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Zwei Frauen erschrecken über den Aliba­ba und der Alibaba erschrickt über diese zwei Frauen nicht minder

Nach dem Essen trug ich das Geschirr in die Küche und stellte es in das Spülbecken.

Die Mama war beim Oliver und der Tatjana im Zimmer. Ich hörte, wie sie aus einem Buch vorlas.

Der Kurt rollte den Fernsehapparat ins Schlafzimmer. Im Wohnzimmer kann er ja jetzt nicht mehr fernschauen, weil die Amtsrätin auf der Couch schläft, und die geht immer schon um elf Uhr zu Bett.

 

Ich dachte mir gerade: Für heute ist der Krach vorüber! Da klingelte es an der Wohnungstür. Halb zehn war es schon. Ich bekam Herzklopfen. Ich dachte mir: Um diese Zeit kommt doch kein Besuch mehr! Das muss mit der Ilse zusammenhängen! Das muss die Polizei sein! Und dann bekam ich noch mehr Herzklopfen, weil ich plötzlich dach­te: Vielleicht ist es die Ilse selber!

Ich glaube, der Kurt dachte etwas Ähnliches, denn er starrte auf die Wohnungstür und rührte sich nicht. Es klingelte wieder.

„Ist vielleicht der Hausmeister", sagte der Kurt und wollte zur Tür hin. Da kam die Amtsrätin aus dem Wohnzimmer, rief „Was öffnet denn keiner?", überholte den Kurt und riss die Wohnungstür auf. Vor der Tür stand der Alibaba. Mit rosa Damenhut, Urgroßvatermantel und bemalten Jeans. Er lächelte die Amtsrätin freundlich an.

„Pardon", sagte er, „entschuldigen Sie die späte Störung, ich suche ..." Der Alibaba schaute, an der Amtsrätin vorbei, in die Diele hinein. „Ach, da ist ja mein Sweety!", rief er mir zu.

Die Amtsrätin hält Menschen, die wie der Alibaba aussehen, nicht für Gymnasiasten, sondern für ausgeflippte, vergam­melte Typen, und vor solchen hat sie Angst. Sie wich vor dem Alibaba zurück und der Alibaba nahm das als Einla­dung einzutreten.

 

Die Mama, der Oliver und die Tatjana waren auch in die Diele gekommen und schauten den Alibaba an. Der nahm den rosa Hut vom Kopf, nickte in die Runde, trat von einem Fuß auf den anderen und fühlte sich unbehaglich. Was ja kein Wunder war! Derart angestaunt zu werden ist nicht angenehm. Hilfesuchend schaute er mich an. Aber die Hilfe kam vom Kurt. Der sagte freundlich: „Guten Abend, junger Mann!"

 

 

Da grinste der Alibaba wieder und erklärte: „Ich habe ihrer Tochter etwas Wichtiges mitzuteilen!"

„Na, dann teile mit", sagte der Kurt.

„Ist aber, bitte, ein Unter-vier-Augen-Gespräch", sagte der Alibaba. Der Kurt nickte und zeigte mit der Hand zu meiner Zimmertür. Ich lief zu meinem Zimmer, machte die Tür auf, ließ den Alibaba eintreten und schlug die Tür wieder zu. Der Alibaba ließ sich auf das Bett der Ilse fallen. „Mensch, was war denn das für ein mehrfacher Alptraum?", fragte er. „Die zwei Weiber haben mich ja angeschaut, als war ich das Krokodil im Mädchenpensionat!" Der Alibaba schüttelte angewidert den Kopf. „Kein Wunder, dass deine Schwester weg ist!" Dann entschuldigte er sich bei mir. „Was taktlos", sagte er. „Aber die zwei Weiber haben mich total geschockt!" Und dann sagte er, er sei so spät noch gekommen, weil er eine tolle Neuigkeit habe.



 

„Der dicke Wirt hat einen Bruder", sagte er. „Einen sehr jungen Bruder. Und der fährt einen roten BMW. Das wird wohl der Mann sein, den wir suchen!"

Ich wollte wissen, wie der Alibaba das herausbekommen hatte.

„War nicht schwer", sagte er. „Nach dem Kino bin ich noch einmal zur GOLDENEN GANS. Ich wollte eigentlich nur schauen, ob vielleicht der rote BMW dort parkt. Und dann war im Nachbarhaus, im Erdgeschoss, ein Fenster offen und aus dem Fenster schaute eine alte Frau heraus. Da hab ich mir gedacht, die frage ich einfach. Und dann habe ich ihr einen Bären aufgebunden. Dass ich ein armer, sehr ar­mer Junge bin, habe ich ihr erzählt. Und dass mir ein roter BMW beim Einparken mein Fahrrad kaputt gemacht hat. Und dass ich jetzt einen roten BMW suche und den jungen Mann, der dazu gehört. Damit mir der den Schaden er­setzt!"

„Und die hat dir das geglaubt?", fragte ich.

„Na klar!", sagte der Alibaba. „Die hat sich gefreut. Die kann den Kerl nämlich nicht leiden. Weil er seine Autotür vor ihrem Fenster immer so laut zuschlägt. Mitten in der Nacht!"

„Hat sie auch etwas von der Ilse gewusst?", fragte ich. Der Alibaba erklärte, danach habe er die alte Frau nicht gefragt. „Das wäre zu auffällig gewesen", sagte er. „Jedenfalls hat sie mir erzählt, dass der Wirt ein guter Mensch ist, arbeit­sam, ehrlich und sparsam. Aber der junge Bruder ist ganz anders. Faul und verschwenderisch. Nichts arbeitet er. Angeblich studiert er. Aber er macht nie Prüfungen. Er in­teressiert sich nur für Autos und für Mädchen. Und lebt vom Geld seines Bruders! Das war's, was ich dir sagen wollte." Der Alibaba stand auf. „Und dass deine Schwester mit dem Kerl fortgefahren ist, scheint mir jetzt sicher. Und wenn das so ist, dann wird sie schon wiederkommen. Ich an deiner Stelle würde jetzt gar nichts mehr unternehmen! Deiner Schwester geht es gut! Das ist doch im Moment die Hauptsache, oder?"

Ich nickte und führte den Alibaba zu unserer Wohnungs­tür. „Dann bis morgen, Sweety", sagte der Alibaba, nahm meine Hand, hauchte mir einen Kuss auf den Handrücken und lief zur Treppe hin. Ich schloss die Wohnungstür und lehnte mich an die Wand. Ich hörte die Stimmen vom Kurt und der Mama aus dem Wohnzimmer. Die Wohnzimmertür war zu. Ich konnte nicht verstehen, was die Mama und der Kurt redeten, aber irgendwie klangen die Stimmen böse.

 

Ich ging leise zur Wohnzimmertür hin. Jetzt konnte ich die Stimmen verstehen. Der Kurt sagte gerade: „Das ist aber komisch! Zuerst heißt es, dass ich mich zu wenig um die Kinder kümmere, und wenn ich mich dann kümmere, ist es auch nicht recht! Könntest du mir freundlicherweise sagen, was ich eigentlich soll?"

Die Amtsrätin war auch im Wohnzimmer. Sie sagte: „Also auf gar keinen Fall hättest du dieses Individuum zu ihr ins Zimmer lassen sollen!"

„Er hat sich nicht einmal vorgestellt!", sagte die Mama.

„Und fast zehn Uhr war es auch schon!", sagte die Amts­rätin.

„Und männlich war das Wesen auch noch dazu!", rief der Kurt höhnisch.

„Mit dir ist ja nicht zu reden", rief die Mama. „Ich habe doch nichts dagegen, dass die Erika auch mit Jungen be­freundet ist! Aber dieser entsetzliche Kerl ist erstens zu alt für sie, zweitens zu dick, drittens zu hässlich, viertens zu vergammelt und ..."

Was sie noch alles gegen den Alibaba einzuwenden hatte, erfuhr ich nicht mehr, weil der Kurt rief: „Ist ja erstaunlich, was du an einem Menschen in ein paar Sekunden alles feststellen kannst! So eine Menschenkenntnis möchte ich haben!"

Die Mama fing wieder zu weinen an.

„Hör mit der ewigen Heulerei auf!", rief der Kurt. Da sagte die Mama, dass der Kurt gemein sei und das Leben mit ihm eine Qual.

Der Kurt rief, er zwinge ja keinen Menschen, mit ihm zu leben. Und die Mama schrie, das könne er leicht sagen! Weil er wisse, dass sie mit ihren vier Kindern nicht einfach weggehen könne!

Aber wenn sie keine Kinder hätte, wäre sie schon längst fortgegangen.

Dann sagte die Amtsrätin, dass sie zwar von Anfang an da­gegen gewesen sei, dass ihr Sohn die Mama heiratet, aber nun müsse sie doch der Mama Recht geben. „Kinder müs­sen erzogen werden", sagte sie. „Das verstehst du anschei­nend nicht!"

„Was ich nicht verstehe", rief der Kurt, „ist, dass man Kinder quälen und unglücklich machen muss!"

Worauf die Mama — unterbrochen von viel Schnäuzen und Schluchzen - erklärte, dass sie ihre Kinder nicht unglück­lich machen wolle. Bloß anständiges Benehmen und gute Manieren wolle sie ihnen beibringen! Und Moral! Und Fleiß! Und Ehrlichkeit!

„Wie ich sie von der alten Janda zu mir genommen habe", sagte sie, „da waren sie doch ganz verzogen! Die hat ihnen doch alles durchgehen lassen! Die waren doch wahnsinnig verwöhnt und haben sich nicht benehmen können!"

 

Ich wollte nicht weiter lauschen. Ich ging in mein Zimmer und räumte meine Schulsachen ein. Dann ging ich schlafen. Ich legte mich in Ilses Bett. Das Bett war noch immer nicht frisch überzogen. Es roch nach der Ilse. Nach ihrem Haar­spray und ihrem Eau de Cologne. Ich knipste das Licht aus, dachte ein bisschen an die Ilse und weinte ein bisschen.

 

 


Date: 2015-12-24; view: 650


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