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Deutsche Sprachgeschichte

 

Die Geschichte der deutschen Sprache geht bis ins frühe Mittelalter zurück, die Epoche, in der sie sich von anderen germanischen Sprachen trennte. Wenn man aber ihre Urge-schichte berücksichtigt, ist die deutsche Sprachgeschichte viel älter und kann unter Einbeziehung ihrer germanischen und indogermanischen Wurzeln dargestellt werden. Deutsch, als eine der Sprachen der germanischen Sprachgruppe, gehört zur indogermanischen Sprachfamilie und hat ihren Ursprung in der hypothetischen indogermanischen Ursprache. Es wird angenommen, dass sich aus dieser indogermanischen Sprache im ersten Jahrtausend v. Chr. die germanische Ursprache herausbildete; als Zäsur gilt hier die Erste Lautverschiebung, die im späteren ersten Jahrtausend vor Christus stattfand. Die Prozesse, die zur Entstehung der heute gesprochenen deutschen Sprache geführt haben, dürften dagegen erst ab dem 6. Jahrhundert n. Chr. mit der Zweiten Lautverschiebung begonnen haben.

Die frühe Stufe in der Entwicklung des Deutschen, die von zirka 600 bis um 1050 dauerte, wird als Althochdeutsch bezeichnet. Ihr folgte die Stufe der mittelhochdeutschen Sprache, die in deutschen Gebieten bis zirka 1350 gesprochen wurde. Ab 1350 spricht man von der Epoche des Frühneuhochdeutschen und seit ungefähr 1650 des Neuhochdeutschen – der modernen Entwicklungsphase der deutschen Sprache, die bis heute andauert. Die angegebenen Daten sind nur angenähert, genaue Datierungen sind nicht möglich. Wie bei allen anderen Spra-chen sind die Entwicklungsprozesse im Deutschen nur in einem langen Zeitraum zu beobachten und erfolgen nicht abrupt; außerdem unterscheiden sich diese Entwicklungsprozesse hinsichtlich ihres Umfangs und Tempos in verschiedenen Gebieten deutschsprachiger Länder.

Indogermanisch

Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Sprachen Europas und Asiens (zum Beispiel Sanskrit) wurden schon im 17. und 18. Jahrhundert bemerkt; erst Anfang des 19. Jahrhunderts begannen aber die Sprachwissenschaftler (unter anderem Franz Bopp und Jacob Grimm), diese Ähnlichkeiten systematisch auf historischer Basis zu erforschen. Dabei kamen sie zu der Schlussfolgerung, dass fast alle Sprachen (und somit wohl auch Völker) Europas und mehrere Sprachen (und Völker) Asiens einen gemeinsamen Ursprung hatten. Weil diese verwandten Nationen ein weites Territorium von den germanischen Völkern im Westen bis zu den asia-tischen Völkern im Norden Indiens besetzen, wurde das hypothetische Urvolk Indogermanen, und die Sprache, die sie vor mehreren Jahrtausenden sprachen, die Indogermanische Ursprache genannt. Außerhalb des deutschsprachigen Raums wird diese erschlossene Sprache meist als „indoeuropäische“ Sprache bezeichnet.

Nach heutigem Forschungsstand hat sich die Urheimat der Indogermanen wahrscheinlich nördlich und östlich des Schwarzen Meeres befunden, von wo sie sich in andere Regionen Europas und Asiens ausbreiteten. Indogermanische Sprachen sind heute die meistverbreitete Sprachfamilie der Welt; die zu dieser Gruppe gehörenden Sprachen werden als Muttersprachen auf allen Kontinenten (außer der unbewohnten Antarktis) gesprochen. In Europa gibt es nur wenige Sprachen (zum Beispiel Ungarisch, Finnisch, Estnisch, Baskisch), die nicht zu dieser Sprachfamilie gehören.



Die indogermanische Sprachfamilie besteht aus folgenden Sprachgruppen bzw. Ein-zelsprachen (manche von ihnen sind schon ausgestorben):

· Anatolische Sprachen, zum Beispiel Hethitisch (†). Alle Sprachen dieser Gruppe sind ausgestorben, sie haben sich bereits in einer sehr frühen Phase, wohl spätestens im 4. Jahrtausend vor Christus, vom Hauptstamm des Proto-Indogermanischen abgetrennt;

· Indoiranische Sprachen mit zwei Untergruppen:

· Indoarische Sprachen mit vielen Einzelsprachen, die auf dem Großteil des Terri-toriums des Indischen Subkontinents (aber nicht in seinem südlichen Teil) gesprochen werden, zum Beispiel Hindi, Urdu, Bengali;

· Iranische Sprachen, die vor allem auf dem Territorium des Iran, Afghanistan, Pakistan, Tadschikistan gesprochen werden (zum Beispiel Persisch, Paschtu);

· Balkanindogermanische Sprachen, vor allem: Griechisch, Armenisch und das aus-gestorbene Phrygisch. Ob auch das Albanische, Illyrische (†) und Thrakische (†) zu dieser Untergruppe gehört, ist unklar bzw. umstritten. Die balkanindogermanische Gruppe ist innerhalb des Indogermanischen die nächstverwandte Gruppe zur indoiranischen Sprach-familie. Beide Gruppen zusammen werden auch als östliches Indogermanisch (im engli-schen Sprachgebrauch „Graeco-Aryan“) bezeichnet;

· Slawische Sprachen, wie Russisch, Polnisch und Tschechisch; die nächstverwandte Gruppe bilden die

· baltischen Sprachen, von denen nur die beiden ostbaltischen Sprachen Litauisch und Lettisch bis heute erhalten blieben; im 17. Jahrhundert ausgestorben ist dagegen das (west-baltische) Altpreußische, das wegen seiner Urtümlichkeit für die Rekonstruktion des Indo-germanischen von besonderer Bedeutung ist;

· Italische Sprachen, von denen Latein und alle romanischen Sprachen (wie Italienisch, Französisch und Spanisch) abstammen; die nächstverwandte Gruppe des Italischen bilden die

· Keltischen Sprachen, einst eine in Europa sehr verbreitete Sprachgruppe, heute auf kleine Sprachgemeinschaften in Großbritannien (zum Beispiel Walisisch, Schottisch-Gälisch), Irland (Irisch) und Frankreich (Bretonisch) beschränkt;

· Germanische Sprachen mit folgenden Untergruppen:

· Nordgermanische Sprachen: Dänisch, Färöisch, Isländisch, Norwegisch und Schwedisch;

· Ostgermanische Sprachen: Burgundisch (†), Gotisch (†), Krimgotisch (†), Suebisch (Suevisch) (†), Vandalisch (Wandalisch) (†) –alle Sprachen dieser Unter-gruppe sind schon ausgestorben, die einzige auf Grund erhaltener Texte gut über-lieferte Sprache ist Gotisch;

· Westgermanische Sprachen: Deutsch, Englisch, Niederländisch, Afrikaans, Jiddisch und Friesisch.

Italisch, Keltisch und Germanisch bilden zusammen die westliche Gruppe des Indoger-manischen, zu der oft auch die baltische Sprachgruppe gerechnet wird. Innerhalb dieser west-lichen Gruppe trennte sich zunächst die Vorläufersprache des späteren Germanischen (die soge-nannte prägermanische Sprache) im nördlichen Mitteleuropa von der italo-keltischen Gruppe im südlichen Mitteleuropa. Dies geschah wahrscheinlich (spätestens) im frühen 2. Jahrtausend vor Christus.

Einzelne Sprachen, die bisher keiner der obigen Gruppen sicher zugeordnet werden können und überwiegend ausgestorben (†) sind, wie: Tocharisch (†), Venetisch (†), Illyrisch (†), Thrakisch (†) und auch Albanisch. Die drei letztgenannten Sprachen gehören am ehesten zu den balkanindogermanischen Sprachen, das Venetische wiederum steht vermutlich dem Italischen bzw. Italo-Keltischen nahe;

Von der Verwandtschaft aller dieser Sprachen, die scheinbar wenig Gemeinsames haben, zeugen viele Ähnlichkeiten sowohl im Wortschatz als auch in grammatischen Strukturen. Als Beispiel dieser Verwandtschaft kann folgende Tabelle dienen, in der Zahlwörter von 1 bis 10 sowie 20 und 100 in verschiedenen Sprachen und in ihrer Wurzel – der indogermanischen Sprache – dargestellt sind:

Deutsch Griechisch Latein Gotisch Indogermanisch
eins heīs (< *hens < *sems) ūnus (vgl.a. semel) ains *oyno-, oyko-, sem-
zwei duō dúō twai *duwóh₁
drei treīs trēs þreis *tréyes
vier téttares quattuor fidwor *kʷetwóres
fünf pénte quinque fimf *pénkʷe
sechs héks sex saihs *swék̑s
sieben heptá septem sibun *septḿ̥
acht oktō octo ahtau *ok̑tō
neun ennéa novem niun *néwn
zehn déka decem taihun *dék̑m̥
zwanzig wikati viginti   *wīk̑mtī
hundert hekatón centum hund *k̑m̥tóm

Die mit einem Sternchen (*) markierten Wörter sind rekonstruiert. Es sind keine indo-germanischen Texte erhalten, und indogermanische Wörter und Laute können nur durch syste-matischen Vergleich der Lexeme und Phoneme erschlossen werden. Durch den Erkenntnis-fortschritt der Linguistik müssen diese rekonstruierten Formen mitunter revidiert werden; auch nach dem heutigen Forschungsstand bleibt Indogermanisch immer noch ein mit Unsicherheiten behaftetes hypothetisches Konstrukt, deren tatsächliche Existenz allerdings von kaum einem Linguisten mehr in Frage gestellt wird. Trotz aller Unsicherheiten haben Sprachwissenschaftler versucht, nicht nur einzelne Worte und Formen, sondern auch kürzere Texte (sogar eine indo-germanische Fabel, siehe unten) in dieser Sprache zu verfassen. Es ist evident, dass solche Rekonstruktionen die Änderungen, denen das Indogermanische in seiner Geschichte unterlegen hat, sowie die Vielfalt der Dialekte, die in verschiedenen Gebieten dieser Sprache gesprochen wurden, nicht wiedergeben können.

Durch sprachwissenschaftliche Forschungen können der Wortschatz und grammatische Strukturen des Indogermanischen bis ins 4. Jahrtausend v. Chr. erschlossen werden; über die Genese und früheren Entwicklungsstufen des Indogermanischen sind nur wenige Aussagen möglich, etwa mit der linguistischen Methode der sog. internen Rekonstruktion. Schon früh – vermutlich spätestens im 3. Jahrtausend vor Christus – begann der Differenzierungsprozess des Indogermanischen, bereits damals begannen sich aus dem Proto-Indogermanischen die Vor-formen der heutigen Sprachgruppen zu entwickeln, wobei nicht immer gesichert ist, in welcher Reihenfolge sich die Untergruppen und einzelnen Nachfolgesprachen trennten.

Am wahrscheinlichsten gilt heute eine primäre Aufgliederung in eine östliche Gruppe (Indoiranisch und Balkanindogermanisch) und eine westliche, „alteuropäische“ Gruppe. Die Aufgliederung kann kaum vor etwa 3400 v. Chr. begonnen haben, weil beide Untergruppen gemeinsame Worte für „Nabe“ und „Rad“ (für „Rad“ sogar zwei verschiedene Lexeme) haben, die Erfindung des Rades lässt sich jedoch mit archäologischen Mitteln auf etwa 3400 v. Chr. datieren. Zur östlichen Gruppe gehören als Nachfolgesprachen Sanskrit, Avestisch, Griechisch und Armenisch, zur westlichen Gruppe die baltischen, italischen und keltischen Sprachen und eben die germanische Sprachfamilie. Der Nachweis der primären Aufgliederung des Proto-Indo-germanischen in eine östliche und eine westliche Gruppe gelang mit dem Nachweis einer primären Verwandtschaft des Griechischen mit dem Sanskrit, insbesondere anhand gemeinsamer Archaismen in der Nominalflexion beider Sprachen.

Bis zur Entdeckung des Tocharischen im frühen 20. Jahrhundert nahm man dagegen nach einer Theorie von Peter von Bradke (1853–1897) aus dem Jahre 1890 vielfach an, die primäre Aufgliederung des Indogermanischen sei diejenige in Kentum- und Satemsprachen gewesen. Die Bezeichnungen stammen von dem altpersischen (satem) und lateinischen (centum, in der klassi-schen Aussprache des Lateins als kentum ausgesprochen) Wort für hundert, das im Indogerma-nischen *k̑m̥tóm lautete. In den Satemsprachen (zu denen vor allem slawische, baltische und indoiranische Sprachen gehören) wurde das palatovelare *k̑ allmählich zu einem Zischlaut /s/ bzw. /ʃ/, wie in satəm im Avestischen (Altpersischen) oder sto im Polnischen. Romanische und germanische Sprachen (einschließlich des Deutschen), aber auch das Griechische sind dagegen Kentumsprachen, in denen das palatovelare *k̑ und das velare k zum palatalen k (heute h: hundert, engl. hundred) zusammenfielen. Die Indogermanisten im 19. Jahrhundert waren der Meinung, dass alle (ursprünglichen) Satemsprachen im Osten und alle Kentumsprachen im Westen liegen, dem widersprach aber die Entdeckung des ausgestorbenen Tocharischen (einer Kentumsprache, einst gesprochen im heutigen Gebiet Xinjiang in China!) und des Hethitischen in Kleinasien Anfang des 20. Jahrhunderts. Doch nicht nur deswegen gilt diese Theorie heute als widerlegt. Zu den weiteren Kritikpunkten gehörte von Anfang an, dass es auch bei sogenannten Kentumsprachen eine spätere (sekundäre) Palatalisierung, d. h. Satemisierung gab. So änderte sich die Aussprache von lateinisch „centum“ schon im 2. Jahrhundert n. Chr. von /k-/ zu /ts-/. Im Italienischen wurde daraus „cento“ (gesprochen /tsch-/), im Französischen „cent“ (gesprochen /s-/). Solche „sekundären Satemisierungen“ gab es nach heutigem Kenntnisstand auch im Sla-wischen und Baltischen. Schon seit langem werden die Begriffe „Kentum- und Satemsprachen“ im wissenschaftlichen Bereich darum nur noch deskriptiv (beschreibend) verwendet, nicht aber im Sinne einer sprachgeschichtlichen Aufgliederung entlang dieses Merkmals.

Indogermanische Sprachen um das Jahr 500

Wie gesagt, sind keine Texte oder Inschriften in proto-indogermanischer Sprache über-liefert; die Schrift existierte zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Trotzdem haben Sprachwissen-schaftler den Wortschatz (Lexikon), die Laute (Phoneme) und grammatische Strukturen (Mor-phologie und Syntax) des Indogermanischen zu wesentlichen Teilen rekonstruiert, und sie ver-suchen gelegentlich, kurze Texte in dieser Sprache zu schreiben. Der bekannteste davon ist die sog. Indogermanische Fabel Das Schaf und die Pferde, die zuerst 1868 von August Schleicher verfasst wurde. Danach erschienen mehrfach neuere Fassungen, deren Veränderungen den Erkenntnisfortschritt dokumentieren. Weiter folgt die ursprüngliche Version der Fabel von Schleicher. Schleichers Text basiert auf der Annahme, dass das Proto-Indogermanische vor allem auf der Grundlage von Sanskrit und Avestisch zu rekonstruieren sei; er unterschätzte noch die Bedeutung unter anderem der germanischen Sprachen und des Lateins für die Rekonstruktion des Proto-Indogermanischen.

Indogermanisch (Avis akvāsas ka) Deutsche Übersetzung (Das Schaf und die Pferde)
Avis, jasmin varnā na ā ast, dadarka akvams, tam, vāgham garum vaghantam, tam, bhāram magham, tam, manum āku bharantam. Avis akvabhjams ā vavakat: kard aghnutai mai vidanti manum akvams agantam. Akvāsas ā vavakant: krudhi avai, kard aghnutai vividvant-svas: manus patis varnām avisāms karnauti svabhjam gharmam vastram avibhjams ka varnā na asti. Tat kukruvants avis agram ā bhugat. Ein Schaf, das keine Wolle mehr hatte, sah Pferde, eines einen schweren Wagen fahrend, eines eine große Last, eines einen Menschen schnell tragend. Das Schaf sprach: Das Herz wird mir eng, wenn ich sehe, dass der Mensch die Pferde antreibt. Die Pferde sprachen: Höre Schaf, das Herz wird uns eng, weil wir gesehen haben: Der Mensch, der Herr, macht die Wolle der Schafe zu einem warmen Kleid für sich und die Schafe haben keine Wolle mehr. Als es dies gehört hatte, bog das Schaf auf das Feld ein.

Es gibt auch Übertragungen dieser Fabel in die urgermanische Sprache, etwa durch die Linguisten Carlos Quiles Casas (2007) und Wolfram Euler (2009). Nachfolgend die Version von Euler:

Awiz eχwôz-uχe. Awis, þazmai wullô ne wase, eχwanz gasáχwe, ainan kurun waganan wegandun, anþeran mekelôn burþînun, þridjanôn gumanun berandun. Awiz eχwamiz kwaþe: „Χertôn gaángwjedai mez seχwandi eχwanz gumanun akandun.“ Eχwôz kwêdund: „Gaχáusî, awi, χertôn gaángwjedai unsez seχwandumiz: gumô, faþiz awjôn wullôn sez warman westran garwidi; avimiz wullô ne esti.“ Þat gaχáusijandz awiz akran þlauχe.

Urgermanisch

Auf den Mediziner Ludwig Wilser geht die Theorie zurück, dass sich die Urheimat der Urgermanen im heutigen Dänemark und den angrenzenden Teilen Südschwedens und Nord-deutschlands befunden habe. Wilser vertrat diese Theorie ab 1885, zuvor wurde ganz über-wiegend eine mitteleuropäische Urheimat der Vorfahren der Germanen angenommen. Wilsers Theorie wurde ab etwa 1895 durch den prominenten Prähistoriker Gustaf Kossinna übernommen und setzte sich daraufhin durch, sie ist aber bis heute umstritten. Die Stämme, deren Nach-kommen später als Germanen bekannt wurden, waren vermutlich nicht autochthone Einwohner dieser Gebiete; sie waren dorthin aus anderen Teilen Eurasiens zugewandert und hatten sich womöglich mit vorgermanischen Bewohnern dieser Gebiete vermischt (ein größerer Teil – früher meinte man ein Drittel – des germanischen Wortschatzes hat keine indogermanischen Wurzeln). Es ist nicht genau bekannt, seit wann Germanen auf jenen Territorien lebten; generell wird angenommen, dass die Anfänge der prägermanischen Kultur und Sprache bis ins 2. Jahr-tausend v. Chr. zurückreichen.

Südöstlich dieser prägermanischen Gebiete, vermutlich in Böhmen und daran östlich und südlich angrenzenden Gebieten, lebten im 2. Jahrtausend vor Christus ursprünglich die Vor-fahren der späteren Italiker. Direkt südlich und südwestlich des germanischen Gebietes hingegen lebten keltische Stämme beziehungsweise deren Vorfahren. Sprachwissenschaftler stellten einige Gemeinsamkeiten im Wortschatz zwischen germanischen Sprachen und Latein fest, die auf Kon-takte und Nachbarschaftsverhältnisse dieser Völker hinweisen können. So entspricht das Wort Hals (das im Althochdeutschen und Gotischen dieselbe Form hatte: hals) dem lateinischen collus; das althochdeutsche wat (Furt, vgl. waten) dem lateinischen vadum.

Gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. zogen die Präitaliker nach Süden und siedelten sich im heutigen Italien an, wo Teile von ihnen später die Stadt Rom und das Römische Reich gründeten. Die einst präitalischen Gebiete wurden von germanischen Stämmen erst ab dem 1. Jahrhundert vor Christus besiedelt. Die Ausbreitung der Germanen im 1. Jahrtausend vor Chris-tus in Mitteleuropa geschah hingegen überwiegend auf Kosten bis dahin keltischer Gebiete. Dies gilt vor allem für die Gebiete zwischen Ems und Rhein und für die Ausbreitung nach Süden bis zum Main und weiter bis zur Donau. Vermutlich in der La-Téne-Zeit wurden die seit jeher bestehenden Kontakte mit den Kelten intensiver, wobei damals die Kelten kulturell und wohl auch militärisch ihren nördlichen Nachbarn zunächst überlegen waren. Kontakte mit keltischen Stämmen in dieser Zeit führten zur Aufnahme vieler neuer Wörter in die urgermanische Sprache, zum Beispiel auf dem Gebiet von Politik (das Wort „Reich“), Gesellschaft (das Wort „Amt“), Technik (das Wort „Eisen“), Bekleidung (das Wort engl. „breeches“ = Hose) und Recht (vgl. altirisches oeth, altsächsisches āth und althochdeutsches eidEid, oder altirisches licud, goti-sches leihwan und althochdeutsches līhanleihen).

Andere Nachbarn der Germanen im Osten waren die Veneter (von denen ein Teil nach Angaben antiker Schriftsteller an der mittleren Weichsel lebte) und die Illyrer. Von den ersten übernahmen die Germanen den Begriff selbst (venetisch sselb-, vergleiche gotisches silba, eng-lisches self, althochdeutsches selb), von den anderen stammt das Wort (Vogel)bauer (byrion war eine illyrische Bezeichnung für Wohnstätte).

Das Ergebnis der Kontakte der Germanen mit slawischen und baltischen Stämmen, die östlich ihrer Gebiete lebten, sind dagegen Wörter wie Gold (germanisches ghḷtóm, vgl. pol-nisches złoto, tschechisches zlato), tausend (gotisches þūsundi, vgl. polnisches tysiąc, litauisches tukstantis).

Die germanische Sprache bildete sich aus dem Indogermanischen im Laufe eines lang-samen Prozesses heraus, der in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends einsetzte und ein bis zwei Jahrtausende dauerte. Die Änderungen, die zur Entstehung des Urgermanischen führten, betrafen vor allem die Phonologie, zum Beispiel Akzentverhältnisse. Während der Akzent bei den Ger-manen, wie in anderen indogermanischen Sprachzweigen, anfangs noch auf unterschiedlichen Silben liegen konnte – was auch Bedeutungsunterschiede bezeichnete – setzte sich bei ihnen später der dynamische Akzent auf der Stammsilbe durch. Meistens war dies die erste Silbe eines Wortes, es gibt aber auch unbetonte Vorsilben. Diese Form des Wortakzents gilt bis heute im Deutschen und in den anderen lebenden germanischen Sprachen. In manchen Sprachen (zum Beispiel im Russischen) blieb der Akzent (wie im Indogermanischen) beweglich, d. h., er kann auf verschiedene Silben morphologischer Formen eines Wortes fallen, dasselbe galt für Latein und Griechisch.

Diese Durchsetzung der Initialbetonung führte allmählich zur Abschwächung von Silben ohne Akzent und bewirkte tiefgreifende Änderungen im Lautsystem, von denen die so genannte Erste Lautverschiebung für die spätere Entwicklung germanischer Sprachen die größten Konse-quenzen hatte. Die Prozesse der Ersten Lautverschiebung, die auch als germanische Lautver-schiebung oder Grimmsches Gesetz bekannt ist, setzten frühestens um 500 v. Chr. ein, um Christi Geburt waren sie abgeschlossen. Sie umfassten drei Änderungen im Konsonantensystem:

1. Indogermanische stimmlose Verschlusslaute (p, t, k, ) wurden zu stimmlosen Frikativen (f, þ, h, hw).

2. Indogermanische stimmhafte Verschlusslaute (b, d, g, ) wurden zu stimmlosen Verschlusslauten (p, t, k, kʷ).

3. Indogermanische aspirierte Verschlusslaute (, , , gʷʰ) wurden zu stimm-haften Frikativen und dann zu stimmhaften Verschlusslauten (b, d, g, gw, dann w).

Die Folgen der germanischen Lautverschiebung im heutigen Deutschen sind nicht immer sichtbar, denn sie wurden zum Teil durch die späteren Prozesse der Zweiten Lautverschiebung (die zur Entstehung des Althochdeutschen führte) verdeckt. Die folgende Tabelle soll eine Über-sicht über die Änderungen im Rahmen der Ersten Lautverschiebung geben:


Date: 2015-12-24; view: 1167


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