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Schweizerhochdeutsch

Gesprochen wird Schweizer Hochdeutsch zumeist formell bezogen auf die Öffentlichkeit, im Schulunterricht, bei Veranstaltungen mit «Nicht-Schweizerdeutschen», an Hochschulen in Lehrveranstaltungen, in Nachrichtensendungen der öffentlichrechtlichen Sender, in den Par-lamenten einiger Deutschschweizer Kantone und – sofern nicht eine andere Landessprache Ver-wendung findet – bei Debatten im eidgenössischen Parlament. In Hochdeutsch gehalten sind bei-spielsweise auch die Lautsprecherdurchsagen auf Bahnhöfen. Üblich ist die Verwendung des Schweizer Hochdeutschen für geschriebene Texte: Ein Rechtsanwalt wird seinen Vortrag bei Gericht üblicherweise in Schweizer Standarddeutsch bzw. Schweizer Hochdeutsch schriftlich verfassen und vorlesen, ansonsten aber seine Reden, wie Richter, Staatsanwalt und sonstige Beteiligte im Schweizer Dialektdeutsch weiterführen.

In Alltagssituationen wird Schweizer Hochdeutsch nur mit Menschen gesprochen, die den Dialekt nicht verstehen. Unter den verschiedenen Dialekten herrscht gegenseitige Verständ-lichkeit (allenfalls mit einigen wenigen Ausnahmen wie Walliserdeutsch), so dass zur Verstän-digung nicht auf das Schweizer Hochdeutsch zurückgegriffen werden muss. In der Schweiz haben Dialekte zumeist ein höheres Ansehen als im übrigen deutschen Sprachraum. Die münd-liche Umgangssprache zwischen Deutschschweizern ist fast ausnahmslos die jeweils heimische Mundart, der Ortsdialekt, unabhängig von Bildung und gesellschaftlichem Status. Der Dialekt hat heute keinerlei Konnotationen des Ungebildeten, Ländlichen oder Bäuerlichen, wie das im übrigen deutschen Sprachraum zumindestenes früher zumeist der Fall war – auch Universitäts-professoren benutzen ausserhalb von Vorlesungen ausschliesslich ihren jeweiligen deutsch-schweizerischen Dialekt.

Mundart (Dialekt) und Standarddeutsch stehen in einem Diglossie-Verhältnis zueinander, da beide Sprachformen deutlich voneinander getrennte Funktionen und Geltungsbereiche beset-zen. Zwischen Mundart und dem Standarddeutsch gibt es keine graduellen Abstufungen bzw. Übergänge.

Besonderheiten

Deutschschweizer sprechen im Allgemeinen ein erkennbar anderes Hochdeutsch als die Sprecher aus anderen deutschen Sprachregionen. Folgende Faktoren spielen dabei eine Rolle.

Das Standarddeutsch fast aller Deutschschweizer weicht in der Aussprache von der Standardlautung ab, da die heimischen Dialektformen weit mehr gesprochen werden als im übrigen deutschen Sprachraum und sich insofern mit der Aussprache vermischt («man hört den eigentlichen Dialektsprecher bei der Aussprache des Standarddeutschen heraus»). Dieses Phä-nomen wird als Interferenz bezeichnet.

Beispiel: Der ich-Laut, also der palatale Frikativ wie in „ich“, gibt es in den Schweizer Dialekten nicht, hier werden ausnahmslos alle ch-Laute als uvulare Frikative gesprochen, also als ach-Laut, wobei das Schweizer ch meist noch deutlich stärker „kratzt“. Daher verwenden viele Deutschschweizer Sprecher auch im Hochdeutschen ausnahmslos den ach-Laut. Be-merkenswert ist, dass schon innerhalb der Schweiz Standarddeutsch je nach Dialektregion unter-schiedlich ausgesprochen wird; Berner sprechen also ein anders gefärbtes Hochdeutsch als St. Galler, weil ein Berner Dialekt andere Interferenzen verursacht als ein St. Galler Dialekt. Oft ist es möglich, anhand der Aussprache des Standarddeutschen auf die Herkunft des Sprechers zu schliessen. (Diese Sprachsituation kann auf den gesamten deutschen Sprachraum umgelegt wer-den, soweit die Mundarten noch gesprochen werden.)



Andere Interferenzen sind – je nach Dialekt – das geschlossen und dunkel ausgespro-chene lange a, das gegen o tendiert, ein sehr offen ausgesprochenes ä, teilweise andere Wortbe-tonungen oder eine stärkere Variation der Tonhöhe.

In dieser Feststellung liegt keine Aussage zu der – ohnehin unsinnigen – Fragestellung, welche der jeweiligen Aussprachen als «richtiger» oder «falscher» anzusehen wäre oder ob die jeweiligen Sprecher zu einer anderen Aussprache willens oder in der Lage sind.

Untersuchungen des Sprechverhaltens von Erst- und Zweitklässlern an Deutschschweizer Volksschulen zeigen, dass Erstklässler ein Standarddeutsch sprechen, das näher am hoch-deutschen Standard ist als das Standarddeutsch von Zweit- und Drittklässlern. Gelernt haben sie es ausserhalb der Schule, wobei das Fernsehen eine wichtige Rolle spielt. Erstklässler zeigen zum Beispiel eine standardsprachlich korrektere Aussprache der «Ich»- und «Ach»-Laute als Zweitklässler. Schulkinder lernen also in den ersten Schuljahren, wie Schweizer Standarddeutsch zu klingen hat, passen ihre Artikulation an und entfernen sich dabei vom übrigen Standard-deutsch. Dass Deutschschweizer eine erkennbar schweizerische Form der Standardsprache spre-chen, ist demnach als Resultat eines Lernprozesses und der Anpassung an eine Sprachkonvention zu sehen. Triebfeder hinter dieser Anpassung sind das Streben nach Konformität und der Wunsch, von der Sprachgemeinschaft als Mitglied anerkannt zu sein.

Dieser Ansatz versteht Schweizer Hochdeutsch als eine Varietät, für die eine eigen-ständige Sprachkonvention existiert; in der Gemeinschaft der Sprecher herrscht eine „recht weit-gehende Übereinkunft darüber, welche Varianten für die schweizerische Standardsprache [= Schweizer Hochdeutsch] angemessen sind und welche nicht“.

Weil die Standardsprache kaum ausserhalb des Schulunterrichts gesprochen wird, ist der Einfluss der Schule auf die Qualität der Standardsprache sehr gross. Die Sprache – auch die mündliche – ist im Unterricht sehr stark auf Prinzipien der Schriftlichkeit ausgerichtet: ein typisch schriftliches Prinzip ist beispielsweise die Forderung, ganze Sätze zu bilden. Syntak-tisches Merkmal schriftlicher Sprache sind längere Sätze mit komplexeren Konstruktionen, grössere Wortvarianz (Wortvielfalt) und mehr Adjektive. Gesprochene Sprache dient im Schul-unterricht zudem oft nur vordergründig der Kommunikation und wird stark danach beurteilt, ob sie korrekt verwendet wird. Als korrekt gilt, was auch geschrieben werden kann. Die Unter-suchung mündlicher Erzählungen von Schulkindern zeigt, dass mit zunehmendem Schulungs-niveau der Grad an Mündlichkeit in der gesprochenen Sprache abnimmt. Die Erzählung eines Sechstklässlers zeigt im Vergleich zur Erzählung eines Erstklässlers zwar einen «elaborierteren» Satzbau, ist zugleich aber «papierern» und «steif» – dafür aber aufschreibbar. Der Sechstklässler hat im Sprachunterricht nicht sein Ausdrucksvermögen verbessert, sondern gelernt, wie man Bildergeschichten nacherzählen soll. Eine vergleichende Untersuchung von süddeutschen und Nordwestschweizer Schülern der Primarstufe zeigt, dass sich die Standardsprachen der beiden Gruppen stark unterscheiden: die deutschen Kinder zeigen beispielsweise eine deutliche Tendenz zu Totalassimilationen (ham für haben) und reduzierten nasalen Formen wie der Verkürzung des unbestimmten Artikels ('n Haus – ein Haus, 'ne Blume – eine Blume). Bei den Schweizer Sprechern kommen reduzierte nasale Formen praktisch nicht vor, die Endsilbe -en wird häufig voll realisiert (wir gehen statt wir gehn). Die Schweizer Sprecher verzichten auf die beschrie-benen Verschleifungen und halten damit viel häufiger die – korrekte – standardlichen Voll-formen ein als die Schüler aus Süddeutschland, wobei aber gerade diese Verschleifungen die Artikulation erleichtern und den Sprachfluss vereinfachen.

Gemäss diesem Ansatz führt der Schulunterricht in der Deutschschweiz dazu, dass Schweizer ein möglicherweise übermässig korrekt gesprochenes Hochdeutsch anstreben; dabei orientieren sie sich einseitig an Qualitätskriterien, die für die geschriebene Sprache gelten. Dar-unter leiden die sprachliche Spontaneität und die Eloquenz des mündlichen Hochdeutsch.

Abb.1. Die nach dem deutschen Ort Ötlingen benannte Strasse in Basel heisst offiziell Oetlingerstrasse

Abb. 2. Hinweisschild im Kanton Wallis

Parkverbotsschild am Basler Rheinufer in schweizerischem Amtsdeutsch. Für den ganzen Platz gilt das Parkverbot; Zuwiderhandelnde haften für negative Folgen des Falschparkens

 

 



Date: 2015-12-24; view: 820


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