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Antistrophe.

Man hat die Franzosen sehr hübsch praktische Idealisten genannt, im Gegensatz zu den Deutschen, den theoretischen Idealisten. Ihre große Kraft beruht auf dem Zorn, nicht auf der Logik. Da aber ein zorniger Greis wie ein zorniger Knabe, wenn auch nur vorübergehend, so stark ist, wie ein ruhiger Mann und oft im Leben der Völker ein bloßer Impuls so schwer wiegt wie eine fünfzigjährige Periode ruhiger Reform, so ist die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit gegeben, daß die Franzosen noch einmal eine große That für die Menschheit vollbringen.

Ich spreche es noch einmal aus, und möchten es sich doch die deutschen Staatsmänner tief in die Seele prägen: eine Bourgeois-Republik Frankreich ist das reine Nichts. Ein socialdemokratisches Frankreich dagegen ist sofort wieder die Vormacht in Europa, in der Welt.

Ferner: Es geschieht nur immer Aehnliches in der Menschheit, nie Gleiches, und deshalb dürfen aus der alten Geschichte keine allzu apodiktischen Folgerungen gezogen werden. Die Auswanderung, oder besser: der internationale Verkehr überhaupt, ist die Völkerwanderung unserer Tage.

Bei der Abwehr der Slavenfurcht ist aber der Hauptton darauf zu legen, daß eine gesunde Entwicklung der slavischen Elemente Europa’s gar nicht möglich ist. Tritt die Masse der slavischen Völker einmal in das volle Licht der Cultur, so wird sie fieberkrank werden.

Der Beweis dafür liegt in den seltsamen Erscheinungen, welche diejenigen Slaven darbieten, welche in den Strudel der Cultur gerissen werden. Die Charakterschilderung Potemkin’s Seitens des Grafen Segur paßt auf eine ganze Classe von Slaven:

Die wandelbare Laune Potemkin’s ist kaum zu beschreiben. Er stand z.B. eines Tages mit dem Wunsche auf, Herzog von Curland oder König von Polen zu werden und Abends legte er sich mit dem Entschluß schlafen, in’s Kloster zu gehen. Das geringste Gut, das er nicht besitzen konnte, erregte seinen Neid bis zum Wahnsinn und seine unermeßlichen Reichthümer machten ihm Langeweile.

Ferner klagte vor einiger Zeit die St. Petersburger Zeitung, wie folgt, über den in erschreckender Weise um sich greifenden Selbstmord unter der fashionablen Jugend St. Petersburg’s:

Allerorten hat die Zahl der Selbstmorde überhaupt in der modernen Gesellschaft zugenommen, in dem Grade, als das Leben |

ii500 durch finanzielle und politische Krisen, durch ein unruhiges Wechseln des Aufenthaltsortes, der Berufsarten und der Vermögensverhältnisse, durch Katastrophen des ehelichen und Familienglückes, durch Ueberarbeiten und Uebergenießen bewegter und friedeloser geworden ist. Solchen allgemeinen Einflüssen entzieht sich kein Staat. Aber wenn ein hochgestellter Mann in zerrütteten Gesundheits- und Vermögensverhältnissen sein eigenes Leben antastet, ist es ein Anderes, als wenn die blühende Jugend das Leben von sich wirft, – aus frivolen Ursachen, weil ein Examen nicht bestanden, ein Wunsch nicht erfüllt wurde. Und ohne Leidenschaft, ohne Gram, ohne herzzerreißende Abschiedsworte an die Ihrigen, an einen Freund, an eine Geliebte nehmen sie sich das Leben bei einer Tasse Thee im Restaurant, bei einem Schluck Wein im Hotel, kühl, gleichgültig, zuweilen kindisch, aber immer unnatürlich.



Ein anderer Beweis für die Nichtigkeit der Slavenfurcht ist die russische Litteratur. Jordan nannte sie mit Recht ein exotisches, kein inländisches Gewächs.

Könnten sich die Russen allmälig, ganz abgeschlossen, eigenartig entwickeln, so würden sie eine große kräftige Nation werden. Im Verkehr mit dem übrigen Europa kann dies nicht der Fall sein. Für Rußland ist die Luft Europa’s Treibhausluft.

Man kann das romanische Volk einen gesunden, kräftigen, munteren Greis und das germanische einen kräftigen Mann nennen, welche sich normal entwickelt haben. Das slavische Volk dagegen ist ein Kind, das in künstlicher Wärme, in der Stube großgezogen wird und an Frühreife zu Grunde geht.

Mit einem Wort: Wer die Russen fürchtet, fürchtet Gespenster.

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Vom geschichtsphilosophischen Standpunkte aus muß die deutsch- russische Allianz als nothwendiges, rein politisches Gesetz der nächsten Zukunft aufgestellt werden. Es ergiebt sich mit zwingender Kraft wie jedes politische Gesetz aus den realen Verhältnissen. Von Personen ist es ganz unabhängig; stellen sich ihm Minister oder selbst Könige entgegen, so werden sie einfach zermalmt oder bei Seite geschoben.

Hieraus möge man aber ersehen, welcher wichtige Unterschied zwischen philosophischem Politiker und praktischem Staatsmanns zu Gunsten des ersteren besteht. Ersterer leitet das Gesetz in seiner einsamen Studirstube aus den Erscheinungen ab, spricht es offen |

ii501 aus und erfreut sich an den Folgen, die es haben wird; letzterer dagegen hat das Gesetz nur als Programm und zwar auf dem tiefsten Grunde seiner Seele, weil er es nicht aussprechen darf, und muß nun jeden Tag zwischen neuen Klippen sich mühsam durcharbeiten, muß hier lächeln, wo er Arm und Bein zerbrechen möchte, muß dort »nein« sagen und den Eisigen spielen, wo er freudig »ja« sagen und umarmen möchte. Ich möchte kein Minister des Auswärtigen sein, nicht für die Schätze beider Indien möchte ich es sein.

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Wilhelm von Humboldt sagte sehr richtig: Man soll Geschichte nicht nach Endursachen schreiben.

Was würde man z.B. dazu sagen, wenn Jemand die Einheit Italiens und die constitutive des Deutschen Reichs mit actio in distans begabte und den 59er, 66er und 70er Krieg von denselben herbeiführen ließe? Man würde ihn mit Recht einen Narren nennen.

Diese Ereignisse müssen Schritt für Schritt aus den wirkenden Ursachen, wozu auch der Carbonarismus Napoleon’s, die Attentate u.s.w. gehörten, erzeugt werden.

Es ist ja nicht zu leugnen, daß Etwas, was erst kommen sollte, z.B. eben die Einheit Deutschlands und die Einheit Italiens, bestimmend wirkte, aber es wirkte doch nur in Form einer wirkenden Ursache: die Vorstellung eines geeinten Deutschlands, die Vorstellung eines einigen Italiens motivirte in der fortrollenden Gegenwart den Willen der deutschen und italienischen Staatsmänner.

Dagegen darf der philosophische Politiker die Gesetze der Geschichte mit der Endursache der Welt in Verbindung setzen, ja nur auf diese Weise ist eine philosophische Politik zu schreiben. Dies ist jedoch wesentlich dahin zu beschränken, daß der philosophische Politiker dieses Princip lediglich in regulativer Weise anwende, d.h. als ob die Menschheitsbewegung eine Endursache habe.

Er blickt auf die Richtung sämmtlicher Entwicklungsreihen und findet so den Punkt, wo sie zusammenfließen. Diesen Punkt würde man aber weit besser einfach Zielpunkt als Endursache nennen; denn weil der Begriff Endursache die heilloseste Verwirrung auf allen Gebieten des Wissens anrichtet, ist es besser, ihn ganz aus der Wissenschaft zu verbannen. In constitutiver Weise sprechend, darf man nur wirkende Ursachen annehmen und ideale Zielpunkte.

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ii502 Herr Schulze-Delitzsch stellt in seinem Arbeiter- Katechismus folgende Sätze auf:

daß außerhalb der Gesellschaft die Bedürfnisse des vereinzelten Menschen seine Kräfte übersteigen und Verkümmerung sein gewisses Loos ist,

dagegen:

daß innerhalb der Gesellschaft im Austausch der wechselseitigen Arbeitserzeugnisse und Leistungen die Kräfte des Menschen weit über seine Bedürfnisse hinausgehen.

Diese Sätze sind unumstößlich richtig. Da wir nun aber in einer Gesellschaft leben, wo die meisten Einzelnen thatsächlich ein kümmerliches Dasein fristen, so folgt auch aus diesen Sätzen klar der Grund der socialen Frage überhaupt und ihre Lösung.

Der Grund ist: durch die heutigen gesellschaftlichen Einrichtungen fließt Einzelnen hunderttausendfach mehr zu, als sie brauchen: deshalb das sociale Elend.

Die Lösung der Frage ist: Schafft solche Zustände, wo dieses »hunderttausendfach mehr« nicht möglich ist.

Wie einfach! Warum geschieht es aber dann nicht?

Die Welt soll nicht so schnell zum Ziele, als wir denken und wünschen. (Goethe.)

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Lassalle nennt das Eigenthum eine historische Kategorie, was falsch ist.

Das Privat-Eigenthum ist allerdings eine juristische Kategorie und als solche eine vergängliche historische, aber das Eigenthum nicht. Das Eigenthum ist, wie die Individualität, weil es verkörperte Arbeit, Thätigkeit ist und die Menschheit bis zum letzten Athemzug thätig sein wird, etwas Natürliches, Nothwendiges, Etwas, was mit der Menschheit steht und fällt. Eigenthum wird deshalb immer sein, so lange die Menschheit besteht, aber es fragt sich, wie es in der historischen Entwicklung vertheilt werden wird.

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Die Vermächtnisse der amerikanischen Millionäre zu Gunsten des Volks lassen sich zwanglos unter das wichtige politische Gesetz der geistigen Ansteckung stellen.

Die Gewalt der Mode belegt gleichfalls das große Gesetz der geistigen Ansteckung.

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ii503 Wer vor den Idealen der Socialisten: Communismus und freie Liebe zurückschreckt, wohl gar wild wird wie ein Stier in der Arena oder dummkollerig wie ein Truthahn, der sollte, wenn er einmal eine ruhige klare Stunde hat, sich die Frage beantworten: Was würde wohl ein alt-römischer Senator gemacht haben, wenn man ihm gesagt hätte: es wird eine Zeit kommen, wo die Senatoren neben ihren Sklaven sitzen und wohl oder übel den Einfluß auf den Staatswillen mit ihnen theilen müssen?

Beantwortet er sich diese Frage mit Hülfe seiner Phantasie genau, so würde er ein Bild sehen, wie das seinige, wenn jetzt von Communismus und freier Liebe gesprochen wird.

Das Aufbrausen sollte man dem Champagner und dem Sodawasser überlassen.

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Was war das treibende Princip in den Plebejern Roms? Die bewußte und unbewußte Sehnsucht nach Bildung. Die Patrizier kannten das ungeschriebene Gesetz allein und konnten deshalb nach Willkür schalten. Da verlangten die Plebejer ein geschriebenes Recht, damit auch sie wußten, was Recht sei.

Die Sehnsucht nach Bildung oder noch allgemeiner ausgedrückt: die Sehnsucht nach Emancipation ist der Baß alles wilden Geschreis der Revolution. Die Noten der Melodie heißen Gewaltthätigkeit, Genußsucht, Sekt, Weiber, Reitpferde, Landgüter und so weiter und so weiter.

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Wenn man die Erscheinungen vor und während der Pariser Commune und die Erscheinungen in Spanien unter Castelar prüft (es verschenkten die Cavalleristen ihre Pferde, die Infanteristen ihre Gewehre, die Artilleristen fuhren mit liederlichen Dirnen auf den Kanonen u.s.w.), wenn man überhaupt auf die Schatten blickt, welche die kommenden Zeiten über alle Staaten werfen, – dann wird man so recht inne, daß erst unsere Geschichtsperiode das Zeitalter ist, das Fichte das dritte nannte: Epoche der Gleichgültigkeit gegen alle Wahrheit und der Auflösung. Könnte Fichte den modernen Zersetzungsproceß sehen, so würde er ohnmächtig zusammensinken; denn er hielt sein Zeitalter für die dritte Periode, welche sich neben dem unserigen ausnimmt, wie eine sanfte Taube neben einem Aasgeier.

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ii504 Die große Zeit, in der wir leben: die Zeit der Auflösung, der Verflüchtigung aller Autorität, der Fäulniß oben, des namenlosen Elends unten, ist ganz und gar die Zeit des römischen Staats, als Christus auftrat: nur die Beleuchtung ist eine andere. Was jetzt Noth thut, ist dasselbe, was damals Noth that: eine einfache Lehre, begründet auf dem Glückseligkeitstrieb der Individuen, denn nur eine solche kann verinnerlichen und begeistern.

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So lange noch der gemeine Mann sagt: Ja! wenn ich reich, wenn ich mächtig, wenn ich gebildet wäre, wäre ich glücklich – so lange kann der Unwerth des Lebens nur geglaubt werden. Worauf es ankommt, das ist, daß der Unwerth des Lebens erkannt werde und das ist nur möglich, wann alle Genüsse gekostet werden.

Wie gleichzeitig mit der Reformation die Buchdruckerkunst auftrat, so begleitet die sociale Bewegung die pessimistische Philosophie, und der Erfolg wird derselbe sein.

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Das Endziel aller Cultur ist vollständige Emancipation des Individuums. Dazu gehört aber vor Allem: Zerreißung aller Gefühlsbande und deshalb werden auch die Ideale der Socialisten real werden.

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Nur wer vollkommen abgelöst ist von Personen und Sachen, kann Großes für Personen und Sachen leisten.

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Persönliches Eigenthum und Familie sind retardirende Momente für die Entwicklung der Gesammtheit, dagegen beschleunigende für die Ausbildung der Persönlichkeit. Ist die echte Persönlichkeit das vorherrschende Element geworden, so ist eine Weiterbildung nur noch in der Gesammtheit möglich und dann fallen persönliches Eigenthum und Familie ganz von selbst, wie das Gängelband fällt, wann das Kind laufen kann, wie der Vormund zurücktritt, wann der Mündel großjährig wird.

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Auch der Haß, der unbewußte und bewußte Haß der Beschränkten gegen die Genialen ist als ein nothwendiges retardirendes Moment anzusehen. Der Proceß der Menschheit hat eben einen ganz bestimmten Zweck, und dieser Zweck beruht nothwendigerweise auf einer ganz bestimmten Dauer des Processes. |

ii505 Also: weder Ungeduld noch Klage; dagegen redliche Arbeit, Gesinnungstüchtigkeit, Ausdauer, Muth, mit Einem Wort völlige Hingabe an das göttliche Gesetz: ununterbrochener Gottesdienst.

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Giebt es ein herrlicheres Bild als einen Philosophen, der aus seiner stillen Studirstube eine zündende Lehre in die Welt schleudert, dann den Säbel umschnallt und den Frieden seines Dach-Salons mit dem Geräusch der Welt vertauscht?

Formons nos bataillons!

O! wie er zurückschaudert vor der trüben schmutzigen Fluth! Aber noch ein Blick auf das strahlende göttliche Gesetz dort oben am Sternenzelt, und entschlossen stürzt er sich in das Volksmeer und taucht unter.

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Das Benehmen des weisen Helden gegen Optimisten ist das eines edlen Arbeiters, der mit seiner Arbeit fertig ist, zu Anderen, die noch nicht fertig sind: er steht auf und hilft ihnen.

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Die pessimistische Philosophie wird für die anhebende Geschichtsperiode sein, was die pessimistische Religion des Christenthums für die abgelaufene war.

Das Zeichen unserer Fahne ist nicht der gekreuzigte Heiland, sondern der Todesengel mit großen, ruhigen, milden Augen, getragen von der Taube des Erlösungsgedankens: im Grunde genommen dasselbe Zeichen.

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Ich muß es noch einmal sagen: Der Zweck der ganzen Weltgeschichte, d.h. aller Schlachten, Religionssysteme, Erfindungen, Entdeckungen, Revolutionen, Sekten, Parteien u.s.w. ist: der Masse Das zu bringen, was Einzelnen seit Beginn der Cultur zu Theil wurde. Es handelt sich nicht darum, ein Geschlecht von Engeln zu erziehen, das dann immerfort, immerfort existire, sondern um Erlösung vom Dasein. Die Verwirklichung der kühnsten Ideale der Socialisten kann doch nur für Alle einen Zustand der Behaglichkeit schaffen, in dem von jeher Einzelne bereits lebten.

Und was thaten diese Einzelnen, wann sie in diesen Zustand kamen? Sie wandten sich vom Leben ab.

Etwas Anderes war auch nicht möglich.

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Date: 2015-01-02; view: 736


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