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Die Oma sagt ihre Meinung und mir brummt der Schädel

 

Kaum war die Mama weggegangen, hielt die Amtsratin der Oma eine Ansprache. Sie redete über die Ilse. Sie sagte, die Ilse habe doch alles gehabt, was sich ein Mädchen nur wünschen kann! Ein ordentliches Heim, eine Mutter ohne Beruf, keine Geldschwierigkeiten, einen gütigen, allzu gütigen Stiefvater ... und... und... und...

Aber leider, sagte sie, habe die Mama versäumt, der Ilse die wichtigsten Dinge im Leben beizubringen. Ich habe nicht alles behalten, was die Mama der Ilse beizubringen vergessen hat. Ich weiß nur noch, dass Unterordnung, Bescheidenheit, Gehorsam, Pünktlichkeit und Moral dabei waren. Die Oma hörte sich das an und massierte ihre Nase. Und die Tatjana, die neben der Oma saß, griff sich auch an die Nase und versuchte, die Handbewegung der Oma nachzumachen. Und ich nieste wieder. Und der Oliver stand bei der Tür und fragte in kurzen Abständen: „Wann kommt denn die Mama wieder?" Zum Abschluss ihrer Ansprache fragte die Amtsratin die Oma: „Und wie sehen Sie den Fall?"

Die Oma ließ ihre Nase los. „Hören Sie einmal", rief sie. „Das ist kein Fall! Das ist die Ilse. Und die ist mein Enkelkind! Und der Ilse ist es nicht gut gegangen, sondern schlecht! Und der Erika ..." Sie stach mir den Zeigefinger in den Bauch, als wollte sie mich aufspießen. „Der Erika geht es auch nicht gut. Aber die Erika ist anders, die hält mehr aus!" „Und was bitte", fragte die Amtsrätin hoheitsvoll, „hat der Ilse gefehlt, außer einer ordentlichen Tracht Prügel hin und wieder?"

Die Oma wurde rot im Gesicht. Ich merkte, dass sie sehr wütend war. Sie holte tief Luft, dann legte sie los. „Die Ilse ist von ihrer Mutter viel zu oft geschlagen worden! Und nicht zu wenig! Und im Übrigen haben ihr all die schönen Sachen gefehlt, die Sie vorher aufgezählt haben!" Die Amtsrätin wollte die Oma unterbrechen, aber die Oma fauchte: Jetzt rede ich! Sie haben lange genug Unsinn geredet! Weil man täglich ein Mittagessen kriegt, hat man noch lange keine Mutter, die für einen sorgt. Und wenn man sechs oder sieben Zimmer hat, hat man noch lange kein Heim! Und wenn sich der Stiefvater um einen nicht schert, dann ist das keine Güte!" „Aber..." rief die Amtsrätin.

„Nix aber!", sagte die Oma. „Ihre Schwiegertochter, meine ehemalige Schwiegertochter, die hätte überhaupt keine Kinder kriegen sollen! Und dann kriegt sie vier! Der helle Wahnsinn!" „Wie können Sie das behaupten?", rief die Amtsrätin. „Weil es wahr ist!", rief die Oma. „Zuerst heiratet sie und kriegt Kinder, weil man eben Kinder bekommt. Dann kommen Schwierigkeiten und die hält sie nicht aus. Und da lässt man sich eben scheiden. Ob das die Kinder wollen, danach hat sie nicht gefragt. Und dann kommen die Kinder zu mir. Und da bleiben sie zwei Jahre. Und dann kommt sie eines Tages und sagt, jetzt heiratet sie wieder, jetzt müssen die Kinder weg von mir. Ob das die Kinder wollen, fragt sie wieder nicht. Nein, die haben einfach brav zu sein und damit basta!" Die Oma war jetzt richtig aufgeregt. „Und das waren auch brave Kinder! Nie habe ich Probleme mit ihnen gehabt, solange sie bei mir waren!"



Jetzt war die Oma erschöpft und die Amtsrätin konnte sie unterbrechen. „Na schön", sagte sie. „Sie mögen ja Recht haben. Nach Scheidungen gibt es mit den Kindern immer Schwierigkeiten, aber das ist doch kein Grund, dass man viele Jahre später mit dem Bruder eines Wirts davonläuft!" „Sie hat einen gesucht, der sie wirklich gern hat", sagte die Oma. „So ist das!" „Na, da hat sie sich ja den Richtigen ausgesucht!", rief die Amtsrätin. „Hat sie nicht", rief die Oma. „Wie hätte sie denn das kön­nen? Wenn man fünfzehn Jahre alt ist, kann man das nicht. Und jemanden, den sie um Rat hätte fragen können, hat sie ja nicht gehabt!" Ich nieste und die Amtsrätin schwieg. Die Oma sagte auch nichts mehr. So hockten wir da und warteten auf die Mama. Sogar die Tatjana hielt den Mund. Sie kuschelte sich an die Hüfte der Oma. Die Amtsrätin nahm das mit vergrämtem Blick zur Kenntnis.

Ich stand auf und ging in mein Zimmer. Mir war schwindlig. Und mein Kopf brummte. Ich zog mich aus und legte mich ins Bett. Die Mama kam nicht allein zurück, sie kam mit dem Kurt. Den hatte sie vom Wirt aus angerufen und er war in die GOLDENE GANS gefahren. In der GOLDENEN GANS war anscheinend ziemlich viel telefoniert worden, denn die Mama erzählte der Oma und der Amtsrätin dauernd vom Telefonieren.

„Dann haben wir einen Freund von diesem Erwin in Venedig angerufen und der hat uns die Telefonnummer von einem Freund in Florenz gegeben ..."

„Dann haben wir diese Nummer in Florenz angerufen und der Mann hat uns zuerst das falsche Hotel genannt..." „Aber dann haben wir noch einmal bei ihm angerufen und da haben wir das richtige Hotel erfahren..." „Und dann war aber dieser Erwin nicht im Hotel..." „Und dann hat der Wirt dort angerufen und sagen lassen, es sei wahnsinnig wichtig, sein Bruder soll sofort daheim anrufen ..." Ganz genau bekam ich nicht mit, was die Mama erzählte, weil ich ja im Bett lag und weil mein Kopf so weh tat. Immer wenn ich mich aufrichten wollte, um besser zuhören zu können, spürte ich hinter der Stirn einen stechenden Schmerz. Ich hörte nur noch, dass die Mama und der Kurt und der Wirt dann auf einen Anruf vom Bruder gewartet hatten. Und dass der dann wirklich angerufen hatte. Da hielt ich es im Bett, trotz der Kopfschmerzen, nicht mehr aus. Ich wankte ins Wohnzimmer hinüber. Ich lehnte mich an die offene Tür und hielt meinen armen Schädel mit beiden Händen. Der Kurt sagte zur Oma: „Der Kerl hat gesagt, dass er keine Ahnung hatte, dass die Ilse noch nicht sechzehn Jahre alt ist. Der Wirt hat auch gedacht, sie sei schon siebzehn Jahre vorbei. Angeblich hat sie ihnen auch erzählt, dass sie bei einer alten, tauben Tante wohnt. Und im Sommer Abitur macht. Und dass ihre Eltern in Tirol leben!" „Warum sollte sie so einen Unsinn erzählt haben!", rief die Mama. „Damit er sie liebt", sagte die Oma. „Damit er sie mitnimmt! So ein junger Mann, dazu noch mit Geld, der ist doch nicht so dumm, dass er sich mit einer Minderjährigen einlässt!" Die Oma lachte böse. „So einer, der sagt doch nein danke, wenn er die Wahrheit hört. Der kann doch genauso eine schöne, dumme Puppe kriegen, die über sechzehn ist. Eine, mit der er keine Probleme kriegt!" Dann merkte die Oma, dass ich bei der Tür stand. Sie schimpfte mich aus, weil ich mit Fieber und ohne Hausschuhe da herumstand. Ich wanderte ins Bett zurück und taumelte dabei ziemlich. Mir kam es so vor, als wäre mein Bett ein Boot und der Fußboden darunter ein See mit hohen Wellen. Ich hatte Mühe, über die hohen Wellen zum Boot zu kommen. Als ich das endlich geschafft hatte, war ich so erschöpft, dass ich einschlief.

 

P e n s u m 10

 


Date: 2015-12-24; view: 1125


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