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Entscheidung am Strand

War es mein Fehler? Wahrscheinlich. Ich wohne schon ein paar Jahre hier, ich muss das wissen. Man denkt, es ist so einfach: junge Leute, ein freies Wochenende, ein Ausflug, na klar ... und dann ... na ja, vielleicht war es wirklich mein Fehler.

Der Plan ist gut: Nüria und Quim wollen am Samstag an die Costa Brava fahren. Und dann weiter in ihr Dorf bei Olot. Ich fahre mit. Wir essen zusammen, gehen an den Strand und abends fahre ich mit dem Zug zurück nach Barcelona. Eigentlich ganz einfach.

Dann habe ich diese Idee. Können wir vielleicht meine Bekannten mitnehmen? Karin und Harald? Die sind neu hier, haben kein Auto und nicht viel Geld. Und wir haben noch Platz für zwei.

Warum nicht, sagt Quim, bring sie mit. Um zwölf Uhr, Ecke Diagonal mit Gräcia.

Im Grunde haben hier die Probleme schon begonnen. Ich rufe Karin und Harald an. Sie freuen sich, sie haben Zeit, sie wollen mitkommen, zusammen picknicken, zusammen am Strand wandern. Aber sie wundern sich: Zwölf Uhr finden sie sehr spät für einen Tagesausflug. Zwölf Uhr, warum nicht neun, warum nicht zehn? Ich zucke mit den Schultern.

Am Samstag wundern sie sich weiter. Wir warten oben an der Diagonal. Zwölf Uhr ist spät, aber Nüria und Quim sind um zwanzig nach zwölf immer noch nicht da. Harald schaut ständig auf die Uhr und schüttelt den Kopf. Lohnt sich das überhaupt noch? Nüria und Quim kommen um halb eins, man begrüßt sich freundlich.

Die Sonne scheint. Alles wird gut, denke ich noch.

Aber im Auto wundern sich Harald und Karin schon wieder. Quim will bis nach Cadaques fahren. Das sind fast zweihundert Kilometer. Harald rechnet. Das sind über zwei Stunden Fahrt. Das heißt, wir sind frühestens um drei Uhr dort. Um sechs Uhr wird es schon wieder dunkel.

Warum Cadaques? fragt er mich leise und auf Deutsch.

Cadaques ist sehr schön, sage ich kurz.

Aber es ist zu weit, flüstert Harald, wir wollen doch wandern und picknicken.

Am Himmel gibt es plötzlich Wolken.

Sag mal, frage ich Quim, ist Cadaques nicht ein bisschen weit? Es wird drei Uhr, bis wir dort sind.

Ja und? meint Quim, genau richtig zum Mittagessen. Nüria kennt dort ein gutes Fischlokal. Ich sehe Harald an. Ich weiß: Harald ist Vegetarier. Von der harten Sorte. Er hasst Fisch. Immer mehr Wolken.

Kurz vor Cadaques habe ich immer noch Hoffnung. Meine Vision: ein freundliches Restaurant direkt am Wasser. Mit Terrasse. Fisch für die einen, Salat und Brote für die anderen. Für alle Wein. Und vor allem Strand. Alles ist möglich: sich sonnen, Beachball spielen, spazieren gehen. Für jeden etwas. Ich sehe aus dem Fenster. Eine wunderbare Idee, nur ... der Himmel ist inzwischen bedeckt. Die Sonne ist weg.

Um Viertel nach drei kommen wir an. Wir stehen am Hafen von Cadaques. Rechts die Spanier, links die Deutschen, ich in der Mitte. Leichter Regen. Tropfen auf dem Meer, der Strand wird nass.



Für die Spanier ist alles ganz einfach. Es ist nach drei Uhr und es regnet. Und Nüria kennt ein gutes Lokal. Klare Sache. Nüria zeigt uns das Restaurant. Es sieht elegant aus, eher teuer. Keine Terrasse, keine Brote.

Ich schaue rüber zu den Deutschen. Auch für die Deutschen ist die Sache klar. Ausflug. Endlich. Los geht's. Fürs Picknick an der Tankstelle einkaufen und dann losmarschieren, Richtung Leuchtturm. Es regnet? Kein Problem!

Ich übersetze, ich suche immer noch eine Lösung für alle. Ich übersetze vorsichtig und nicht ganz korrekt. Für die Spanier sage ich Supermarkt statt Tankstelle und Spaziergang statt Wanderung. Für die Deutschen mache ich aus dem Menü ein paar kleine Tapas und setze den Preis ein bisschen nach unten.

Es hat keinen Sinn. Zuerst schauen mich die Spanier fragend an und dann die Deutschen. Zwei Welten.

Ein Spanier fährt nicht nach Cadaques, um dann ein Käsebrot im Regen zu essen. Eigentlich logisch. Ein Deutscher fährt nicht zwei Stunden lang ins Grüne, um dann in einem fensterlosen Restaurant zu warten, bis es dunkel wird. Auch logisch. Wo bleibt eigentlich die Globalisierung?, frage ich mich.

Man sieht mich immer noch fragend an. Ich schaue aufs Meer. Ich muss jetzt diplomatisch sein. Oder besser gesagt: pädagogisch. Ich war einmal Lehrer. Meine Idee: Gruppenarbeit. Gruppen nach Interesse. Mehr Spaß und Motivation durch Autonomie. Konfliktfrei und dynamisch: Je länger die einen in Ruhe essen, desto länger können die anderen im Regen herumlaufen.

Ich schlage also vor: Wer wandern will, soll wandern und wer ins Lokal gehen will, soll ins Lokal gehen. In zwei Stunden treffen wir uns hier wieder und fahren noch zusammen zum Leuchtturm. Ich sehe wieder nach links und rechts. Niemand protestiert.

Um halb sechs sind alle da und jeder scheint ganz zufrieden. Die Spanier hatten ein tolles Menü, die Deutschen einen abenteuerlichen Weg am Meer entlang. Jedem das Seine.

Oben beim Leuchtturm hat man einen herrlichen Blick über die Küste. Der Regen hat aufgehört. Die Bar ist geöffnet, wir bestellen Kaffee. Endlich etwas, was alle mögen. Danach fahren wir wieder los, Quim und Nüria bringen uns zum Bahnhof von Girona. Wir haben Glück, schon zehn Minuten später fährt ein Zug nach Barcelona.

Also ist alles noch einmal gut gegangen. Aber irgendwie ganz schön anstrengend. Ein freier Tag, ein Ausflug, junge Leute, irgendwie denkt man, das könnte leichter sein. Und lustiger.

Ach ja, wo ich eigentlich am Nachmittag gewesen bin?

Na ja, ich kenne Cadaques ja schon, und außerdem hatte ich keine Regenjacke dabei.

(Aus Leonhard Thoma, Die Blaumacherin, 2003)

 


[1] Diese Aufgabe ist nicht zu Hause, sondern im Seminar zu machen.

[2] Diese Aufgabe ist nicht zu Hause, sondern im Seminar zu machen. Drucken Sie sich bitte das Arbeitsblatt zur Aufgabe 2 aus.


Date: 2016-01-14; view: 1959


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