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IV. Die allmälige Realisation der Ideale.

 

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Jetzt liegt uns ob zu sehen, auf welche Weise sich die Menschheit den großen Idealen des Communismus und der freien Liebe nähert; denn es ist klar, daß selbst durch furchtbare Revolutionen die Ideale nicht sofort real werden könnten, geschweige in einer stetigen langsamen Entwicklung. Um ein Gleichniß zu gebrauchen, ist die Menschheit auf einer Reise nach Rom begriffen; ehe sie dahin kommt, muß sie bestimmte Hauptstationen erreicht und zurückgelegt haben.

Ich habe Lassalle in meinem Hauptwerk gebührend gewürdigt. Ich habe dort gesagt, daß er ein eminentes Talent, aber ohne den leisesten Anflug von Genialität gewesen sei. Der Geniale umschließt in seinem Geiste die ganze Welt; er sieht das Einzelne immer in der Totalität; er sieht den ganzen Weg und sein Ende; er ist weltumfassend, originell, bahnbrechend. Der Talentvolle dagegen ist kurzsichtig und sein Geist umschließt Bruchtheile der Welt. Er geht hinter dem Genialen und setzt die Steine mit kräftiger Hand zu Haufen auf einander, die dieser mit Pulver aus dem Felsen sprengt.

Wer Lassalle nur aus seinen socialpolitischen Schriften kennt, kennt nur, ich möchte sagen, das Aeußere seines Geistes. Wer Lassalle gerecht beurtheilen will, muß seine großen wissenschaftlichen Werke, namentlich seinen Herakleitos gelesen, und zwar gründlich gelesen haben. Welche erstaunliche Combinationskraft, welcher brillante Scharfsinn, welche concise Knappheit, welche Virtuosität aus Millionen Hüllen Einen Kern herauszuschälen! Ist es dagegen je Einem gelungen, in den Lassalle’schen Werken auch nur einen einzigen kleinen originellen Gedanken aufzufinden? Keinen einzigen. Die Function seines Geistes war Destillation, sein Produkt die hellste, klarste, concentrirteste Flüssigkeit. Er verarbeitete fremde Gedanken, er verarbeitete sie mit unerreichbarer Meisterschaft, aber niemals einen eigenen.

Außerdem war er ein falscher Prophet; doch darf dies nicht mißverstanden werden. Ich gebrauche »falscher Prophet« nicht im gewöhnlichen Sinne des Adjectivs, sondern lediglich als Gegensatz |

ii330 zum echten Propheten. Der »falsche Prophet«, wie jeder große Staatsmann überhaupt, bringt die Menschheit voran, aber zugleich sucht er äußeres Gut, Ruhm, Ehre; der echte Prophet dagegen sucht nur die innere Ruhe, den Herzensfrieden, den Tod des Mitleids mit der Menschheit. Die Ziele, welche Lassalle verfolgte, sind zu bekannt, als daß ich sie zu enthüllen nöthig hätte. –

Lassalle nun ist der Erste in Deutschland gewesen, der einen wirklich praktischen Vorschlag machte, um die erste Station auf dem »Wege nach Rom« erreichen zu können. In diesem Vorschlag spiegelt sich am reinsten sein bedeutendes Talent. Sein Ideal war Fichte entlehnt. Er sah nur in der blauen Ferne eine freie Menschheit, keine todte, weshalb er, wie ich oben sagte, ein bloßes Talent war; denn er sah erstens mit fremden Augen; dann sah er nur einen Theil des zukünftigen Weges der Menschheit: sein Wissen war fragmentarisches Wissen, Stückwerk. Dieses Ideal nun war ihm kein Agitationsmittel. Als eminent praktischer Mann streifte er es selten und dann immer nur leise mit den Schwingen seines Geistes. Dagegen krallte er sich an das Nächste mit dämonischer Wildheit und concentrirte alle seine Kräfte darauf. Seine eigenen Worte mögen sein Verfahren charakterisiren:



Eine theoretische Leistung ist um so besser, je vollständiger sie alle, auch die letzten und entferntesten Consequenzen des in ihr entwickelten Princips zieht.

Eine praktische Leistung ist um so mächtiger, je mehr sie sich auf den ersten Punkt concentrirt, aus dem alles Weitere folgt.

(Capital und Arbeit.)

Bekanntlich haben die Thatsachen diesem brillanten Satz die Weihe gegeben. Lassalle’s erster Punkt war das allgemeine und direkte Wahlrecht, das ja bald bewilligt wurde.

Sein zweiter Punkt war der Staatscredit. Ich habe in meinem Hauptwerk klargelegt, warum Lassalle hier in einem Irrthum befangen war. Im gegenwärtigen Staate wird seine Forderung keine Berücksichtigung finden. Sie ist nämlich nicht der zweite Punkt auf dem »Wege nach Rom«, sondern der dritte, ja, man darf sogar sagen, daß sie gar keine Station ist.

Zunächst müssen alle Versöhnungsversuche zwischen Kapital und Arbeit erschöpft sein, ehe von allen Seiten von unten herauf |

ii331 die freie Concurrenz der Arbeit mit dem Kapital verlangt werden darf; denn freie Concurrenz der Arbeit mit dem Kapital heißt doch: totale Brachlegung des Kapitals. Woher sollten denn die Fabrikanten ihre Arbeiter nehmen können, wenn der Staat die Arbeiter durch Gewährung von Staatscredit befähigte, sich selbständig zu associiren? Das müßte doch der dümmste der dummen Arbeiter sein, der sich noch im Frohndienst des Kapitals abmühen wollte, wenn er in den freien Dienst der Productiv- Associationen treten könnte! –

Ich habe deshalb einen solchen Versöhnungsversuch zwischen Kapital und Arbeit als zweiten Punkt aufgestellt. Er liegt bedeutend näher als der Staatscredit und ist zugleich weit praktischer, weil er auf etwas Realem, auf etwas schon Vorhandenem beruht, nämlich: Die Betheiligung der Arbeiter am Gewinn, welche schon sporadisch, mit dem besten Erfolg für die Arbeiter und Kapitalisten in die Erscheinung getreten ist.

Auf diese Forderung hat sich die ganze Kraft in den unteren socialen Schichten zu concentriren, soll ein neuer Erfolg in den Annalen der Socialgeschichte verzeichnet werden; denn das Bedürfniß einer Reform wird oben keineswegs verkannt, und tausend redliche Hände in den oberen Schichten wollen helfen. So legt denn, Arbeiter, in diese Hände die bestimmte Forderung der Betheiligung der Arbeit am Gewinn des Kapitals und – ich setze meine ganze Existenz zum Pfande – die Versöhnung zwischen Kapital und Arbeit wird stattfinden. Ihr werdet mächtig vorankommen und auf die verschlungenen Hände wird der Schatten der Taube fallen, die in allen großen Momenten der Menschheit sichtbar wurde.

Virtualiter liegt in dieser Versöhnung des Kapitals mit der Arbeit der reine Communismus und ich glaube, daß er nur kurze Zeit zu seiner Entwicklung nöthig hätte. Ich glaube ferner, daß er dann eine Form hätte, die beharren würde; denn was drückt die Uebergabe alles Eigenthums in die Hand des Staats Anderes aus als das Princip: Umwandlung des Privat- Eigenthums in Gesammt- Eigenthum, das sich in den verschiedenartigsten Gestaltungen offenbaren kann? Dieses Princip ist schon in jeder Actien- Gesellschaft realisirt und es handelt sich nur um entsprechende Generalisirung der vorhandenen guten Form auf alle Zweige des wirthschaftlichen Lebens.

ii332 Wird es ferner in Hinsicht auf die lebendige Arbeit praktisch sein, daß z.B. von Berlin aus bestimmt wird: X. in Sigmaringen eignet sich zu einem Grobschmied, Y. in Stallupönen zu einem Silberschmied? Soll denn jeder Bürger das Attest seiner Qualification zu einem bestimmten Beruf nebst seinem Wunsche, diesen Beruf ergreifen zu dürfen, nach Berlin schicken? Möglich wäre eine solche Centralisation, aber gewiß nicht praktisch.

Mit einem Wort: der Schwerpunkt des echten Communismus fiele in große Verbände, deren Thätigkeit ihren Regulator in einer Körperschaft von Vertretern aus allen Theilen des Landes fände.

Demnächst wäre auf der Bahn socialer Reformen eine progressive Erbschaftssteuer herbeizuführen, welche nach bestimmten Perioden immer strenger würde, bis die noch vorhandenen Arbeitsprodukte aus dem ganzen vergangenen Leben der Menschheit als Volks- Eigenthum in der Hand des Staates, resp. großer Verbände concentrirt läge.

Eine solche Steuer würde kein großes Leid in den Einzelnen erwecken. Sollten jetzt alle Reichen ihr ganzes Kapital geben – dann allerdings würde man von ihnen das schmerzlichste Opfer verlangen. Eine allmälige Verringerung dagegen würde leicht ertragen, erstens, weil damit eben durch die Segnungen der neuen Verhältnisse kein echter Genuß geopfert werden müßte, dann, weil sich die Reform über mehrere Generationen erstreckte, also in einem immer reineren Bewußtsein gespiegelt würde.

Die ersten Stationen auf dem Wege zum Institut der freien Liebe wären die gesetzliche Gestattung der polygamen Ehe und die fakultative Abtretung der Kinder an den Staat. Die zweite Station wäre die obligatorische Abtretung der Kinder von sechs bis sieben Jahren und die letzte wäre die Abtretung der Säuglinge.

Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß selbst dann, wenn das Institut der freien Liebe gesetzlich sanktionirt ist, monogame Ehen nach wie vor bestehen werden; denn die Liebe der Ehegatten geht sehr oft in eine treue Freundschaft über, und die Menschen werden auch immer milder, d.h. der Geschlechtstrieb irritirt sie von Generation zu Generation immer weniger. Es findet eine Umbildung der Bewegungsfactoren statt, und in dem Maße, als das geistige Leben an Kraft gewinnt, verliert das dämonische unbewußte Blutleben an Energie. Ja, es ist geradezu sehr wahrscheinlich, daß aus |

ii333 diesem Grunde ein allgemeiner freiwilliger Rückfall in die Monogamie stattfinden wird.

Als eine ganz eigenthümliche Form der Ehe, welche immer mehr Anhänger gewinnen wird, zeigt sich uns die reine intellektuelle Ehe, die sich negirend zum eigentlichen Zweck der Ehe verhält: die copula carnalis ist principiell ausgeschlossen. Man verbindet sich lediglich zur Erreichung idealer Ziele mit einander. Es wollen zwei Wesen, deren Thätigkeit in der Verbindung zehnfach erfolgreicher als in der Vereinzelung ist, wie Bruder und Schwester zusammen leben. Da sie aber ohne das eheliche Band in ein falsches Licht gerathen würden, so schließen sie eine Schein-Ehe im guten Sinne des Worts.

Diese intellektuelle Ehe wäre die Uebergangsform für das Cölibat, das nicht durch den Zwang äußerer Verhältnisse, – wie jetzt sehr oft, namentlich bei den Weibern, – herbeigeführt, sondern spontan aus der Seele erwählt würde.

 


Date: 2015-01-02; view: 827


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