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Der Affront durch den Westen

Nach dem Ende des Kalten Krieges waren der sowjetischen Staatsführung ein Verbleiben der US-Streitkräfte in Europa und ein Fortbestand der NATO nur recht, weil sie in ihren Augen den Frieden mit einem wiedervereinigten Deutschland sicherten. Doch ein Wachsen der NATO wollten weder die Sowjets noch ihre russischen Nachfolger, und man ging davon aus, dass westliche Diplomaten das nachvollziehen konnten. Die Regierung Clinton sah das offenkundig anders und forcierte ab Mitte der 1990er Jahre die NATO-Osterweiterung.

In der ersten Erweiterungsrunde wurden 1999 die Tschechische Republik, Ungarn und Polen integriert. In der zweiten folgten 2004 Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien. Die Russen protestierten von Anfang an aufs Schärfste, waren damals jedoch zu schwach, um die NATO-Osterweiterung zu verhindern ‒ die ohnehin nicht sonderlich bedrohlich wirkte, da abgesehen von den winzigen baltischen Staaten keins der neuen Mitgliedsländer an Russland grenzte.

Dann wanderte der Blick der NATO weiter nach Osten. Auf dem Gipfel 2008 in Bukarest beriet sie über eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine. Die Regierung George W. Bush unterstützte das Vorhaben, Frankreich und Deutschland aber waren dagegen, weil sie fürchteten, Russland gegen sich aufzubringen. Am Ende einigten sich die NATO-Mitgliedsstaaten auf einen Kompromiss: Das Bündnis leitete keine formale Aufnahmeprozedur ein, sondern gab lediglich eine Erklärung ab, in der es die Bestrebungen Georgiens und der Ukraine begrüßte und rundheraus erklärte: „Diese Länder werden der NATO beitreten.“

Einer russischen Zeitung zufolge ließ Putin in einem Gespräch mit Bush durchblicken, „dass die Ukraine, sollte sie in die NATO aufgenommen werden, aufhören werde zu bestehen“.

Für Moskau war dieses Ergebnis alles andere als ein Kompromiss. Putin ließ wissen, die Aufnahme dieser beiden Länder in die NATO stelle für Russland eine „unmittelbare Bedrohung“ dar. Einer russischen Zeitung zufolge ließ Putin in einem Gespräch mit Bush durchblicken, „dass die Ukraine, sollte sie in die NATO aufgenommen werden, aufhören werde zu bestehen“.

Die russische Invasion Georgiens im August 2008 hätte jeden Zweifel an Putins Entschlossenheit, Georgien und die Ukraine am NATO-Beitritt zu hindern, ausräumen müssen. Doch ungeachtet dieser unmissverständlichen Warnung ließ die NATO nie offiziell von ihrem Ziel ab, Georgien und die Ukraine in das Bündnis aufzunehmen. Und im Jahr 2009 schritt die NATO-Osterweiterung mit der Aufnahme Albaniens und Kroatiens fort.

Auch die EU marschiert gen Osten. Im Mai 2008 beschloss sie ihre Initiative „Östliche Partnerschaft“, die in Ländern wie der Ukraine den Wohlstand fördern und sie in den EU-Wirtschaftsraum integrieren sollte. Wenig überraschend sieht die russische Staatsführung in dem Plan eine Bedrohung ihrer nationalen Interessen. Im vergangenen Februar, ehe Janukowitsch aus dem Amt gedrängt wurde, warf der russische Außenminister Sergej Lawrow der EU vor, sie versuche, eine „Einflusssphäre“ in Osteuropa zu schaffen.



Ein weiteres Instrument des Westens zur Ablösung Kiews von Moskau ist schließlich das Lancieren westlicher Werte und die Förderung der Demokratie in der Ukraine und anderen postsowjetischen Staaten, häufig über die Finanzierung pro-westlicher Personen und Organisationen. Angesichts der Anstrengungen des Westens, gesellschaftliche Strukturen in der Ukraine zu beeinflussen, befürchtet die russische Staatsführung, ihr Land könnte als Nächstes dran sein. Und solche Befürchtungen sind durchaus nicht unbegründet. So schrieb der Präsident der US-Stiftung National Endowment for Democracy Carl Gershman im September 2013 in der Washington Post: „Die Annäherung der Ukraine an Europa wird den Niedergang der von Putin repräsentierten Ideologie des russischen Imperialismus beschleunigen.“ Und er fügte hinzu: „Auch die Russen stehen vor einer Entscheidung, und Putin findet sich womöglich auf der Verliererstraße wieder, nicht nur im nahen Ausland, sondern auch in Russland selbst.“

 


Date: 2016-01-14; view: 577


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