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Unter Purismus versteht man eine Bewegung zur Sprachreinung oder Fremdwortbekämpfung.

Obgleich diese Erscheinung in vielen europäischen Sprachen bekannt war, ist ihr Verlauf in Deutschland durch eine besondere Intensität und Zeitdauer gekennzeichnet. Die Ursachen der puristischen Tätigkeit sind, wie bei jeder sozialen Erscheinung, konkret historisch zu verstehen.

Der Purismus des 17. und 18. Jhs. war Ausdruck des Kampfes um die Stärkung der deutschen Nationalsprache. Westeuropäische Vorbilder nationaler Sprachpflege und Literatur war für die Form der deutschen Sprachgesellschaften bestimmend, die sich mit sprachregelnder Tätigkeit zu befassen begannen.

Im Laufe des 17. Jhs. wurden zahlreiche Sprachgesellschaften gebildet.

Unter den Puristen des 17. Jhs. zeichnet sich insbesondere die sprachreinigende Tätigkeit Harsdörffers, Zesens und Schottels aus. So stammen von Harsdörffer: Auszug statt Akt (im Drama), beobachten statt observieren, Bleistift statt Crayon, Briefwechsel statt Korrespondenz, Fernglas statt Teleskop.

Auf Schottel, der einige treffliche grammatische und lexikalische Werke geschaffen hat, gehen gelungene Verdeutschungen sprachwissenschaftlicher Fachausdrücke zurück: Mundart, Sprachlehre, Wörterbuch, Wortforschung, Geschlechtswort, Hauptwort, Zeitwort, Strichpunkt statt Semikolan, Doppellaut statt Diphtong.

Außerdem stammen von Schottel Verdeutschungen auch nichtsprachwissenschaftlicher Art: Jahrhundert statt Säculum, Lustspiel statt Komödie, Trauerspiel statt Tragödie, Tunke statt Sauce.

 

Im Zusammenhang mit dem Purismus des 17. Jhs. verdient aber die puristische Tätigkeit Zesens eine besondere Erwähnung, und zwar aus folgenden Gründen: von ihm stammen viele treffliche Verdeutschungen, die in den deutschen Wortbestand aus jener Zeit übernommen wurden: Anschrift statt Adresse, Augenblick statt Moment, Bollwerk statt Bastion, Bücherei statt Bibliothek, Feldmesser statt Geometer, Gesichtskreis statt Horizont, Grundstein statt Fundament, Jahrbücher statt Annalen, Nachruf statt Nekrolog, Sinngedicht statt Epigramm u.a.

Aber auch alle Schwächen und Mängel der puristischen Sprachreinigung sind bei Zesen feststellbar. Als Purist – und darin unterscheiden sich Purusten von zeitgenössischen Dichtern, Schriftstellern oder Gelehrten, die nur entbehrliche Fremdwörter bekämpfen, – setze er sich zum Ziel, alle, auch völlig assimilierten Fremdwörter zu verdeutschen. Auf diese Weise entstanden die berüchtigten Verdeutschungen Zesens, die auch in den Augen seiner Zeitgenossen literarisch exklusiv wirkten und als Wortspielerei aufgefasst wurden. So sind sie auch später in die Geschichte des deutschen Purismus eingegangen. Vgl. Tageleuchter statt Fenster, Zeugemutter aller Dinge statt Natur, Schauburg statt Theatter, Dichterling statt Vers u. a. m.

Dieser übertriebene, übereifrige Purismus erhielt dann auch die Bezeichnung Ultrapurismus.

Die sprachlichen Leistungen der deutschen Sprachgesellschaften des 17. Jhs. waren nicht bedeutend. Bleibende Erfolge wurden nur auf dem Gebiet der poetischen und der grammatischen Theorie erzielt. Da lag nicht nur am Fehlen einer Sprachtheorie, sondern auch an besonderen wirtschaftlich-politischen Verhältnissen, unter denen die Entwicklung der nationalen Schriftsprache der bürgerlichen Nation in Deutschland verlief: Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde die Macht der Fürsten gestärkt, die feudale Zersplitterung Deutschlands vertieft und die Entwicklung des Landes gehemmt.



Aber ungeachtet der verhältnismäßig geringen Leistungen der Sprachgesellschaften des 17. Jhs. wäre es falsch ihre Rolle im Kampf um die nationale Schriftsprache zu unterschätzen.

Die Fremdwörterei, die Vorherrschaft der lateinischen und der franzözischen Sprache in dieser Zeit wurde von der Tätigkeit der Sprachgesellschaften stark angegriffen, das nationale Bewusstsein geweckt. Auf dem Gebiet der Dichtkunst wurde ferner die Herrschaft der lateinischen Sprache ein Ende bereitet. Und wenn auch die Bemühungen der Sprachgesellschaften um die Pflege und Reinhaltung der deutschen Schriftsprache keine großen Ergebnisse brachten, haben sie den Boden für die Sprachpolitik in dem darauffolgenden 18.Jhr., der Zeit der bürgerlichen Aufklärung, vorbereitet.

Der Purismus des 18. Jhs. ist mit der sprachpflegerischen Tätigkeit Joachim Heinrich Campes verbunden. Campe (1746-1818) war als Erzieher, pädagogischer Schriftsteller und Übersetzer tätig. In Anlehnung an das grundgelegende lexikographische Werk Adelungs stellte sich Campe die Aufgabe, ein möglichst vollständiges Wörterbuch der deutschen Sprache herauszugeben.

 

Im Jahre 1801 erschien das Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache aufgedrungenen fremden Ausdrücke. In den Jahren 1807-1812 folgte eine zweite, stark erweiterte Auflage.

Campes Purismus entwickelte sich völlig unter Banner der Aufklärung und unter dem großen Einfluß der französichen Revolution von 1789. Davon zeugen sowohl der Zweck des Verdeutschungswörterbuchs, wie Campe es sich vorstellte, als auch die Art der Verdeutschungen selbst.

Fremdwörter wurden in Campes Wörterbuch nicht nur verdeutscht, sondern auch mit Erklärungen und Erläuterungen versehen. Diese Art der Verdeutschung verwandelte das Werk Campes in einen regelrechten Schauplatz des Kampfes für bürgerliche Interessen gegen den Feudalismus und die katholische Kirche als ideologische Stütze des Feudalismus.

So ist Campes Purismus nichts anderes als ein Ausdruck der Aufklärungsideen, eine Waffe für die bürgerliche Aufklärung des Volkes.

Von den zahlreichen Verdeutschungen Campes sind im deutschen Wortbestand u.a. verwurzelt: Ausflug statt Exkursion, befähigen, befähigt statt qualifizieren, qualifiziert, buchen statt registrieren, Emporkömmling statt des franz. parvenu, enteignen statt expropriieren, Fernschreiber statt Telegraph, Weltall statt Universum, Lehrgang statt Kursus, Zahrtgefühl statt Delikatesse, Stelldichein statt Randevous u.v.a.m.

Unter Campes Verdeutschungen gab es auch Bildungen, die nur als puristische Mißgriffe bezeichnet werden können wie Süßchen für Bonbon, Griffbrett für Klavier, Lotterbett für Sofa, Anderswo statt Alibi u.a. Als pedantischer Ultrapurist offenbarte sich Campe auch dann, als er fest eingebügerte lateinische Wortbildungsmittel zu verdeutschen suchte, z.B. die Suffixe -or, -ur, -ismus, -ität u.a. Vgl. Purper, Marmer, Lateinerei – statt Purpur, Marmor, Latinismus.

Der puristische Eifer und Pedantismus machte sich vor allem in der zweiten stark erweiterten Anflage des Wörterbuchs geltend, wo Campe besonders deutlich als übereifriger Purist auftrat. Seine Verdeutschungen gingen in die Tausende. Viele davon ernteten Hohn und Spott, auch unter seinen genialen Zeitgenossen Goethe und Schiller.

Von dem Purismus des 17. und 18. Jhs., der im Kampf der Bourgeoisie um die nationale Schriftsprache entstanden war und seinem Wesen nach doch eine fortschrittliche Bewegung darstellte, unterscheidet sich der reaktionäre Purismus, dessen Tätigkeit in das ausgehende 19.Jh.und den Anfang des 20. Jhs. fällt, als Deutschland zu einem einheitlichen kapitalistischen Nationalstaat geworden war. Der darauffolgende Aufschwung in der kapitalistischen Entwicklung des Landes hatte ein stürmisches Anwachsen von Nationalismus und Chauvinismus der deutschen Bourgeoisie zur Folge. Das war ein günstiger Boden für die Entwicklung des national-chauvinistischen Purismus.

Bei der Verdeutschung ging man von nationalistischen Grundsatz aus, es gäbe keine unentbehrlichen Fremdwörter: «Jedes Fremdwort ist entbehrlich», hieß es bei dem führenden Puristen des «Allgemeinen Deutschen Sprachvereins» Eduard Engel. «Kein Fremdwort für das, was ebensogut deutsch gesagt werden kann, deutsch aber kann, deutsch soll alles gesagt werden».

Es wurden Verdeutschungswörterbücher herausgegeben, von denen in erster Linie das ultrapuristische Werk von E.Engel zu nennen ist. Im Wörterbuch wurden alle Fremdwörter, auch die Fremdwörter mit internationaler Geltung und Verbreitung verdeutscht, z.B. Schiffsgraben statt Kanal, Mörtel statt Zement, Entpuffung statt Detonation.

Der Purismus des 19. und 20. Jhs. hat im deutschen Wortbestand beträchliche Spuren hinterlassen. Gerade dieser Purismus hat auf den deutshcnen Wortbestand in bedeutendem Maße eingewirkt.

Der Umstand, der zur Verwurzelung von sehr zahlreichen Verdeutschungen dieser Periode entscheidend beigetragen hat, war die Unterstützung der puristischen Tätigkeit seitens der Staatsbehörden. Statt entsprechender Fremdwörter wurden Verdeutschungen amtlich eingeführt.

«Bahnbrechend» hierbei war die deutsche Post. Dutzende fremder Termini wurden durch deutsche ersetzt: eingeschrieben statt rekommendiert, Briefumschlag statt Kuvert, drahten statt telegaphieren, Drahtanschrift statt Telegrammadressse, Drahtnachricht statt Telegrammnachricht. Hunderte von Verdeutschungen wurden auf amtlichem Wege an der Eisenbahn eingeführt. Fahrkarte statt Billett, Bahnsteig statt Perron, Abteil statt Coupé, Schaffner statt Kondukteur, Fahrgast statt Passagier.

Zahlreiche Verdeutschungen wurden auch beim Militär offiziell eingeführt: Hauptmann statt Kapitän (der Infanterie), Dienstgrad statt Charge, Vorhut statt Avantgarde, Nachhut statt Arriergarde.

Aber auch Bereiche der Kunst, vor allem Theater, Presse u.a. erhielten Ersatzwörter statt der früher geläufigen Fremdwörter: Uraufführung statt Premiere, Zuschauer statt Publikum, Schriftleiter statt Redakteuer, Hauptleiter statt Chefredakteur u.v.a.m.

Außer einer rein zahlenmäßigen Beeinflussung ließ der deutsche Purismus, besonders der Purismus des 19. und 20. Jhs., eine Eigenart aufkommen, die eine Besonderheit des deutschen lexikalisch-semantischen Systems bildet.

Diese Besonderheit besteht in einer zahlenmäßig bedeutenden Synonymie vom Typ deutsches Wort – Fremdwort bzw. Internationalismus, z.B. Fernsprecher – Telefon; Kraftwagen, Wagen – Auto.

Die Entwicklung dieser Synonymie war die Folge des Zusammenwirkens von sprachinternen und -externen Vorgängen. So war die Einbürgerung der puristischen Ersatzörter oder Verdeutschungen in erster Linie mit der Tatsache verbunden, dass Fremdwortbekämpfung auf amtlichem Wege unterstürzt wurde. Dass aber dabei sehr viele Internationalismen und andere Fremdwörter von Ersatzwörtern nicht verdrängt wurden, ist nur auf rein sprachliche, linguistische Ursachen zurückzuführen, worauf in der einschlägigen Literatur hingewiesen wird.

Unter den linguistischen Ursachen sind folgende zu nennen:

1. Fremdwörter bzw. Internationalismen sind wortbildend produktiv. Ihre wortbildenden Potenzen liegen z.T. viel höher als die Potenzen der Verdeutschungen,

die selbst zumeist Zusammensetzungen sind. Vgl. das Telefon – telefonisch, telefonieren, Telefonist, Telefonistin, Telefonzelle, Telefonzentrale; das Auto – Autohalle, Autoverkehr, Autofahrt, Autofahren, Autounfall; der Export – exportieren, Exportartikel, Exportüberschuss, Exportland.

Der Gebrauch von Internationalismen und Fremdwörtern in Zusammensetzungen und Ableitungen verhinderte, dass sie aus dem Wortbestand verschwanden.

2. Die semantischen Strukturen der Internationalismen und ihrer Verdeutschungen sind nicht immer adäquat. Vgl. die Synonyme:

 

Adresse (Internationalismus): Anschrift(Verdeutschung)
a) Wohnort a) Wohnort
b) Grußadresse b) -
Saison(Int.): Spielzeit (Verd.)
a) (die richtige) Jahrzeit a) -
b) Hauptbetriebs-, Hauptverkehrszeit (Kurbäder, Bäder, Sport); b) -
c) Theaterspielzeit c) Theaterspielzeit
Repertoire (Int.): Spielplan(Verd.):
a) Gesamtheit der Bühnenstücke (im Spielplan) eines Theaters; a) Gesamtheit der Bühnenstücke (im Spielplan) eines Theaters;
b) Gesamtheit der einstudierten Rollen, Lieder oder Vortragsstücke eines Künstlers b) -
Tragödie (Int.): Trauerspiel(Verd.):
a) ein tragisches Geschehen, schilderndes Schauspiel, ein Schauspiel vom tragischen Ende eines Menschen; a) ein tragisches Geschehen, schilderndes Schauspiel, ein Schauspiel vom tragischen Ende eines Menschen;
b) (übertr.) ein tragisches Geschehen, Unglück. b) -
Komödie (Int.): Lustspiel (Verd.):
a) heiteres, humorvolles Theaterstück; a) heiteres, humorvolles Theaterstück;
b)(auch) Theater, in dem (nur) Komödien gespielt werden; b) -
c) (übert.) umg. abwertend: Verstellung, Täuschung c) -

 

Aus diesen wenigen Beispielen ist ersichtlich, dass ein paralleles Nebeneinanderbestehen beider Synonyme infolge der nichtadäquaten semantischen Strukturen der beiden eine Notwendigkeit ist.

3. Fremdwörter werden in euphemistischer Funktion verwendet, deshalb werden sie auch regelmäßig gebraucht. Diese Eigenschaft der Fremdwörter ist in der deutschen Sprache sehr bekannt und wird vielfach auch stilistisch in Publizistik, Presse und schöner Literatur ausgewertet.

4. Es gibt darüber hinaus noch eine stilistische und semantische Auseinanderentwicklung der Entlehnungen mit ihren korrespondierenden deutschen Äquivalenten, was sie zum festen Bestand des lexikalisch-semantischen Systems macht.

Der Korpus der synonymischen Dubletten vom Typ deutsches Wort – Fremdwort bzw. Internationalismus bildet eine dynamische Schicht des Wortschatzes. Ihre Untersuchung hat gezeigt, dass hier neben dem allgemeinen Trend zur Internationalisierung manningfaltige Auseinanderentwicklungspotenzen feststellbar sind, semantischer und anderer Art. Vgl. den Gebrauch von Telefon – Frensprecher.

 


Date: 2015-12-17; view: 2366


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