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Renaissance und Reformation

Im 14. Jahrhundert entstand in Italien die Re­naissancebewegung, die sich im 15. und 16. Jahrhundert in andere, weiter nördlich gelegene Regionen Europas ausbreitete. Damit begann eine Epoche, die durch neue Ideen und Glau­benskonflikte, Entdeckungen und Erfindungen, aber auch durch eine Rückbesinnung auf antike Zivilisationen gekennzeichnet war. Unterstützt vom Aufschwung, den die Erfindung der Druc­kerpresse ausgelöst hatte, entstanden zahlreiche Übersetzungen, die den Durst nach Wissen aus fernen Ländern und vergangenen Zeiten stillen sollten. Dieses Wissen war nicht mehr nur den Gelehrten vorbehalten, auch Diplomaten, Höf­linge und Kaufleute verlangten danach. Ein neues goldenes Zeitalter der Übersetzung hatte begonnen. Jene Epoche war von zwei wichtigen Strömungen geprägt: Einerseits durch den Hu­manismus mit seinem neuerwachten Interesse an den Sprachen und der Literatur der Klassik, andererseits durch die Reformationsbewegung, die ebenfalls eine Rückbesinnung auf die Ur­sprünge anstrebte, in diesem Fall jedoch auf die Bibel und die Sprachen ihrer ursprünglichen Fassung, das Griechische und Hebräische.

Verschiedentlich ist gesagt worden, die Übersetzungsproblematik sei der Auslöser für die Reformationsbewegung gewesen. Die ka­tholische Kirche hatte die Übersetzung sakraler Texte stets abgelehnt und die Ansicht vertreten, die Sprache des christlichen Glaubens sei aus­schließlich das Lateinische – obgleich die Vul­gata selbst eine Übersetzung ist. Die Übersetzung der Bibel war also ein gefährliches Unterfangen.

Martin Luther

Martin Luther (1483-1546) gilt als Begrün­der der Reformation. Nach seinem Rechtsstudi­um trat er in ein Augustinerkloster in Erfurt ein. Er wurde 1507 zum Priester geweiht und pro­movierte 1511 zum Doktor der Theologie. Lu­ther widmete sich zeit seines Lebens dem Stu­dium der Bibel. Er lehnte sich gegen zahlreiche Praktiken der Kirche auf und kritisierte insbe­sondere die Ablassdoktrin. Schließlich wurde er exkommuniziert und aus dem Reich verbannt, worauf er sich auf die Wartburg zurückzog, wo er seine Übersetzung des Neuen Testaments in Angriff nahm.

Zusammen mit einer Gruppe Gelehr­ter arbeitete Luther von 1521 bis 1534 an seiner Übersetzung. Luthers deutsche Übersetzung des Neuen Testa­ments wurde 1522 veröffentlicht, die vollstän­dige Bibel erschien 1534 in Wittenberg. Die Lutherbibel war die erste direkte Übersetzung der Heiligen Schrift aus den Originalsprachen Griechisch und Hebräisch in eine moderne Sprache.

Martin Luther entschied sich sogar bei der Heiligen Schrift für die freiere Formulierung: „rem tens, verba sequentur" (erfasse die Sache, dann folgen die Worte von selbst). Für ihn war es wichtig, dass der Übersetzer eine innere Nähe zum Gegenstand der Aussage hat und ein sensibles Sprachgefühl für den Rhythmus und die Melodie des Text­ganzen, damit die Übersetzung auch die rechte Wirkung erzielen kann. Bei sei­ner zehnjährigen Arbeit an der Psalmenübersetzung wünschte er sich z. B. eine hebräische Stilkunde.



In seinem „Sendbrief vom Dolmet­schen" verteidigt er sein Vorgehen mit vielen Beispielen gegen Kritiker, die ihm eine zu freie Übersetzung vorwarfen. In „Sendbrief vom Dolmetschen" aus dem Jahre 1530 umreißt M. Luther sein Übersetzungsprinzip mit folgenden berühmt gewordenen Sätzen:

"Man mus die mutter jhm hause/ die kinder auff der gassen/ den gemeinen mann auff dem marckt drumb fragen/ und den selbigen auff das maul sehen / wie sie reden/ und darnach dolmetzschen/ so verstehen sie es den/ und mercken/ das man Deutsch mit jn redet.

["Man muss nicht die Buchstaben in der lateini­schen Sprache fragen, wie man soll Deutsch reden, ... sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder in der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen."]

Von Luther stammt die Bezeichnung "Verdeutschen".

Wie ein roter Fader zieht sich die Auseinandersetzung über die Me­thode der übersetzerischen Tätigkeit durch die Geschichte der Übersetzungs­theorie. Im deutschen Sprachraum hat sie sich in den beiden einander entge­genstehenden Grundforderungen nach "wörtlicher, getreuer, verfremdender Übersetzung" einerseits und nach „freier, eindeutschender Übersetzung" ande­rerseits verdichtet. Schon Hieronymus beschrieb das Dilemma:

"Es ist schwierig, nicht irgendetwas einzubüßen, wenn man einem fremden Text Zeile für Zeile folgt, und es ist schwer zu erreichen, dass ein gelungener Ausdruck in einer anderen Sprache dieselbe Angemessenheit in der Übersetzung beibehält. Da ist etwas durch die besondere Bedeutung eines einzigen Wortes bezeichnet: in meiner Sprache habe ich aber keines, womit ich es aus­drücken könnte, und, während ich den Sinn zu treffen suche, muss ich einen langen Umweg machen."

Die Bedeutung von Luthers Werk für die Religion ist unbestritten. Bald nach seinem Tod wurde jedoch auch sein außerordentlicher Einfluss auf Sprache und Übersetzung offensichtlich. Die ersten deutschen Grammatiken aus dem 16. Jahrhundert basierten direkt auf Luthers Bibelübersetzung. Der normative Einfluss seines Sprachgebrauchs lässt sich bis zum Erscheinen von Grimms Wörterbuch im 19. Jahrhundert nachweisen, wel­ches als wichtigste Quelle Luthers Übersetzung nennt.

Mit seiner Bibelübersetzung leistete Luther einen wesentlichen Beitrag zur Bereicherung, Standardisierung und stilistischen Vielfalt der deutschen Sprache. Klarheit, allgemeine Ver­ständlichkeit, Einfachheit und Lebendigkeit sind die wichtigsten stilistischen Eigenschaften seiner Bibelübersetzung, die noch heute als Beispiel für guten Sprachgebrauch gilt. Sein Werk diente als Vorbild für Übersetzungen der Bibel in weitere Sprachen.

 


Vorlesung 6


Date: 2016-01-05; view: 994


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