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Bastian macht schon wieder einen Krankenbesuch

Kapitel 2

Micky

Seit er an der Münchner PH studierte, bewohnte Bastian eine Mansardenwohnung in einem Altbau nahe den Isarauen. Er war das Lieblingsthema der weiblichen Mieter im Treppenhaus. Sie hatten so ziemlich alles an ihm zu besprechen — sein Privatleben, seine Gewohn­heiten, die Fenster putzte er auch nie und verlor ständig etwas, wenn er seine überfüllten Mülltüten auf den Hof hinuntertrug. Außerdem hatte er lange Haare. Insgesamt waren sie der Meinung: "Wenn das mein Sohn war' — ! Dem würd' ich vielleicht — !!" — und mochten ihn trotz­dem ganz gern.

Bastians Wohnung umfasste zwei Zimmer, eine Rumpelkammer, Bad und Küche. Das große Zimmer nach vorn heraus hatte er an einen Ingenieur aus Erding vermietet, der dort übernachtete, wenn er zu betrunken war, um heimzufahren, oder wenn er eine Freundin hatte.

Im anderen — Bastians Zimmer — waren noch die Vorhänge zugezogen, als er gegen Mittag heimkam. In sei­nem Bett lag Micky herum.

Das war ein echter Schlag für einen frisch verzau­berten Menschen. Er hatte Micky ganz vergessen.

Auf dem Sofa, auf seinem Arbeitstisch, den Stühlen und am Fußboden lagen ihre Ketten, Höschen, Blüschen, Jeans — soviel Plunder auf seinem Besitztum — und der ärgste Plunder war Micky selbst in seinem Bett, aus dem sie sich jetzt stöhnend schälte. "Was 'n los?"

Bastian zerrte so wütend die Gardine auf, dass sie aus ihren Ringen sprang. Micky sah ihm zu und fand das komisch — seine Wut und die kaputte Gardine.

Sie war ganz junger, wuscheliger Sex, mit Schmink­resten um die Augen und einem Busen, der selbst beim Aufwachen nicht verschlafen wirkte. Er war ihr Kapital, von dem sie gelegentlich lebte, indem sie ihn für Wä­schefotos und Reklame herlieh.

"Da liegst du 'rum", schrie er voll sittlicher Empörung.

"Da liegt alles von dir 'rum! Du breitest dich aus wie der Rost auf meiner Else!"

„Welcher Else?"

"Meinem Auto, wem denn sonst! Stehst du nicht auf? Weißtdu überhaupt, wie spät es ist? Andere Frauen —] zum Beispiel in Krankenhäusern — haben jetzt schon einRiesenpensum hinter sich. Echte Pflichten!"

"Schön blöde", sagte Micky.

Bastian stand blutrauschend vor dem Bett. "Micky, ich rate dir, such dir 'ne andere Bleibe. Sonst gibt's ein! Unglück!"

'Was für 'n Unglück?"

Bastian fiel so schnell kein passendes ein.

"Hab' ich's mir doch gedacht! Du weißt keins."

Er fiel erschöpft in seinen einzigen Sessel, stand noch mal auf, um Mickys Handtaschen daraus zu entfernen, und sah sie an. 'Wie lange willst du eigentlich noch hier bleiben?"

Micky breitete ungewiss die Arme aus, sie wusste es: auch nicht.

Vor drei Wochen hatten Freunde von Bastian sie mit hierher gebracht. Die Freunde — Lisa und Paul — waren nur auf ein Bier gekommen. Waren nach dem Bier wieder gegangen und hatten Micky zurückgelassen, die stark fieberte und in München keine feste Adresse besaß.



Seit zwei Wochen und drei Tagen hatte Micky kein Fieber mehr, war aber immer noch da.

"Warum, Micky?" fragte Bastian gezielt in ihre Richtung. Sie streckte erst mal ein Bein in die Luft, ein langes, gerades, braunes Bein mit einem Kettchen am Fußgelenk. Und ungewaschener Fußsohle. Micky gefiel das Bein sehr gut.

"Weil ich keine Bleibe habe", sagte sie, "und weil du nicht der Mensch bist, der den Mut hat, einen anderen 'rauszuschmeißen."

Womit sie die Sachlage klar erfasst hatte.

"Wenn du schon hier bist, könntest du wenigstens mal abwaschen. Seit drei Wochen hast du nicht einmal."

"Du ja auch nicht", sagte Micky und rollte sich zur Wand.

"Ich hab' dich nicht freiwillig aufgenommen. Dafür hab' ich Zeugen."

"ja", sagte Micky, "Paul und Lisa. Aber das ist doch

bekannt."

Sie wandte mühsam den Kopf nach ihm um — ein Traum von einem Mädchen. Eine knisternde Katze, bei deren Anblick Männer heiße Ohren kriegen und blumige Vorstellungen. Ein Mädchen, das alle Vorzüge für eine sinnliche Nacht mitbrachte, bloß keine Lust dazu. Ein absoluter Bluff.

Bastian stand wütend aus dem Sessel auf und sagte: "Ach, Mensch! Mensch, Micky — ", und ging und wusste noch nicht, wohin.

 

Êapitel 3

Bastian macht schon wieder einen Krankenbesuch

Am nächsten Tag stand Bastian auf dem Viktualienmarkt vor demselben Blumenstand und kaufte sieben langstielige Rosen. Er bekam sie billiger, weil sie nicht mehr ganz frisch waren.

Mit denen besuchte er seine Großmutter am Nachmittag zur offiziellen Besuchszeit.

Martha Guthmann saß aufrecht in ihrem Bett und hielt sich verbittert die Ohren zu, und das mit Grund. Denn um der tauben Frau Kynast Bett lagerte ihre Fami­lie — Mann, Tochter, Schwiegersohn und Enkelkind.

Die Tochter schrie gerade: "Frau Huber lässt dich grüßen!"

Frau Kynast sagte: "Wie?"

"Frau Huuuber!"

Darauf Frau Kynast ungeduldig: "Ja, Frau Huber, ich hab' verstanden. Was ist mit der?"

"Sie lässt dich grüßen!!!"

'Wie?" "Grüßen!"

"Von wem?"

Großmutter nahm die Finger aus den Ohren und klagte: "Kannst du mir mal sagen, warum die Schwer­hörige immer den meisten Besuch hat?"

Bastian wusste es auch nicht.

Erst jetzt begriff sie bewusst seine Anwesenheit, sah die Rosen, die er auf ihre Bettdecke gelegt hatte, und war sehr erschrocken."Ja Bub! Was ist los? Du warst doch erst gestern da und heut' schon wieder. Steht's denn so schlecht um mich?"

"Um dich? I wo! Ich dachte nur, es würde dich freuen..."

"Freilich", sagte sie, "aber wer besucht schon so oft eine alte Frau im Spital? Und ausgerechnet du, der sich vor Krankenhäusern fürchtet!"

"Ach", sagte Bastian, "das kommt auch aufs Kran­kenhaus an. Hier gefällt's mir ganz gut."

Nun freute sie sich über die schönen, schönen Rosen. Dieselbe Sorte gab's auch im Englischen Garten.

"Das sollst du doch nicht, Bub!"

"Ich hab' sie gekauft", beteuerte er.

"Natürlich", sagte sie, "das mein' ich ja."

"Soll ich dir eine Vase holen, Martha? Ich hol' dir eine, Moment — ."Er eilte aus dem Zimmer auf der Suche; nach einer Vase, vor allem aber nach Dr. Freude.

Großmutter rief vergebens "Bastian! Bastian!" hinter ihm her. 'Wo läufst du hin? Hier ist doch eine!"

In der Stationsküche fand er Schwester Theresa. Zur offiziellen Besuchszeit war sie bedeutend gnädiger zu ihm. Sie schloss sogar eine Kammer auf und suchte dort eine große, kristallene Vase für ihn heraus.

Bastian fragte so nebenbei nach Dr. Freude. Ob die vielleicht im Hause wäre?

"Sie hat heut' Nachtdienst", sagte Theresa. "Hat sich aber noch nicht bei mir sehen lassen. Wenn Sie den Doktor Vogel sprechen möchten..."

Bastian dankte für den Dr. Vogel und zog mit seiner Vase ab. Er durchquerte mehrmals die Flure, auf denen sich Patienten von ihren Besuchern verabschiedeten. Am Krankenbett verschüchterte Kinder drängten erleichtert dem Lift zu.

Die Dr. Freude sah er nirgends. Dafür fiel ihm eine junge Frau auf, weil sie so sehr allein an einem Fenster stand. Ihr Haar war strähnig, das Gesicht, das sie ihm einmal zuwandte, als er vorüberging, wirkte gedunsen. Er kannte es, aber er wusste nicht, woher.

Sie stutzte auch und wusste nicht, ob sie ihn grüßen sollte, und als er vorüber war, fragte sie zögernd "Bastian? Bastian Guthmann?" hinter ihm her.

Er blieb stehen.

"Erinnerst du dich nicht mehr? Ich bin Susi Schulz. Wir waren voriges Jahr auf der Party bei Freddy Küchel zusammen."

"Ach ja, natürlich, Susi. Hab' dich gar nicht erkannt."

Bastian kam zurück, nicht eben überwältigt vor Freude.

"Grüß dich, Susi. Was machst du denn hier?"

"Siehst du doch. Ich bekomme ein Baby."

"Aha."

Sie standen voreinander und wussten nicht recht...

"Ja, dann will ich nicht weiter stören. Alles Gute, toi, toi, toi!" Er winkte noch einmal zurück und erschrak.

Susi stand schwerfällig da, ihre Hände verkrampften sich über dem Bauch, sie stöhnte leise.

"Gottes willen, geht's los?"

Susi Schulz versuchte ein quittegelbes wehes Lächeln.

"Soll ich die Ärztin holen?" fragte er eilfertig. "Ich hol' die Freude, ja?"

Susi wehrte ab.

"Es ist ja erst alle drei Minuten." Farbe kehrte langsam in ihr Gesicht zurück, das Lächeln wirkte gelöster, wenn auch nicht besonders froh.

Sie erinnerte ihn jetzt entfernt an ein zierliches, hell­blaues, wehendes Geschöpf auf einer Vorortstraße. Mitten auf der Straße. Barfuß auf dem Asphalt, in jeder Hand eine Sandalette.

Susi voller Lachen, voller Schwips, voller Sommer im Morgengrauen nach der Party bei Freddy Kuchel. Sie waren ruhestörend albern gewesen, rannten um die Wette und machten Klingelzüge. Vor ihrer Haustür hatte Susi die Arme um seinen Hals gelegt und ihn geküsst. Bastian spürte dabei die Hacken ihrer baumelnden Schuhe i seinem Kreuz. Er mochte Susi. Verliebt war er nicht, aber hatte versprochen, sie anzurufen.

Das war jetzt ein Jahr her.

"Du hast damals nicht angerufen."

"Habe ich nicht? Muss mir wohl was dazwischengekommen sein."

"Ja, schade", sagte Susi. "Vielleicht wäre sonst alle; ganz anders gekommen."

Sie krümmte sich in einer neuen Wehe und tat Bastian so Leid. Dass man dagegen noch nichts erfunden hatte — !

Die Flure waren nun leer. Eine Schwester räumte die Blumenvasen vor die Türen und erinnerte ihn daran dass die Besuchszeit vorüber war.

"Willst du dich nicht lieber hinlegen?"

"Ich soll ja laufen — "

"Und dein Mann? Gibt's hier kein Vaterzimmer, wo er warten kann?"

"Ich hab' keinen Mann", sagte Susi, als die Wehe abgeklungen war. "Ich hab' ihn im Urlaub kennen gelernt — vorigen Herbst. In Spanien. Da war's die große Liebe Er ist Referendar in Köln, wießt du, und als wir und später wiedertrafen, haben wir nur noch gestritten. Furchtbar war das. Habe ich eben Schluss gemacht. Lieber keinen Vater für das Baby, als einen, mit dem ich mich nicht versteh'. Verstehst du?"

Bastian verstand.

"Aber manchmal ist es verflixt schwer so allein. Mit meiner Mutter versteh' ich mich auch nicht. Sie weiß noch gar nichts von dem Baby..." Susi brach ab, weil Bastian nicht mehr zuhörte, sondern einen jähen Ausbruchsversuch Richtung Lift machte. Denn dort stand sie, die Freude, aber nur sekundenlang, dann hatte der Lift sie verschluckt.

"Das war die Ärztin", sagte Susi.

"Ja, das war sie."

Die Schwester kam wieder vorbei und schimpfte, weil Bastian noch immer da war.

Er strich Susi über die verschwitzte Wange. "Macht’s t, Mädchen. Halt die Ohren steif."

"Werd's schon."

"Und wenn's da ist, ruf mich an." Er gab ihr seine Nummer.

"Du bist sehr lieb, Bastian", sagte Susi. "Du mit deiner Vase."

Erst jetzt erinnerte er sich an die Kristallpracht, die och immer unter seinem Arm klemmte — und an seine Großmutter, die noch immer auf die Vase und seine Rückkehr warten mochte.

Er hatte sich gestern nicht von ihr verabschiedet, er musste es wenigstens heute tun.

Auf dem Weg zu Zimmer 338 begegnete er Schwester Theresa. "Sie sind ja noch hier!"

Bastian zuckte bedauernd die Achseln. "Ja, ich ver­steh' das auch nicht. Ich — ich such' den Lift."

"Den Lift!" staunte sie. "Den Lift sucht er und steht davor!"

In diesem Augenblick öffneten sich seine Türen. Zwei Ärzte kamen heraus — eine davon war die Freude.

Bastian strahlte. "Hab' ich ein Schwein!"

"Ach Sie schon wieder — ." Während ihr Kollege wei­terging, musste sie stehen bleiben, das lag an Bastian, der ihr im Wege stand — nun schon zum dritten Mal in zwei Tagen.

"Ich hab' mir so gewünscht, Sie wiederzusehen", sagte er und wurde daraufhin prüfend von ihr betrachtet. Wenn ihr schon einer so intensiv in die Quere kam, wollte sie wenigstens wissen, wie er aussah.

Er hatte fröhliche Augen. Das war vor allem. Blonde, frisch gewaschene Haare, die ihm immerzu in die Stirn fielen. Er war lang und eckig, trug Jeans und ein ka­riertes Hemd und eine Jeansjacke, deren Kragen beim Anziehen zur Hälfte nach innen geraten war. Ein ebenso sympathischer wie harmlos wirkender junger Mann- mit einer Kristallvase unterm Arm, wieso mit einer Vase?

"Sie sind verrückt", sagte sie und ging ihrem Kollegen nach, der auf sie wartete.

„Bis morgen, Doktor!“ rief Bastian. „Ich komm‘ jetzt täglich“.

„Wer war denn das?“ fragte der Kollege, als die Freude ihn eingeholt hatte.

„Der Enkel einer Patientin“. Der dreizehnte Enkel von Frau Guthmann“.

„Und kommt täglich zu seiner Großmutter? Staunte der Kollege.

„Ja. Rührend, nicht wahr?“

In diesem Augenblick krachte und klirrte es hinter ihnen. Das war die Vase Bastian zog sich hastig die Jacke aus, fegte die Scherben in sie hinein und floh per Lift.

 

 

Aufgaben zum 2. und zum 3. Kapitel:

I. Lesen und übersetzen von „Seit es am …“ bis „…und Reklame herlieh“.

II. Stellen Sie bitte die Fragen zu den Kapiteln.

III. Wortschatz:

  • betrunken sein
  • die Rumpelkammer
  • der Plunder
  • sich aus etw. schälen
  • voll Empörung schreien
  • ein Riesenpensum hinter sich haben
  • eine Bleibe suchen
  • einfallen
  • sich fürchten vor + Dat.
  • fiebern
  • das Fußgelenk
  • die ungewaschene Fußsohle, -n
  • rausschmeißen
  • sich die Ohren zuhalten
  • ausgerechnet
  • beteuern
  • j-n grüßen lassen
  • vor Freude überwältigt sein
  • barfuß
  • um die Wette rannen
  • Schwein haben
  • fegen
  • einholen

IV. Erzählen Sie das 2. Kapitel nach!

 

V. Lesen Sie die Beschreibung des Äußeren von Bastian aufmerksam. Vergleichen Sie diese Beschreibung mit Ihrer Vorstellung von Bastian. Was ist ähnlich?

 

VI. Fragen:

1) Wie beurteilen Sie die Situation, in der sich Susanne befindet?

2) Was hätten Sie an Ihrer Stelle gemacht und welche Tipps könnten Sie ihr geben?

 

VII. Schreiben Sie einen inneren Monolog: Was könnte Susanne nach ihrer Begegnung mit Bastian denken und fühlen?

 

VIII. Im Kapitel 3 wird angedeutet, wie Bastian und Susi einander kennen gelernt haben. Lassen Sie Bastian darüber ausführlich erzählen (Lassen Sie dabei Ihre Phantasie spielen)

 


Date: 2016-01-14; view: 2053


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