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Wortbildende Typologie der Sprachen

1. Die vorhandenen Wortbildungsarten sind verschiedens im Deutschen und Ukrainischen vertreten und produktiv.

2. In der Wortbildung ist ein wirklich innovativer Teil seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts die Wortkürzung, vor allem die Bildung substantivischer Abkürzungswörter. Sie stieg durch angloamerikanischen und internationalen Einfluss außergewöhnlich stark an. Im Unterschied zu anderen Arten von Wortkürzungen handelt es sich dabei zu 70-80 % um den neuartigen Wortbildungstyp der Initialkurzwörter, die in der geschriebenen Sprache aus den Anfangsbuchstaben entstehen und danach auch in gesprochener Form verwendet werden. Durch diese zunächst als bloße Mode missverstandene systematische Innovation ist ein ganzes Teilsystem der Wortbildung entstanden ─ komplementär zu Komposition, Ableitung und Konversion ─, das den Sprachgebrauch schriftlich und mündlich flexibler ließ und auch mit soziopragmatisch-semantischen Funktionen erklärbar ist.

3. Von den multisegmentalen Abkürzungswörtern sind andere Arten von Wortkürzungen, so genannte unisegmentale Kurzwort-Diminutive (aus einem Morphem bestehend, das als Rest eines längeren Wortes neben der Vollform benutzt wird), zu unterscheiden: z.B. Hoch, Auto, Foto, Fust, Rad, Bus, Uni, Profi, Prof, Koseformen von Personennamen Frido, Wolf, Susi, Trina, Uschi. Damit verwandt ist die produktiv gewordene kurze Ableitung auf –e (statt –ung, -heit/keit, -nis ...) für Handlungen, Vorgänge, Zustände und Gegenstände: Absteige, Anmache, Glotze, Heize, Kehre, Liege, Leuchte, Schreibe...

4. Nicht eigentlich innovativ, sondern nur expansiv sind traditionelle Wortbildungsarten, sie sind im Zeitalter der Industrialisierung und des Massenkonsums, der Demokratisierung der Massenmedien zwecks Sprachökonomie, Terminologisierung und Verallgemeinerung des Wortschatzes stärker produktiv geworden sind:

a) für Substantive: - mehr Zusammensetzungen als Ableitungen, dabei mehr drei- oder viergliedrige Zusammensetzungen zur Bezeichnung neuer Produkte, Erscheinungen, Sachverhalte: Sonntagsrückfahrkarte, Mein-Bauch-gehört-mir-Haltung, im neuesten Werbedeutsch meistens mit Bindestrich: Knaben-All-Terrain-Bike oder nach englischem Muster Getrenntschreibung das word 7 für Windows 95 Buch;

- mehr Zusammensetzungen mit Personennamen im ersten Glied: Goethegedicht, Schillerreise, statt der früher dominierenden Attributfügungen mit Genitiv Goethes Gedicht oder mit –sche Goethesches Gedicht;

- mehr Suffixableitungen mit –er, -ler, -ung, -heit/keit, -(er)ei, mit Lehnsuffixen –eur, -(at)or, -ist, -atur, -(a)tion, -ität, -ik, -ismus, rückläufig sind –tum, -schaft, -nis, -t;

- mehr substantivierte Infinitive auf Kosten von –ung, -nis, -(a)tion, -atur, traditionelle substantivierte Infinitive auf –en treten häufiger als Teil mehrgliedriger Bindestrich-Komposita: das Sich-nicht-betroffen-Fühlen;



- mehr stereotype Komposita mit Halbsuffixen für Oberbegriffe: -vorgang, -prozess, -geschehen, -verfahren, -zustand, -eigenschaft, -arbeit, -person... und für den Kollektivplural: -werk, -gut, -zeug, -material...

- mehr Präfixoidkomposita der pauschal-emotionalen Quantifizierung und Graduierung mit Groß-, Haupt-, Spitzen-, Grund-, Riesen-, Bomben-, Über-, Super-, Extra-, Klein-, Mini-, Null-, Pseudo-...

b) für Adjektive/Adverbien: - mehr Ableitungen auf –ig, -isch, -lich, kaum mehr auf –sam, nicht mehr auf –(l)icht, besonders produktiv Eignungsadjektive auf –bar; produktive Lehnwortbildungen auf -abel/ibel, -ar/är, -os/ös, -ell;

- mehr Suffixoidbildungen mit stereotypen, reihenbildenden Zweitgliedern: -mäßig, -fähig, -haltig, -reich, -voll, -gerecht, -intensiv, -freundlich, - freudig, -tüchtig, -beständig, -los, -arm, -frei, -leer, vor allem in Werbetexten.

- mehr graduierende Präfixoidbildungen mit über-, super-, hyper-, hoch-, extra-;

- mehr Univerbierungen komplexer Prädikationen mit Partizipformen im zweiten Glied: raumsparend, spiegelverkleidet, handgearbeitet, EDV-gestützt.

c) für Verben: -mehr einfache denominale Verbableitungen: texten, filmen, lacken, paddeln, morsen, röntgen, schriftstellern ..., weniger auf –ieren, -isieren, -igen;

- mehr Verben mit dem Präfix be-, besonders Ornative (mit der Bedeutung »versehen mit etwas«) bestuhlen, beschenken, Perfektive (mit der Bedeutung »begrenzte Entwicklung«) beliefern, Exhaustive (mit der Bedeutung »vollständige Handlung«) bemahlen;

- mehr Verben mit trennbaren Zusätzen an-, auf-, aus-, ein-, mit-, los-, unter- z. T. auf Kosten von er-, ver-, zer-;

- mehr (Pseudo-)Verbzusammensetzungen, besonders in und aus Fachsprachen: schutzimpfen, bergwandern, funkentstören, zweckentfremden, maßschneidern, mähdreschen...

5. Tendenz zur Verschönerung des Wortschatzes. Geht es demgegenüber um eine Bezeichnung, die eine schon vorhandene ersetzen soll, wird die Neuprägung viel weniger nach einem sachlogischen als einem psychologischen Gesichtspunkt ausgewählt. Es kommt dann etwa darauf an, dass die neue Bildung leicht merkbar ist, sich an landläufige Gebrauchsmuster anlehnt oder aus Wörtern mit (wertenden) Begleitmerkmalen (Konnotationen) besteht, die bestimmte Assoziationen auslösen sollen. Beispiele aus dem Sprachgebrauch der letzten Jahrzehnte sind etwa Raumpflegerin für Putzfrau, Haushaltshilfe für Dienstmädchen, Gastarbeiter für Fremdarbeiter, Verkaufsrepräsentant und Außendienstmitarbeiter für Vertreter, Greifvogel für Raubvogel. Bezeichnet wird hier jeweils dasselbe, aber die Bewertung ist eine andere.

6. Auch das Vorbild aus einer Fremdsprache kann die Wortbildung bestimmen. Die dabei zu berücksichtigenden Lehnbildungen gliedern sich in eng am fremdsprachigen Original orientierte Lehnübersetzungen (Fußball aus engl. Football), freiere Lehnübertragungen (Vaterland aus lat. patria, Wolkenkratzer aus engl. skyscraper) und formal unabhängige Lehnschöpfungen (wie Umwelt nach franz. milieu) oder auch zahlreiche hybride Bildungen der einheimischen und fremden Morpheme.

7. Die Art einer Wortbildung ist ferner durch innersprachliche Bedingungen bestimmt:

ŕ) so wird z.Â. der Zusammenhang zwischen bedeutungsverwandten Wörtern einer Sprache dort sinnfällig, wo sie bedeutungstragende Teile gemeinsam haben, seien es Wortstämme (Lexeme) wie bei den Mitgliedern einer Wortfamilie (z.Â. lesen, lesbar,, Les-bar-keit, un-les-er-lich, zer-les-en usw.), seien es Wortbildungsmittel wie etwa –bar (mit einer potentiellen und einer passivischen Komponente) in les-bar, hör-bar, beschreib-bar.

b) primär semantische Gründe hat die Bildung von Zusammensetzungen z.Â. bei Homonymen (gleichlautenden Wörtern) wie Bank (1.,,Geldinstitut’, 2.,,Sitzgelegenheit’), die — über den Zusammenhang hinaus — durch ein Bestimmungswort eindeutig werden können (Hypothekenbank, Gartenbank; vgl. auch Vogel- bauer aus Âŕuer [,Käfig’], wo das Grundwort Bauer sonst gewöhnlich im Sinne von Landwirt gebraucht wird).’

c) Semantisch bedingt sind darüber hinaus viele Zusammensetzungen mit polysemen (vieldeutigen) Grundwörtern, die erst durch das Bestimmungswort eindeutig werden (vgl. – Stoff: Lese-, Klei-, Âŕu-, Treib-, Farb-stoff). Innerhalb von Fachsprachen werden oft weitere Differenzierungen durch zusätzliche Bestimmungswörter vorgenommen (Benzylfarbstoff, Naphtalinfarbstoff).

d) Auch der grammatische Formenbau (die Morphologie) kann für die Entstehung von Wortbildungen bestimmend sein. So gibt es etwa zu manchen Substantiven, die keinen Plural haben (Regen, Unglück), zusammengesetzte Ersatzformen (Regen- bzw. Unglücksfülle). Entsprechendes gilt für Pluralwörter (Pluraliatantum) mit zusammengesetzten Ersatzformen für den Singular (Unkosten — Unkostenbeitrag, Eltern — Elternteil).

e) Häufig ist eine Wortbildung auch syntaktischbegründet. So werden etwa mehrfach wiederkehrende attributive Wortgruppen vielfach zu Zusammensetzungen ,,zusammengezogen“ (Schlechtwetter für schlechtes Wetter, Nassschnee für nasser Schnee), weil diese leichter verschoben, in wechselnde Satzpositionen gebracht und durch neue Attribute erweitert werden können; oft wird dabei auch ŕauf Wortelemente verzichtet, die im jeweiligen Zusammenhang entbehrlich sind: Erforschung des Kämpfens — Kampf[er]forschung; Beginn der Arbeitszeit — Arbeits[zeit]beginn; Statistik, die den Verlauf der Kriminalität aufzeichnet — Kriminal[itäts]statistik, auf Glas aufgedampfte Antimonschicht - Aufdampfschicht usw.

Von einer Tilgung des Prädikats ist bei vielen Bildungen mit Konkreta wie Honigbiene (aus Biene, die Honig saugt) und Bienenhonig (aus Honig, den Bienen erzeugen) auszugehen. Und die Zusammenziehung aus Prädikat und Ergänzung î. Ä. ist in den folgenden Fällen zu beobachten: (Man) liest die Zeitung. — das Zeitunglesen. (Sie) schüttelten sich die Hände. — das Händeschütteln .

8. In diesem Zusammenhang gehören zu den neueren Wortbildungstendenzen auch solche Wortbildungen, die — insbesondere als Neuprägungen und Augenblicksbildungen — unmittelbar auf den Erwartungshorizont des Sprechers/Hörers abgestimmt sind, Aufmerksamkeit erregen und das Interesse auf einen bestimmten Punkt lenken (Garantiehose, Gratiskaffee), besonders, wenn sie gegen die Regularitäten der vorhandenen Muster verstoßen (Günstig, Preis, Aktion).

 



Date: 2015-12-17; view: 1358


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