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IV. Das Charakterbild Budha’s.

 

ii176

Und da er das Volk sahe, jammerte ihn desselben.

Matth. 9, 36.

————

Und Budha sagte: Budha hat Mitleid mit der

ganzen Welt.

Spence Hardy, M. o. B., 47.

 

Budha war genial. Es zeigt sich uns in dieser großen Erscheinung eine Gehirnblüthe, welche geradezu einzig in der Menschheit dasteht; denn sie ist die Vereinigung der scharfen Absonderungs- und Verbindungskraft Kant’s mit der künstlerischen Einbildungskraft Raphael’s oder Goethe’s. Ich wiederhole hier mit der größesten Bestimmtheit, weil ich weiß, daß ich von Niemand je widerlegt werden kann, daß es immer zweifelhaft sein wird, welche Verzweigung der Wahrheit die richtige ist: die im esoterischen Theil der Budhalehre oder die im esoterischen Christenthum liegende. Ich erinnere daran, daß der Kern beider Lehren derselbe ist: er ist die absolute Wahrheit, welche nur Eine sein kann; aber es ist fraglich und wird immer fraglich sein, ob sich Gott zu einer Welt der Vielheit zersplitterte, wie Christus lehrte oder ob Gott immer nur in einem einzigen Individuum incarnirt ist, wie Budha lehrte. Glücklicher Weise ist dies Nebensache; denn es ist ganz gleich, ob Gott in einer realen Welt der Vielheit liegt oder in einem einzigen Wesen: seine Erlösung ist die Hauptsache und diese wurde von Budha und von Christus gleichartig gelehrt; ebenso wurde von beiden gleichartig der Weg festgestellt, der zu ihr führt.

Da Budha nach seinem Einsiedlerleben keinen inneren Anfechtungen mehr ausgesetzt war, so concentrirte sich sein ganzes Blutleben im kostbarsten Organe des Menschen, im Kopfe. Man darf sagen, daß er nur noch ein rein erkennendes Wesen war. Er schwebte über der Welt und über sich selbst. In diesem entzückenden freien Spiel seiner Geisteskräfte muß er das denkbar schönste Leben geführt haben, sowohl wenn er in Einsamkeit sein Inneres und die Welt spiegelte, als auch, wenn er in das bunte reale Getümmel Indiens blickte. Er saß gleichsam immer im Theater, in tiefer Contemplation das große Bild des Lebens beschauend. Und es entflohen die Stunden wie Minuten.

ii177 Seine Ironie und sein Sarkasmus wirkten vernichtend, sein Scharfsinn war bewunderungswürdig. Er konnte, wie man zu sagen pflegt, ein Haar in tausend Haare spalten. Ich verweise auf seine von Spence Hardy übersetzten Controversen mit den gelehrten Brahmanen. Er besiegte sie Alle, Alle und zeigt hier große Aehnlichkeit mit Plato’s dialektischem Geiste, welcher auch tausend einzelne, scheinbar nicht zusammengehörige Fäden spann und dann plötzlich alle in einen einzigen Knoten verknüpfte. Auch wurden Alle, die mit Budha streiten wollten, vorher gewarnt,

weil es außerordentlich gewagt sei, Budha zu widersprechen; denn seine kunstvolle Methode, Andere zu seiner Meinung herüberzuziehen, war erstaunlich.

(M. o. B., 268.)

Seine Beredsamkeit muß hinreißend gewesen sein, namentlich wenn er nicht in dialektischem Kampfe lag, sondern ungehindert seine Lehre entwickeln konnte. Wie mögen da die großen blauen Augen gefunkelt haben!



Wie sich leicht denken läßt, klammerten sich die Brahmanen in ihrer Verzweiflung an den Umstand, daß Budha der Kriegerkaste entstammte, daß er kein Brahmane war. Sie lagen dem Volke mit ihrer lächerlichen Behauptung im Ohre: Nur ein Brahmane könne die Wahrheit finden. Budha sei kein Brahmane, kein Gelehrter, folglich müsse seine Lehre falsch sein. Wir stehen hier vor demselben Schluß und denselben Prämissen, wie diese:

Alle Menschen haben zehn Finger;

Du hast neun Finger:

Folglich bist du kein Mensch.

Die Brahmanen aller Zeiten, aller Orte und in was immer für einem Costüme, haben bekanntlich in Trugschlüssen solcher Natur von jeher das Unglaubliche geleistet. Die Genialen aber haben sie von jeher wie Budha behandelt, d.h. sie ließen sie ruhig stehen und auf ihren Lippen zeigte sich nur ein feines, bezauberndes, ironisches Lächeln.

Als Budha zu lehren anfing, hatte er keine Zeit und auch keine Ruhe mehr zum Studiren; so wenig wie ein Edler einen Brief nochmals ruhig lesen wird, wenn vor ihm ein Mensch mit dem Tod in den Wellen kämpft oder ein Haus brennt, aus dessen Fenster Hülferufe ertönen. Und was sollte er denn überhaupt noch studiren? Er hatte – man vergebe mir die kühne aber treffende Trope – |

ii178 in zwei Stunden vermöge seiner bedeutenden Urtheilskraft in den vier Veden das Gold von dem Sande getrennt, das Gold in die Tasche gesteckt und den Sand liegen lassen. Sollte er vielleicht den Sand noch jahrelang durchwühlen, in dem kein Körnchen Gold mehr lag? Er hätte ein urtheilsloser Brahmane sein müssen, um sich einer solchen unseligen, unfruchtbaren Arbeit hinzugeben. Dagegen concentrirte er alle jetzt frei gewordene Kraft erst auf seine Wiedergeburt, auf seine totale Veredelung, dann auf die zur Hälfte oder ganz verfaulten Herzen seiner Menschenbrüder. Und wie wirkte er, der Laie, der Siegreich- Vollendete trotz der Kaste, welche die Weisheit gepachtet zu haben vorgab!

Wie ich bereits erwähnte, mußte Budha alle Menschen, die ihm begegneten, für Schein, für unreal halten. Trotzdem mußte er lehren und versuchen, diese Phantome aus ihrem entsetzlichen Schein-Elend zu ziehen und auf die Bahn der Erlösung zu führen, weil es sich in ihm um ein ganz positives, reales Leid handelte, von dem er sich befreien mußte, sollte er den so schwer erkauften Seelenfrieden behalten. Wer nämlich eine lebhafte Phantasie besitzt und nur einmal klar und objektiv in die Welt geblickt hat, der wird immer unter der Realität der Welt leiden, ob ihm auch der Kopf tausendmal sagt: Das Alles ist nur Schein und Zauberei deines Gemüths. Hatte Budha wirklich Recht, d.h. – ich wiederhole es – war er allein das reale Wesen der Welt, lag Gott in seiner Brust allein und war die Welt nur ein Schein – so war sie aber zugleich ein Schein, der das Herz erfaßte und nicht mehr losließ, weil eben dieses Herz den Schein mit einer solchen hochgradigen Realität versehen hatte, daß er positive Zustände in Budha hervorbringen mußte, welche dann den bestimmenden und intendirten Einfluß auf das verborgene Karma ausübten.

So war es denn – und damit gehen wir auf die Herzenseigenschaften des Indischen Heilands über – das wogende Mitleid mit den Menschen, die grenzenloseste Barmherzigkeit Budha’s, welche ihn aus seinem behaglichen Prinzenleben in die trübe Fluth der Welt peitschte und aus einem Königssohne einen herumirrenden Bettler machte.

Und Budha sagte:

Budha hat Mitleid mit der ganzen Welt.

(M. o. B., 47.)

ii179 Sehr schön und tiefsinnig ist die Handlungsweise Budha’s, d.h. sein Uebertritt aus einem ruhigen sorgenlosen Leben in den Kampf mit der spröden Menschheit, in dem Bilde ausgedrückt, daß er das Paradies verließ, und als Mensch geboren wurde, weil er Alles, was Leben hatte, erlösen wollte. Ihn lockte hierzu weder Macht, noch Ehre und Ruhm, sondern er wurde von seiner Barmherzigkeit allein getrieben, die nur dann aufhörte, ihn zu quälen, wann er sich im Kampfe für das Heil der Menschen wußte. Wäre er in seinem Harem, in seinen goldstrahlenden, marmornen Palästen, in seinen Zaubergärten geblieben, so würde ihn das Mitleid erstickt haben; so aber fand er Ruhe. Auch würde er Ruhe gefunden haben, wenn seine Thätigkeit keinen Erfolg gehabt hätte; denn ein echter Erlöser der Menschheit, d.h. ein Mensch, der lediglich vom Mitleid mit Anderen motivirt wird, verlangt keinen äußeren Erfolg, sondern nur das Bewußtsein schlechthin, mit aller Kraft für Andere zu kämpfen. Dieses muß er haben. Dieses Bewußtsein ist conditio sine qua non für den Tod des Leids in seiner Brust. Daß er oft in diesem reinen Streben die größte irdische Macht erhält, nämlich die Gewalt über die Herzen von Millionen, ja daß sein Ruhm den höchsten Grad: die Anbetung im Leben und die Vergötterung nach dem Tode erlangt – Das ist für ihn eine Nebensache, die er kalt belächelt. Das Mitleid treibt den echten Erlöser in die Welt zurück; es erstirbt aber, sobald er den Weg betritt. Was hält ihn nun im Leben zurück? Das Leben selbst? Gewiß nicht; denn er wäre gar kein Erlöser, wenn er das Leben nicht verachtete und den Tod nicht liebte, wenn er nicht diese Welt verurtheilte und nicht das Nichtsein mit dem Kopf und dem Herzen über das Sein stellte. Was sollte ihn also, den Fremdling auf Erden, in das dunkle Thal fesseln und von der Ruhe Nirwana’s zurückhalten, dieser Stadt des ewigen Friedens, nach der er in verzehrender Sehnsucht wie ein verlechzter Hirsch nach Wasser Verlangen trägt? Geld? Gut? Macht? Ruhm? Weiber? Vater? Mutter? Brüder? Schwestern? – – Nicht das Mitleid, nicht das Leben schlechthin, auch kein Reiz, den es bieten kann, hält ihn zurück. Er steht jetzt lediglich unter der Gewalt seines angefangenen Werks, die ihn so lange treibt und anspornt, bis das Auge bricht, ob in einem Garten vor der Stadt Kusinara an Altersschwäche oder am Kreuze von Golgatha. (Ein drittes Beispiel giebt es bekanntlich nicht; denn |

ii180 wohl mögen noch andere Erlöser gelebt haben, aber die Geschichte hat uns die Merkmale vorenthalten, an denen wir allein den echten Erlöser der Menschheit zu erkennen vermögen.)

So war denn Budha, als er sich vollkommen rein in den schmutzigen Strom der Welt stürzte, durch das Bewußtsein seiner Thätigkeit für Andere leidfrei. In ihm herrschte die Horazische Laetitia, der von Shakespeare in der Gestalt des Horatio verherrlichte Gleichmuth, der christliche Frieden, der höher ist als alle Vernunft. Seinen inneren Menschen konnte absolut Nichts mehr bewegen: Der lebte bereits in der Ewigkeit des Nichts, in der Unbeweglichkeit Nirwana’s. Der äußere Mensch aber ließ sich heftig bewegen. Er wanderte ruhe- und rastlos von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, immer lehrend und kämpfend.

Hiermit ist auf das Engste die Leidenschaftslosigkeit des großen Mannes verknüpft. Daß er, ehe er der Welt rund und voll entsagte, ehe er die reine Fremdlingschaft auf Erden oder, was dasselbe ist, das reine Erlöseramt erwarb, furchtbare Kämpfe in seiner Brust mit der Liebe zum Leben zu bestehen hatte, liegt symbolisch angedeutet in dem farbenreichen, zaubervollen Märchen seines Kampfs mit Wasawartti-Mara. Budha hatte seine glühende Liebe zur Wahrheit, seine bedeutende Weisheit, die volle Ueberzeugung von der Echtheit seiner Lehre, seine erstickende Menschenliebe, sein felsenfestes Vertrauen in seine Mission und seine gewaltige Widerstandsfähigkeit gegen Leiden aller Art nöthig, um sich vollständig schlackenrein und aus einer rauchumhüllten, züngelnden, lodernden Flamme ein ruhiges, klares, helles Licht zu machen.

Es ist indessen sehr bemerkenswerth, daß er alle diese herzbrechenden Kämpfe vor der Uebernahme des Erlöseramts ausfocht. Als Siegreich- Vollendeter ging er in die Welt zurück, welcher er mehr dämonisch, d.h. mehr auf unklaren Antrieb als mit vollem Bewußtsein entflohen war.

Vom Augenblicke an, wo er zu predigen anfing, war er ein rahat, d.h. ein Heiliger und zwar ein Heiliger, der weder äußere noch innere Anfechtungen mehr zu erleiden hatte. Kein Schwanken mehr, keine Leidenschaftlichkeit oder Hochfluth auf der einen, keine Niedergeschlagenheit oder Ebbe auf der anderen Seite, kein Oscilliren zwischen zwei Polen; sondern innere absolute Unbeweglichkeit und äußere heitere Gleichgültigkeit: Seelenfrieden und äußere Ruhe.

ii181 Sehr beachtenswerth und merkwürdig ist der fatalistische Charakterzug Budha’s in der Zeit seiner letzten Kämpfe. Nach denselben verschwand dieser Zug ganz, weil er verschwinden mußte.

Ich erinnere an die ungeheuren Schwierigkeiten, die sich dem klaren Auge Budha’s zeigen mußten, als er an das Erlöseramt dachte. Er sah Alle, welche Macht im Staate hatten, mit dem Entschluß gegen ihn auftreten, ihn unschädlich zu machen; denn seine Lehre führte einen Vernichtungskampf, sowohl gegen die Grundlagen des Staates, die Staatsverfassung, als auch gegen alle Produkte einer jahrtausendelangen geschichtlichen Entwicklung auf Grund dieser Staatsverfassung: also gegen die herrschende Religion, die uralten Sitten, das ganze Volksleben, wie es historisch im Blute der Inder geworden war. Ganz allein, mutterseelenallein wollte er den Kampf mit diesen tausend Riesen der Gewohnheit aufnehmen; denn das niedere Volk, das er erlösen wollte, war halb verthiert, blöde, furchtsam, feige.

Da mochten schwere Zweifel an dem äußeren Erfolg, ja an seiner Lehre überhaupt, und an sich selbst den großen Denker ergriffen haben. Er schwankte, und während die innere Stimme verstummte, schwieg auch die Außenwelt: es lebte nur der Zweifel in der umnachteten Seele des Herrlichen.

In solchen Momenten mußte er, sollte er nicht in den Wogen untergehen, sich einen redenden Mund, der ihm Muth zusprach, und einen Balken, an den er sich anklammern konnte, selbst erschaffen. Wie gesagt, sein Inneres schwieg und die Außenwelt war völlig stumm. Was thun? Da zwang er die Außenwelt, klar zu sprechen.

So warf er denn, wie wir gesehen haben, sein abgeschnittenes Haar in die Luft und dachte: Fällt es nicht zur Erde, so wirst du siegen, fällt es aber, so gieb jede Hoffnung auf!

So warf er ferner den goldnen Almosentopf der Sujata in den Strom und dachte: schwimmt er gegen den Strom, so wird mir das Erlöseramt zu Theil, treiben ihn die Wellen dagegen stromabwärts, so werde ich es nie erlangen.

Selbstverständlich liegen diesen Wundern der Legende einfache natürliche Vorgänge zu Grunde. So mag Budha, ehe er das Haar in die Luft warf, erst mit geschlossenen Augen eine Strecke Weges zurückgelegt haben, mit dem Gedanken: bleibt es zufällig an den Aesten eines Baumes hängen, so werde ich siegen; ist aber an |

ii182 der Stelle, wo ich stehen bleibe, kein Baum und fällt das Haar deshalb zur Erde, so wird meine Lehre nicht zünden. So mag er ferner den Topf mit dem Gedanken in den Strom geworfen haben: fällt er so, daß kein Wasser in ihn dringt, und er mithin auf der Oberfläche bleibt, so wirst du ein Budha, im anderen Falle nicht.

Und so, wie er hier die Außenwelt zwang, ihm ein Zeichen zu geben, so zwang er auch sein Inneres, deutlich zu reden. Ich erinnere an die Aufregung, in die er sich versetzte, als er einerseits an die Tiefe seiner Lehre, die man nur schwer ergründen könne, und andererseits an die Verstocktheit und Schlechtigkeit der Menschen dachte. Durch diese Aufregung löste er seinem geängstigten Inneren die Zunge und nun, in auflodernder Begeisterung, rief jubelnd die Seele:

Die ganze Welt wird ganz bestimmt durch dich erlöst werden!

Dieser Fatalismus steht geradezu einzig da, wenn man ihn vom Standpunkt des esoterischen Theils des Budhaismus aus prüft. Das Karma Budha’s, welches ganz allein in der Welt real war, schuf sich Leib, Bewußtsein und Außenwelt; denn es war als einzig Reales in der Weit allmächtig. Nun zwang in solchen bedeutsamen Momenten das Sekundäre und Abhängige (das Bewußtsein, der Geist) das Primäre und Allmächtige (das unbewußte Karma), sich zu bethätigen: und es mußte gehorchen, weil es unter der gesetzlichen Nothwendigkeit seiner Phänomenalität stand.

Dieser Charakterzug erlosch aber, wie schon bemerkt (er wurde gleichsam rudimentär), als Budha öffentlich auftrat. Nun erfüllte den Göttlichen nur noch das Gefühl seiner Allmacht und aus diesem Gefühl floß das felsenfesteste unerschütterlichste Vertrauen, die größtmögliche Ausdauer, der maßloseste Stolz und endlich die unübertrefflichste Güte und Milde.

Das felsenfesteste Vertrauen.

Budha erklärte: Es ist ganz unmöglich, daß Jemand, welcher auf dem Wege zu Nirwana ist, einer Gefahr ausgesetzt werden kann, welche den Tod herbeiführt.

(M. o. B., 502.)

Budha hätte sich wehrlos tausend Bewaffneten entgegengeworfen, er hätte sich in brennende Häuser oder in ausgetretene Gebirgsbäche gestürzt, er hätte das tödtlichste Gift verschluckt, ohne zu zögern, wenn er es für die Erlösung der Menschheit für nöthig erachtet hätte: denn ihn beseelte der Glaube, daß er, an dessen Lebensende |

ii183 das Nichts lag, gefeit gegen Alles sei. Und dieser Glaube wankte nie, weil er aus einem Bewußtsein floß, das nur auf der Lehre Budha’s möglich ist, nämlich daß das sich erkennende und fühlende Einzelwesen Gott ist. Wenn Budha Gott und alles Andere Blendwerk, Zauberei dieses Gottes war, was sollte er dann befürchten? Dieses Bewußtsein ist der unerschütterlichste Boden, auf dem ein Individuum ruhen kann. Und auf diesem Boden allein erlangt man das Gefühl absoluter Freiheit.

Budha ist frei von allem Zweifel und jeglicher Furcht, denen alle Anderen unterworfen sind.

(M. o. B., 372.)

Budha ist frei vom Zwang der von ihm gegebenen Gebote.

(ib. 293.)

Jean Paul gab dieser absoluten Freiheit einen schönen Ausdruck in den Worten:

Wer irgend etwas im Universum noch fürchtet, und wäre es die Hölle, Der ist noch ein Sklave.

(Titan.)

Budha’s Ausdauer.

Seine Ausdauer ist nur die Kehrseite seines Vertrauens. Er wußte, daß er allmächtig sei, obgleich sich sein verborgenes allmächtiges Wesen in die Gesetzmäßigkeit und Abhängigkeit einer phänomenalen Welt, eben vermöge seiner Allmacht, begeben hatte. Als er sein Ziel erkannt hatte, ergriff er beherzt alle Mittel, die dahin führen und ließ sie erst wieder aus der Hand, als sie nichts mehr nützen konnten. Allmälig schälte er sein Inneres von allem Aeußeren los und nahm ihm, ohne in diesem Geschäft zu ermüden, eine Kette nach der anderen, eine Begierde nach der anderen ab, bis er völlig emancipirt über der Welt schwebte. Erst verzichtete er auf Macht, Ruhm und Besitz: welche drei furchtbar schweren Ketten der Menschen! Dann zerriß er alle Familienbande: die Bande, welche ihn mit dem alten Vater, der treuen Stiefmutter, dem geliebten Weibe und dem einzigen Kinde verknüpften: welche festen Bande! Nun stand er ganz frei und ledig allein da, aber noch immer in Ketten: zuweilen auftretende Sehnsucht nach den Ketten Macht, Ruhm und Besitz und nach den vier Familienbanden; ferner Zweifel an seiner Mission und an der Wahrheit seiner Lehre, Furcht, und Hang zu einem individuell behaglichen Leben. Alle diese Ketten zerstörte er nach und nach. Die meiste Arbeit gab ihm, dem Königssohne, wohl die Lust am Wohlleben. Er demüthigte seinen Leib durch harte Selbstpeini|gung

ii184 und überwand den Ekel vor der erbettelten schmutzigen Nahrung. Wie groß erscheint der Herrliche in jenem kritischen Momente an der Schwelle seines Büßerlebens, wo er sich Muth zusprach, als er trüben Blickes zum ersten Mal den Inhalt seines Almosentopfes musterte und sein Magen sich schmerzhaft umdrehte!

Ja, ja, das individuelle Wohlleben, es ist eine furchtbare Kette. Wie Viele verzichten, durch günstige Naturanlage dazu befähigt, mit Leichtigkeit auf geschlechtlichen Genuß und die Annehmlichkeiten einer Ehe überhaupt; auch ziehen Manche die Bequemlichkeit einer behaglichen Existenz dem staubigen und blutigen Lorbeerkranz vor. Aber wie pflegen sie dafür den theuren Leib! Wie sorgen sie für den angenehmen Kitzel des Gaumens und der Geschmacksnerven! Sie lassen sich geduldig auf den Märkten stoßen und auf die Füße treten, nur um das Köstlichste für ihren Magen und Bauch zu erstreiten. Wie ihre Augen funkeln, wenn ihnen ein Anderer die Waare abjagen will, welche sie mit lüsternen Augen mustern, während die Speicheldrüsen in eine erhöhte Absonderungsthätigkeit gerathen! Hatte nicht Satan Recht, als er zum Herrn sagte:

Haut für Haut, und Alles, was ein Mann hat, lässet er für sein Leben.

Aber recke deine Hand aus, und taste sein Gebein und Fleisch an: was gilt es, er wird dir in das Angesicht entsagen?

(Hiob 2, 4. 5.)

Wie bald wußte Hiob das Gleichgewicht seiner Seele wiederzufinden, als er seine Söhne und Töchter, und seine Heerden verloren hatte! Das war doch Alles nur Anhängsel seines lieben Ich, mochte es auch vom Blut gepackt worden und mit der Epidermis verwachsen sein. Da sprach er gelassen: »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobet.« Als aber der Herr dem Satan erlaubte, den theuren Leib des Gerechten anzurühren, da begann der Hader mit Gott, da krümmte sich der getretene Wurm, da lehnte sich das trotzige Individuum auf und der schäumende Mund lästerte mit Behagen.

Budha zerbrach die Kette und sofort erhielt er den großen Lohn dafür: Sorglosigkeit um des Leibes Nothdurft. Wie oft wurden und werden die schönen Worte Christi begeifert:

Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. |

ii185 Ist nicht das Leben mehr, denn die Speise? Und der Leib mehr, denn die Kleidung?

Sehet die Vögel unter dem Himmel an; sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?

Darum sorget nicht für den anderen Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.

(Matth. 6, 25-36.)

Will Einer seinen spöttischen Zweifeln noch den mildesten Ausdruck geben, so macht er wohl die geistreiche Bemerkung: »Ja, zur Zeit des Heilands und im Morgenland – da hatten die Worte noch Sinn; aber heutzutage, im jetzigen Kampf um’s Dasein, sind sie sinnlos.« Und während er dies sagt, verschlingt er ein Kibitzei oder etwelche Austern und netzt sie mit Sekt. Ich aber sage: Noch niemals ist ein Genügsamer verhungert und niemals wird ein Genügsamer verhungern, sollten auch die socialen Verhältnisse, dem Gesetz der Weltentwickelung zum Hohn, noch trüber werden als sie jetzt sind. Die Worte des Heilands entsprangen einem in heilsamer Zucht gehaltenen Fleische und waren der reine Ausfluß aus der Frucht eines solchen Fleisches: aus der süßesten Sorglosigkeit.

Budha’s Stolz.

Budha’s Stolz ist mit zwei Worten zu charakterisiren: Es spiegelte sich Gott in einem menschlichen Selbstbewußtsein. Der Spiegel war wunderbar rein und das Spiegelbild von entzückender Schönheit: fleckenlos, klar, farbenreich, wunderschön.

Die Brust wurde zu eng; das seligste Selbstgefühl hätte sie zersprengt, wenn sie sich nicht erleichtert hätte. Und es jubelte und wirbelte die übervolle Seele glühende Worte, es hauchte die süße Blume berauschenden und sinnverwirrenden Duft in die weite Welt hinaus:

Ich bin das höchste Wesen in der Welt! Ich bin Herr der Welt! Ich bin der Vortrefflichste in der Welt. Ich werde ganz bestimmt Erlösung finden.

(M. o. B., 146.)

Priester! Keiner in der ganzen Welt, weder im Himmel, noch auf Erden, steht über mir. Wer mir vertraut, vertrauet Dem, der allmächtig ist; und wer dem Allmächtigen vertraut, wird den höchsten Lohn finden. Ich habe keinen Lehrer gehabt; |

ii186 es giebt nicht meines Gleichen; Niemand ähnelt mir, sei es ein Engel oder ein Mensch.

(ib. 361.)

In diesem überwältigenden Selbst- und Gottesgefühl trat er unter die Menschen und wandelte fünfundvierzig Jahre unter ihnen: es verließ ihn nie. Es wandelte Gott auf Erden. Wie hätte sich dieses große Wesen, diese göttliche Individualität je auch nur eine Linie tief beugen sollen? Vor wem denn? Vor dem Sternenhimmel? Er war sein Werk. Vor Blitz und Donner? Er gab dem Blitz und Donner die Kraft zu schrecken und der Meister sollte vor seinem Werke zittern? Vor Kaiser und Königen in Indien? Wirklich vor diesen Würmern und begierdevollen Sündern?

Budha versagte den Großen dieser Erde ihre Titel. Würdigte er sie einer Ansprache, so redete er mit ihnen wie mit allen anderen Menschen.

(M. o. B., 373.)

Dieser stolze Kopf saß stolz auf einem stolzen Nacken, und die Hand des Gewaltigen hielt die Peitsche der absoluten Wahrheit. Sie war ein Zauberstab, der alle Hindernisse aus dem Wege räumte und das Herz der Menschen nackt vor Budha legte. Wie dieser trotzige Muskel rebellisch zuckte, ob er einem Brahmanen, einem Krieger, einem Kaufmann, einem Handwerker oder einem Sklaven gehörte! Vollständig besiegt aber wurde das selbstsüchtige Ding doch erst durch

Budha’s Güte.

Man wähne nicht, daß Stolz und Demuth nicht in einer Brust wohnen können, weil sie sich gegenseitig ausschlössen: sie müssen nur grenzenlos sein, dann berühren sie sich und fließen in einander über.

Es giebt eine sehr hübsche Geschichte, worin die Besiegung eines wilden Dämonen durch Budha’s Demuth und Güte geschildert wird. Ich will sie verkürzt erzählen.

»Dem furchtbaren Dämon Alawaka wurde von einem dienenden Geiste berichtet, daß Budha es gewagt habe, sich auf einen seiner Throne zu setzen. Der Dämon kam in große Aufregung darüber und frug ergrimmt: »Wer ist dieser Budha, der die Kühnheit hatte, sich auf meinen Thron zu setzen?« Doch bevor der Diener diese Frage noch beantworten konnte, kamen zwei andere Dämonen, die mit Alawaka befreundet waren, gerade durch die Lüfte gefahren und machten Halt, um ihm die gewünschte |

ii187 Auskunft zu ertheilen. »Wie?« frugen sie erstaunt, »du kennst Budha nicht, den Herrn der Welt?« »Wer er auch sei,« rief Alawaka wild, »ich werde ihn forttreiben!« – »Sei nicht thöricht,« lächelten sie mitleidig, »du bist neben Budha, wie ein neugeborenes Kalb neben einem ausgewachsenen Stier; wie ein einjähriger Elephant neben dem Führer einer Elephantenheerde; wie ein zahnloser altersschwacher Schakal neben einem jungen starken Löwen. Was kannst du machen?«

Da erhob sich Alawaka in gewaltigem Zorne und wüthete: »Nun, es soll sich zeigen, wer mächtiger ist, ich oder Budha.« Er stampfte wild auf und der Felsen sprühte Funken wie ein rothglühendes Eisen unter einem schweren Schmiedehammer. »Ich bin der Dämon Alawaka,« schrie er dabei unaufhörlich mit donnernder Stimme. »Ich bin ich!« Er stürzte wie wahnsinnig fort und versuchte Budha durch einen gewaltigen Sturm vom Throne zu blasen, aber Budha blieb ruhig sitzen. Dann ließ er glühenden Sand, Waffen, brennende Kohlen und Felsen regnen; aber Budha blieb unbeweglich. Hierauf nahm er eine schreckenerregende Gestalt an; aber Budha verzog keine Miene. Darnach schleuderte er seinen riesigen Speer nach ihm; aber auch dieser prallte wirkungslos ab. Der Dämon war auf’s Aeußerste bestürzt darüber. Er forschte nach der Ursache und fand:

daß Budha’s Güte dem Speer die Kraft genommen hatte und daß Güte nur durch Güte überwunden werden kann, nicht durch Zorn.

Er bat hierauf ruhig Budha, den Thron zu verlassen. Sofort stand Budha auf und ging. Da dachte der Dämon: Ich habe einen ganzen Tag und eine ganze Nacht mit Budha gekämpft und konnte ihn nicht besiegen: nun hat mir ein einziges kleines gutes Wort den Sieg verschafft. Dieser Gedanke erweichte sein Herz. Da er aber nicht sicher darüber war, ob Budha nicht aus Aerger gegangen sei, so rief er ihn zurück. Budha gehorchte augenblicklich. So hieß er ihn noch zweimal gehen; noch zweimal rief er ihn zurück und immer gehorchte Budha. Wenn ein Kind schreit, so beruhigt es die Mutter; ebenso beruhigte Budha durch seinen Gehorsam den Zorn des Dämons, damit sein Herz empfänglich für die Wahrheit werde. Und wie Jemand das Gefäß, in welches er eine kostbare Flüssigkeit schütten will, vorher reinigt, |

ii188 so reinigte Budha erst das Herz des Dämons durch Gehorsam und Güte.

Alawaka war vollständig besiegt. Er bat Budha, ihm den Schatz seiner Weisheit zu öffnen und als er des Herrlichen Rede gehört hatte, bekannte er sich zu seiner Lehre und zog unermüdlich von Stadt zu Stadt, laut die Güte des Lehrers und die Wahrheit der Lehre verkündend.«

Ist diese Erzählung nicht reizend?

Der glühende Haken des Wärters zähmt und unterjocht den wilden Elephanten und andere wilde Thiere; aber Budha zähmt und unterjocht durch Güte.

(M. o. B., 253.)

Budha’s Milde war grenzenlos. Den reuigen Vatermörder sogar legte er mit sanftem Arm an seine Brust, tröstete ihn und nahm ihn in seinen Orden auf. So sagte er zu Anguli-mala, einem Mörder, an dessen Händen das Blut von Tausenden klebte:

Deine Sünden sind, als ob sie in einem früheren Leben begangen worden seien. Sei getrost! Du wirst Erlösung noch in diesem Leben finden.

(M. o. B., 252.)

Und nun noch ein köstliches Wort:

Der stärkste Vorwurf, den Budha einem Menschen machte, war mogha purisa, auf Deutsch: eitler Mann.

(ib. 374.)

Ja, Prinz, du warst groß, du warst genial, du warst edel, wie nur noch Einer, von dem die Geschichte berichtet.

Wer ist so herrlich als du?

(Jes. Sir. 48, 4.)

Auf die schwülen, staubigen, dornen- und thränenvollen, blut- und leidgetränkten Pfade der armen, irrenden, kämpfenden und ringenden Menschheit strahlt dein erquickliches Bild des echten weisen Helden

wie der Morgenstern durch die Wolken, wie der volle Mond;

Wie die Sonne scheint auf die Tempel des Höchsten, wie der Regenbogen mit seinen schönen Farben;

Wie eine holde Rose im Lenz, wie die Lilien am Wasser.

(ib. 50, 6. 7. 8.)

Wer Einen von deiner herrlichen Lehre, von der Freude an deiner sympathischen Persönlichkeit reißen will, den sollte man mit glühenden Zangen – – aber nein! nein! nein! den sollte man – mogha purisa nennen!

 

—————

 

Fünfter Essay.

 


Date: 2015-01-02; view: 753


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