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Fischers Fritze, Lehrers Ludwig und Gärtners Gustav

Am Samstag war schönes Wetter und wir frühstückten auf der Terrasse. Gerd war wieder zu Besuch. Es gab Toast, viel Marmelade und Kakao.

Es gab kein ,bacon and eggs' mehr. Aus unserem Pro­gramm, es John heimisch zu machen, war ein wenig die Luft raus. Wir begannen wieder ein ganz normales Leben zu führen.

Plötzlich waren da der bekloppte Kurt und sein englischer Angeber-Dennis. Sie fuhren mit ihren Rädern an unserem Zaun vorbei. Hin und her fuhren sie und wir mussten ihnen ständig zusehen. Mir blieb vor Ärger das Frühstück im Hals stecken.

„Ist das nicht dieser Karl aus deiner Klasse?", fragte mein Vater.

„Der blöde Kurt", sagte ich.

„Und wen hat er da bei sich? Den hab ich noch nie gese­hen", fragte mein Vater.

„Seinen Sprachenschüler", sagte ich. „Den Dennis." „Aha. Den Dennis", sagte Gerd.

Ja, den Dennis", sagte ich und erklärte Gerd, dass der Den­nis eigentlich mir gehörte.

Wir sahen, wie der Dennis plötzlich mit einem Ruck sein Vorderrad hochzog. Jetzt fuhr er nur noch auf dem Hinter­rad. Das Vorderrad drehte sich in der Luft. Mein Vater und ich staunten nicht schlecht.

„Der Dennis!", sagte mein Vater anerkennend und sah John von der Seite her an. „Was der alles kann!" „Sieh mal an", sagte Gerd.

Plötzlich rief Dennis, während er auf dem Hinterrad seine Runden drehte, lauthals:

„Fischers Fritze fischt frische Fische!" und: „Frische Fische fischt Fischers Fritze!"

Mein Vater verzog sein Gesicht zu einer anerkennenden Schnute43 und nickte bedächtig. Dabei sah er mich und John und Gerd an.

„Was dieser Dennis alles kann", wiederholte er. „Wirklich enorm."

.„Fischers Fritze' vor- und rückwärts", staunte Gerd. Meine Mutter war über den blöden Kurt und den Dennis empört.

„Das ist ja wohl nicht der Sinn des Schüleraustauschs, dass man aus seinem Gastschüler einen Zirkusartisten macht und damit angibt!", schimpfte sie. „Schließlich geht es darum, das Land, die Leute und die Sprache kennen zu lernen. Wozu muss ein Gastschüler auf dem Hinterrad Fahrrad fah­ren können?"

„Ganz recht!", pflichtete mein Vater bei. „Aber nur zu schweigen ist auch nicht besonders sinnvoll." Gerd wandte sich John zu und sagte: „Sag doch mal: Fischers Fritze fischt frische Fische!"

„Lass den John in Frieden", sagte meine Mutter. „Der muss das nicht können!"

Als wir unser Frühstück beendet hatten, waren der blöde Kurt und sein Dennis wieder verschwunden. Wir räumten den Tisch ab und ich half meiner Mutter in der Küche mit dem Abwasch. Als ich wieder auf die Terrasse kam, sah ich, dass Vater und Gerd mein Fahrrad aus der Garage geholt hatten. Mein Vater gab John zu verstehen, dass er sich draufsetzen solle.

„Und du, hilf uns mal!", rief er mir zu. John setzte sich aufs Rad und Gerd, mein Vater und ich ver­suchten gemeinsam, dem John das Fahrradfahren nur auf dem Hinterrad beizubringen. Während mein Vater und Gerd vorne an der Vorderradgabel zupackten, stützte ich John von der Seite. Dann rief mein Vater laut: „Achtung!" und hob zusammen mit Gerd das Vorderrad in die Höhe.



John ließ ein leises „Uhaa" hören und machte ein ängstli­ches Gesicht. Gemeinsam rannten wir durch den Garten. Vorne hielten Vater und Gerd das Vorderrad in die Luft und ich versuchte John seitlich zu halten, dass er nicht umfiel. Das Gute an einem Sprachenschüler, der nicht spricht, ist, dass er sich auch nicht beschwert. Vater rief John zu: „Fischers Fritze fischt frische Fische! Versuch es!"

„Fischers Fritze fischt frische Fische!", rief ich. „Los!" „Fischers Fritze fischt frische Fische!", brüllte Gerd. „Fischers Fritze fischt frische Fische!", rief ich wieder. „Sag es!"

„Uhhaa!", machte John. Dann hörte er plötzlich auf zu tre­ten. Er hielt sich nicht einmal mehr richtig am Lenker fest. Und die Angst, die man ihm anfangs noch ansehen konnte, war verschwunden. Jetzt sah ich ein albernes Grinsen auf seinem Gesicht. Dann plötzlich wieder ein Schrei: „Ahh!" Mit einem Riesensatz sprang er vom Fahrrad, sodass mein Vater, Gerd und ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätten. Staunend sahen wir John hinterher, wie er ins Haus rannte. Wir hörten seine Zimmertür und wieder diesen Schrei: „Ahh!"

Und dann: „Fischers Fritze fischt frische Fische!" Es hörte sich sehr gut an. Beinahe wie bei einem Deut­schen. Gar nicht wie ein Engländer. „Frische Fische fischt Fischers Fritze!" Gerd riss die Arme hoch.

„Wir haben es geschafft", rief er voller Freude, so als wäre es die Revanche44 für das verloren gegangene Fußballspiel. „Er spricht!"

In Siegerlaune schlugen mein Vater und Gerd ihre Hand­flächen gegeneinander.

Dann kam John wieder in den Garten. In den Händen hatte er eine Flüstertüte, die er sich aus Karton und Tesafilm ge­bastelt hatte. Einen großen Trichter, den man an den Mund hält, um die Stimme zu verstärken. Und in eine bestimmte Richtung konnte man damit auch besser sprechen.

John hielt sich die Tüte an den Mund.

„Fischers Fritze fischt frische Fische! Frische Fische fischt Fischers Fritze!", tönte es in unserem Garten.

Meine Mutter kam auf die Terrasse. Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und strahlte übers ganze Gesicht. Ihre begeisterten Blicke wechselten zwischen John, meinem Vater, Gerd und mir.

„Er spricht!", rief sie.

Aller Ärger schien vergessen.

„Ja!", riefen wir zurück. „Er spricht!"

„Fischers Fritze fischt frische Fische!", rief John.

Dann legte er den Kartontrichter beiseite und machte einen Handstand. Und zu unserer großen Überraschung begann er auf seinen Händen zu laufen. Für so sportlich hatten wir

John gar nicht gehalten.

„Fischers Fritze fischt frische Fische!", rief er kopfüber. „Frische Fische fischt Fischers Fritze!" „Siehst du!", sagte meine Mutter zu mir. „Ich hab's dir ja ge­sagt! Man braucht nur Geduld mit ihm." Ja!", sagte ich und grinste. „Wir haben es geschafft! Der blöde Kurt wird Augen machen!"

Schließlich kam John wieder auf die Beine .Wir sahen, dass er einen ganz roten Kopf bekommen hatte. Er schnappte sich wieder seine Flüstertüte und rannte auf unsere Kiefer zu. Die Kiefer war der größte Baum in unserem Garten. Sie hatte dicke Äste, auf denen man gut nach oben klettern konnte. John konnte nicht nur auf den Händen laufen, er war auch ein ausgezeichneter Kletterer. Plötzlich entfaltete er all seine Fähigkeiten, die er uns so lange vorenthalten hatte.

In der linken Hand die Flüstertüte, kletterte er auf den Baum, wobei er sich immer nur mit der rechten Hand fest­hielt. Im Nu war er beinahe in der Baumkrone. Meine Mutter bekam einen Riesenschrecken. Erst hielt sie sich die Hände vors Gesicht. Dann rief sie: „Komm da wieder

runter, John!"

Dann wandte sie sich an meinen Vater und sagte eindring­lich: „Tu doch was!" „Komm runter, John!", rief mein Vater. „Lasst ihn doch", sagte Gerd. „Der John, der macht das schon richtig."

Wir legten unsere Köpfe in den Nacken und starrten nach

oben. Wir sahen, wie es sich John dort oben bequem mach­te. Er setzte sich auf zwei Äste und lehnte sich gegen den Stamm. Richtig gemütlich sah das aus. Dann setzte er die Flüstertüte an die Lippen und rief ganz laut: „Fischers Fritze fischt frische Fische. Frische Fische fischt Fischers Fritze!"

Dabei drehte er den Kopf und brüllte in alle Richtungen, damit die ganze Welt etwas von seinem .Fischers Fritze' mitbekam.

„Nicht so laut!", rief mein Vater nach oben. „Die Nach­barn!"

„Halt dich schön fest!", rief meine Mutter. Und ärgerlich an uns gerichtet: „Das habt ihr nun davon. Weil ihr ihn nicht in Ruhe lassen könnt! Der Ärmste ist ganz durcheinander." „Aber er spricht!", rief Gerd. „Eben hast du dich darüber noch gefreut."

„Fischers Fritze fischt frische Fische!", rief John. „Er kann ja nur .Fischers Fritze'", sagte meine Mutter ent­täuscht. „Das allein heißt doch noch lange nicht, dass er spricht."

Die Kiefer stand bei uns am Zaun. Direkt dahinter begann das Nachbargrundstück. Wir hörten die Terrassentür von Herrn Zinknagel, unserem Nachbarn. Er schaute von seiner Terrasse zu uns herüber, deutete nach oben in den Baum­wipfel und fragte: „Sind das die Hausaufgaben von Ihrem Sprachenschüler?" Mein Vater grinste verlegen. „So könnte man es nennen", sagte er. „Es liegt ein Missverständnis vor", versuchte meine Mutter zu erklären.

Herr Zinknagel nickte nur.

John begann jetzt wieder, dort oben herumzuklettern. Zum Entsetzen meiner Mutter hängte er sich mit den Kniekehlen an einen Ast. Mit den Füßen klemmte er sich unter einen anderen. Er hing jetzt mit dem Kopf nach unten wie eine Fledermaus.

„Um Gottes willen", rief meine Mutter.

John setzte wieder die Flüstertüte an den Mund und rief

mit dem Kopf nach unten: „Fischers Fritze fischt frische

Fische!"

„Der sollte aufpassen, dass er nicht runterfällt", riet unser Nachbar.

,Ja, ja!", sagte Vater ungeduldig.

„Man muss die Feuerwehr rufen", sagte meine Mutter. „Die Feuerwehr hilft immer."

„Steig doch mal auf den Baum!", sagte mein Vater zu mir. „Sag ihm, dass er da runterkommen soll." „Frische Fische fischt Fischers Fritze!", tönte es von oben. Und dann plötzlich, zu unser aller Überraschung: „Gärtners Gustav gräbt große Gruben! Große Gruben gräbt Gärtners Gustav!"

Und wenig später: „Bäckers Benno bäckt breite Brötchen! Breite Brötchen bäckt Bäckers Benno." „Alle Achtung", sagte Herr Zinknagel anerkennend. „Für einen jungen Sprachenschüler nicht schlecht!" Dann über­legte er kurz und sagte zögernd: „Maurers Martin mischte munter Mörtel! Munter Mörtel mischte Maurers Martin." Mein Vater sah Herrn Zinknagel groß an. Dann kratzte er sich nachdenklich am Hinterkopf und sagte: „Schäfers Schorschi scherte schöne Schafe! Schöne Schafe scherte Schäfers Schorschi!"

„Brauers Bruno braute bayerische Biere! Bayerische Biere braute Brauers Bruno!", sagte Gerd. „Würdet ihr bitte aufhören mit euren dummen Sprüchen? Und lieber den John da oben runterholen?", empörte sich meine Mutter. „Ich möchte, dass der Junge da augenblick­lich herunterkommt."

In der Zwischenzeit waren draußen auf der Straße ein paar Leute stehen geblieben. Sie schauten zu uns in den Garten oder hinauf in die Kiefer zu John. Ich erkannte den Kurt unter ihnen mit seinem englischen Dennis. Beide staunten mit offenem Mund zur Kiefer rauf.

„Fischers Fritze fischt frische Fische!", rief John von oben herab.

„Frische Fische fischt Fischers Fritze!", antwortete ihm jemand von der Straße. Und: „Lehrers Ludwig lernte laute Lieder. Laute Lieder lernte Lehrers Ludwig."

Ich ging zur Kiefer und stieg ein paar Äste hinauf. Auf halber Höhe sagte ich zu John:

„Komm doch wieder runter! Meine Mutter hat furchtbar Angst, dass dir was passieren könnte!" John antwortete: „Gärtners Gustav gräbt große Gruben!" ,Ja!".sagte ich, „schon gut..."

„Lehrers Ludwig lernte laute Lieder!", brüllte mir John durch die Flüstertüte ins Gesicht.

Als ich wieder unten war, berichtete ich meiner Mutter, dass mit John nicht zu reden war. Und dass er nicht runter­kommen wollte. Daraufhin ging sie mit entschlossenen Schritten zum Telefon und rief Herrn Rübenacker an.



Date: 2016-01-03; view: 1099


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