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Grießbrei und Lob

 

Lange konnte ich nicht schlafen. Der Oliver weckte mich auf und teilte mir mit, dass er sich zu Weihnachten eine schwarze Katze wünscht. „Die kriegst du garantiert nicht", sagte ich. „Die Mama will doch keine Tiere."

„Aber wenn das Christkind eine bringt", rief der Oliver, „kann die Mama nichts dagegen tun!" Ich gab ihm keine Antwort. Er zog an meiner Decke. „So sag doch, ob die Mama etwas gegen das Christkind tun kann?", rief der Oliver. „Lass mich in Ruhe mit deinem Christkind", murmelte ich. Der Oliver kletterte auf meinen Bauch und boxte in ihn hinein. „Ich krieg aber doch eine Katze", rief er bei jedem Boxhieb. „Frag die Mama", sagte ich. „Oder den Kurt! Wirst ja merken, dass die nicht wollen!" Der Oliver sagte, die Mama und den Papa könne er nicht fragen, die seien nicht da. „Deine Oma ist auch nicht mehr da", rief er. „Alle sind sie weg! Nur meine Oma ist da!" „Wo sind sie denn hin?", fragte ich. „Deine Oma ist heimgegangen", sagte der Oliver. „Und der Papa und die Mama sind weit weggefahren. Sehr weit weg!" Der Oliver freute sich, dass er endlich einmal mehr wusste als ich.

„Was haben sie denn gesagt, als sie weg sind?", fragte ich. „Dass wir schön brav sein und der Oma folgen sollen", sagte der Oliver. Ich musste niesen und hinterher husten.

Die Amtsrätin wurde vom Niesen und Husten angelockt. Sie kam ins Zimmer. Zuerst holte sie den Oliver von meinem Bauch, dann brachte sie mir eine Tasse Tee, dann steckte sie ein Thermometer unter meine Achsel, dann setzte sie sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch. Ich fühlte mich trostlos. Krank und der alten Schachtel ausgeliefert! Ich schloss die Augen und tat, als schliefe ich. „Bis morgen werden wir miteinander auskommen müssen", sagte die Amtsrätin. „Oder bis übermorgen! Deine Mutter und der Kurt sind nach Italien gefahren. Die Ilse holen!" Ich machte die Augen nicht auf. Die Amtsrätin kam zu meinem Bett und zog das Thermometer aus meinem Nachthemd. „Na ja", murmelte sie. „Achtunddreißig drei." Ich rührte mich nicht. „Hast du Halsweh?", fragte sie. Ich rührte mich wieder nicht. „Sie schläft", sagte der Oliver. „Sie schläft überhaupt nicht", sagte die Amtsrätin und ging aus dem Zimmer. Den Oliver nahm sie mit. Ich drehte mich zur Wand. Ich zog mir die Decke bis zu den Augen hinauf. Ich starrte auf das Stück Wand vor meinem Gesicht. Rosa Wand mit grauen Schmutzflecken! Ich merkte, dass ich Angst hatte.

Angst vor der Ilse! Ich hatte Angst, dass sie auf mich böse sein wird! Dass sie sagen wird: Du bist schuld daran, dass sie mich geholt haben! Dass sie sagen wird, ich habe mich in ihre Angelegenheiten gemischt und dass die mich einen Dreck angehen! Und sie wird mich gar nicht mehr mögen! Und wenn sie wirklich in ein Internat kommt, dann wird sie glauben, dass ich schuld daran bin! Ich wünschte mir, ein Murmeltier zu sein. Dann hätte ich einen Winterschlaf halten können. Ich versuchte, mich in ein Murmeltier zu verwandeln. Es gelang mir auch, wieder einzuschlafen, aber nicht für lange Zeit. Für ein Murmeltier war es in der Wohnung zu laut. Der Oliver sang, das Telefon klingelte, die Tatjana kreischte. Und dann kam die Amtsrätin herein und hatte einen Teller Grießbrei, stellte den auf meinen Nachttisch und sagte: „Iss! Du brauchst etwas Warmes in den Magen!"



Ich wollte die Alte so schnell wie möglich loswerden, nahm den Teller und löffelte das scheußliche Zeug. „Deine Schwester kann dir ewig dankbar sein", sagte die Amtsrätin. „Wird sie aber nicht", murmelte ich. Eigentlich hatte ich mit der Amtsrätin gar nicht reden wollen. Doch schließlich war sie die einzige Person weit und breit, mit der ich reden konnte. „Muss sie aber", sagte die Amtsrätin. „Ohne dich wäre die Sache noch viel ärger geworden!" Lobend sagte die Alte das. Ich fühlte mich etwas geehrt. Und auch ein bisschen beruhigt. Die Amtsrätin nahm mir den leeren Teller ab. „Wahrscheinlich wird sie froh sein, dass sie geholt wird!", sagte sie. „Sie wird wahrscheinlich ohnehin schon nicht mehr aus noch ein gewusst haben!" „Sie wird sagen, dass ich daran schuld bin, dass sie heim muss!",sagte ich. „Sie wird schön den Mund halten", sagte die Amtsrätin, „und sich die Sache eine Lehre sein lassen!" Ich bezweifelte da. Die Amtsrätin fuhr fort: „Und hoffentlich vernünftiger werden. Man soll ja die Hoffnung nie aufgeben!" So, wie sie das sagte, klang es aber, als hätte sie alle Hoffnung längst aufgegeben, als hätte sie gar nie Hoffnungen gehabt. Zumindestens nicht, was die Ilse betrifft. Ich wollte meine Schwester verteidigen. Doch mir fiel nichts ein. Darum sagte ich nur: „Ich mag die Ilse!" „Es gehört sich, dass Schwestern einander mögen", antwortete die Amtsrätin, nahm mir den leeren Teller weg, nickte mir hoheitsvoll zu und verließ das Zimmer.

 


Date: 2015-12-24; view: 1011


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