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der Maulesel und das Maultier

Maulesel und Maultier können als Zusammensetzungen mit Maul 'Mundöffnung' erscheinen. Sie sind aber im Frühneu­hochdeutschen verdeutlichend zusammengesetzt (wie etwa auch Walfisch zu Wal oder Rentier zu Ren) zum Simplex Maul 'Maultier', mittel- und althochdeutsch mūl. Dieses kommt von lateinisch mūlus 'Maultier' und hat nichts mit der Mundbezeichnung Maul (siehe bei Maulbeeren) zu tun. Die zoologische Fachsprache unterscheidet zwischen dem Maultier (lateinisch mūlus), in dem der männliche Esel und das weibliche Pferd gekreuzt sind, und dem Maulesel (latei­nisch hinnus), das eine Kreuzung aus dem männlichen Pferd und der Eselin ist.

Der Maulwurf

Die Tierbezeichnung Maulwurf ist ein ganz bekanntes Bei­spiel von Volksetymologie. Das Wort hat in seiner Ge­schichte zwei volksetymologische Umdeutungen erfahren. Im Althochdeutschen lautete es mūwerf, -wurf, eigentlich der 'Haufenwerfer'. Die Konstituente mū- entspricht alt­englisch mūga, mūha, mūwa '(Korn-)Haufen'. Als mū als freies Wort nicht mehr vorkam, wurde die Zusammenset­zung im Spätalthochdeutschen an althochdeutsch molta -mittelhochdeutsch molt(e) - 'Erde, Staub' angelehnt und volksetymologisch umgebildet zu multwurf, mittelhoch­deutsch moltwerf, mit der neuen Motivierung 'Erdwerfer'.

Als wiederum der Bestandteil molt- nicht mehr klar war, wurde moltwerf ca. im 13. Jahrhundert volksetymologisch zum mūlwerf, -wurf (> Maulwurf), wobei man sich auf mittelhochdeutsch mūle 'Maul' bezog. Nach 'Haufenwer­fer' und 'Erdwerfer' entstand so die neue Motivation 'Maulwerfer', 'Tier, das die Erde mit dem Maul wirft', die bis heute besteht. Faktisch ist diese Motivation falsch, eine volksetymologische Täuschung, da der Maulwurf die Erde nicht mit dem Maul aufwirft, sondern mit seinen schaufel­artigen Vorderpfoten.

Mausetot

Das umgangssprachliche Adjektiv mausetot 'ganz und gar tot' gehört in seinem ersten Teil ursprünglich nicht zu Maus. Es ist im 17. Jahrhundert aus dem Niederdeut­schen übernommen worden, wo es ursprünglich mursdot war, eine Zusammensetzung mit niederdeutsch murs, mors 'gänzlich'. Schon im Niederdeutschen wurde der erste Teil aber volksetymologisch an niederdeutsch mūs 'Maus' ange­schlossen und die Zusammensetzung zu mūsdōd umgebil­det. Diese volksetymologische Form wurde dann ins Hoch­deutsche übernommen und in volksetymologischer Inter­pretation als 'so tot wie eine Maus, die nicht mehr zuckt' aufgefasst.

Das Murmeltier

Ob das Murmeltier murmelnde Laute von sich gibt? Eine volksetymologische Frage! Das Murmeltier gibt ein schril­les Pfeifen von sich und ist nach einem ganz anderen Motiv benannt.

Die heutige Form der Tierbezeichnung Murmeltier (mit­telhochdeutsch murmelti(e)r) ist erst sekundär an murmeln angelehnt worden. Das Wort ist eigentlich eine Verkleine­rungsbildung - im Mittelhochdeutschen mürmendin, mur-medin, im Althochdeutschen murmuntin — zu althoch­deutsch murmunto. Dieses ist (über das Romanische) aus mittellateinisch mürem montis entlehnt, einem Akkusativ zu lateinisch mus montanus 'Bergmaus'. Das Murmeltier ist also eigentlich die 'Bergmaus', und die pfeift schrill und murmelt nicht.



Das unverwandte Verb murmeln ist seit dem Althoch­deutschen bezeugt und hat lautnachahmenden Charakter, d. h. es versucht, das entsprechende außersprachliche Ge­räusch durch seine Lautfolge nachzuahmen.

Sowohl von Murmeltier wie auch von murmeln unab­hängig ist das Wort Murmel (mittelhochdeutsch marmel, althochdeutsch marmul, murmul). Es bezeichnet die ur­sprünglich marmorne Spielkugel der Kinder und ist aus la­teinisch marmor entlehnt.

Die Poliklinik

Wer bei Poliklinik an eine riesige Klinik mit vielen Abtei­lungen denkt, denkt volksetymologisch. Auch die Fehl­schreibung Polyklinik deutet auf volksetymologische Ver­knüpfung. In dem Wort steckt nicht poly- (von griechisch polys 'viel') wie etwa in Polygamie 'Vielehe'. Der erste Teil des Wortes kommt vielmehr von griechisch polis 'Stadt', wovon es in der gehobenen Verwaltungssprache des 19. Jahrhunderts abgeleitet wurde. Heute bedeutet das Wort 'Krankenhausabteilung für ambulante Krankenpflege'. Seine eigentliche Bedeutung ist 'Stadtkrankenhaus'. Der zweite Teil Klinik geht auf das griechische klinike (techne) 'Heilkunst für bettlägrige Kranke' zurück.

Guten Rutsch!

Bei dem guten Rutsch, den wir uns zu Neujahr wünschen, denken wir sicher an ein erfolgreiches Hinüberrutschen in das neue Jahr. Das ist eine volksetymologische Interpreta­tion. Sprachgeschichtlich geht der gute Rutsch auf das Jiddi­sche bzw. Hebräische zurück. Im Hebräischen bedeutete r'ōs 'Anfang' bzw. 'Kopf '. Die deutschen Juden wünschten sich zu Neujahr einen guten Rosch, der volksetymologisch zum Rutsch wurde.

Der Schlittschuh

Der Schlittschuh, der Schuh mit angeschraubter Stahlkufe, mit dem man übers Eis gleitet, war ursprünglich ein 'Schrittschuh'. Althochdeutsch scritiscuoh und mittelhoch­deutsch schrit(e)schuoch bezeichneten einfach einen 'Schuh, mit dem man weit ausschreiten kann'. Im 17. Jahrhundert entwickelte Schrittschuh - eventuell mit der Übergangsbe­deutung 'Art Schneeschuh, Gleitschuh' - die heutige Bedeu­tung 'Schlittschuh'. Unmittelbar darauf wurde das Wort an Schlitten bzw. schlittern angelehnt und zu Schlittschuh um­gebildet.

Die Sucht

Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft. Das Wortspiel, das auf den spanischen Dich­ter Miguel de Cervantes Saavedra (»Der wachsame Posten«) zurückgeht, rückt eine Verbindung zwischen Sucht und suchen in den Vordergrund. Auch in der Dichtung findet man volksetymologische Verbindungen!

Sucht gehört zu siech und bedeutete schon im Germani­schen bis zum Mittelhochdeutschen einfach 'Krankheit' (verwandt ist die Seuche). Heute bezeichnet Sucht eine 'krankhafte Abhängigkeit', ein 'übersteigertes Verlangen'. Die letzte Bedeutung ist im 18. Jahrhundert durch volksety­mologische Interpretation mit suchen entstanden. Deutlich zeigt sich diese Bedeutung z. B. in den Zusammensetzungen Gefallsucht und Herrschsucht, die aus dem 18. Jahrhundert stammen. In der Formel Sucht nach etwas hat sich die volksetymologische Interpretation verfestigt.

Das Verb suchen hat nichts mit der Sucht zu tun, es ist mit der Sache (ursprünglich der 'Rechtsstreit') ver­wandt und bedeutet eigentlich 'suchend nachgehen, nach­spüren'. Wahrscheinlich geht es vom Wittern des Hundes aus.

die Sündflut 'Sintflut'

Unser heutiges Sintflut war vom 13. bis ins 19. Jahrhundert die Sünd(en)flut. Eigentlich hat dieses mythologische Wort aber gar nichts mit den 'Sünden' der Menschheit zu tun. Im Althochdeutschen war es die sin(t)fluot, im Mittelhochdeut­schen die sinvluot. Darin steckt das Präfix sin- 'immerwäh­rend, allgemein, groß'. Die Sintflut ist etymologisch also die 'allumfassende Überschwemmung'. Die mit­telhochdeutsche Umdeutung zur Sündflut stieß allerdings im kirchlichen Bereich auf großen Widerhall.

Versöhnen

Bei Versöhnung kann man an die Heimkehr des verlorenen Sohnes denken. In versöhnen steckt allerdings nicht der Sohn, sondern die Sühne. Im älteren Neuhochdeutschen ist es noch versühnen, im Mittelhochdeutschen versüenen, versuonen. Das Wort ist eine verstärkende Präfixbildung zu sühnen.

Der Sohn (mittelhochdeutsch sun, althochdeutsch sun(u) germanisch *sunu-) kommt schon vom indogermanischen *suənu- 'Sohn', eigentlich 'der Geborene', und gehört zur Wurzel *seuə- 'gebären'.

Quelle: Heike Olschansky. Taeuschende Woerter. Kleines Lexikon der Volksetymologien. Stuttgart, 2009.


Date: 2015-12-17; view: 524


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