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Wie fassen die Sache mit Meißner Holt und Wolzow? – Ziel, Wörter, Vorbereitung, Gefühle (In welchen Termini) Warum verspottet Uta Barnim Holt? 6 page

„So. Das wirst du erst einmal unterschreiben“, forderte Wolzow.

„Und ... wenn ich nicht unterschreib?“

„Du wirst unterschreiben. Du weißt, es gibt da eine Menge netter Sachen, wenn einer nicht will.“

Schweigen.

„Und wenn ich doch nicht unterschreib?“

Wolzow antwortete nicht. Er nahm eine Zigarette, reichte auch Holt die Schachtel, aber Holt schüttelte den Kopf. „Dann bringen wir dich’n Stück in den Wald und knallen dich ab.“ Das klang so gleichgültig, daß Holts Hände zu zittern began­nen. „Du hast fünf Minuten Bedenkzeit. Komm, Werner!“

Sie entfernten sich. Am Waldrand flüsterte Holt: „Und wenn er sich weigert?“ – „Er wird unterschreiben, verlaß dich drauf! Er hat nicht die Nerven.“

„Und wenn er doch nicht... wollen wir ihn wirklich ...?“

„Was bleibt uns denn anderes übrig?“ Wolzow war immer noch gleichgültig. „Wir können ihn doch nicht laufenlassen! Wir haben gar keine Wahl! Überfall auf ’n HJ-Führer, be­waffnet! Noch dazu, wo er jetzt weiß, daß wir die Geschichte mit der Wagner kennen. Wenn wir ihn umlegen, dann fingier ich ’n Selbstmord, da haben wir eine Chance, daß man uns nicht erwischt. Aber wenn er uns anzeigt, geht’s uns dreckig. Komm jetzt, die fünf Minuten sind um.“

Holt ging an Wolzows Seite zum Felsen zurück. Mord. Kaltblütiger Mord! dachte er.

„Na? Hast du dir’s überlegt?“

„Ich unterschreib nicht“, sagte Meißner.

Wolzow schlug ihm die Faust ins Gesicht. Meißner schrie: „Verbrecher! Banditen!“ Wolzow rief wütend: „Willst du wohl das Maul halten!“, faßte ihn unter den Achseln und stemmte ihn hoch. Dann schlug er abermals zu und ein drittes Mal. Meißner sank zusammen und stöhnte: „Und wenn ihr mich totschlagt!“

„Sieh seine Taschen durch“, sagte Wolzow kalt, „man darf unseren Brief nicht bei ihm finden!“ Holt griff in die linke, dann in die rechte Brusttasche, fand den Brief und steckte ihn ein. „Bind ihm die Beine los“, befahl Wolzow. Sie faßten ihn links und rechts an den Armen. Er sträubte sich. Sie schleiften ihn tiefer in den Wald. Mit einem Fußtritt hackte Wolzow ihm beide Beine unter dem Körper weg. Meißner stürzte zu Boden.

„Jetzt ist Schluß!“ Wolzow setzte ihm die Mündung der Armeepistole auf die Stirn. Da begann Meißner zu schreien: „Aufhören! Nimm den Revolver weg!“ Er kreischte langge­zogen: „Aufhören! Hilfe!“

Wolzow preßte die Mündung der Waffe fester gegen seine Stirn. „Willst du unterschreiben?“ Meißner schrie: „Ja doch ... Ja! Nimm die Pistole weg!“

Sie richteten ihn auf und banden ihn los. Wolzow leuchtete mit der Taschenlampe, in der anderen Hand hielt er die Pi­stole. Meißner unterschrieb. „Setz noch das Datum hin“, be­fahl Wolzow, „heut ist der 24. Juli 43. Den Tag sollst da dir merken!“ Er steckte die Pistole weg und schob den unter­schriebenen Schein sorgfältig in die Brieftasche. „Steh schon auf, Mensch! Es kann losgehen. Jetzt begleichen wir zwei un­sere Rechnung.“



Holt sah, wie Wolzow auf den großen, blonden Burschen losschlug, der sich nur kurze Zeit zur Wehr setzte und bald wieder hinfiel. Wolzow trat ihn mit Füßen. Schließlich beugte er sich über die bewegungslose Gestalt, drehte sie auf den Rücken und leuchtete in das entstellte Gesicht. Meißner, in tiefer Bewußtlosigkeit, röchelte schwer.

„Los, Werner, jetzt weg!“

Der Himmel hatte sich bewölkt. Der Wald war nachtdun­kel. Sie gingen eilig. „Hättest du ihn wirklich erschossen?“ fragte Holt. „Ja, was denkst denn du?“ antwortete Wolzow erstaunt.

Dann, in der Wolzowschen Villa, die dunkel und menschen­leer in der Nacht stand, saß Holt, den Kopf in die Hände ge­stützt.

Einer lag jetzt zerschlagen und blutend im Walde. Ich bin viel zu weich. Ich muß härter werden! Mir graut vor Wol­zow. Er hat, was mir noch fehlt: diese „Mörderkaltblütigkeit mit gutem Gewissen“, von der ich gelesen hab. Wie will ich den Krieg bestehn? Ich muß härter werden.

Draußen schlug die Tür. Wolzow nahm sein Gepäck auf. Sie gingen langsam durch die Gassen zum Fluß hinab. Wol­zow schleppte eine Aktentasche voll Bücher mit. Er sprach von seinen Plänen. „Wir werden die Zeit gut ausnützen. Nachtorientierungsmärsche, viel Sport, viel Scheibenschießen. Wir müssen unser militärisches Wissen erweitern. Wir müs­sen unsere kriegerischen Tugenden festigen.“ – „Ja, Gilbert“, sagte Holt.

8.

Holt und Gomulka schossen sich seit Tagen mit den Geweh­ren ein. Zemtzki hatte die Vormittagswache. Der Posten konnte vom Gipfel aus viele Kilometer weit das Gelände über­blicken. Vetter, auf einem Klappstühlchen vor der Höhle, pfiff sich eins. Er putzte Pilze. In der Höhle, deren Eingang erwei­tert worden war, hing ein Kessel mit Wasser über dem Feuer. Gestern hatte Wolzow einen Hasen in einer Schlinge gefan­gen. Vetter, der Küchenbulle, wie Wolzow ihn nannte, konnte den Hasen nicht braten. Vetter hatte Sorgen. Das Fett war aufgebraucht, auch das Brot, mit dem letzten Pfund Roggen­mehl kochte er heute Pilzsuppe. Holt und Gomulka schossen unten, in der Schlucht, auf eine kopfgroße, sandgefüllte Blech­büchse. „Es hat keinen Zweck, auf die Jagd zu gehen, ihr vergrämt bloß das Wild“, hatte Wolzow gesagt. „Schießt euch erst ein.“ Gomulka ließ den Stutzen donnern, stehend freihändig, er verschwand bei jedem Schuß in einer stinkenden Qualmwolke. „Treffer!“ sagte Holt, das Fernglas an den Augen. Gomulka lud und schoß, auf fünfundsiebzig Meter. „Treffer“, sagte Holt, „du triffst jetzt von drei Schuß zweimal, mehr wird's nicht.“ – „Auf was Lebendiges schießt sich's besser“, sagte Gomulka und setzte den Stutzen ab, „das ist eine alte Weisheit. Jetzt du noch mal.“ Sie gingen auf etwa dreißig Meter an die Büchse heran. Holt schoß links. Das Kleinkalibergewehr peitschte hell und dünn neben dem schwe­ren Stutzen. „Gut, gut“, sagte Gomulka, „ich denke, wir sind soweit.“ Sie hängten die Gewehre auf den Rücken und stie­gen aus der Schlucht wieder zur Höhe des Kreideplateaus auf.

Vor der Höhle stand Wolzow, in der Badehose. Holt und Gomulka begannen, die Gewehre zu reinigen. „Bloß Pilz­suppe!“ sagte Vetter. „Wenn ihr heute nichts ranschafft, wird ab morgen gefastet.“ Wolzow hatte im Bach gebadet, auf sei­ner Haut standen funkelnde Wassertröpfchen. „Schießt, was euch vor die Gewehre kommt! Man kann auch Krähen essen, in der Suppe. Ich geh heut abend mit Zemtzki los und grab ein paar Rucksäcke Kartoffeln aus. Ich werde mir auch mal die Dörfer ansehen.“ Er traf, während er sich ankleidete, im­mer neue Anordnungen. „Pilze ranschaffen und trocknen. Drüben, hinter der Schlucht, gibt's bald Blaubeeren, Christian, merk dir das!“ Vetter redete Wolzow mit „Chef“ an und gehorchte ihm sklavisch. „Und dann“, fuhr Wolzow fort, „sollten wir doch im Fluß angeln.“ – „Ist gefährlich“, sagte Gomulka. „Dort unten sieht uns bestimmt jemand!“ – „Wenig­stens Nachtangeln auslegen“, sagte Holt, der an seine Verab­redung mit Wiese dachte. „Laßt mich das machen. Den Fluß übernehm ich.“ Vetter stimmte wieder sein Klagelied an. Er brauche Fett. „Kocht ihr mal was ohne Fett!. . . Man müßte eine richtige Sau organisieren“, sagte er träumerisch.

Sie löffelten die Pilzsuppe. Vetter trug ein Kochgeschirr zu Zemtzki auf den Gipfel. Holt und Gomulka bereiteten sich auf den ersten Pirschgang vor. „Ihr seht aus wie Robinson“, sagte Wolzow und grinste. „Wenn's nach der Ausrüstung ginge, müßtet ihr ein Mammut schießen.“ Er rief ihnen hinter­her: „Weidmanns Heil!“

Sie stiegen den steilen Trampelpfad hinab und folgten dem Lauf der Schlucht, bis sich ein Tal vor ihnen öffnete. Sie wan­derten, die Gewehre schußfertig unter dem Arm, nach Osten, durch den dichten und verwilderten Wald. Gebüsch und Un­terholz hemmten ihre Schritte. Ein Eichelhäher stimmte gel­lendes Warngeschrei an. Holt hob die Büchse. „Ob man Eichel­häher essen kann?“ flüsterte er. – „Ja. Aber laß, du verjagst vielleicht was Größeres!“ – „Das Geschrei vertreibt sowieso alles Wild. Polizei des Waldes.“ Der Vogel war auf den Zwei­gen einer Eiche niedergegangen, das bunte Gefieder leuchtete durch das Laubwerk. Ausatmen, Druckpunkt. Ziel aufsitzen lassen! Der Schuß brach. In einer Wolke stiebender Fe­dern fiel der Vogel zu Boden. Holt lud. „Die erste Beute!“ Er verstaute den Eichelhäher im Rucksack. Sie wanderten weiter.

Als sich der Abend senkte, tat sich eine große Lichtung vor ihnen auf. Ein Bach plätscherte zu Tal. Sie rasteten und la­gerten sich am Waldrand.

Ein kühler Wind strich über sie hin.

„Denkst du manchmal an zu Hause?“ flüsterte Holt. „Nein, nie“, sagte Gomulka. „Und du? Denkst du an die Stadt?“ Holt schüttelte den Kopf. – „Und... denkst du noch an den... Gasthof, dort, beim Ernteeinsatz?“ Holt sah ange­strengt zur Seite. Die Frage überraschte ihn. „Manchmal“, flüsterte er nach langer Pause. Dann erstarrte er. Nicht weit von ihnen entfernt saß ein Hase im Gras der Lichtung, machte Männchen, mit spielenden Ohren, und äugte... Langsam, ganz vorsichtig brachte Holt das Gewehr in Anschlag. Er mußte sich zur Ruhe zwingen, er zielte sorgfältig. Gomulka hielt den Stutzen schußbereit an der Wange, um zu feuern, wenn Holt fehlte. Dämmerlicht, nicht zu tief abkommen! Der Kopf mit den langen Ohren stand zitternd auf der Visierlinie. Als der Schuß peitschte, sprang der Hase hoch und blieb lie­gen. Im gleichen Augenblick aber brach, greifbar nahe, ein großes Tier aus dem Gebüsch und flüchtete in langen, federn­den Sätzen über die Lichtung. „Schieß!“ schrie Holt. Da don­nerte schon der Stutzen. Gomulka verschwand in einer stin­kenden Rauchwolke. Das Echo rollte durch den Wald. Gomul­ka war aufgesprungen. Er stand vornübergeneigt und schob in fieberhafter Eile eine neue Patrone in den Lauf. Aber das große flüchtende Tier verschwand jenseits der Lichtung im Wald. „Los! Lauf doch!“ rief Holt. „Ein Reh war das, oder gar ein Hirsch.“ Sie hetzten über die Lichtung, setzten im Sprung über den Bach. Am Waldrand rief Gomulka triumphie­rend: „Hier!“ Eine große versickernde Blutlache, eine breite Blutspur, die plötzlich endete. „Dort, das Gebüsch!“ Sie teilten mit beiden Armen die Zweige. Da brach es schon wieder aus den Sträuchern, ein Schatten taumelte davon, zum Greifen nahe. Aus dem Gebüsch, wo das angeschossene Wild gelegen hatte, führte die dunkle Blutspur weiter. Gomulka hielt Holt in jähem Schreck am Arm fest: „Dort!“

Etwa dreißig Meter vor ihnen, zwischen den Büschen, von der Dämmerung verhüllt, richtete sich das Tier noch einmal mühsam auf die Vorderläufe und wandte ihnen den Kopf mit dem mächtigen Geweih zu. Gomulka kniete, das Gewehr im Anschlag. Es dünkte Holt eine Ewigkeit, bis der Schuß knallte und das Echo sich in den Wipfeln verfing. Der beißende Geschmack des verbrannten Schwarzpulvers füllte Holt Mund und Nase. Der Hirsch sank zusammen. Gomulka ließ den Stut­zen fallen, sprang auf und begann ein Jubelgeschrei.

„Still! Wenn jetzt jemand kommt!“ Sie standen unbeweg­lich und horchten. Kein Laut regte sich. „Wer soll denn hier kommen? Die Männer sind im Krieg, und die Weiber haben Angst im Wald.“ Er hob den Stutzen auf und schob eine Patrone in den Lauf. Dann standen sie bei dem verendeten Wild. Der Hirsch hatte im Todeskampf mit dem starken Ge­weih den Boden zerwühlt und lag nun auf der Seite. Gomulka zählte die Enden. „Zwölf“, sagte er, „also ein guter, ein jagd­barer Hirsch ... Und weidgerecht erlegt... Er hätte uns auch verludern können, wo wir keinen Hund haben!“ Das erste Ge­schoß war hinter dem Schulterblatt in die Flanke gedrungen. Das zweite hatte den Hals dicht unterhalb des Kopfes durch­schlagen. „Ich hab's vorhin gleich gewußt, daß ich gut abge­kommen bin“, sagte Gomulka zufrieden, „er ist mir richtig in die Kugel hineingesprungen...“ Holt lief zurück und holte den Hasen. Dann schleppten sie den Hirsch tiefer in den Wald zwischen das Eichengebüsch. „Das sind gute zwei Zentner, ein schönes Gewicht!“ – „Der Jäger sagt niemals ,schönes Gewicht’ beim Hirsch“, verbesserte Gomulka. „Es heißt gut, prächtig oder brav, auch beim Geweih. Und wer sich gegen die Weidmannssprache vergeht, wird zur Strafe über einen jagd­baren Hirsch gelegt und erhält drei Pfunde mit dem Blatt.“ – „Was, wie?“ fragte Holt. – „Drei Schläge mit dem Weid­messer. Dazu sagt der Oberjägermeister beim ersten Pfund: Jo ho, das ist für meinen gnädigen Fürsten und Herrn!’ Beim zweiten: ,Jo ho, das ist für Ritter, Leute und Knecht!’ Und beim dritten: Jo ho, das ist das edle Jägerrecht!’“

Holt lachte. Aber sie konnten sich nicht entschließen, die Beute zu zerteilen. „Hast du schon mal ’n Hirsch aus der Decke geschlagen? Das schaffen wir nicht. Wir müssen ihn wegschleppen.“ Sie vergruben das Blut am Waldrand und im Gebüsch, fällten eine junge Tanne und zogen den Stamm durch die zusammengebundenen Läufe. „So geht es“, meinte Gomulka. „Im Krieg werden wir manchmal noch schwerer schleppen“, sagte Holt.

Gomulka entzündete ein kleines Feuer. Sie brieten den Eichelhäher über der offenen Flamme, und da er kaum größer als eine Taube war, spießten sie auch den Hasen auf einen Stecken und ließen ihn über der Glut schmoren.

Es war Nacht. Holt breitete seine Zeltbahn aus und legte sich nieder, den Kopf gegen den Hirsch gelehnt. Gomulka hockte ihm zur Seite und versorgte das Feuer. Die Flamme zischte, wenn das Fett in die Glut tropfte. Zwischen den Wipfeln der Bäume stand Stern an Stern.

Holt schaute in den Himmel, wie vor ein paar Tagen, am Fenster einer fremden und dunklen Kammer, in jener Nacht. Eigentlich hab ich sie längst vergessen. Und wenn ich zurück­denk, dann seh ich ein anderes Gesicht... „Du hast da vorhin was gefragt“, sagte er. „Ich hab es gar nicht gewollt, dort im Gasthof. Ich wollte es; aber ich wollte es nicht so! Und doch hätte ich mich mein Lebtag einen Feigling genannt. Ich weiß bis heut noch nicht, ob ich mich schämen muß.“

Gomulka stocherte mit einem Ast in der Glut. „Ich hab frü­her gedacht, es könnte wie in den Büchern sein“, fuhr Holt fort. „Alles aus Liebe und so. Wie bei Novalis. Kennst du das? Sie ist eine Königstochter, die Schönste im Land, und er ist ein ganz armer Hund, ein Dichter, der mit seinem Vater im Wald lebt; der Vater ist kolossal gelehrt, so 'n halber Weiser. Die beiden lieben sich heimlich. Eines Tages gehn sie spazie­ren, und da kommt ein Unwetter, und sie müssen in eine Höhle flüchten, wo's dann auch prompt passiert, aus Liebe natürlich. Aber sie traut sich nicht mehr zum König ins Schloß und bleibt bei dem weisen Mann und seinem Sohn. Der König läßt das ganze Land absuchen, umsonst. Nach einem Jahr bringt sie der junge Mann dann nach Hause, da hat sie 'n Baby, und der Dichter hat aus der Geschichte ein Lied gemacht und singt es dem König vor. Der ist ganz unbeschreiblich gerührt, und er verzeiht ihnen. Ich finde so was schön. Aber die Wirk­lichkeit ist ganz anders.“

„Gib mal das Salz her“, sagte Gomulka. „Hast du solche Ge­danken öfter?“ Er nahm den Hasen vom Feuer, teilte ihn und reichte Holt einen Fetzen des dampfenden Fleisches. „Ich bin gespannt“, sagte Holt, während er mit den Zähnen das Fleisch von den Knochen riß, „ob es im Leben mit allen... Idealen so ist wie mit Novalis und der Wirklichkeit. Liebe, das hat mich immer ganz feierlich gestimmt. Aber es ist gar nicht feierlich, es ist... ganz anders. Mir ist auch immer so erhaben zumut, wenn ich die Morgenfeiern der HJ im Radio hör, am Sonntag. Neulich hab ich von den jungen Kriegsfreiwilligen gehört, von diesem berauschenden Hochgefühl der Hingabe, wenn man sein Leben fürs Vaterland opfert... Oder in die­sem Büchlein ,Die Stimme der Ahnen’ von Sörensen, das uns der Knack neulich mitgebracht hat; Ekke hieß der Freiwillige, von dem da erzählt wird. Es hat sich mir wörtlich eingeprägt, wie er geschildert wird: ,halbaufrecht emporgeworfen die Handgranate mit einem Jauchzen in das Maschinengewehrnest schleudernd. Und im Schwung noch von der Kugel getrof­fen und niedersinken mit dem letzten Gedanken: ... das Beste für Deutschland ...’“

„Schmeiß den Dreck ins Feuer“, sagte Gomulka, „keine Knochen rumliegen lassen! Die Asche graben wir nachher ein... Und da denkst du nun, es könnte damit auch so sein wie mit der Liebe? Wolzow meint, der Krieg ist ganz unpoetisch. Wissenschaftlich trocken, wie Chemie, sagt er.“ – „Aber wenn man sich dann durchgerungen hat, zur Todesbe­reitschaft und so, wie es bei Beumelburg im Frontsoldat’ steht, kennst du's?, dann soll ja erst die wirkliche und echte Begeisterung kommen.“

„Ich denke, in einem Jahr wissen wir’s, sagte Gomulka. Sie streckten sich zum Schlafen aus, Kopf an Kopf. „Es gibt vieles, worüber man mit keinem reden kann“, meinte Holt leise. „Ich dachte früher mal, der Vater wäre dazu da, daß man alles mit ihm besprechen kann.“ – „Die Alten“, sagte Go­mulka, „wissen nicht, was sie wollen! Erst so, dann so.“

Noch nach Tagen fragte Vetter: „Wie habt ihr das bloß ge­macht?“ – „Eben abgedrückt und heimgeschleppt“, sagte Gomulka.

Täglich gab es drei Fleischmahlzeiten. Wolzow holte jeden zweiten Tag Kartoffeln. Tagsüber saß er vor der Höhle, stu­dierte seine Lehrbücher der Strategie und brütete über einem Plan, von dem er noch nichts verlauten ließ.

Er war einige Male bei einem weit entfernten Dorf gewe­sen, in dessen Nähe er aus einem Acker halbreife Kartoffeln ausgrab. Die Felder am Wald wurden oft von Schwarzwild heimgesucht, aber der Vorschlag, dort auf ein Wildschwein zu lauern, wurde verworfen. Der Schuß mußte im Dorf ge­hört werden.

Wolzow hatte einen anderen Plan. „Los! Wir halten Kriegs­rat.“

Irgendwo, einsam im Wald, lag ein einzelnes, kleines Ge­höft, berichtete Wolzow. „Sie haben einen Hund, einen ziem­lich großen Köter, den muß man abschießen. Dann kann man in Ruhe ein Schwein aus dem Koben holen!“ Holt erschrak nun doch. Aber Vetter rief: „Eine Sau? Eine richtige, gemä­stete Sau?“ – „Den Hund abschießen, gut“, sagte Holt. „Aber da hast du zwei Minuten später die Hausbewohner auf dem Hals!“ – „Es wohnen ja bloß zwei alte Leute dort“, ent­gegnete Wolzow. „Es muß ein Forsthaus sein. Die Leute halten zwei Kühe und ein paar Schweine. Drei von uns stechen die Sau ab und schleifen sie weg, zwei Mann halten unterdessen die Alten in Schach. Man kann es auch am Tage machen, wenn die beiden aufs Feld gefahren sind. Sie haben einen Weizenacker, ziemlich weit weg. Ich arbeite es bis ins kleinste aus.“

Holt hörte sich das schweigend an. Der Plan lockte, denn er war abenteuerlich. Immerhin: Einbruch, Raub, bewaffne­ter Raub sogar... Er sagte sachlich: „Darauf steht Zucht­haus!“ Zemtzki schaute Holt erschrocken an.

„Pfeif auf Zuchthaus! Erst müssen sie uns haben!“ sagte Wolzow.

„Requirieren... beim Bauern requirieren“, sagte Vetter eifrig, „das ist im Krieg so Sitte! Mein Vater hat mal erzählt, daß die Wehrmacht in der Ukraine... in so einem Dorf... aus sämtlichen Gehöften das Vieh rausgeholt hat, nicht bloß eine Sau, und das wurde dann verladen. Die Leute mußten sich das gefallen lassen. Und wo sie nicht mitgemacht haben, iln wurde alles an die Wand gestellt.“ – „Da siehst du ja, wie man so was macht!“ sagte Wolzow. „Es ist eine gute Ner­venprobe für später. Man muß alles, was vorkommen kann, schon mal durchexerziert haben.“

Holt wurde ein Gefühl der Sorge nicht los. Aber Wolzow die Gefolgschaft aufzukündigen kam nicht in Frage. „Ich mach natürlich mit“, sagte er. Dabei überlegte er schon, wie man den Folgen begegnen könne. Er machte sich nichts vor: er hatte Angst. „Ich setz mich mal einen Tag lang mit dem Fernglas auf eine Kiefer“, hörte er Wolzow sagen, „und spio­nier alles aus. Die Operation wird erstklassig vorbereitet.“

Holt traf sich mit Peter Wiese. Er verließ das Lager unter dem Vorwand, am Fluß Nachtangeln zu legen.

Wiese brachte allerhand Neuigkeiten. Das Verschwinden der fünf Jungen war noch nicht bemerkt worden. In der Stadt glaubte man sie beim Ernteeinsatz, und Wurm mochte seine Meldung noch nicht an den Bann geschickt haben. „Der Meiß­ner“, erzählte Wiese unter anderem, „liegt im Krankenhaus und konnte nicht einrücken. Er ist beim Klettern am Rabenfelsen abgestürzt. Aber man munkelt, daß ihn der Verlobte von der rothaarigen Suse so verdroschen hat, weil er immer hinter ihr her war.“ Holt verzog das Gesicht, er fühlte sich erleichtert.

„Der Duce ist zurückgetreten“, erzählte Wiese nun. „Er hat Badoglio zu seinem Nachfolger ernannt. In einem Aufruf hat Badoglio erklärt, daß der Krieg weitergeht. Im Rundfunk hat es geheißen, das deutsche Volk nimmt diese Erklärung zur Kenntnis.“ – „Komisch“, sagte Holt befremdet, „verstehst du das?“ Peter Wiese hob die Schultern. Später sagte er: „Sie haben eine Woche lang ununterbrochen Hamburg bombar­diert, jede Nacht.“ Holt dachte flüchtig an seine Verwandt­schaft und hörte Wieses Stimme: „Es soll grauenhaft sein ... der Phosphor... furchtbare Wunden. Körper zu schwarzen Strünken verbrannt...“

Er nächtigte am Fluß. Er dachte: Vielleicht werden wir an einem solchen Brennpunkt des Luftkrieges eingesetzt... Am Morgen holte er die Nachtangeln ein und trat mit ein paar kleinen Aalen den Rückmarsch an.

Das Leben war anstrengend. Jeder Tropfen Wasser wollte in einer halsbrecherischen Klettertour vom Bach heraufgeholt sein. Holt und Gomulka durchstreiften die Wälder. Sie erbeu­teten Hasen und Wildhühner. Bei den ausgedehnten Pirsch­gängen freundeten sie sich mehr und mehr miteinander an.

Wolzow hatte einen Tag lang das Forsthaus belauert, und nun saß er vor der Höhle und dachte über einen Feldzugs­plan nach. Wenn Holt das bevorstehende Abenteuer einfiel, vertiefte sich seine Sorge. Aber er sprach zu keinem davon, auch nicht zu Gomulka, während er mit ihm im Walde am Feuer nächtigte. Er überlegte hin und her. Wenn Wolzows Plan mißlang oder wenn sie hinterher gefaßt wurden, dann konnte sie keiner, auch nicht Wolzows Onkel mit seinen weit­reichenden Verbindungen, vor Strafe bewahren. Es galt also, einer solchen Strafe vorzubeugen. So reifte der Gedanke her­an, bei Wolzows Onkel rechtzeitig und vorerst heimlich Rückendeckung zu suchen.

Er traf sich wieder mit Wiese. Nun wurden sie in der Stadt vermißt. Die Polizei, erzählte Wiese, habe bei einigen Mit­schülern angefragt, ob sie etwas von einem Urlaubsreiseplan der fünf wüßten. Offenbar forschte man erst bei den Ver­wandten der Jungen nach, denn den Erkundigungen der Po­lizei, so meinte Wiese, fehle der richtige Nachdruck... Der Rechtsanwalt Gomulka, zum Beispiel, vermutete Sepp bei seinem Bruder, der als Zahnarzt in Dresden lebte und zur Zeit irgendwo in einem Wochenendhaus den Sommer verbrachte. Holt kehrte diesmal ziemlich beruhigt zum Lager zurück.

Am Abend saßen sie am Feuer und unterhielten sich. Vetter schwätzte: „Früher gab es eine richtige Seeräuberrepublik im Atlantik. Ich hab mal davon gelesen, die hießen Fli-bustier. Das war was für mich gewesen. Da hätte meine Sippe mal versuchen sollen, mich immerfort zu hauen!“

Holt erhob sich. Er hörte nicht auf Vetters Gerede. Seit er hier in den Bergen hauste, war die Erinnerung an Uta Bar­nim nicht verblaßt. Jetzt war sie so stark, daß er Block und Füllfederhalter aus dem Rucksack kramte und im Schein des Feuers einen Brief an sie schrieb, verworrene, ungestüme Zei­len. Als er sich wieder mit Wiese traf, gab er ihm den ver­schlossenen Umschlag. Dann wartete er ungeduldig auf das nächste Zusammentreffen am Fluß. Und da Wolzow nun eifrig den Einbruch ins Forsthaus vorbereitete, verdichtete sich Holts Gedanke, mit Utas Unterstützung Wolzows Onkel zu Hilfe zurufen.

Am Fluß, bei dem verabredeten Treffpunkt, badete er in einem verschilften Wasserarm. Dann warf er die Angelschnüre aus und fing ein paar Barsche. Er trug eine Handvoll Kartoffeln bei sich, entzündete ein winziges Feuer und legte sie rings um die Flammen. An einem Holzstecken hielt er un­terdessen einen der Barsche über die Glut. Als er gegessen hatte, legte er für die Nacht die großen Aalhaken. Erwartungs­voll saß er am Feuer, rauchte eine Zigarre und blickte über den Teich, der still und bewegungslos in der Abendsonne lag. Endlich kam Wiese.

Er reichte Holt eine Zeitung. Holt überflog hastig die No­tiz. „Fünf Oberschüler zwischen sechzehn und siebzehn Jah­ren . .. Verschwinden erst sehr spät bemerkt.. . Ernteeinsatz der HJ... Wie der Leiter des Kommandos angab, schon nach wenigen Tagen desertiert... Kreiskriminalamt vermutet einen organisierten Ausbruch aus der elterlichen Erziehungsge­walt ... und verfolgt eine bestimmte Spur ...“

„Eine bestimmte Spur...“, sagte Holt nachdenklich, wäh­rend er die Zeitung einsteckte. „Mein Vater hat mit dem Jugendrichter gesprochen“, berichtete Wiese. „Sie wissen gar nichts.“ Holt atmete auf. „Hast du den Brief eingeworfen?“

„Ja. Vorgestern war Uta bei meiner Schwester. Sie haben von euch gesprochen. Von dem Brief hat sie kein Wort ge­sagt. Daß ihr hier in den Bergen steckt, daran denkt niemand. Uta hat gesagt: Die Polizei sollte ruhig abwarten, bis ihr wie­derkommt.“

„Ob sie sich hier mit mir treffen würde?“ fragte Holt. Wiese überlegte. „Ich glaube ja. Sie spricht gut von dir.“

Holt bemühte sich, ein gleichgültiges Gesicht zu ziehen. „Ich muß sie dringend sprechen. Bring sie das nächste Mal mit. Am Sonntag abend. Geh erst am Nachmittag hin, vor­sichtshalber, dann hat sie keine Gelegenheit mehr, uns zu ver­pfeifen.“

Als er wieder allein war, sah er nach den Nachtangeln, legte sich nieder und schlief sofort ein. Nachts fiel Regen. Holt zog sich die Zeltbahn über den Kopf und schlief weiter. Im Lager erfuhr er, daß Wolzow wieder das Forsthaus beobachtete. Gomulka sagte: „Morgen geht's los.“

Es war am späten Nachmittag, als Wolzow den Kriegsrat einberief. „Der Hund ist...“ Er machte die Gebärde des Halsabschneidens. Er hatte sich am Waldrand verborgen und ge­wartet, bis der Alte aufs Feld fuhr. Der Hund, ein stämmiger Boxer, lief hinter dem Wagen her. „Er muß mich gewittert haben, auf einmal kam er durchs Gebüsch. Ich bin getürmt, immer tiefer in den Wald, der Hund hinterher. Da hab ich ihn in einen Knüppel beißen lassen und mit dem Fahrtenmesser abgefangen.“ Er erzählte es ganz ruhig. Dann schilderte er ausführlich seinen Plan. Der Hof mit seinen Gebäuden bildete ein Rechteck. Wohnhaus und Stall mit Schuppen standen ein­ander gegenüber. In einer Mauer befand sich das Hoftor. Hinter dem Stall, in einem umzäunten Freigehege, liefen tags­über die Schweine herum.

„Wir erledigen es am Tag“, sagte Wolzow. „Die Alten fahren früh gegen sieben auf den Weizenacker und kommen erst gegen Mittag zurück. So lange ist der Hof unbewacht. Werner, du und ich, wir passen auf, daß wir nicht überrascht werden. Der Sepp macht mit Fritz und Christian die Sau fer­tig und transportiert sie ab.“ Wie Wolzow es sagte, war das ganz einfach.

„Sollen wir das Schwein etwa schlachten, oder kann ich den Stutzen nehmen?“ fragte Gomulka. – „Nimm den Stut­zen. Such dir nicht das größte aus. Und dann die Beine zu­sammenbinden, wie ihr das mit dem Hirsch gemacht habt. Wenn das Schwein im Wald ist, schickt Sepp einen Mann zu­rück, und wir kommen nach.“

Am anderen Morgen reinigten Holt und Wolzow die Pisto­len. Gomulka pflegte seinen Stutzen. Vetter und Zemtzki schlugen sich einen Pfahl zurecht. Tief in der Nacht brachen sie auf. Beim Morgengrauen kamen sie ans Ziel, verbargen sich im Gebüsch, bis sie den mit zwei Kühen bespannten Ernte­wagen davonfahren sahen. „Hoffentlich haben sie nicht 'n neuen Köter, und er beißt mich in 'n Arsch!“ sagte Vetter. „Ich klettere als erster über die Mauer und öffne das Tor“, bestimmte Wolzow.

Sie warteten noch eine Stunde. Dann schwärzten sie sich die Gesichter mit zerstoßener Holzkohle. Wolzow ging vor­an. Sie warteten vor dem Hoftor.


Date: 2015-12-24; view: 1134


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