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Philipp Mainländer Die Philosophie der Erlösung 4 page

Die bei David klar vorhandene Ueberschätzung der Wirksamkeit aller anderen Dinge in der Welt, welche Wirksamkeit er einem Einigen Gott zuschrieb, fand ihren natürlichen Ausgleich darin, daß David eigentlich, wie alle Heiden, nur dann an Gott dachte und denselben verherrlichte, wann es ihm schlecht ging. Im gewöhnlichen Leben trug er den Kopf recht hoch und das Gefühl seines individuellen Werths, seines Wollens und Könnens erfüllte ihn mit Stolz und blähte ihn auf. Er machte auch gar kein Geheimniß aus dieser verborgenen Falte seines Herzens. Schon oben citirte ich das offene Wort:

Wenn mir angst ist, so rufe ich den Herrn an.

Viele anderen Stellen sind gerade so deutlich und wähle ich noch die folgenden:

In der Zeit meiner Noth suche ich den Herrn.

Wenn ich betrübt bin, so denke ich an Gott.

(Psalm 77.)

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich heule, aber meine Hülfe ist ferne.

ii23 Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennt: mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.

Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt an meinem Gaumen.

Denn Hunde haben mich umgeben, und der Bösen Rotte hat sich um mich gemacht; sie haben meine Hände und Füße durchgraben.

Aber Du, Herr, sei nicht ferne; meine Stärke, eile mir zu helfen.

Errette meine Seele vom Schwert, meine Einsame von den Hunden.

Ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern, ich will dich in der Gemeinde rühmen.

(Psalm 22.)

Der Schluß der Stelle ist sehr charakteristisch für das Verhältniß David’s zu Gott. Ueberhaupt muß man über seinen schlauen, listigen, spitzfindigen (echt jüdischen) Verkehr mit Gott oft herzlich lachen. Kann man etwas Naiveres in dieser Richtung lesen als:

Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn, und züchtige mich nicht in deinem Grimm.

Herr, sei mir gnädig, denn ich bin schwach: heile mich, Herr, denn meine Gebeine sind erschrocken.

Und meine Seele ist sehr erschrocken. Ach du Herr, wie so lange!

Wende dich, Herr, und errette meine Seele; hilf mir um deiner Güte willen.

Denn im Tode gedenket man deiner nicht; wer will dir in der Hölle danken?

(Psalm 6.)

Oder:

Was ist nütze an meinem Blut, wenn ich todt bin? Wird dir auch der Staub danken und deine Treue verkündigen?

(Psalm 30, 10.)

David, überhaupt die ganze praktische Religion der Juden, umschiffte also sehr eschickt die Klippe des theoretischen Monotheismus. Der Grund davon liegt im Charakter des jüdischen Volks, in der Individualität des Juden. Der Jude hat nämlich, nach der Seite des Willens, große Energie, eine zähe Lebenskraft; nach der Seite des Geistes, einen auf Kosten aller anderen Geistesvermögen entwickelten Verstand, einen bewunderungswürdigen Scharfsinn, eine |

ii24 tiefe Sagacität. Wie der Schacherjude unserer Zeit allen Schmeicheleien und Redefloskeln unzugänglich ist und direct auf die alten Lumpen zugeht, deren Werth er sofort erkennt, während ein einziger Blick auf das Gesicht des Verkäufers ihm schleierlos dessen Gemüthsverfassung zeigt, so betrachtete der denkende Jude des Alterthums mit klarem scharfem Auge und phantasielos die Welt und das Leben. Ueber den Werth und Unwerth der letzteren machte er sich keine Illusionen: er wog es und fand, daß es ein Gemisch von Freude und Trauer, von Schmerz und Wollust sei, mit entschiedenem Uebergewicht der Trauer und des Schmerzes.



Der Mensch wird zum Unglück geboren, wie die Vögel schweben empor zu fliegen.

(Hiob 5, 7.)

Er vertraute ferner ganz seinen Sinnen und seinem Erkenntnißvermögen: keine Spur von kritischem Idealismus, ist im alten und neuen Testament zu erkennen. Hätte ein Inder dem David gesagt: Jerusalem besteht nur so, wie du es siehst, in deiner Einbildung; ohne dein Auge wäre es etwas ganz Anderes; hätte er ihm gesagt: dein Leib ist eine Erscheinung, die mit dem Spiegel in dir steht und fällt, – so würde er ihn mit Hohn überschüttet, von der Schwelle seines gastlichen Hauses gejagt und ihn für einen Narren gehalten haben.

Lobe den Herrn, meine Seele. Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich: du bist schön und prächtig geschmückt.

Licht ist dein Kleid, das du an hast; du breitest aus den Himmel wie ein Teppich.

Du wölbest es oben mit Wasser: du fährst auf den Wolken, wie auf einem Wagen, und gehst auf den Fittigen des Windes.

Der du machest deine Engel zu Winden und deine Diener zu Feuerflammen.

Der du das Erdreich gründest auf seinem Boden, daß es bleibet immer und ewiglich.

Mit der Tiefe deckest du es, wie mit einem Kleide, und Wasser stehen über den Bergen.

Aber von deinem Schelten fliehen sie; von deinem Donner fahren sie dahin.

Die Berge gehen hoch hervor, und die Breiten setzen sich herunter, zum Ort, den du ihnen gegründet hast.

Du hast eine Grenze gesetzt, darüber können sie nicht, und müssen nicht wiederum das Erdreich bedecken.

(Psalm 104, 1-9.)

ii25 David und die alten Juden überhaupt, waren reine Realisten in jenem engeren Sinne, wonach die Beschaffenheit der Außenwelt identisch ist mit dem Bilde davon in unserem Kopfe (naiver Realismus). Und eben diese Eigenschaft, welche auf dem scharfen Verstande allein beruht, schützte sie vor dem absoluten Realismus, der, wie ich ihn definirte, das ganze Individuum, seinen erkennenden und wollenden Theil überspringt. Mit den Lippen zogen sie allerdings die Consequenzen des absoluten Realismus: allmächtiger Gott und todte Creatur; aber ihr scharfer penetranter Geist ließ im Herzen das reale Individuum, die Thatsache der inneren und äußeren Erfahrung, nicht los, so wenig wie er an eine Unsterblichkeit der Seele und an Bestrafung unmoralischer oder Belohnung moralischer Thaten in einem anderen als dem irdischen Leben glauben konnte. Auch in dieser Hinsicht hielt sich ihr nüchterner Geist an die Aussage der Natur, die über das Wesen des Tods keine Unklarheit zuläßt. Sie sagt immer und immer dasselbe aus und ihre Aussage wiederholten Moses, Hiob, David und Salomo in folgender Weise:

Der du die Menschen lassest sterben, und sprichst: Kommt wieder Menschenkinder.

Du lässest sie dahin fahren wie einen Strom, und sind wie ein Schlaf: gleichwie ein Gras, das doch bald welk wird.

Das da frühe blühet, und bald welk wird, und das Abends abgehauen wird, und verdorret.

Moses.

Wo ist aber ein Mensch, wenn er todt und umgekommen, und dahin ist?

Wie ein Wasser ausläuft aus dem See, und wie ein Strom versieget und vertrocknet;

So ist ein Mensch, wenn er sich leget, und wird nicht aufstehen, und wird nicht aufwachen, so lange der Himmel bleibet, noch von seinem Schlaf erwecket werden;

Meinest du, ein todter Mensch werde wieder leben?

Hiob.

Denn er kennet, was für ein Gemächte wir sind; er gedenkt daran, daß wir Staub sind.

Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras; er blühet wie eine Blume auf dem Felde;

Wenn der Wind darüber gehet, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr.

ii26 Wohl dem, der den Herrn fürchtet und auf seinen Wegen gehet.

Du wirst dich nähren deiner Hände Arbeit; wohl dir, du hast es gut.

Dein Weib wird sein wie ein fruchtbarer Weinstock um dein Haus herum; deine Kinder wie die Oelzweige um deinen Tisch her.

Siehe, also wird gesegnet der Mann, der den Herrn fürchtet.

Der Herr wird dich segnen aus Zion, daß du sehest das Glück Jerusalems dein Leben lang,

Und sehest deiner Kinder Kinder.

David.

Es fährt Alles an einen Ort; es ist Alles von Staub gemacht, und wird wieder zu Staub.

Salomo.

So paradox es klingt, so wahr ist es doch: daß der Realismus der Juden sie vor dem Gift des Realismus bewahrte; denn man muß den Erkenntniß- Realismus (naiven Realismus) vom absoluten Realismus wohl unterscheiden, wie ich am Anfang gezeigt habe.

 

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Zweiter Essay.

 


Date: 2015-01-02; view: 812


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