz fort. »Der Vater ist gestorben, ohne mir Rechenschaft davon zu geben; er sagte mir, ich sei sein Sohn nicht, und brach dann ab. Was wißt Ihr von meiner Herkunft?«

»Nichts weiter, lieber Franz«, sagte die Mutter, »und dein Vater hat mir darüber nie etwas anvertraut. Als ich ihn kennenlernte und heiratete, warst du schon bei ihm, und damals zwei Jahr alt; er sagte mir, daß du sein einziges Kind seist von seiner verstorbenen Frau. Ich verwundere mich, warum der Mann nun zu dir anders gesprochen hat.«

Franz blieb also über seine Herkunft in Ungewißheit; diese Gedanken beschäftigten ihn sehr, und er wurde in manchen Stunden darüber verdrüßlich und traurig. Das Erntefest war indes herangekommen, und alle Leute im Dorfe waren fröhlich; jedermann war nur darauf bedacht, sich zu vergnügen; die Kinder hüpften umher und konnten den Tag nicht erwarten. Franz hatte sich vorgenommen, diesen Tag in der Einsamkeit zuzubringen, sich nur mit seinen Gedanken zu beschäftigen und sich nicht um die Fröhlichkeit der übrigen Menschen zu bekümmern. Er war in der Woche, die er hier bei seinen Pflegeeltern zugebracht hatte, überhaupt ganz in sich versunken, nichts konnte ihm rechte Freude machen, denn er selbst war hier anders, und alles ereignete sich so ganz anders, als er es vorher vermutet hatte. Am Tage vor dem Erntefest erhielt er einen Brief von seinem Sebastian, denn es war vorher ausgemacht, daß dieser ihm schreiben solle, während er sich hier auf dem Dorfe befinde. Wie wenn nach langen Winternächten und trüben Wochen der erste Frühlingstag über die starre Erde geht, so erheiterte sich Franzens Gemüt, als er diesen Brief in der Hand hielt; es war, als wenn ihn plötzlich sein Freund Sebastian selber anrühre, und ihm in die Arme fliege; er hatte seinen Mut wieder, er fühlte sich nicht mehr so verlassen, er erbrach das Siegel.

Wie erstaunte und freute er sich zu gleicher Zeit, als er drinnen noch ein anderes Schreiben von seinem Albrecht Dürer fand, welches er nie erwartet hatte. Er war ungewiß, welchen Brief er zuerst lesen sollte; doch schlug er Sebastians Brief auseinander, welcher folgendermaßen lautete:

Liebster Franz.

Wir gedenken Deiner in allen unsern Gesprächen, und so kurze Zeit Du auch entfernt bist, so dünkt es mich doch schon recht lange. Ich kann mich immer noch nicht in dem Hause ohne Dich schicken und fügen, alles ist mir zu leer und doch zu enge, ich kann nicht sagen, ob sich das wieder ändern wird. Als ich von Dir an jenem schönen und traurigen Morgen durch die Kornfelder zurückging, als ich alle die Stellen wieder betrat wo ich mit Dir gegangen war, und der Stadt mich nun immer mehr näherte; o Franz! ich kann es Dir nicht sagen, was da mein Herz empfand. Es war mir alles im Leben taub und ohne Reiz, und ich hätte vorher niemals geglaubt, daß ich Dich so liebhaben könnte. Wie wollte ich jetzt mit den Stunden geizen, die ich sonst unbesehn und ungenossen verschwendete, wenn ich nur mit Dir wieder sein könnte! Alles was ich in die Hände nehme erinnert mich an Dich, und meine Palette, meine Pinsel, alles macht mich wehmütig. Als ich wieder in die Stadt hineinkam, als ich die gewohnten Treppen unsers Hauses hinaufstieg, und da wieder alles liegen und stehn sah, wie ich es am frühen Morgen verlassen hatte, konnt ich mich der Tränen nicht enthalten, ob ich gleich sonst nie so weich gewesen bin. Halte mich nicht für härter oder vernünftiger, lieber Franz, wie Du es nennen magst, denn ich bin es nicht, wenn sich auch bei mir mein Gefühl anders äußert als bei Dir. Ich war den ganzen Tag verdrüßlich, ich maulte mit jedermann; was ich tat war mir nicht recht, ich wünschte Staffelei, und das Porträt, das ich vor mir hatte, weit von mir weg, denn mir gelang kein Zug, und ich spürte auch nicht die mindeste Lust zum Malen. Meister Dürer war selbst an diesem Tage ernster als gewöhnlich, alles war im Hause still, und wir fühlten es, daß mit Deiner Abreise eine andre Epoche unsers Lebens anfing.

Dein Schmied hat uns besucht; er ist ein lieber Bursche, wir haben viel über ihn gelacht, uns aber auch recht an ihm erfreut. Unermüdet hat er uns einen ganzen Tag lang zugesehn, er wunderte sich darüber, daß das Malen so langsam von der Stelle gehe. Er setzte sich nachher selber nieder und zeichnete ein paar Verzierungen nach, die ihm ziemlich gut gerieten; es gereut ihn jetzt, daß er das Schmiedehandwerk erlernt, und sich nicht lieber so wie wir auf die Malerei gelegt hat. Meister Dürer meint, daß viel aus ihm werden könnte, wenn er noch anfinge; und er selber ist halb und halb dazu entschlossen. Er hat Nürnberg schon wieder verlassen; von Dir hat er viel gesprochen und Dich recht gelobt.

Daß Du Dich von Deinen Empfindungen so regieren und zernichten lässest, tut mir sehr weh, Deine Überspannungen rauben Dir Kräfte und Entschluß, und wenn ich es Dir sagen darf, Du suchst sie gewissermaßen. Doch mußt Du darüber nicht zornig werden, jeder Mensch ist einmal anders eingerichtet als der andere. Aber strebe darnach, etwas härter zu sein, und Du wirst ein viel ruhigeres Leben führen, wenigstens ein Leben, in welchem Du weit mehr arbeiten kannst, als in dem Strom dieser wechselnden Empfindungen, die Dich notwendig stören und von allem abhalten müssen.

Lebe recht wohl, und schreibe mir ja recht fleißig, damit wir uns einander nicht fremde werden, wie es sonst gar zu leicht geschieht. Teile mir alles mit was Du denkst und fühlst, und sei überzeugt, daß in mir beständig ein mitempfindendes Herz schlägt, das jeden Ton des Deinigen beantwortet.

Ach! wie lange wird es währen, bis wir uns wiedersehn! Wie traurig wird mir jedesmal die Stunde vorkommen, in welcher ich mit Lebhaftigkeit an Dich denke, und die schreckliche leere Nichtigkeit der Trennung so recht im Innersten fühle. Es ist um unser menschliches Leben eine dürftige Sache, so wenig Glanz und so viele Schatten, so viele Erdfarben, die durchaus keinen Firnis vertragen wollen. Lebe wohl. Gott sei mit Dir. –

Der Brief des wackern Albert Dürer lautete also:

Mein lieber Schüler und Freund!

Es hat Gott gefallen, daß wir nun nicht mehr nebeneinander leben sollen, ob mich gleich kein Zwischenraum gänzlich von Dir wird trennen können. So wie die Abwechselungen des Lebens gehen, so ist es nun unter uns dahin gekommen, daß wir nur aneinander denken, aneinander schreiben können. Ich habe Dir alle meine Liebe, alle meine herzlichsten Wünsche mit auf den Weg gegeben, und der allmächtige Gott leite jeden Deiner Schritte. Bleib ihm und der Redlichkeit treu, und Du wirst mit Freuden dieses Leben überstehn können, in welchem uns mancherlei Leiden suchen irrezumachen. Es freut mich, daß Du der Kunst so fleißig gedenkst, und zwar Vertrauen, aber kein übermütiges zu Dir selber hast. Das Zagen, das Dich oft überfällt, kömmt einem in der Jugend wohl, und ist viel eher ein gutes als ein schlimmes Zeichen. Es ist immer etwas Wunderbares darinnen, daß wir Maler nicht so recht unter die übrigen Menschen hineingehören, daß unser Treiben und unsre Geschäftigkeit die Welthändel und ihre Ereignisse so um gar nichts aus der Stelle rückt, wie es doch bei den übrigen Handwerken der Fall ist; das befällt uns sehr oft in der Einsamkeit oder unter kunstlosen Menschen, und dann möchte uns schier aller Mut verlassen. Ein einziges gutes Wort, das wir plötzlich hören, ist aber auch wieder imstande, alle schaffende und wirkende Kraft in uns zurückzuliefern, und Gottes Segen obendrein, so daß wir dann mit Großherzigkeit wieder an unsere Arbeit gehen mögen. Ach Lieber! die ganze menschliche Geschäftigkeit läuft im Grunde so auf gar nichts hinaus, daß wir nicht einmal sagen können: dieser Mensch ist unnütz, jener aber nützlich. Es ist die Erde zum Glück so eingerichtet, daß wir alle darauf Platz finden mögen, groß und klein, Vornehme und Geringe. Mir ist es in meinen jüngeren Jahren oft ebenso wie Dir ergangen, aber die guten Stunden kommen doch immer wieder. Wärst Du ohne Anlage und Talent, so würdest Du diese Leere in Deinem Herzen niemals empfinden.

Mein Weib läßt Dich grüßen. Bleib nur immer der Wahrheit treu, das ist die Hauptsache. Deine fromme Empfindung, so schön sie ist, kann Dich zu weit leiten, wenn Du Dich nicht von der Vernunft regieren lässest. Nicht eigentlich zu weit; denn man kann gewiß und wahrlich nicht zu fromm und andächtig sein, sondern ich meine nur, Du dürftest endlich etwas Falsches in Dein Herz aufnehmen, das Dich selber hinterginge, und so unvermerkt ein Mangel an wahrer Frömmigkeit entstehn. Doch sage ich dieses gar nicht, um Dich zu tadeln, sondern es geschieht nur, weil ich an manchen sonst guten Menschen dergleichen bemerkt habe, wenn sie an Gott und die Unsterblichkeit mit zu großer Rührung, und nicht mit froher Erhebung der Seele gedacht haben, mit weichherziger Zerknirschung und nicht mit erhabner Mutigkeit, so sind sie am Ende in einen Zustand von Weichlichkeit verfallen, in welchem sie die tröstende wahre Andacht verlassen hat, und sie sich und ihrem Kleinsinn überlassen blieben. Doch wie ich sage, es gilt nicht Dir, denn Du bist zu gut, zu herzlich, als daß Du je darin verfallen könntest, und weil Du große Gedanken hegst, und mit warmer brünstiger Seele die Bibel liesest und die heiligen Geschichten, so wirst Du auch gewißlich ein guter Maler werden, und ich werde noch einst stolz auf Dich sein.

Suche recht viel zu sehen, und betrachte alle Kunstsachen genau und wohl, dadurch wirst Du Dich endlich gewöhnen mit Sicherheit selbst zu arbeiten und zu erfinden, wenn Du an allen das Vortreffliche erkennst, und auch dasjenige, was einen Tadel zulassen dürfte. Dein Freund Sebastian ist ein ganz melancholischer Mensch geworden, seit Du von uns gereiset bist; ich denke, es soll sich wohl wieder geben, wenn erst einige Wochen verstrichen sind. Gehab Dich wohl, und denke unsrer fleißig. – –


Date: 2016-01-14; view: 427


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