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JAHRE BOLOGNA-PROZESS

Nichts für Akademiker?

Am 19. Juni 1999 wurde im italienischen Bologna die gleichnamige europäische Studienstrukturreform geboren. Als Hoffnungsträger gestartet, missriet das Projekt in der Folgezeit immer mehr zum Sorgenkind. Auch am 15. Jahrestag überwiegen unter Studierenden Ärger und Frust angesichts der falschen Versprechungen seiner Macher. Den allermeisten genügt der Bachelor nicht.

Im Studium herrschen Verschulung und Prüfungsstress und von der verheißenen Auslandsmobilität können viele nur träumen.

Für die Gewerkschaft GEW besteht deshalb auch „kein Grund zum Feiern“. Zwar wären mit dem sogenannten Bologna-Prozess „viele richtige Ziele“ gesetzt worden, äußerte sich Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Mittwoch. „Bei der Umsetzung der Reformen wurden in Deutschland aber viele Probleme nicht gelöst, sondern verschärft.“ Die Mängelliste des GEW-Vizechefs hat es in sich: So ließen sich bei einem beabsichtigen Hochschulwechsel die Grenzen der Bundesländer häufig nicht überwinden, Studierende beklagten zu viele Pflichtveranstaltungen und Prüfungen und der Übergang vom Bachelor- zum Master-Studium gleiche einem „Lotteriespiel“. Auch viele Lehrende fühlten sich alleingelassen: „Reform der Curricula, Akkreditierung von Studiengängen, Evaluation der Lehre – den Dozentinnen und Dozenten werden immer mehr Aufgaben aufgehalst, ohne dass sie eine entsprechende Unterstützung bekommen.“

Klagen der Wirtschaft

Nick Wolfinger - Creative Commons BY-2.0

Vielfach Realität an den Hochschulen: Jagd nach ECTS-Punkten

Kritik kommt jedoch keinesfalls nur aus dem linken Spektrum, Rüffel setzt es auch aus der Wirtschaft. „Wir appellieren an die Hochschulen, bei Bachelor-Studenten intensiver für den direkten Weg in den Beruf zu werben und die Beschäftigungsfähigkeit der Studenten zu stärken, statt Vorbehalte zu schüren“, monierte dieser Tage der stellvertretende Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Gerhard Baum. Er verwies auf Umfragen, nach denen sich gerade einmal 28 Prozent der Studenten an Universitäten auf ihre spätere Berufstätigkeit gut vorbereitet fühlten, an Fachhochschulen knapp die Hälfte – woraus der Verbandsvize schloss: „Wir brauchen mehr Praxisbezug im Studium.“

Ins gleiche Horn stieß der Verband der Familienunternehmer (ASU). Viele Hochschulen hätten die „Chance auf einen Neustart mit entschlackten Strukturen verpasst und stattdessen nur veraltete Inhalte ins neue Bachelor/Master-Format gegossen“, erklärte ASU-Präsident Lutz Goebel und weiter: „Als Unternehmer stehe ich hinter dem Bachelor/Master-System, aber nicht immer hinter seiner Ausgestaltung.“

Reform für die Industrie?

Erklärtes Ziel der Bologna-Reform ist die Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums. Im Zentrum stehen die Harmonisierung von Studiengängen und -abschlüssen sowie der Ausbau der Mobilität von Studierenden über Ländergrenzen hinweg. Seinen Anfang nahm der Prozess vor 15 Jahren mit der Unterzeichnung der Bologna-Erklärung durch 29 europäische Bildungsminister. Mittlerweile umfasst der Verbund 47 Mitgliedsstaaten. Derlei Töne klingen einigermaßen befremdlich. Bologna-Gegner der ersten Stunde erachteten das ganze politische Vorhaben, Studium und Lehre europaweit zu vereinheitlichen, schließlich von Beginn an als eine Auftragsarbeit für die Industrie. Die hat vor allem ein Interesse an passgenauem Personal, das sich reibungslos und kostengünstig in ihre Produktions- und Verwertungsmaschinerie einfügt. Dafür erschien Bologna wie geschaffen. Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte sich mit den Bachelor-Absolventen ein schier unerschöpfliches Reservoir an auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittenen Arbeitskräften aufgetan und der viel beklagte, sogenannte Fachkräftemangel wäre wohl bald vergessen gewesen.



Auf dem Reißbrett war der Bachelor die Idealbesetzung: Geistig, fach- und leistungsspezifisch sollte er sich im Personaltableau oberhalb des einfachen Facharbeiters, aber noch deutlich unterhalb von Führungskräften bewegen. Weil er – so die Wunschvorstellung – „fertiggebacken“ nach nur drei Jahren oder sechs Semestern von der Hochschule kommt, sollte er zugleich billiger zu haben sein als ein Abgänger mit Diplom, Magister oder Staatsexamen. Und die 'intellektuellen Flausen', die sich die teure Konkurrenz in fünf und mehr Jahren Studium mitunter aneignet, sollten einem Bachelor erst gar nicht in den Sinn kommen können. Dafür bleibt in der Kürze der Zeit und bei all dem Stress mit Prüfungen, Hausarbeiten und Credit Points ja auch kaum Zeit.

„Akademische Tellerwäscher“

Dass derlei Motive bei der Bologna-Reform eine Rolle spielten, wenn nicht die entscheidende, ist durchaus keine Spinnerei ihrer linken Widersacher. Selbst die staatstragende Süddeutsche Zeitung (SZ) macht daraus keinen Hehl: Anlässlich des 15jährigen Jubiläums kommentiert das Blatt unter dem Titel „Akademische Tellerwäscher“: Der Bachelor sei in erster Linie eben eine Verknappung des Studiums und seiner Inhalte“ und der „Hauptfehler“ der Reform sei „die Unehrlichkeit“. Studenten im Bachelor machten „nur eine Art wissenschaftlich angehauchte Lehre“, heißt es weiter und beim Rekordansturm auf die Hochschulen werde „auf Masse statt auf Klasse“ gesetzt. Der Text gipfelt gar in der These, der „Hochschule“ wäre die „Silbe Hoch gestrichen“ worden, denn „für jeden Atemzug im Hörsaal gab es fortan Noten und Regeln“.

Daraus folgt dann auch: Wenn heutzutage die Wirtschaft eine „bessere Umsetzung“ von Bologna anmahnt, dann sollte man das aus Sicht der Studierenden als Drohung verstehen. Deren Exponenten stören sich nämlich durchaus nicht an den dünnen Inhalten und der Verschulung des Bachelor, sondern in Wahrheit daran, dass die Betroffenen das Spiel durchschauen. Wie zuletzt erst wieder eine Umfrage des Allensbach-Instituts für Demoskopie (IfD) ergab, will weiterhin eine übergroße Mehrheit von bis zu 80 Prozent der Bachelor-Studierenden einen Master draufsatteln. Gründe dafür sind die vergleichsweise schlechteren Karrierechancen und Verdienstmöglichkeiten, die ein Bachelor-Abschluss mit sich bringt.


Date: 2015-12-24; view: 805


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