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Das Dogma der Dreieinigkeit.

 

ii189

—————

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.

Ev. Joh. 14, 6.

So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine

rechten Jünger.

Und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit

wird euch frei machen.

ib. 8, 31. 32.

—————

 

I. Der esoterische Theil der Christuslehre.

II. Der exoterische Theil der Christuslehre.

III. Das Charakterbild Christi.

 

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I. Der esoterische Theil der Christuslehre.

 

ii191

Wahrlich ich sage euch: alle Sünden werden vergeben den

Menschenkindern, auch die Gotteslästerung, damit sie

Gott lästern.

Und wer da redet ein Wort wider des Menschen Sohn,

dem soll es vergeben werden.

Aber wer etwas redet wider den heiligen Geist, dem

wird es nicht vergeben, weder in dieser, noch in jener Welt.

Marc. 3, 28.

Luc. 12, 10.

Matth. 12, 32.

 

Anstatt »Dogma der Dreieinigkeit« hätte ich auch kurzweg: »esoterisches Christenthum« schreiben können, denn in diesem Dogma ist der Kern der Christuslehre vollständig enthalten. Alles Andere ist exoterisch: Lehre für das Volk.

Nur die crasseste Unwissenheit, nur der beschränkteste Geist hat dem Athanasius einen Vorwurf daraus machen können, daß und wie er das Dogma der christlichen Dreieinigkeit formulirte. Beides geschah mit unabwendbarer Nothwendigkeit: das erstere, weil Christus wirklich Gott, den Sohn und den Heiligen Geist lehrte, das letztere, weil er sie exoterisch als selbständige und zugleich existirende (coexistirende) Wesen hinstellte. Es handelte sich also um die Formulirung eines Dogmas, d.h. einer Wahrheit, die dem Volke mundgerecht gemacht werden mußte. Athanasius würde mithin selbst dann so haben handeln müssen, wie er gehandelt hat, wenn er die Wahrheit nackt erkannt hätte, was ich bezweifle.

ii192 Das Athanasianische Glaubensbekenntniß vom Jahre 333 n. Chr. lautet zu Deutsch (unter Fortlassung dessen, was uns nicht interessiren kann):

1) Dies ist aber der rechte christliche Glaube, daß wir einen einigen Gott in drei Personen, und drei Personen in einiger Gottheit ehren.

2) Und nicht die Personen in einander mengen, noch das göttliche Wesen zertrennen.

3) Eine andere Person ist der Vater; eine andere der Sohn; eine andere der heilige Geist.

4) Aber der Vater und Sohn und heilige Geist ist ein einiger Gott, gleich in der Herrlichkeit, gleich in ewiger Majestät.

5) Welcherlei der Vater ist, solcherlei ist der Sohn, solcherlei ist auch der heilige Geist.

6) Der Vater ist nicht geschaffen: der Sohn ist nicht geschaffen: der heilige Geist ist nicht geschaffen.

7) Der Vater ist unmeßlich: der Sohn ist unmeßlich: der heilige Geist ist unmeßlich.

8) Der Vater ist ewig: der Sohn ist ewig: der heilige Geist ist ewig.

9) Und sind doch nicht drei Ewige, sondern es ist Ein Ewiger.

10) Gleichwie auch nicht drei Ungeschaffene; noch drei Unmeßliche; sondern es ist Ein Ungeschaffener und Ein Unmeßlicher.



11) Also auch: der Vater ist allmächtig: der Sohn ist allmächtig: der heilige Geist ist allmächtig.

12) Und sind doch nicht drei Allmächtige, sondern es ist Ein Allmächtiger.

13) Also, der Vater ist Gott: der Sohn ist Gott: der heilige Geist ist Gott.

14) Und sind doch nicht drei Götter: sondern es ist Ein Gott.

15) Also, der Vater ist der Herr: der Sohn ist der Herr: der heilige Geist ist der Herr.

16) Und sind doch nicht drei Herren; sondern es ist Ein Herr.

17) Denn gleich wie wir müssen nach christlicher Wahrheit eine jegliche Person für sich Gott und Herrn bekennen:

18) Also können wir im christlichen Glauben nicht drei Götter oder drei Herren nennen.

19) Der Vater ist von Niemand weder gemacht, noch geschaffen, noch geboren.

ii193 20) Der Sohn ist allein vom Vater: nicht gemacht, noch geschaffen; sondern geboren.

21) Der heilige Geist ist vom Vater und Sohn: nicht gemacht, nicht geschaffen, nicht geboren; sondern ausgehend.

22) So ist nun Ein Vater, nicht drei Väter; Ein Sohn, nicht drei Söhne; Ein heiliger Geist, nicht drei heilige Geister.

23) Und unter diesen drei Personen ist keine die erste, keine die letzte, keine die größeste, keine die kleinste.

24) Sondern alle drei Personen sind miteinander gleich ewig, gleich groß.

25) Auf daß also, wie gesagt ist, drei Personen in Einer Gottheit und Ein Gott in drei Personen geehrt werde.

So oft ich diese Formel, ehe ich sie ergründete, gelesen habe, namentlich in lateinischer Sprache, habe ich eine mächtige Erschütterung meiner Seele empfunden; zum kleinsten Theil brachte der einfache grandiose Stil diese Wirkung hervor: der Hauptgrund war meine Ahnung, daß in diesem Glaubensbekenntniß die richtige Auflösung des widerspruchsvollen Welträthsels verhüllt liege. Meine Ahnung hat mich nicht betrogen. Die Sphinx lebt schon lange nicht mehr: sie ist mit dem Herrlichen auf Golgatha an’s Kreuz geschlagen worden; wir glauben aber, daß sie noch lebe, weil wir den Glauben verloren haben.

Worin besteht die Absurdität des Dogmas oder was dasselbe ist: Warum muß es geglaubt werden?

Es muß geglaubt werden, weil keine menschliche Fassungskraft, nicht die subtilste Abstraktion im Stande ist, drei Personen zu denken, welche gleichzeitig existiren und doch nur Eine sein sollen. Es widerstreitet den Denkgesetzen ebenso wie die schon behandelte Absurdität des Pantheismus, daß Gott ganz und voll zugleich im Hans und in der Grethe sein, oder wie die andere des exoterischen Budhaismus, daß jedes Individuum allmächtig sein soll.

Zum Stützpunkte des Weiteren kann ich nur drei Artikel des obigen Bekenntnisses und drei Stellen aus dem Neuen Testament, Aussprüche Christi nehmen. Die drei Artikel sind: 19, 20 und 21; die drei Stellen aus dem Neuen Testament lauten:

1) Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben, aber die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht vergeben.

ii194 Und wer etwas redet wider des Menschen Sohn, dem wird es vergeben; aber wer etwas redet wider den heiligen Geist, dem wird es nicht vergeben, weder in dieser, noch in jener Welt.

(Matth. 12, 31. 32.)

2) Wahrlich, ich sage euch: Alle Sünden werden vergeben den Menschenkindern, auch die Gotteslästerung, damit sie Gott lästern.

Wer aber den heiligen Geist lästert, der hat keine Vergebung ewiglich, sondern ist schuldig des ewigen Gerichts.

(Marc. 3, 28. 29.)

3) Und wer da redet ein Wort wider des Menschen Sohn, dem soll es vergeben werden; wer aber lästert den heiligen Geist, dem soll es nicht vergeben werden.

(Luc. 12, 10.)

Es ist klar, daß ich auch die erwähnten drei Artikel des Athanasius hätte fallen lassen können, um an ihre Stelle Aussprüche Christi zu setzen; denn sie beruhen auf solchen. Vielleicht bezweifelt man dies in Betreff des Artikels 21, weil ausdrücklich von Christus gelehrt wurde, daß der heilige Geist vom Vater ausgeht (Joh. 15, 26); ich werde jedoch zeigen, daß die eine wie die andere Behauptung richtig ist.

Ferner: Besagt auch eine jede der drei angeführten Stellen des Neuen Testaments das Selbe, so ist doch ihre Zusammenstellung wichtig, weil sie in drei verschiedenen Evangelien vorkommen.

Was drücken nun diese drei Stellen aus? Sie machen dadurch einen großen Unterschied zwischen dem Heiligen Geist einerseits und Gott und Christus andererseits, daß die Gotteslästerung und die Lästerung des Sohnes vergeben, die Lästerung wider den Heiligen Geist aber nicht vergeben wird.

Das Moment der Strafe ist, wie Jeder leicht einsehen wird, durchaus unerheblich und unwesentlich; der Schwerpunkt dieser außerordentlich wichtigen tiefen Stellen liegt, wie gesagt, im Unterschied, den sie in die Dreieinigkeit bringen, d.h. darin, daß sie den Heiligen Geist über Gott und Christus setzen; denn wie sollte eine Lästerung wider eine der drei Personen strafwürdiger sein, als eine wider die anderen zwei, wenn alle drei Personen gleich heilig sind?

Mehr aber als diese einzige Folgerung: »daß« läßt sich nicht aus den Stellen ziehen; das »Warum« bleibt mit Nacht bedeckt.

ii195 Wenden wir uns jetzt zu den drei Artikeln des Athanasius.

Der erste bestimmt: daß Gott von Niemand weder gemacht, noch geschaffen, noch geboren sei. Mit anderen Worten: das Wesen Gottes liegt jenseit der Erfahrung. Will man es ergründen, so muß man die Erfahrung überstiegen, d.h. wir stürzen in die absolute Leere, in der Nichts ist, was wir ergreifen könnten. Das Wesen Gottes ist transscendent, unergründlich, unfaßbar für den menschlichen Geist, es ist schlechterdings unfaßbar, unergründlich. Unsere Vorstellungskraft erlahmt vollständig: wir können uns kein Bildniß, noch irgend ein Gleichniß von Gott machen. Kein Mensch, auch nicht der Verzückte, der in der intellektuellen Wonne Schwimmende, kann ihn erkennen.

Der zweite Artikel bestimmt: der Sohn ist allein vom Vater: nicht gemacht, noch geschaffen; sondern geboren.

Hieraus können wir zwei sehr wichtige Corollarien ziehen:

1) Der Sohn ist der Vater;

2) der Sohn kam nach dem Vater.

So dunkel, so transscendent der erste Artikel ist, so lichtvoll, so immanent ist der zweite. Er steht vollständig auf der Erfahrung, während der erste wie ein verhülltes Bild über einem bodenlosen Abgrund vor unserem Geiste schwebt.

Der Uhrmacher macht eine Uhr; der Gott der Juden machte die Welt. Das Kind dagegen ist Blut vom Blut des Vaters, ist Fleisch vom Fleisch des Vaters, ist Kraft von der Kraft des Vaters, ist Wesen vom Wesen des Vaters. Beide stehen in einem genetischen, nicht in einem bloß causalen Zusammenhang. Im Pflanzen- und Thierreich gar begegnen wir Erscheinungen, wo die Frucht mit dem Tode des Individuums erkauft wird, wo sich also in die Frucht gleichsam das ganze Wesen des zeugenden Princips gelegt hat. Ferner kommt das Erzeugte stets in der Zeit nach dem Erzeuger: der Erzeuger ist das Primäre, das Erzeugte das Sekundäre.

Verbinden wir nun diese beiden Folgesätze miteinander und gedenken dabei, daß Christus sich mit der Menschheit identificirte (Menschensohn), so gewinnen wir zunächst den Satz:

daß die Menschheit aus Gott geboren ist, ihm folgte und zwar wesensgleich mit ihm ist, d.h. sie enthält nur, was in Gott war.

Es folgt ferner aus dem tieferen Verhältniß des Vaters zum Sohne, |

ii196 daß der Vater ganz in den Sohn überging, daß er unterging als dieser entstand, daß der Vater starb, als der Sohn zu leben anfing: der Sohn ist nicht gemacht, nicht geschaffen, sondern geboren.

Nehmen wir ferner den Ausspruch des Johannes zu Hülfe:

Alle Dinge sind durch das Wort gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist,

(1, 3.)

so wird Christus zur ganzen Welt, zum Weltall. Er streift das enge Gewand des Menschensohnes (der Menschheit) ab und identificirt sich mit allen Dingen.

Nun kann auf einmal die Hälfte der dunklen, matten, undurchsichtigen Perle durch eine kleine grammatikalische Aenderung zum durchsichtigen blitzenden Diamant werden: wir haben es nicht mehr mit zwei getrennten, coexistirenden göttlichen Personen zu thun, die doch Eine Person sein sollen, was keine Vernunft denken kann, sondern mit zwei getrennten nacheinander lebenden Personen, die sehr wohl als Eine Person aufzufassen sind: jede Vernunft kann dies denken.

An die Stelle von: »Gott ist,« ist lediglich zu setzen: »Gott war und Christus, der Sohn, die Welt ist.« Jetzt ist Alles klar, hell, vernünftig. Dieser Theil des tiefen Dogmas muß wegen seines Widerspruchs nicht mehr geglaubt werden, sondern wird wegen seiner logischen Klarheit gewußt.

Nun sind hell und klar alle jene berühmten dunklen unlogischen Stellen im Neuen Testament wie:

Ich und der Vater sind Eins.

(Joh. 10, 30.)

Alle Dinge sind mir übergeben von meinem Vater. Und Niemand kennet den Sohn, denn nur der Vater; und Niemand kennet den Vater, denn nur der Sohn, und wem es der Sohn will offenbaren.

(Matth. 11, 27.)

Da sprachen sie zu ihm: Wo ist dein Vater? Jesus antwortete: Ihr kennet weder mich, noch meinen Vater; wenn ihr mich kennetet, so kennetet ihr auch meinen Vater.

(Joh. 8, 19.)

Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: ehe denn Abraham ward, bin ich.

(ib. 8, 58.)

Spricht zu ihm Philippus: Herr, zeige uns den Vater, so genüget uns.

ii197 Jesus spricht zu ihm: So lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht? Philippe, wer mich sieht, der stehet den Vater. Wie sprichst du denn: Zeige uns den Vater?

(Joh. 14, 8. 9.)

Und Alles, was mein ist, ist dein und Alles, was dein ist, ist mein.

(Joh. 17, 10.)

Die Finsterniß ist geflohen, es herrscht reines Licht.

Also Gott, das unergründliche transscendente Wesen, die einfache Einheit vor der Welt, existirt nicht mehr: sie hat sich in eine Vielheit von Individuen zerspalten, welche zusammengefaßt der Sohn sind, welcher jetzt noch allein existirt. Schon aus diesem Grunde ist auch der Vater eine andere Person als der Sohn, obgleich er in letzterem ganz und voll enthalten ist, weil eine einfache Einheit, von der wir uns absolut keine Vorstellung machen können, gar nicht mit einer Welt der Vielheit verglichen werden kann. Ferner ist von diesem Standpunkte aus der Vater größer als der Sohn:

Der Vater ist größer als ich,

(Joh. 14, 28.)

weil die Welt aus Individuen zusammengesetzt ist und die Macht keines Einzelwesens so groß ist, wie die Macht der vorweltlichen Einheit war, noch auch so groß wie der aus dem dynamischen Zusammenhang aller Dinge wehende göttliche Athem.

Der unleugbare feste Zusammenhang der Dinge, welcher zum absurden Pantheismus, d.h. zum Postulat einer in der Welt lebenden einfachen Einheit führte, ist mithin Erbschaft aus der Natur der vorweltlichen Einheit. Ich nannte dieses kostbare Erbe schon im Essay »Budhaismus« (S. 115) das Kleinod am Halse des hölzernen Götzen; indem wir es abnehmen und den Götzen verbrennen, haben wir das Wesentliche und Werthvolle des Pantheismus in der Hand ohne seine entsetzliche Absurdität: den Gott in der Welt, er heiße Materie oder Wille oder Idee oder unbewußte Unwissenheit.

Jedes Individuum ist, wie die Natur zeigt, nicht selbständig; es greift in die Welt ein, diese gestaltend; aber mit zwingender Gewalt greift auch die Welt in seine Natur ein, diese verändernd. Mit anderen Worten: das Individuum hat halbe Selbstherrlichkeit.

Indessen kann man auch wie der Pantheismus sagen: das Individuum ist gar nichts, ist Marionette, weil es sein ganzes Wesen, |

ii198 wonach es handeln muß, aus dem Wesen Gottes schöpfte; aber diese einseitige Behauptung, welche nur dann falsch ist, wenn man sie in ihrer Einseitigkeit bestehen läßt, muß sofort durch die Erklärung ergänzt werden, daß das Individuum in Gott war, also in der Welt nur ausführt, was es vor der Welt mit voller Freiheit und Autonomie in Gott beschlossen hat.

Dem vollständig abhängigen, durchaus mit Nothwendigkeit handelnden Wesen in der Welt steht also das vollständig freie und selbstherrliche Wesen in Gott vor der Welt gegenüber und das logische Produkt dieser Momente ist das halbselbständige Individuum in der Welt, unter welches die Natur jederzeit ihr Siegel drückt.

Das sich widersprechende Welträthsel ist demnach von Christus gelöst worden: die Sphinx verblutete mit ihm am Kreuze. Es lautete:

Die Welt ist, wie die Natur zeigt, nur aus Individuen zusammengesetzt; nirgends ist die Spur einer einfachen Einheit in der Welt zu erkennen. Der Weltlauf ist die Resultirende der Wirksamkeiten aller Individuen.

Und dennoch ist dieser Weltlauf, ist der Zusammenhang der Welt ein solcher, daß jeder Aufmerksame ihn auf eine einfache Einheit zurückführen muß.

Die einfache Einheit in der Welt widerspricht den Individuen, und die autonomen Individuen widersprechen dem Band, das sie umschlingt und sie zu Handlungen zwingt. Die einfache Einheit einerseits, das todte Individuum andererseits ist der Pantheismus; das allmächtige Individuum einerseits, der geleugnete Zusammenhang der Dinge andererseits ist der exoterische Budhaismus. Beide sind halbe Wahrheiten und nur deshalb möglich gewesen, weil die Coexistenz, die Gleichzeitigkeit von nicht-todten Individuen und einfacher Einheit undenkbar ist. Christus zerbrach mit kühner Hand diese Coexistenz und die Wahrheit lag nackt zu Tage wie der Nußkern in der zerbrochenen Schale.

Gott existirte vor der Welt allein. Christus, die Welt, existirt jetzt allein. Das ist die Lösung des Welträthsels. Mit anderen Worten: das Christenthum ist Verbindung von Pantheismus und exoterischem Budhaismus, Verbindung von absolutem Realismus und absolutem Idealismus. An die Stelle der einfachen Einheit in der Welt ist der aus der Einheit vor der Welt ge|flossene

ii199 Zusammenhang der Dinge getreten, der etwas Abstraktes, nichts individuell Greifbares, nichts Persönliches ist.

Jetzt haben wir zu fragen: Warum starb der Vater und warum wurde der Sohn geboren?

Zur Beantwortung dieser Frage ist der von Christus gelehrte Untergang der Welt unentbehrlich.

Himmel und Erde werden vergehen.

Von dem Tage aber und der Stunde weiß Niemand, auch die Engel nicht im Himmel, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

(Marc. 13, 31. 32.)

Die Welt, also der Sohn, und in ihm Gott werden vergehen.

Es ist sonnenklar; auch erinnere ich an das bei Besprechung des Budhaismus Gesagte. Ich kann auch an den Brahmanismus erinnern, denn die drei großartigsten Lehren: der Brahmanismus, Budhaismus und das Christenthum sind sämmtlich Pessimismus und lehren einen Prozeß der Welt und ein Ziel der Welt. Es soll etwas erreicht werden, was nur durch diesen Prozeß zu erreichen ist. Wie dies genannt wird, ist gleichgültig, ob Rückkehr in sich selbst, oder völlige Vernichtung (Nirwana) oder Himmelreich (Neues Jerusalem). Gott, das Brahm, das Karma, Jedes wollte etwas, was es lediglich durch Verleiblichung (Incarnation) erlangen konnte; jedes mußte sich gegenständlich, es mußte ein Conflict, ein Prozeß, ein Werden erzeugt werden. Durch sich selbst konnte Keines das Ziel erreichen: da war die Allmacht sich selbst im Wege. Es mußte Zersplitterung, Tod und Auferstehung in anderer Form erfolgen.

Wenden wir uns nunmehr zur dritten Person des Dogmas: zum Heiligen Geist.

Der heilige Geist ist vom Vater und Sohn: nicht gemacht, nicht geschaffen, nicht geboren; sondern ausgehend.

(Art, 21.)

Welche tiefe Weisheit!

Der Sohn, die Welt, ist eine werdende, sich nach einem Ziel bewegende Gesammtheit von Individuen, welche Gesammtheit der Ursprung aus einer einfachen Einheit, Gott, fest zusammenhält: die Welt ist eine feste Conjunctur mit einer einzigen Grundbewegung, die eben aus dem Zusammenwirken aller Individuen entsteht. Diese Grundbewegung, der Weg Gottes zu seinem Ziele ist |

ii200 das Schicksal des Weltalls oder, wie Christus sagte: der Heilige Geist.

Der Heilige Geist ist also kein Wesen, keine Persönlichkeit, kein reales Individuum, sondern etwas Abstraktes, ein einheitlicher Ausfluß aus der Wirksamkeit vieler, die Resultirende aus vielen verschiedenartigen Bestrebungen, die Diagonale des Parallelogramms der Kräfte. Er ist nicht gemacht, nicht geboren, sondern ausgehend.

Nun ist aber folgender großer Unterschied zu bemerken.

Da wir uns von dem Wesen und der Existenz (essentia et existentia) der vorweltlichen Einheit, Gottes, keinen Begriff machen können, so können wir auch nur bildlich sagen: Gott wollte das Nichtsein und gebar den Sohn, um es zu erreichen; denn der Wille gehört wie der Geist zum Menschen, beide sind Principien unserer Erfahrung; das transscendente Gebiet ist aber eo ipso kein Gebiet der Erfahrung und wir würden einfältige Träumer sein, wollten wir das Wesen Gottes nach Analogie unserer Erfahrung bestimmen und constitutiv aussagen: Gott habe einen allmächtigen Willen und Allweisheit gehabt. Wir dürfen Willen und Geist nur regulativ Gott beilegen, um uns die Welt als eine That faßlich zu machen.

Mit diesem sehr wesentlichen Vorbehalt dürfen wir also sagen:

Gott beschloß das Nichtsein und wählte die Mittel, die zu demselben führen.

In dieser Wahl der Mittel liegt nun der ganz gerade Weg bis zum Nichtsein, die ganze Diagonale des Weltprozesses, seine genaue Richtung, die nie, auch nicht um die Breite eines Haares, abzuändern ist.

Und deshalb, wie auch der Blödeste einsieht, geht der Heilige Geist, der doch, wie schon gesagt, nichts Anderes ist als die gerade Richtung, in der sich die Welt bewegt, vom Vater allein aus. Der Heilige Geist lag ideal in Gott.

Auf der anderen Seite jedoch wird dieser ideale Weg auf reale Weise allein dadurch zurückgelegt, er wird nur dadurch erzeugt, er geht nur davon aus, daß die Individuen der Welt zusammenwirken und so in jedem Augenblick des Weltalllebens einen Punkt der Bewegung erzeugen. Diese aneinandergereihten, oder gleichsam auseinander entstehenden, aus sich hervorquellenden Punkte |

ii201 bilden den realen Weg der Welt, der genau derselbe ist wie der ideale, der in der Allweisheit Gottes lag, wie der logische, der beschlossen war vor der Welt.

Demnach geht auch der Heilige Geist vom Sohne aus und zwar vom Sohne und vom Vater, weil die Welt in einem dynamischen Zusammenhang steht, der von Gott stammt.

Es hat mithin die römisch- katholische Kirche Recht und die griechisch- katholische ist nicht im Irrthum.

Auf diesem Grunde allein, beiläufig bemerkt, auf dem Grunde des metamorphosirten Glaubens, des reinen philosophischen Wissens allein sind die beiden Kirchen wieder zu versöhnen, ist das Schisma zu überwinden; nicht auf dem Brei des Döllinger’schen Altkatholicismus, der ein widerliches Gemisch von Rationalismus und Wunderglauben ist. Indessen, wir leben in der anhebenden Zeit der Philosophie und in der absterbenden der Religion. Es wäre thöricht, die beiden Kirchen, welche um zwölf Uhr fallen und zusammenbrechen müssen, um fünf Minuten vor zwölf Uhr noch zu vereinigen.

So wäre denn auch dieser Theil der undurchsichtigen Perle zum wasserhellen Diamant geworden und wir können den esoterischen Theil des Christenthums zu Ende bringen.

Der mit Freiheit vor der Welt beschlossene Lauf der Welt und die mit Nothwendigkeit in der Welt sich vollziehende Eine Bewegung kann, wie das Schicksal des budhaistischen Karma’s, kein moralisches Gepräge tragen. Im esoterischen Theil aller großen Religionen hat die Welt nur einen nothwendigen, im Voraus bestimmten Verlauf; mithin enthält dieser Theil keine Ethik, wie ich am Budhaismus deutlich gezeigt habe.

Trotzdem kann man sagen, daß die von Christus gelehrten Tugenden:

Vaterlandsliebe (Gehorsam gegen Cäsar, den Staat)

Gerechtigkeit

Menschenliebe

Virginität

zum esoterischen Theil der Lehre gehören. Man kann sie vier Engel nennen, die der Welt voranschweben und ihr die Richtung zeigen, und wenn man berücksichtigt, daß sie von Anbeginn der Menschheit in den Herzen einzelner Genialen das heilige Feuer des Erlösungsgedankens zur glutvollen Hingabe an das Allgemeine entzündet haben, |

ii202 so darf man sie den vier leuchtenden Rossen am Wagen der Morgenröthe vergleichen. Sie sind an das Weltall gespannt und geben ihm die Richtung an. Sie beschleunigen zugleich die Bewegung, welche sich aus der verschiedenartigen Wirksamkeit der Individuen ergiebt.

So sehen wir uns denn auf das Ergebniß der drei wichtigen, am Anfang dieses Essays befindlichen Stellen aus dem Neuen Testament zurückgeführt.

Die vier Tugenden sind in ihrer Gesammtheit der Heilige Geist und zwar der vom Vater allein ausgegangene Geist: das göttliche Gesetz. Er ist größer als Gott, er steht über Gott, weil er Gott etwas verschafft, was dieser durch sich selbst nicht haben konnte; und er ist größer als der Sohn, weil dieser aus guten und schlechten Individuen zusammengesetzt ist, die zwar in ihrem Gesammtwirken den Weg der Welt zurücklegen, aber meistens dazu gezerrt und gezwungen werden. Der Heilige Geist ist der Weg Gottes zum Nichtsein.

Nur Derjenige, welcher sich gleichsam auf die Rosse schwingt und mit ihnen den Lauf der Welt beschleunigt, oder wer von hinten in der Richtung der Rosse den Weltkarren schiebt, hat den inneren Frieden, das Himmelreich schon auf Erden. Er hat aufgehört, eine Kraft des Parallelogramms der Kräfte zu sein, aus denen sich die Diagonale erzeugt, er ist in die Richtung der Diagonale getreten und beschleunigt den Weltlauf.

Nun ist er voll des Heiligen Geistes, des höchsten der drei Wesen, nun ist er wiedergeboren worden.

Es sei denn, daß Jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen.

Nicodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?

Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: es sei denn, daß Jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.

Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist.

Laß dich es nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: ihr müßt von neuem geboren werden.

ii203 Der Wind bläset, wo er will, und du hörest sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, von wannen er kommt, und wohin er fährt. Also ist ein Jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.

(Joh. 2, 3-8.)

Weil also der Geist heiliger ist als der Vater und der Sohn, deshalb ist er größer als diese und weil nur derjenige Mensch glücklich sein, d.h. den echten wahren Herzensfrieden haben kann, der im Geiste wiedergeboren ist, d.h. die Tugenden der Vaterlandsliebe, Gerechtigkeit, Menschenliebe und Keuschheit ausübt, deshalb

kann Derjenige, »welcher den Geist lästert,« d.h. sich gegen ihn stellt, keinen Frieden haben, d.h. »der hat keine Vergebung ewiglich.«

Hiermit haben wir den ganzen esoterischen Theil des Christenthums abgehandelt: alles Andere ist exoterisch und als solches widerspruchsvoll und verworren.

Durch die kleine grammatikalische Substitution von »war« für »ist« in Betreff Gottes, ist aus dem dunkelsten Dogma die hellste klarste Weisheit geworden. Das Dogma lautete:

Gott ist; Christus ist; der Heilige Geist ist;

es lautet jetzt:

Gott war; Christus ist; der Heilige Geist ist;

und zwar ist nur Christus real; der Heilige Geist ist etwas Ideales, Abstraktes, ein echter Geist.

Ja, man braucht sogar die Aenderung gar nicht vorzunehmen, man kann das Dogma bestehen lassen wie es ist:

Gott ist; Christus ist; der Heilige Geist ist;

wenn man sich nur gegenwärtig hält, daß Gott lediglich in der Welt der dynamische Zusammenhang ist, der auch, im Grunde genommen, immer das war, was sich erleuchtete Gläubige unter Gott vorgestellt haben: der Lenker der menschlichen Geschicke und aller Dinge. Dieser Gott bleibt also nach wie vor; nur seine Realität als Persönlichkeit versinkt. In diesem Sinne ist auch das Christenthum verhüllter Atheismus, wie ich in meinem Hauptwerk deutlich gezeigt habe; denn der Gott des Christenthums ist nicht der persönliche Gott der Juden, sondern nur ein reales Verhältniß, in dem die Individuen dieser Welt zu einander stehen. Gott als dynamischer Zusammenhang der Welt, als göttlicher Athem aufgefaßt, und der Heilige Geist sind nur Geist, ein Abstraktes, Ideales; der Sohn |

ii204 allein, die Welt der Individualitäten allein ist real und existirt. Es ist der Unterschied, den bereits die großen mittelalterlichen Mystiker zwischen Gott und Gottheit machten. Die Gottheit war vor der Welt und ist nicht identisch mit der Welt, Gott dagegen ist die Welt (Christus). So wunderbar ist diese Wahrheit, daß sie – man drehe und wende sie wie man wolle – immer dasselbe holdselige Antlitz zeigt.

Bleibt man dagegen bei der grammatikalischen Aenderung stehen, so ist meine Erleuchtung des Dogmas dem Stoß zu vergleichen, womit Columbus das Ei auf den Tisch setzte.

Sollte man indessen meine Exegese des Dogmas für gewaltsam und nicht im Geiste Christi, des Herrlichen, selbst vollzogen erklären wollen, so bedenke man vorher, daß man damit Lorbeerkränze auf mein Haupt legen wollte, die ich in klarer Erkenntniß der Last, die ich zu ertragen im Stande bin, nicht annehmen dürfte.

Nur wegen der Continuität aller geistigen Offenbarung, nur im Entwickeln des Geistes, nur auf Grund himmelhoher vorgethaner Arbeit konnte Christus das Welträthsel lösen; denn es ist über allen Zweifel erhaben, daß er entweder einer Sekte angehörte, die Indischer Geist durchwehte, oder auf anderem Wege mit den großen orientalischen Religionen sehr vertraut wurde. Hätte er ohne Vorgänger das Welträthsel gelöst, so würde er in der That das gewesen sein, wozu ihn das liebebedürftige, gute, edle Herz gläubiger Christen machen mußte: ein Gott, kein Mensch.

Das würde man nun im obigen Falle m. m. auch aus mir machen wollen; denn ich habe die Wahrheit auf meiner Seite. Ich lehne aber sowohl die Apotheose als die Behandlung meines individuellen Lebenslaufs in Form einer Legende mit herzlichem Lachen ab. Ich habe mir auf der Bahn der reinen Wissenschaft die Christuslehre erleuchtet, durchleuchtet und mit der Wissenschaft versöhnt und zwar hatte ich anfangs keine Ahnung davon, daß ich zu diesem Ziele käme.

Ihm, dem Großen, dem Gewaltigen, dem Seelenerwärmer und Seelendurchglüher und seinen Vorgängern, den großen Brahmanen, dem milden indischen Königssohne und auch dem edlen Zarathustra sei Preis und Ehre, bis das letzte menschliche Auge bricht.

Schließlich noch eine Bemerkung. Man kann die ganze Zeit vor Christus als die Periode bezeichnen, wo Gott, der Vater, gesucht wurde und geherrscht hat. Mit Christus trat der Vater |

ii205 in den Hintergrund und es begann die Periode der Verehrung des Sohnes. Ich halte nun die Epoche für herbeigekommen, wo der Cultus des Heiligen Geistes beginnen wird. Er ist der Geist der Wahrheit, der Weg und das selige Leben, und zwar ein Geist, der nicht geglaubt werden muß, sondern den Jeder erkennen und somit wissen kann.

Auch glaube ich – doch dieser Glaube ist rein individuell und wird von mir Niemanden aufgedrängt – daß wenn der Vater etwa viertausend Jahre und der Sohn zweitausend Jahre herrschte, so der Heilige Geist nur eintausend Jahre die Menschheit leiten wird. Es würde sich hier das Gesetz der mathematischen Progression in Absicht auf die zunehmende Schnelligkeit der Bewegung zeigen. Mit der Herrschaft des Heiligen Geistes würde aber auch die Menschheit erlöschen. Jedenfalls überlebt der Pantheismus die Bourgeoisie und die constitutionelle Monarchie nicht.

Trügen die Zeichen der Zeit nicht, so stehen wir am Anfang des Endes. Denn wenn die Gesellschaft nivellirt, die Heerde eine einige geworden sein wird – was soll dann noch Anderes kommen als Erlösung? Ein anhaltender Rückfall in die Barbarei und den Despotismus ist unmöglich; er ist faktisch unmöglich, wenn die Naturgesetze nicht wandelbar sein sollen. Deshalb sagte ich auch in meinem Hauptwerke, daß die Lösung der socialen Frage identisch sei mit der Erlösung der ganzen Menschheit.

 


Date: 2015-01-02; view: 916


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IV. Das Charakterbild Budha’s. | II. Der exoterische Theil der Christuslehre.
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