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Das Nomen-Nomen-Kompositum

Der im Deutschen sprachhistorisch älteste Kompositatyp, das Nomen-Nomen-Kompositum (z.B. Hutschachtel, Königsmantel, Gartenidylle), ist das morphologisch und semantisch variationsreichste Wortbildungsprodukt. Nomen-Nomen-Komposita können deutlich länger als alle anderen Wortbil­dungsprodukte sein und dadurch auf knappstem Raum sehr viele Informatio­nen transportieren, z.B. das schon genannte Rindfleischetikettierungsüber-wachungsaufgabenübertragungsgesetz.

Morphologisch gesehen ist der Gebrauch nominaler Ersteinheiten weitge­hend unbeschränkt; es kommen nahezu alle Nomina in Frage, u.a. Nomenkomposita (z.B. Nudelsauce in Nudelsaucenrezept und wiederum Nudelsau­cenrezept in Nudelsaucenrezeptesammler und Nudelsaucenrezeptsammler in Nudelsaucenrezeptsammlertreffen usw. usw.) sowie Derivate (z.B. in Hoff­nungsschimmer) oder Kurzwörter (z.B. in Unialltag, IDS-Tagung, S-Bahn-Geleise).

Semantisch gesehen sind besonders die nominalen Komposita „schwarze Löcher mit unwiderstehlichem Deutungssog“ (Heringer, 1984). Be­deutungsbeziehungen zwischen den Einheiten in Komposita müssen vom Hörerleser anhand verschiedener Indizien rekonstruiert werden: Zum Bei­spiel haben Hundekuchen und Mandelkuchen dieselbe Struktur, sind jedoch üblicherweise semantisch keineswegs gleich zu interpretieren. Dagegen sind die semantischen Beziehungen zwischen Wörtern in Phrasen, die Vergleichbares ausdrücken, sehr viel klarer; die Beziehungen werden z.B. durch Präpositionen festgelegt: Kuchen für Hunde, Kuchen aus Mandeln. Während in Phrasen die semantischen Relationen also meist deutlich sind, scheinen besonders nominale Komposita relativ frei auslegbar zu sein. So gibt Heringer (1984) für das Kompositum Fischfrau u.a. folgende Deutungen an:

'Frau, die Fisch verkauft'

'Frau eines Fisches'

'Frau, die Fisch isst'

'Frau, die Fisch produziert'

'Frau, die kühl wie ein Fisch ist'

'Frau, die den Fisch gebracht hat'

'Frau, die bei dem Fisch steht'

Die Freiheit der Wortbildung ist jedoch zu relativieren, denn die Interpretati­on wird in der Regel durch den direkten Kontext gesteuert, in dem die aktuelle Bedeutung realisiert wird. Steht z.B. in einem Märchen und der Fisch und seine Fischfrau lebten glücklich und zufrieden, ist die Interpretation 'Frau eines Fisches' plausibel. Darüber hinaus können Hörerleser auch auf ihr Weltwissen, auf den Kontext im weiteren Sinne zurückgreifen; sie kön­nen sich an Erfahrungswerten und der Logik von Zusammenhängen orientie­ren. Dass z.B. das als Hundekuchen Bezeichnete aller Wahrscheinlichkeit nach kein Kuchen aus oder mit Hunden ist (etwa analog Mandel- oder Rosi­nenkuchen), sondern ein Kuchen für Hunde (analog Babybrei und Herren­torte), lässt sich aus Kulturspezifika schließen: In unseren Breiten werden normalerweise keine Kuchen aus Hunden oder Torten mit Herren drin ange­boten.

Die Auswahl der Interpretationsmöglichkeiten eines Kompositums wird schließlich auch eingeschränkt, weil sich ein Hörerleser an die ihm geläufi­gen Komposita hält. Er wählt nicht aus allen potenziell möglichen Interpretationen aus, sondern greift auf ein verhältnismäßig festes Inventar vorhan­dener Muster zurück. So ist ihm z.B. von Komposita wie Hundekuchen, Herrentorte, Kinderschokolade das Muster 'B, das für A bestimmt ist, das usuell von A konsumiert wird' bekannt, das - nach Prüfung des Kontextes - auch auf zuvor noch nicht gehörte oder gelesene Komposita wie Nilpferd­kekse angewandt werden kann.




Date: 2015-12-17; view: 763


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Einige Besonderheiten der Kompositaschreibung | Die Bezugnahme auf Ersteinheiten von Komposita
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