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Thema 6: Internationaler Terrorismus

 

Kai Hirschmann

 

Terrorismus gestern und heute

 

Definition und Abgrenzungen

Bisher gibt es keine weltweite Definition von "Terrorismus". Die verschiedenen Ansätze in Wissenschaft und Praxis können allerdings zu einer kompakten Beschreibung des Phänomens zusammengefasst werden.

Der Begriff "Terrorismus" bezeichnet demnach eine andauernde und geplante Gewaltanwendung mit politischer Zielsetzung, um mit terroristischen Methoden das Verhalten des Gegners zu beeinflussen.

Diese Definition enthält fünf Komponenten, die der Abgrenzung dienen:

Es muss sich um eine über einen Zeitraum andauernde Gewaltausübung handeln, damit Einzelereignisse wie der Tyrannenmord (Zeitpunktereignisse) nicht unter Terrorismus fallen.

Es muss sich um ein vorher geplantes Vorgehen handeln, damit spontane Gewalt, wie sie zum Beispiel auf Demonstrationen ausbrechen kann, nicht unter Terrorismus fällt.

Es muss eine politische Zielsetzung wie etwa beim ethno-natio-nalen oder weltanschaulich-ideologischen Terrorismus vorliegen, damit wirtschaftliche Beweggründe für Gewaltanwendung (zum Beispiel Organisierte Kriminalität) nicht als "Terrorismus" zählen.

Die beiden letzten Komponenten dienen der Abgrenzung zum Freiheits-, Partisanen- oder Guerillakampf. Es muss sich um terroristische Methoden handeln und nicht um eine Guerilla-Kriegsführung: das heißt Terroranschläge, bei denen eine Trennlinie zwischen am Konflikt Beteiligten (Kombattanten) und unschuldigen Dritten (Nicht-Kombattanten) nicht existiert.

So wird beim islamistischen Terrorismus ohne Unterschied jeder zum Opfer, der sich zum Zeitpunkt des Anschlages am Ort aufhält, während Rebellen- und Partisanenbewegungen in der Regel differenziert gegen die Einheiten und Verbände des Gegners und damit nicht gegen alle am Ort befindlichen Personen vorgehen. Zudem wollen sich Terroristen im Unterschied zu Freiheits-, Partisanen- oder Guerillabewegungen überwiegend nicht an die Stelle des Gegners setzen, sondern diesen zu einer Änderung seines politischen Verhaltens nötigen. Der deutsche Terrorismusforscher Franz Wördemann stellte hierzu 1977 fest: "Guerillas wollen den Raum, Terroristen das Denken besetzen".

Von "Internationalem Terrorismus" wird dann gesprochen, wenn die Ziele, Begründungen und Aktionsräume der Terroristen sich nicht nur auf eine Region bzw. ein Land beziehen.

Sehr wichtig bei der Analyse des Phänomens "Internationaler Terrorismus" ist, dass nicht, wie es häufig geschieht, Methoden und Ziele der politischen Gewalt miteinander vermischt werden. Der Begriff "Terrorismus" bezeichnet ausschließlich eine illegale und menschenverachtende Handlungsmethode, trifft aber keinerlei Aussage über die Legitimität oder Verständlichkeit der angestrebten Ziele.



In den letzten Jahrzehnten hat es auch im terroristischen Bereich erhebliche Veränderungen gegeben:

Der Terrorismus ist deutlich internationaler geworden, was einerseits mit insgesamt steigender internationaler Mobilität, andererseits vor allem mit dem Aufkommen von ideologisch-weltanschaulichen Gruppen zusammenhängt.

Die "Begründungsgewichte" für Terrorismus haben sich verschoben. Das sozialrevolutionäre Grundmotiv war in den 1970er Jahren ausgeprägt, spielt aber heute keine Rolle mehr. Das ethno-nationalistische Grundmotiv dauert zwar seit den 1970er Jahren fort, hat sich aber erheblich abgeschwächt. Das ideologisch-weltanschauliche Grundmotiv hingegen ist nicht zuletzt durch die erhebliche Relevanz des islamistischen Terrorismus dominanter geworden.

Terrorismus ist zunehmend zu einer Kommunikationsstrategie mit dem Gegner über die Medien geworden. Es existieren mehr Möglichkeiten, terroristische Gewalt zu kommunizieren, woraus sich eine symbiotische Beziehung ergeben hat: Terroristen nutzen die zunehmenden medialen Möglichkeiten weltweit, die Medien finden in terroristischen Aktionen Nachrichten für ihre Produkte.

Die Mehrzahl der Terroranschläge wird zwar immer noch mit "konventionellen" Mitteln (Bomben und Schusswaffen) begangen. Doch seit Mitte der 1990er Jahre ist insbesondere mit dem "NBC-Terrorismus" (nuklear, biologisch, chemisch) eine neue potenzielle Anschlagsform hinzugekommen. Anschläge mit biologischen Agenzien (zum Beispiel die Anthrax-Briefe Herbst 2001) und chemischen Substanzen (zum Beispiel der Sarin-Anschlag der AUM-Sekte in Japan 1995) haben bereits stattgefunden, Experimente mit radiologischen Waffen ("Schmutzige Bomben" - konventionelle Bomben mit radioaktiven Inhalten) scheinen relativ weit gediehen. Der Einsatz von Atombomben durch Terroristen hingegen ist auf absehbare Zeit unwahrscheinlich.

Terroristen heutiger Prägung geht es immer seltener darum, bestimmte Personen zu beseitigen. Sie greifen vielmehr symbolische Orte und Gebäude an, die die Werte, Systeme und Einstellungen des Gegners repräsentieren. Dabei geht es ihnen mehr als jemals zuvor um möglichst hohe Opferzahlen. Dafür gibt es mehrere Gründe:

- Der Schrecken des Anschlages wird gesteigert; Angst und Verunsicherung steigen.

- Das Ereignis findet größere Berücksichtigung in den Medien.

- Den eigenen Anhängern kann die "Wirksamkeit" des Kampfes nachhaltig verdeutlicht werden.

- Orte, an denen sich viele Menschen aufhalten, sind als so genannte weiche Ziele einfacher zu treffen als prominente Einzelpersonen.

Anders als traditionelle Terrorgruppen unterhalten heutige Terroristen häufig intensive Beziehungen zur legalen und illegalen Wirtschaft sowie zum Bereich der Organisierten Kriminalität; einerseits zur Finanzierung, anderseits um entsprechende Transferwege zu nutzen.

Die Bereitschaft, als Selbstmordattentäter bei einem Anschlag ums Leben zu kommen, ist gestiegen. Dies hängt erstens mit dem Aufkommen ideologisch-weltanschaulicher Gruppierungen zusammen, zweitens unterstreicht es beim Gegner und den eigenen Anhängern die Bedeutung des "Kampfes", drittens werden keine "Exit-Strategien" vom Tatort benötigt, und viertens laufen Abschreckungsstrategien des Gegners ins Leere. (Womit soll jemand abgeschreckt werden, der bereit ist, für die eigene Sache zu sterben?)

 

Arten des Terrorismus

Es gibt zwei Arten des Terrorismus mit entsprechenden Begründungen, unter die sich alle Terroranschläge der letzten fünfzig Jahre zusammenfassen lassen:

Zum einen den "ethno-nationalen Terrorismus". Die Anwendung von Gewalt ist hierbei nicht durch eine Weltanschauung oder Ideologie begründet. Vielmehr geht es um regionale, separatistische Forderungen, die von bestimmten Autonomierechten bis hin zu einem eigenen Staat reichen können. Beispiele sind bzw. waren die nordirische IRA (bis zur "Beendigung des Kampfes" 2005), die baskische ETA (bis zur "Beendigung des Kampfes" 2006), die palästinensische PLO (bis Mitte der 1980er Jahre), die kurdische PKK oder die tamilischen "Tamil Tigers".

Zum anderen der "ideologisch-weltanschauliche Terrorismus", der sich aus unterschiedlichen politischen Gewaltideologien ableitet und in zwei Strömungen aufteilen lässt:

- Die Strömung des säkularen "sozialrevolutionären Terrorismus", der aus rechts- sowie vor allem linksextremistischen Bestrebungen hervorgeht. Angestrebt wird hierbei eine neue bzw. veränderte Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung entsprechend den eigenen ideologischen Vorstellungen. Beispiele für diese Art des Terrorismus sind insbesondere die linksterroristischen Gruppen der 1970er und 1980er Jahre in Deutschland ("Rote Armee Fraktion" - RAF), Italien ("Rote Brigaden" - BR) oder Frankreich ("Action Directe" - AD).

- Die Strömung des "ideologisch-religiösen Terrorismus", der entweder in sektenartigen Gruppierungen Buchreligionen missbräuchlich interpretiert (wie der islamistische Terrorismus sowie angeblich christlich inspirierte Gewaltgruppen) oder pseudoreligiöse Heilslehren zur Legitimation von Gewalt heranzieht (wie die AUM-Shinrikyo-Sekte in Japan, die für zwei Giftgasanschläge 1995 verantwortlich ist). Die Gewalttäter dieser Terrorismusart leiten die Legitimität ihres Handelns aus einer "absoluten Wahrheit" her. Nur sie selbst als "Auserwählte" sind im Besitz dieser ultimativen Weisheit; alle anderen sind Ungläubige und damit Feinde. Diese "Erkenntnis" wird als Rechtfertigung zur Anwendung von Gewalt eingesetzt.

 

Rahmenbedingungen

Seit dem Ende des Kalten Krieges nimmt die bislang dominierende Bedeutung des Nationalstaates ab, weil immer weniger Akteure bereit sind, seine Monopolstellung anzuerkennen. Grenzüberschreitende Abhängigkeiten unterlaufen das Prinzip nationalstaatlicher Souveränität. Es bilden sich neue, grenzüberschreitende Verbindungen - zum Beispiel über Religionsgemeinschaften sowie ethnische und kulturelle Zugehörigkeiten. Infolgedessen spielt auch die klassische sicherheitspolitische Konfliktkonstellation "Staat gegen Staat" eine immer geringere Rolle. In den 1990er Jahren sind innerstaatliche Konflikte in Verbindung mit dem Phänomen des "Staatszerfalls" sowie Akteure unterhalb der staatlichen Ebene (Stammesführer, Regionalherrscher, Banden, Terroristen) zur bedeutendsten sicherheitspolitischen Herausforderung geworden. Begünstigt wird der Zulauf zu politischen und ethnischen Gewaltgruppen durch verschiedene miteinander verknüpfte Entwicklungen:

Die Grenzziehungen bei den Gründungen von Nationalstaaten insbesondere in Afrika und Asien folgten oft politischen Interessen des Westens, die ethnisch heterogen zusammengesetzte Nationalstaaten schufen und dabei historisch-kulturell gewachsene Siedlungsräume und Strukturen weitgehend ignorierten. Solche Nationalstaatsgebilde können oft nur durch totalitäre Herrschaftssysteme (Diktaturen) zusammengehalten werden. Dies gilt besonders in den meisten muslimischen Staaten, in denen totalitär-autokratische Herrschaftssysteme als Minderheitsregime jede Opposition unterdrücken.

Diese Entwicklungen führen immer häufiger zu Auflösungserscheinungen einer staatlichen Ordnung. Denn oft können totalitäre Regierungen ihre Staatsterritorien auf Dauer nicht kontrollieren oder fallen durch Putsch, Tod des Diktators und Intervention von außen in sich zusammen. In das entstehende Machtvakuum streben nun drei problematische Gruppen:

Gebiets- und Provinzherrscher innerhalb des Staates, denen es um wirtschaftliche und politische Macht geht, was Verhandlungen mit ihnen möglich macht.

Kriminelle Banden, denen es nur um wirtschaftliche Vorteile geht, was sowohl Bekämpfung als auch Verhandlungen möglich macht.

Politisch-ideologische Gewalttäter (Terroristen), denen es nur um eine politische Systemveränderung in ihrem Sinne geht, was Verhandlungen unmöglich macht.

Mit Gewalttätern der dritten Kategorie, die sich aus politisch-religiösen Motiven des Terrorismus bedienen, sind die Staaten der Welt seit Anfang der 1970er Jahre konfrontiert. Die Gründe hierfür sind taktischer Natur: Religion polarisiert zwischen "Uns" und "den Anderen" und schafft ein Abgrenzungskriterium, das unabhängig von Bildung und Lebensumständen verstanden wird. Sie wirkt verhaltenssteuernd und vermittelt einen sozialen Bezugsrahmen.

Religion definiert sich zudem oft als Opposition zum herrschenden politischen System und ist tiefer in der Sozialisationsstruktur von Menschen verwurzelt als jede politische Ideologie. Daher eignet sich im terroristischen Kalkül der religiöse Bezug in Verbindung mit eigenen politischen Zielen besonders gut. Ohne Zweifel geht von den Extremisten und Terroristen, die sich auf den Islam berufen und ihn damit missbrauchen, auf absehbare Zeit die größte internationale Gefahr aus.

 

Informationen zur politischen Bildung (Heft 291)

 


Date: 2015-12-18; view: 2791


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