Home Random Page


CATEGORIES:

BiologyChemistryConstructionCultureEcologyEconomyElectronicsFinanceGeographyHistoryInformaticsLawMathematicsMechanicsMedicineOtherPedagogyPhilosophyPhysicsPolicyPsychologySociologySportTourism






Das Gestell mit den runden Dingern

Johannes Merkel

Unser Herr Meier sieht leider sehr schlecht. Deshalb muss er eine Brille mit Gläsern tragen, die sind ungelogen so dick, und ohne seine Brille erkennt er kaum noch die Hand vor den Augen. Und nun stellt euch vor, was ihm neulich passiert ist:
Er war auf dem Weg zur Straßenbahn, da sah er die Bahn schon an der Haltestelle warten. Unser Herr Meier rannte los, um sie noch zu erwischen. Leider stolperte er, seine dicke Brille fiel auf das Pflaster und er tappte plötzlich im Dunkeln. Auf den Knien rutschte er über den Gehsteig, um nach seiner Brille zu tasten. Aua, das waren Scherben, und diese Scherben waren einmal seine Brille. Und die Straßenbahn war ihm inzwischen auch vor der Nase weggefahren. So ein Pech!

Was sollte er machen? Eine neue Brille musste er haben, er kann ja nicht als blinder Maulwurf durch die Stadt laufen. Da hörte er in der Nähe eine Ladenklingel. Ob das vielleicht zufällig so ein Geschäft ist, na, wie heißt es doch gleich? Jetzt hatte er doch glatt vergessen, wie die Geschäfte heißen, die das Gerät führen, das gerade verloren hatte. Unser Herr Meier rappelte sich auf, ging dem Klingeln nach und tastete sich durch die Ladentür. Ein Verkäufer schoss gleich auf ihn zu: "Sie wünschen?"
"Ach bittschön, führen Sie vielleicht solche Dinger. ..na, wie heißen sie denn nur gleich?"
So was Dummes, jetzt hatte unser Herr Meier doch auch tatsächlich noch vergessen, wie die Geräte heißen, die man auf die Nase setzt, um besser zu sehen. Dann muss er es dem Verkäufer eben irgendwie anders beibringen, was er sucht. "Also wissen Sie, ich brauche zwei so kreisrunde Dinger mit einem Gestell dazwischen. Verstehen Sie?"
"Aber natürlich", sagte der Verkäufer. Und bevor unser Herr Meier bis drei zählen konnte, drückte ihm der Verkäufer die gewünschte Ware in die Hand, und schon stand er mit seinem neuen Sehgerät auf der Straße.
Komisch, warum ist das Ding bloß so schwer? Zwei kreisrunde Dinger hat es ja und auch ein Gestell dazwischen. Aber warum sind diese kreisrunden Dinger so riesig groß? Und warum haben sie einen Reifen aus Gummi außen herum? Und überhaupt, solch ein Gestell aus Eisenrohren hatte sein altes Sehgerät doch auch nicht. Und dann ist auch noch viel zu schwer, um es sich auf die Nase zu setzen. Er kann es kaum mit beiden Händen hochstemmen. Er fingert an seinem neuen Sehgerät entlang. Ganz oben trägt das Gestell auch noch so eine komisch verbogene Stange. Und dann ein Stück weiter stößt er auf was Weiches aus Leder? Was hat ihm der Kerl da nur angedreht?
Natürlich ein Fahrrad. Ist das nicht zum Verrücktwerden ?

Wütend tastete sich unser Herr Meier mit einer Hand an der Hauswand entlang, mit der anderen schob er sein neues Fahrrad neben sich her. So landete er im nächsten Laden. Hoffentlich sind die nicht so begriffsstutzig wie im ersten Geschäft!
"Hören Sie", sagte er zum Verkäufer, "ich suche so ein Gestell mit runden Dingern dran, aber nicht so große wie hier am Fahrrad und auch ohne solche Gummireifen außen rum. Viel, viel kleiner sollen sie sein, und dann müssen auch noch zwei so Halter dran sein, an denen man es anfasst, um es aufzusetzen. Haben Sie so was vielleicht im Angebot?"
"Aber klar", meinte der Verkäufer, und bevor sich unser Herr Meier umsah, stand er schon wieder auf der Straße mit etwas Dickem, Rundem unterm Arm. Rund ist es wirklich und es hat auch keinen Reifen außen rum. Aber es ist irgendwie hohl, und wenn man reinfasst, spürt man Blech unter den Fingern. Mal sehen, ob sich das wenigstens aufsetzen lässt! Na ja, wenigstens ist es leicht und lässt sich hochheben, aber wie soll es ihm auf der Nase halten? Er versucht es vors Gesicht zu halten und die Henkel hinter den Ohren zu befestigen. Da wird es vor seinen Augen aber noch dunkler als zuvor. Er tastete das Gerät ab. Kein Wunder, dass er damit nichts sieht: Es hat ja auch vorne kein Glas zum Durchschauen.
Was haben sie ihm diesmal nur angedreht? Einen Kochtopf! Das ist ja wirklich zum Aus-der-Haut-fahren!



Unser Herr Meier tastete sich weiter an der Hauswand entlang. Den Kochtopf setzte er sich auf den Kopf, damit er noch eine Hand zum Tasten frei hatte. Wenn ihm bloß wieder einfiele, wie das Ding heißt, das er immer auf der Nase trug. Nichts zu machen! Also versucht er es im nächsten Geschäft der Verkäuferin wieder irgendwie klar zu machen: "Also, so ein Gestell mit runden Dingern dran, aber nicht so groß wie die an meinem Fahrrad. Und auch nicht aus Blech und nicht mit Henkeln wie dieser Kochtopf. Und außerdem muss ein Glas davor sein, damit man damit was sehen kann. Führen Sie so was?"
"Selbstverständlich", lacht die Verkäuferin. Und schon stand er mit einem Kasten unterm Arm wieder auf der Straße. Der Kasten ist ziemlich schwer, wie soll er den denn aufsetzen, noch dazu mit einer einzigen Hand? Achso, es ist ein Karton, also muss das eigentliche Sehgerät ja drinnen stecken Herr Meier reißt den Karton auf. Er tastet das Gerät ab. Auf einer Seite eine gewölbte Glasscheibe und sonst ein eckiges Gehäuse aus glattem Plastik? Und aus der Rückwand kommt ein Anschlusskabel mit einem Stecker heraus. Oje, was haben sie ihm jetzt nur wieder angedreht? Das kann doch nur ein Fernseher sein!

Wie sollte er sich denn jetzt überhaupt noch weitertasten? Mit der einen Hand musste er das Fahrrad halten, auf dem Kopf trug er den Kochtopf, und mit dem anderen Arm musste er den Fernseher festhalten. Halt, er hatte ja noch die Ellbogen frei. Mit dem Ellenbogen rutschte er recht und schlecht an der Wand entlang und landete im nächsten Laden.
"Ich lauf mir schon die Hacken ab, und dabei brauche ich doch nur ein Gestell mit so runden Dingern dran, aber nicht so groß wie die Räder vom Fahrrad hier. Und auch nicht aus Blech und nicht mit Henkeln wie dieser Kochtopf. Und aus Glas müssen sie sein, aber bittschön zum Durchschauen und nicht so matt wie beim Fernseher. Ach bitte, können Sie mir endlich helfen?"
"Na logisch", sagte die Verkäuferin, und schon stand unser Herr Meier wieder vor der Tür. Aber diesmal nur mit einem Schächtelchen in der Hand. Aufgeregt packt er es aus. Aus der Schachtel zieht er ein Lederetui, und als er es aufmacht, stößt er auf zwei Röhren, und dazwischen ist ein Rädchen angebracht zum Drehen. Was haben sie ihm bloß diesmal angedreht?

Na, wenigstens ist es nicht schwer und lässt sich ganz leicht vor die Augen halten, und wenn er lange genug an der Einstellung dreht, kann er damit tatsächlich was erkennen. Aber so was Dummes, er sieht immer nur die weit entfernten Dinge! Sobald er näher kommt, erscheinen sie in seinem neuen Sehgerät ganz verschwommen. Macht nichts, jetzt kann er ja in aller Ruhe nach so einem Geschäft suchen - na, wie heißt es doch gleich? - eben, wo es diese Dinger gibt, die man sich auf die Nase setzt, um besser zu sehen. Dass ihm immer noch nicht einfallen will, wie man die nennt!

Also studierte er durch sein Fernglas die ganze Straßenzeile, und tatsächlich, dahinten entdeckt er ein Schaufenster, in dem diese Dinger liegen, die er so dringend sucht. Überglücklich steuerte unser Herr Meier los, direkt auf diesen Laden zu. Aber je näher er kam, desto verschwommener erschien der gesuchte Laden. Und als er ganz nah davor stand, verwechselte er die Türen und stapfte statt zum Optiker in eine Pizzeria genau nebenan.
"Endlich hab ich Sie gefunden", freute sich unser Herr Meier. "Bitte geben Sie mir auf der Stelle zwei von diesen Dingern, die Sie hier verkaufen. "
Der italienische Kellner schaute unseren Herrn Meier von oben bis unten an. Auf dem Kopf hatte der einen nagelneuen Kochtopf, mit einem Arm umklammerte er einen Farbfernseher, auf dem ein Fernglas lag, mit der anderen Hand schob er ein Fahrrad ins Lokal.
'Der ist nicht ganz dicht', dachte sich der Kellner. 'Aber ich hab schon verrücktere Figuren bedient'. Und damit brachte er ihm zwei Teller und auf jedem Teller lag eine kreisrunde Pizza.
Meier fingerte die Pizza ab. "Kreisrund sind sie, und auch nicht so schwer, aber wie soll ich die denn aufsetzen? Wo ist denn das Gestell dazwischen?"
"Da kann ich Ihnen schon helfen", meinte der Kellner, setzte ihm die beiden Pizzas auf den Topf, den Meier auf dem Kopf trug, und schob ihn mit seinem Fahrrad, seinem Fernseher, seinem Topf mit den zwei Pizzas drauf und dem Fernglas zur Tür raus.
Und weil er wohl gemerkt hatte, dass Meier die Hand vor den Augen nicht sehen kann, flüsterte er ihm noch zu: "Und falls Sie eine Brille brauchen, ein Optikerladen ist hier gleich neben an, nächste Tür links".
Optiker! Optiker nennt man die Leute, die einem Gestelle zum Sehen verkaufen. Glück gehabt! Endlich versteht mich jemand, freute sich Meier, und geht in das Optikergeschäft. Der Optiker musste sich erst mal die Brille putzen und drei Mal hinschauen, ehe er seinen Augen traute. Trampelte da doch ein Kerl mit einem Fahrrad in der einen Hand, einem Riesenkarton in der andern, einem Kochtopf auf dem Kopf, auf dem auch noch zwei Pizza lagen, in seiner funkelnagelneuen Ladeneinrichtung herum.
"Raus!" brüllte er.
"Ach bitte", bettelte Meier, "haben sie hier nicht zufällig so ein Gestell mit zwei kreisrunden Dingern, durch die man durchschauen kann?"
"Sie meinen wohl eine Brille? Aber natürlich! Was immer sie wünschen!"
Brille! Natürlich, Brillen nennt man die Geräte, die man sich aufsetzt, um besser zu sehen. Dass er darauf nicht gekommen Ist! Endlich war er an der richtigen Stelle. Der Optiker untersuchte seine Augen und verkaufte ihm eine Brille mit genau den Gläsern, die Meier zum Sehen brauchte.

 

Als Meier mit seinem neuen Sehgerät wieder auf der Straße stand und die Sachen betrachtete, die sie ihm verkauft hatten, obwohl er doch nur nach einer Brille suchte: Ein Fahrrad, einen Fernseher, einen Kochtopf, ein Fernglas und zwei Pizzen.
"Nicht zu fassen", schimpfte unser Herr Meier. "Da kannst du mal sehen, was die einem alles andrehen, wenn man die Augen nicht offen hält."


 


Date: 2015-12-24; view: 940


<== previous page | next page ==>
Ein schlechtes Geschäft | Die Leute wissen schon, was sie tun
doclecture.net - lectures - 2014-2024 year. Copyright infringement or personal data (0.008 sec.)