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Die Philosophie der Erlösung.

 

ii233

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Ich hab’s gewagt!

Ulrich van Hutten.

 

ii235 Die Philosophie der Erlösung ist Verklärung und Erleuchtung der christlichen Religion der Erlösung. Sie ist einerseits wie diese die Verbindung des indischen Pantheismus mit dem Budhaismus, andererseits Verbindung des kritischen Idealismus (Kant, Schopenhauer) mit dem vernünftigen Realismus. Und zwar ist dies rein zufällig, weil sie organisches Gebilde aus einem überlieferten empirischen Grundprincip ist: dem individuellen, sich bewegenden Willen zum Leben, den sie jedoch als Wille zum Tode entschleierte.

Das Originelle meiner Philosophie kann ich in Einen Satz nicht fassen. Ich muß es entwickeln.

Dasjenige, was ihr unbestreitbares, ganz eigenthümliches Verdienst, gleichsam dessen Kern ist, das ist:

daß sie zum ersten Male wissenschaftlich den Atheismus begründete.

Aber ich kann auch dieses Verdienst in einem Satze ausdrücken, welcher den vorigen vollständig aufzuheben scheint. Ich kann nämlich sagen, daß

meine Philosophie zum ersten Male Das, was sich von jeher die Philosophen und freieren Theologen unter Gott vorstellten, am geläutertsten hinstellte, daß sie also der reinste und verklärteste, der zum ersten Male wissenschaftlich begründete Theismus sei.

Atheismus und Theismus: das scheinen absolute und unvereinbare Gegensätze zu sein. Sie wären auch beides, wenn eben Gott ein Begriff von einem ganz bestimmten Inhalt wäre. Das ist aber nicht der Fall und deshalb ist der Gegensatz nur ein scheinbarer und Atheismus und Theismus sind zu vereinigen.

Unter Gott hat man sich, seitdem die dem Individuum gegen|überstehende,

ii236 von ihm nicht beherrschte Macht als Einer Kraft entfließend gedacht worden ist, zweierlei vorgestellt:

1) Ein persönliches Wesen nach Analogie des Menschen (Judengott).

2) Ein unergründliches Wesen, dessen Wirksamkeit, dessen Willen man allein erkennen kann: reine Allmacht.

Das persönliche Wesen wurde dann noch durch die Phantasie der Künstler zu einem guten Greis mit weißem Barte herabgedrückt.

Dem ersteren Gott, dem persönlichen, mit Willen und Geist begabten Judengott gegenüber ist meine Lehre Atheismus; gegenüber dem letzteren Gott aber ist sie reiner, echt wissenschaftlicher Theismus; denn nach meiner Lehre ist Gott in der Welt keine einfache Einheit, sondern das feste Band, das alle Individuen der Welt umschlingt und zwar deshalb so innig umschlingt, weil die Welt einer vorweltlichen einfachen Einheit entsprungen ist. Gott in der Welt ist also nur ein Verhältniß, keine Persönlichkeit.

Hiernach tritt meine Lehre sowohl polemisch gegen den starren jüdischen Monotheismus, als gegen den Pantheismus in jedweder Form auf. Sie tritt ferner auch polemisch gegen den Theismus in der gewöhnlichen Auslegung des Worts auf, wonach Gott halb in der Welt, halb frei außerhalb der Welt steht. Sie ist aber reiner Theismus in der Bedeutung, daß die Individuen nicht allmächtig, sondern von einer Macht beschränkt sind, welche in der Welt ein bloßes Verhältniß ist, vor der Welt aber eine Einheit war, in welcher alle Individuen, allerdings auf eine uns unfaßbare Weise, existirten.



Um diese wichtige Sache noch klarer hinzustellen, bediene ich mich des vortrefflichen Unterschieds, den die genialen christlichen Mystiker zwischen Gottheit und Gott machten:

Gott als Gottheit, dem gehört nicht zu, weder Wille, noch Wissen oder Offenbaren, noch dies, noch das, das man nennen oder sprechen oder denken kann.

Aber Gott als Gott gehört zu, daß er sich selbst ausspreche und sich selber bekenne und liebe und sich sich selbst offenbare.

(Der Franckforter.)

Die Unterscheidung wäre unübertrefflich, wenn sie kritisch, nicht mystisch gemacht worden wäre; denn sie hat nur dann einen guten Sinn, wenn man die Gottheit von Gott ganz scheidet und die Gott|heit

ii237 vor die Welt, Gott in die Welt, also nacheinander und einander ausschließend, legt. Der Mystiker ließ sie aber nebeneinander oder besser ineinander existiren oder persönlich coexistiren, was kein menschlicher Geist denken kann.

Wenn ich mich nun der beiden Worte bediene, um meine Philosophie zu charakterisiren, so muß ich sagen:

Die Gottheit existirte vor der Welt und ist schlechterdings unergründlich. Sie hatte weder Willen, noch Wissen, noch Offenbaren, d.h. wir stehen vor Etwas, das keiner Erkenntnißkraft sich unterwerfen und auch in keiner sich spiegeln kann.

Diese Gottheit starb aber, die Welt gebärend. Oder mit den Worten des Franckforters: Als sich die Gottheit aussprach, sich sich selbst bekannte, sich liebte und sich sich selbst offenbarte, da entstand Gott: d.h. eine Welt von Individuen, welche ein festes Band verknüpft, so daß die Welt, trotz ihren unzähligen Individuen doch nur einen einheitlichen Entwicklungsgang hat.

Wir haben also in der Sprache der Religion:

Gottheit – Gott – Christus und heiligen Geist –

und in der Sprache meiner Philosophie:

Gott – Dynamischen Zusammenhang der Welt –

– Welt der Individuen und Schicksal –

(nothwendige Bewegung der ganzen Welt).

Auf diese Weise ist meine Philosophie Philosophie des Christenthums, d.h. Verklärung und kritische Erleuchtung der Religion der Erlösung. Sie ist ferner, wie man deutlich einsehen muß, Verbindung des exoterischen Budhaismus (Selbstherrlichkeit des Individuums) mit dem Pantheismus und Monotheismus (todtes Individuum), welche Lehren halbe Wahrheiten enthalten. Sie ist ferner Atheismus, wie schon bemerkt, gegenüber einem persönlichen Gott über der Welt oder einem einheitlichen Gott in der Welt, und reiner Theismus, wenn man den Zusammenhang der Individuen, das Verhältniß, in dem sie zu einander stehen, Gott, und die aus dem Zusammenwirken aller Individuen der Welt resultirende einheitliche Bewegung den Willen Gottes nennt.

Meine Lehre ist mithin im eminentesten Sinne des Worts Abschluß aller philosophischen Systeme und zugleich Metamorphose der echten Religion. Im Hinblick auf die speculative Philosophie ist sie auch ganz bestimmt die absolute Wahrheit, weil sie den esoterischen |

ii238 Theil des Budhaismus und des Christenthums auf ihrer Seite hat. Dagegen ist sie selbstverständlich in ihrem empirischen Theil, der die Naturwissenschaften, die Künste und die politischen Wissenschaften (Staatswissenschaft, Geschichte, National- Oekonomie u.s.w.) umfaßt, läuterungs- und fortbildungsfähig, d.h. keine absolute Philosophie.

Dieses eben entwickelte rein Originelle meiner Lehre ist natürlich die Blüthe auf einem organisch gewachsenen Stengel mit Wurzeln und Blättern. Es ist Resultat einer Summe von Untersuchungen oder auch Schlußstein einer Pyramide. Die Uebereinstimmung dieser Blüthe mit dem esoterischen Budhaismus und dem esoterischen Christenthum ist zufällig, was schon aus dem Aufbau meines Systems deutlich hervorgeht. Aber das Christenthum hat, wie Fichte sehr treffend sagte, auf die mannigfachste Weise in unsere Bildung eingegriffen; ferner ist die Wahrheit nur Eine, während viele Wege zu ihr führen, die alle in der mannigfachsten Verbindung zu einander stehen, oder mit anderen Worten: die Entwicklung des Geistes ist eine allgemeine.

Als redlicher Philosoph habe ich mir erst durch genaue Untersuchung unseres Erkenntnißvermögens, worauf unsere äußere und innere Erfahrung beruht, einen festen Boden unter den Füßen geschaffen.

Auf dem Gebiet der Erkenntnißtheorie habe ich nun zunächst auf Grund der sorgfältigsten Untersuchung zu bestätigen gehabt, daß Locke’s Schnitt durch das Reale und Ideale radical und richtig war. Ich hatte ferner zu bestätigen, daß Raum und Zeit, Substanz, Causalität und Wechselwirkung, der großen Lehre Kant’s gemäß, rein ideal in unserem Kopfe und sonst nirgends seien, und daß die Thätigkeit der Vernunft Synthesis sei. Ferner hatte ich zu bestätigen, daß das Schopenhauer’sche Causalitätsgesetz apriorisch und eine Function des Verstandes, seine einzige, sei.

Dagegen habe ich, im Widerspruch mit Locke, Kant und Schopenhauer, Folgendes gefunden:

a. im Widerspruch mit Locke:

daß die Materie nicht das Ding an sich, sondern eine Verstandesform, d.h. apriorisch sei;

b. im Widerspruch mit Kant:

1) daß der mathematische Raum und die Zeit keine reinen Anschauungen a priori, sondern Verbindungen a poste|riori

ii239 auf Grund des apriorischen Punkt-Raums und der apriorischen Punkt-Zeit (Gegenwart) seien;

2) daß die Substanz nicht apriorisch, sondern eine a posteriori- Verbindung auf Grund der apriorischen Materie sei;

3) daß die Causalität nicht apriorisch, sondern die a posteriori- Erweiterung des apriorischen Gesetzes der Causalität sei (Uebergang von der Wirkung im Sinnesorgan zur Ursache);

4) daß die Wechselwirkung nicht apriorisch, sondern eine a posteriori- Verbindung auf Grund des apriorischen Causalitätsgesetzes, resp. der allgemeinen Causalität sei;

c. im Widerspruch mit Schopenhauer:

1) daß das apriorische Causalitätsgesetz selbst unwiderleglich auf die reale Einwirkung, resp. das Ding an sich leite;

2) daß das apriorische Causalitätsgesetz nicht hindere, alle causalen Zusammenhänge zu erkennen;

3) daß mithin die Kantische Synthesis unentbehrlich sei.

Originell ist demnach in meiner Erkenntnißtheorie:

1) Der Punkt-Raum (reine Fähigkeit, die Ausdehnung zu erkennen);

2) die Punkt-Zeit;

3) die Materie als Verstandesform;

4) die richtige Erklärung der Substanz;

5) die richtige Erklärung der Kantischen Causalität;

6) die richtige Erklärung der Wechselwirkung.

Im Zusammenhang hiermit stehen die Resultate:

1) daß das Causalitätsgesetz auf das Ding an sich leite;

2) daß das Ding an sich Ausdehnung habe, die mit dem Raum nicht identisch ist;

3) daß das Ding an sich Bewegung habe, die mit der Zeit nicht identisch ist;

4) der Punkt der Bewegung des Dinges an sich;

5) die reale Einwirkung von Ding an sich auf Ding an sich;

6) der dynamische Zusammenhang.

Als Hauptresultat meiner Erkenntnißtheorie ergab sich:

1) daß die subjektive Materie (relative Substanz) das Ding an sich von seiner Erscheinung trenne (daß also das Ding an sich nicht Materie sei, wie Locke lehrte);

ii240 2) daß das Ding an sich eine sich bewegende individuelle reine Kraft sei.

Die Untersuchung der inneren Erfahrung bestätigte vorläufig die große Lehre Schopenhauer’s:

daß das Ding an sich der erkenntnißlose Wille zum Leben sei.

Dagegen ergab sie im Widerspruch mit dem Endergebniß der Schopenhauer’schen Philosophie:

daß das Ding an sich der individuelle Wille zum Leben sei, der ein einziges Produkt habe: die Bewegung.

Man wird immer mehr erkennen, daß dieses wichtige Ergebniß, d.h. die strengste Sonderung des Dinges an sich von den Erkenntnißformen und die Bestimmung des Dinges an sich als des individuellen, sich bewegenden Willens zum Leben, die Naturwissenschaften von Grund aus reformiren wird. Wenn seither der Naturforscher den rein empirischen Weg verließ und sich auf einen höheren Standpunkt schwingen wollte, um Resultate ziehen zu können, so umtanzten ihn immer die Irrlichter der subjektiven Formen: Unendlichkeit, unendliche Theilbarkeit u.s.w., und die Irrlichter der Metaphysik: Gattung, selbständige Naturkräfte u.s.w., und führten ihn in die Irre. Das individuelle Ding an sich, dessen Wesen lediglich ein Ding von einer bestimmten Intensität und mit einer bestimmten Richtung ist, verscheucht allen Spuk und macht die Bahn der Wahrheit frei.

Mit diesem von außen und von innen bestätigten einzigen Princip, dieser Thatsache der inneren und äußeren Erfahrung: dem individuellen, sich bewegenden Willen zum Leben, ging ich an die Ergründung der Natur.

Ich fand:

1) daß Irritabilität und Sensibilität die Thätigkeiten der Theile eines gespaltenen Theils des Willens seien, oder objektiv ausgedrückt: daß Nerven und Muskeln Bewegungsfactoren sind;

2) daß das Blut echter ungetheilter Wille, erkenntnißloser Dämon, resp. erkenntnißloser Instinkt sei;

3) daß der Wille auf seinen höheren Stufen in Qualitäten auseinandertrete;

4) daß von diesen Qualitäten die Zustände zu trennen seien;

ii241 5) daß alle Zustände eines Willens Modalitäten eines Normalzustandes seien;

6) das große Gesetz der Schwächung der Kraft.

Dieses große Gesetz steht im Widerspruch mit dem jetzt noch gelehrten Gesetz der Erhaltung der Kraft. Ich überlasse getrost der Zeit, das letztere zu verdrängen und das erstere zur allgemeinen Geltung zu bringen. Tempo è galant’ uomo. (Die Zeit ist ein Ehrenmann.)

In der Aesthetik bewies ich hauptsächlich:

1) daß diese Wissenschaft selbst auf Zuständen des Willens beruhe;

2) daß der Grund des Schönen die harmonische Bewegung sei;

3) daß das Subjektiv-Schöne felsenfest auf dem apriorischen Theile unseres Erkenntnißvermögens stehe.

Ich bestimmte ferner genau

die Natur des Subjektiv-Schönen in allen seinen Verzweigungen.

In der Ethik bewies ich:

daß sie einerseits auf dem Egoismus (individuellem Willen), andererseits auf dem Gang der Menschheit aus dem Sein in das Nichtsein beruhe, im Widerspruch

a. mit Kant, der ein Handeln ohne Motiv für möglich hielt und zu einem außerweltlichen Gott seine Zuflucht nehmen mußte;

b. mit Schopenhauer, der die Abwesenheit aller egoistischen Motivation zum Kriterium einer moralischen Handlung machte und keine Weltentwicklung kannte.

In der Politik stellte ich

1) das historische Haupt-Gesetz: das Gesetz des Leidens auf (Modification des Gesetzes der Schwächung der Kraft);

2) bewies ich, daß die Menschheit dem absoluten Tod entgegengehe.

In der Metaphysik endlich fand ich:

1) daß das Weltall sich aus dem Sein in das Nichtsein bewege und zwar in’s absolute Nichts, d.h. nicht zu einer bewußtlosen Potenz herabsinke;

2) daß die Bewegung aller Wesen nicht der Wille zum Leben, sondern der Wille zum Tode sei.

ii242 Ich kam also, vom Schopenhauer’schen Willen zum Leben ausgehend, zum Willen zum Tode als Endresultat, d.h. ich schwang mich, auf den Schultern Schopenhauer’s stehend, auf einen Standpunkt, den vor mir noch Niemand eingenommen hat.

Fasse ich hier zusammen, so ist meine Philosophie Versöhnung des Realismus mit Kant’s kritischem Idealismus oder der echte transscendentale Idealismus, der den Dingen ihre empirische Realität läßt und sie nur durch die Materie (Substanz) als Erscheinung setzt.

Mit meiner Philosophie habe ich den Kampf aufgenommen:

1) mit der jetzt herrschenden Psychologie;

2) mit der herrschenden Lehrmeinung in den Naturwissenschaften (Newton’sche Farbenlehre und Theorie der Bewegung der Himmelskörper; Materialismus; Atomistik; Gesetz der Erhaltung der Kraft; Uebertragung des Wesens der idealen Formen auf die Kraft; Lehre von der metaphysischen Gattung; freventliche Uebertragung der Natur subjektiver Formen auf das Ding an sich (Unendlichkeit des Weltalls);

3) mit der herrschenden Aesthetik (Theismus oder Hegel’scher Absolutismus als Grundpfeiler der Aesthetik);

4) mit der herrschenden Ethik (Moraltheologie; ethisches Naturrecht; Pflichtenlehre);

5) mit der Grundverfassung des Staats;

6) mit der herrschenden Religion und mit sämmtlichen philosophischen Lehrmeinungen.

Alle diese Gegner sind Riesen; einige derselben sind Jahrtausende alt und ihre Kraft ist durch die Gewohnheit fast zur Allmacht gestiegen.

Ich stehe noch allein da, aber hinter mir steht die erlösungsbedürftige Menschheit, die sich an mich klammern wird, und vor mir liegt der helle flammende Osten der Zukunft. Ich blicke trunken in die Morgenröthe und in die ersten Strahlen des aufgehenden Gestirns einer neuen Zeit, und mich erfüllt die Siegesgewißheit.

 

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Siebenter Essay.

 


Date: 2015-01-02; view: 807


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