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Metaphysik.

 

i601

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Ein Tropfen, der am Lotusblatte zittert:

So ist das flücht’ge Leben schnell verwittert.

Acht Urgebirge nebst den sieben Meeren,

Die Sonne, wie die Götter selbst, die hehren,

Dich, mich, die Welt – die Zeit wird Alles zertrümmern:

Warum denn hier sich noch um irgend etwas kümmern? –

Sankara Atscharja nach Höfer.

i603

Dieser Theil meiner Kritik der Schopenhauer’schen Philosophie würde der umfangreichste sein, wenn nicht alles Hierhergehörige bereits abgehandelt worden wäre; denn ich muß wiederholen: Schopenhauer war kein immanenter, sondern ein transscendenter, die Erfahrung überfliegender Philosoph. Er beobachtete, in guten Stunden, treu und redlich die Natur und legte auch die Resultate dieser Beobachtungen in seinen Werken nieder; aber, gleich hinterher, setzte er, was der falsche Idealismus ihm eingeflüstert hatte, wodurch die größte Verwirrung, die greifbarsten Widersprüche entstanden. Ich will das Goethe’sche Wort nicht nochmals citiren; dagegen will ich auf eine Erscheinung im Vortrag Schopenhauer’s hinweisen. Seine beiden Betrachtungsarten der Welt: die realistische und die empirisch- idealistische, mußten, wenn sie unmittelbar auf einander folgten, seinen Gedankengang völlig schwankend machen. Dieses Hin- und Herschwanken mußte sich dann um so deutlicher in seinem Stil abspiegeln, als derselbe klar und rein ist. Und in der That, ein aufmerksamer Leser wird gar bald merken, daß der immer fest und stramm, grob und stachelicht, auftretende Philosoph im Innern nicht fest und mit sich im Klaren war. Sehr auffallend und für Jeden sofort wahrnehmbar tritt diese Unsicherheit des Gedankenganges in den Abhandlungen »über den Tod und sein Verhältniß zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens« zu Tage. Am greifbarsten aber liegt sie im Kapitel über das Schicksal, besonders auf den Seiten 221 und 222, wo ein Gedanke gesetzt, aber sogleich limitirt wird; die Limitation wird dann begründet, jedoch um sofort wieder aufgehoben zu werden, und dieses Spiel wird mehrmals wiederholt. Das Gerippe der an einander gereihten Sätze, oder auch die Fußspuren des taumelnden Philosophen stellen sich grammatikalisch so dar:

i604 dennoch – vielmehr – jedoch – inzwischen – obgleich – jedoch – freilich – allein – zwar – aber – inzwischen – allein –

welches Schema außerordentlich beredt ist.

Hier will ich auch, wie versprochen, das Sträußchen »Eigentlich« winden, welches Schopenhauer’s Unsicherheit sehr deutlich zeigen wird.

1) Die Materie ist eigentlich der Wille;

2) dem Ding an sich ist eigentlich weder Ausdehnung noch Dauer beizulegen;

3) die Einheit des Willens ist eigentlich nicht mit unserem Intellekt zu erfassen;

4) die Völker sind eigentlich bloße Abstractionen;

5) Form und Farbe gehören eigentlich (im Grunde) der Idee nicht an;



6) der Idee ist eigentlich (genau genommen) der Raum so fremd wie die Zeit;

7) nicht die Gestalt, sondern der Ausdruck ist eigentlich die Idee;

8) das Erkennende hat eigentlich an seinem eigenen Wesen nur die Erscheinung;

9) in der Geschichte haben wir eigentlich immer das Selbe vor Augen;

10) das Sterben ist eigentlich der Zweck des Lebens;

11) das Subjekt des großen Lebenstraums ist eigentlich (in gewissem Sinne) nur Eines: der Wille zum Leben;

12) eigentlich geht meine Philosophie nicht zu irgend außerweltlichen Dingen, sondern ist eigentlich immanent.

Ein schönes Dutzend!

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Zeigt sich nun Schopenhauer einerseits als redlicher Naturforscher und andererseits als Amphibium: halb Naturforscher, halb transscendenter Philosoph, so erscheint er auch noch in einer dritten Form, nämlich als reiner Metaphysiker, namentlich auf dem Gebiete des animalischen Magnetismus. Hier läßt er sich mit inniger Freude, con amore, gehen und folgt dem Zuge seines Herzens ohne Besonnenheit.

Das Unzulängliche

Hier wird’s Ereigniß;

Das Unbeschreibliche

Hier ist es gethan.

(Goethe.)

i605 Er belehrt uns, daß die Phänomene des animalischen Magnetismus

wenigstens vom philosophischen Standpunkte aus, unter allen Thatsachen, welche die gesammte Erfahrung uns darbietet, ohne allen Vergleich die wichtigsten sind,

(Parerga I. 284.)

und behauptet frischweg:

Wie es im somnambulen Hellsehn eine Aufhebung der individuellen Isolation der Erkenntniß giebt, kann es auch eine Aufhebung der individuellen Isolation des Willens geben.

(W. i. d. N. 102.)

Er zögert nicht, zu sagen:

Es ist nicht abzusehen, warum ein Wesen, das noch irgendwie existirt, nicht auch sollte irgendwie sich manifestiren und auf ein anderes, wenngleich in einem anderen Zustand befindliches, einwirken können,

(Parerga I. 313.)

und hat den Muth zu versuchen, Geistererscheinungen zu erklären:

Es läßt sich a priori nicht geradezu die Möglichkeit ableugnen, daß eine magische Wirkung nicht auch sollte von einem bereits Gestorbenen ausgehen können.

(Parerga I. 325.)

Wir müßten uns die Sache so erklären, daß in solchen Fällen der Wille des Verstorbenen noch immer leidenschaftlich auf die irdischen Angelegenheiten gerichtet wäre und nun, in Ermangelung aller physischen Mittel zur Einwirkung auf dieselben, jetzt seine Zuflucht nähme zu der ihm in seiner ursprünglichen, also metaphysischen Eigenschaft, mithin im Tode, wie im Leben, zustehenden magischen Gewalt.

(ib. 326.)

Allerdings nimmt er »die von so vielen und verschiedenen Seiten erzählten und betheuerten Vorfälle« mit der äußersten Reserve auf, ja stellt sich, als ob sie überhaupt nicht möglich gewesen seien, aber auf dem Grunde seiner Seele liegt, deutlich für Jeden, der sehen will, der unerschütterliche Glaube an übersinnliche Mächte. Daß er seinen Glauben nicht offen bekannte, hatte seinen Grund darin, daß er wohl wußte, es handele sich um seinen wissenschaftlichen Ruf, und das stärkste Motiv war, wie immer, Sieger.

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Schopenhauer’s transscendenter (nicht, wie er will, immanenter) Dogmatismus beruht auf drei unfaßbaren Hirngespinnsten: auf

i606 1) der realen Materie,

2) dem Einen untheilbaren Willen in oder hinter der Welt;

3) den Ideen,

ähnlich der Dreieinigkeit: Vater, Sohn und heiliger Geist, oder der indischen Trimurti. Besonders ist die Aehnlichkeit mit der christlichen Dreieinigkeit groß, da der heilige Geist bekanntlich vom Vater und vom Sohne ausgehen soll, und, nach Schopenhauer, die Idee sich an der Materie, als Qualität derselben, darstellen muß. Uebergeben wir diese Irrthümer des genialen Mannes der Vergessenheit.

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Alle Religionen der Welt, alle verflossenen und noch wirksamen Kosmogonien und Geheimlehren, alle philosophischen Systeme enthalten nur Das, was der Mensch in und an sich vorgefunden hat. Entweder ist das Urprincip Raum und Zeit (Zend-Religion), oder Materie und Kraft (Kong-fu-tse), oder Geist, Materie, Zeit und Raum (Aegypter), oder das Sein (Brahmanismus, Eleaten, Plato), oder das Werden (Heraklit), oder die Substanz (Pantheisten), oder die Kraft, der Geist (Judenthum), oder der Wille (Mystiker, Schopenhauer), oder die Individualität (Budha) u.s.f. Immer steckte der Mensch in die Welt, oder hinter sie, oder über sie, ein Element seiner Person, das er jedoch oft so phantastisch zu erweitern, aufzublasen, auszuschmücken, zu reinigen, zu verallgemeinern wußte, daß er kaum noch zu erkennen war.

Unter allen Religionen zeichnen sich zwei dadurch aus, daß ihr Schwerpunkt in das Centrum der Wahrheit, in die Individualität fällt: das echte Christenthum und die Lehre des indischen Königssohns Sidhártta (Budha). Diese so verschiedenen Lehren stimmen in der Hauptsache überein und bestätigen das von mir geläuterte Schopenhauer’sche philosophische System, weshalb wir jetzt einen kurzen Blick auf dieselben werfen wollen; und zwar auf ersteres in der Form, welche ihm der edle Franckforter in der Theologia Deutsch (Stuttgart 1853) gegeben hat, weil in derselben die Individualität viel reiner gespiegelt ist als im Evangelium.

Zunächst unterscheidet der Franckforter Gott als Gottheit von Gott als Gott.

Gott als Gottheit, dem gehört nicht zu, weder Wille, noch Wissen oder Offenbaren, noch dies noch das, das man nennen, |

i607 oder sprechen, oder denken kann. Aber Gott als Gott gehört zu, daß er sich selbst ausspreche und sich selber bekenne und liebe und sich sich selbst offenbare und dies Alles ohne Creatur. Und dies ist Alles noch in Gott als ein Wesen und nicht als ein Wirken, dieweil es ohne Creatur ist; und in diesem Aussprechen und Offenbaren wird der persönliche Unterschied.

(117.)

Und nun, den ungeheuren Sprung aus dem potentia-Sein in das actu-Sein machend, sagt er:

Gott will, daß das, was wesenhaft ohne Creatur in ihm ist, gewirkt und geübt werde. Was sollte es anders? Sollte es müßig sein? Wozu wäre es nütz? So wäre es ebenso gut, es wäre nicht, und besser: denn was zu Nichts nütze ist, das ist umsonst und das will Gott und die Natur nicht. Wohlan! Gott will das gewirkt und geübt haben, und das kann ohne Creatur nicht geschehen, daß es also sein soll. Ja sollte weder dies noch das sein, oder wäre weder dies noch das und wäre kein Werk oder Wirksamkeit, oder desgleichen, was wäre denn oder sollte Gott selber, oder messen Gott wäre er?

(119.)

Dem vortrefflichen Manne wird hier angst und bang. Er starrt hinab in den Abgrund und bebt mit den Worten vor der Tiefe zurück:

Man muß hier umkehren und bleiben; denn man möchte diesem so sehr nachhängen und nachforschen, daß man nicht wüßte, wo man wäre oder wie man umkehren sollte.

(–)

Von jetzt an bleibt er auf realem Boden und der wichtigste Theil seiner Lehre beginnt. Zwar hat er eine idealistische Anwandlung (aller Pantheismus ist nothwendig empirischer Idealismus), indem er die Creaturen für bloßen Schein erklärt:

Was nun ausgeflossen ist, das ist kein wahres Wesen und hat kein Wesen anders, denn in dem Vollkommenen, sondern es ist ein Zufall, oder ein Glanz und ein Schein, der kein Wesen ist, oder kein Wesen hat anders als in dem Feuer, wo der Glanz ausfließt, oder in der Sonne, oder in einem Lichte,

(7.)

aber er verfolgt den falschen Weg nicht und wendet sich gleich wieder auf den richtigen zurück. Auf ihm findet er nun das Eine, was überhaupt nur in der Natur angetroffen werden kann, die Haupt|sache,

i608 den Kern aller Wesen: die reale Individualität, oder den Einzelwillen.

In allem dem, das da ist, da ist nichts verboten und ist nichts, das Gott zuwider ist, außer Eins allein: das ist eigener Wille oder, daß man anders wolle als der ewige Wille will.

(203.)

Was that der Teufel anders, oder was war sein Fall oder Abkehren anders, denn daß er sich annahm, er wäre auch etwas und etwas wäre sein und ihm gehörte auch etwas zu? Dies Annehmen und sein Ich und sein Mich, sein Mir und sein Mein, das war sein Abkehren und sein Fall.

(9.)

Was that Adam anders denn auch dasselbe? Man spricht: darum, daß Adam den Apfel aß, wäre er verloren oder gefallen. Ich spreche: es war wegen seinem Annehmen und seinem Ich, seinem Mich, seinem Mein und seinem Mir und dergleichen. Hätte er sieben Aepfel gegessen und wäre das Annehmen nicht gewesen, er wäre nicht gefallen.

(9.)

Wer nun in seiner Selbstheit und nach dem alten Menschen lebt, der heißt und ist Adam’s Kind.

(57.)

Alle, die Adam nachfolgen in Hoffart, in Wollust des Leibes und im Ungehorsam, die sind alle an der Seele todt.

(–)

Je mehr Selbstheit und Ichheit, desto mehr Sünde und Bosheit.

(61.)

Es brennt Nichts in der Hölle als eigener Wille.

(129.)

Adam, Ichheit, Selbstheit, Eigenwilligkeit, Sünde oder der alte Mensch, das Abkehren und Abscheiden von Gott, das ist Alles Eins.

(137.)

Alle die Willen ohne Gottes Wille (das ist aller eigene Wille) sind Sünde und Alles, was aus eigenem Willen geschieht.

(189.)

Wäre nicht eigener Wille, so wäre keine Hölle und auch kein böser Geist.

(201.)

Wäre nicht eigener Wille, so wäre auch kein Eigenthum. |

i609 In dem Himmel da ist nichts Eigenes: daher ist da Genüge, wahrer Friede und alle Seligkeit.

(217.)

Wer etwas Eigenes hat oder haben will oder gern hätte, der ist selber eigen; und wer nichts Eigenes hat oder haben will und Nichts zu haben begehrt, der ist ledig und frei und Niemandes eigen.

(–)

Der Mensch sollte aber also gar frei ohne sich selbst stehen und sein, das ist ohne Selbstheit, Ichheit, Mir, Mein, Mich und desgleichen, also daß er sich und des Seinen so wenig suchte und meinte in allen Dingen, als ob es nicht wäre, und sollte auch also wenig von sich selber halten, als ob er nicht wäre.

(51.)

Der Mensch sollte an sich selber sterben, das ist, der menschlichen Lust, Trost, Freude, Begehrlichkeit, Ichheit, Selbstheit und was desgleichen ist in dem Menschen, daran er haftet oder auf dem er noch ruht in Genügsamkeit oder etwas darauf hält, es sei der Mensch selber oder andere Creaturen, was das auch sei, das muß Alles weg und sterben, soll anders dem Menschen recht geschehen in der Wahrheit.

(57.)

Soll also eine Wiedervereinigung mit Gott stattfinden, so muß der Einzelwille ganz getödtet werden; denn

Ichheit und Selbstheit ist von Gott geschieden und es gehört ihm nicht zu, sondern nur so viel dessen nöthig ist zu der Persönlichkeit.

(123.)

Der letztere Satz ist ein gutes Zeugniß für die Besonnenheit des Mystikers, der der perversen Vernunft nicht gestattete, das Weltganze in eine erfaselte, schlappe, schlaffe Unendlichkeit zerfließen zu lassen.

Wie kann nun der Mensch zur Selbstentäußerung kommen, wie kann er den Eigenwillen in sich zerstören? Der Mystiker spricht vor Allem die Wahrheit aus, daß Jeder erlöst werden könne.

Daß der Mensch nicht bereit ist oder wird, das ist wahrlich nur seine Schuld: denn hätte der Mensch anders nicht zu schaffen und zu achten, denn daß er allein der Bereitung wahrnehme in allen Dingen und dächte mit ganzem Fleiß darauf, wie er dazu bereit werden möchte, in Wahrheit, Gott würde ihn wohl bereiten, |

i610 und Gott hat also großen Fleiß und Ernst und Liebe zu der Bereitung als zu dem Eingießen, wenn der Mensch bereit wäre.

(79.)

Und zur Ausführung übergehend sagt er:

Das Alleredelste und Lieblichste, das in allen Creaturen ist, das ist Erkenntniß oder Vernunft und Wille, und diese zwei sind miteinander so, wo das eine ist, da ist auch das andere; und wären diese zwei nicht, so wäre auch keine vernünftige Creatur, sondern allein Vieh und viehisches Wesen, und das wäre ein großes Gebrechen und Gott möchte das Seine und sein Eigenthum nirgends bekommen in wirklicher Weise, das doch sein soll und zur Vollkommenheit gehört.

(207.)

Mit seiner Vernunft erkennt sich der Mensch zunächst selbst und kommt dadurch in einen sehr eigenthümlichen Zustand, der treffend die »Wollust der Hölle« genannt wurde, aus welchem ihn jedoch Gott erlöst.

Denn wer sich selbst eigentlich wohl erkennt in der Wahrheit, das ist über alle Kunst, denn es ist die höchste Kunst; wenn du dich selber wohl erkennst, so bist du vor Gott besser und löblicher, als wenn du dich nicht erkenntest und erkenntest den Lauf der Himmel und aller Planeten und Sterne und auch aller Kräuter Kraft und alle Complexion und Neigung aller Menschen und die Natur aller Thiere und hättest darin auch alle die Kunst aller Derer, die im Himmel und auf Erden sind.

(31.)

Wenn sich der Mensch selber in Wahrheit erkennt und merkt, wer und was er ist, und findet sich selber so gar schnöde, bös und unwürdig alles des Trostes und Gutes, das ihm von Gott und von den Creaturen je geschehen ist oder kann, so kommt er in eine so tiefe Demuth und Verschmähung seiner selbst, daß er sich unwürdig dünkt, daß ihn das Erdreich tragen soll, und meint auch, daß es billig sei, daß alle Creaturen im Himmel und auf Erden wider ihn aufstehen und rächen an ihm ihren Schöpfer und ihm alles Leid anthun und ihn peinigen; dessen Alles dünkt er sich würdig.

(39.)

Und darum so will und mag er auch keinen Trost oder Erlösung begehren, weder von Gott noch von allen Creaturen, die |

i611 im Himmel und auf Erden sind, sondern er will ungetröstet und unerlöset sein und ihm ist nicht leid seine Verdammniß.

(–)

Nun läßt Gott den Menschen nicht in dieser Hölle, sondern er nimmt ihn zu sich, also daß der Mensch Nichts begehrt oder achtet denn allein des ewigen Gutes und erkennt, daß das ewige Gut so gar edel und übergut ist, daß seine Wonne, Trost und Freude, Friede, Ruhe und Genüge Niemand durchgründen noch aussprechen kann. Und wenn denn der Mensch nicht anders achtet, sucht noch begehrt, denn das ewige Gut allein, und sich selber, noch des Seinen nichts sucht, sondern allein die Ehre Gottes, so wird Freude, Friede, Wonne, Ruhe und Trost und was desgleichen ist Alles dem Menschen zu Theil, und so ist denn der Mensch im Himmelreich.

(41.)

Unser Mystiker kennt aber auch einen zweiten, natürlicheren Weg.

Aber man soll wissen, daß das Licht oder die Erkenntniß nichts ist oder taugt ohne Liebe.

(165.)

Es ist wohl wahr, daß Liebe von Erkenntniß geleitet und gelehrt werden muß; aber folgt Liebe der Erkenntniß nicht nach, so wird Nichts daraus.

(167.)

Eine jegliche Liebe muß von einem Licht oder Erkenntniß gelehrt und geleitet werden. Nun macht das wahre Licht wahre Liebe und das falsche Licht macht falsche Liebe; denn was das Licht für das Beste hält, das giebt es der Liebe für das Beste dar und spricht, sie solle es lieb haben, und die Liebe folgt ihm und vollbringt sein Gebot.

(169.)

Wahre Liebe wird geleitet und gelehrt von dem wahren Lichte und Erkenntniß, und das wahre, ewige und göttliche Licht lehrt die Liebe, nichts lieb zu haben denn das wahre einfältige und vollkommene Gut, und um Nichts denn um Gut und nicht, daß man das zu Lohn von ihm haben wolle oder etwas anderes, sondern allein dem Guten zu lieb, und darum, daß es gut ist, und daß es von Rechtswegen geliebt werden soll.

(175.)

Und nun erst hebt sich an ein wahres inwendiges Leben, und dann weiter wird Gott selber der Mensch, also daß da nichts mehr ist, das nicht Gott oder Gottes sei, und auch daß da nichts ist, das sich etwas annehme.

(229.)

i612 Das Benehmen eines solchen »vergotteten« Menschen schildert der Mystiker wie folgt:

Aber wer Gott leiden will und soll, der muß und soll alle Dinge leiden, das ist: Gott, sich selber und alle Creatur, Nichts ausgenommen; und wer Gott gehorsam, gelassen und unterthan sein soll und will, der muß und soll auch allen Dingen gelassen, unterthan und gehorsam sein in leidender Weise und nicht in thätiger Weise, und dies Alles in einem schweigenden Innenbleiben in dem inwendigen Grunde seiner Seele und in einer heimlichen, verborgenen Geduldigkeit, alle Dinge oder Widerwärtigkeit williglich zu tragen und zu leiden.

(83.)

Darnach folgt dann, daß der Mensch nichts bitten oder begehren darf oder will, weder von Gott noch von den Creaturen, außer allein bloße Nothdurft und dasselbe Alles mit Furcht und aus Gnaden und nicht von Recht, und läßt auch seinem Leib und aller seiner Natur nicht mehr zu gut und zu Lust geschehen denn die bloße Nothdurft, und gestattet auch nicht, daß ihm jemand helfe oder diene außer in lauterer Nothdurft, und dasselbe Alles mit Furcht.

(95.)

Und den Zustand eines solchen vergotteten Menschen schildert der Franckforter also:

Worin besteht nun die Vereinigung? Darin, daß man lauterlich und einfältiglich und gänzlich in der Wahrheit einfältig sei mit dem einfältigen ewigen Willen Gottes und zumal ohne Willen sei und daß der geschaffene Wille geflossen sei in den ewigen Willen und darin verschmolzen sei und zu nichte geworden sei also, daß der ewige Wille allein daselbst wolle, thue und lasse.

(105.)

Es stehen auch diese Menschen in einer Freiheit, also daß sie verloren haben Furcht der Pein oder der Hölle und Hoffnung des Lohnes oder des Himmelreichs, vielmehr in ganzer Freiheit inbrünstiger Liebe.

(35.)

Und wo die Einigung geschieht in der Wahrheit und wesenhaft wird, da steht der innere Mensch in der Einigung unbeweglich und Gott läßt den äußeren Menschen hin und her bewegt werden von diesem zu dem. Das muß und soll sein und geschehen, daß der äußere Mensch spricht und es auch in der Wahrheit also ist:

i613 Ich will weder sein noch nicht sein, weder leben noch sterben, wissen oder nicht wissen, thun oder lassen, und alles das diesem gleich ist, sondern alles das, das da muß und soll sein und geschehen, dazu bin ich bereit und gehorsam, es sei in leidender Weise oder in thätiger Weise.

(107.)

Da wird und ist ein Genügen und ein Stillstehen, nichts zu begehren, minder oder mehr zu wissen, zu haben, zu leben, zu sterben, zu sein oder nicht zu sein, und was das ist, das wird Alles Eins und gleich und da wird nichts beklagt als allein die Sünde.

(179.)

Trotzdem aber der vergottete Mensch Alles erleiden soll und williglich erleidet, erhebt sich sein Wille mit Macht und ganzer Energie gegen die Eine Zumuthung: Zurückzufallen in die Welt, und der Mystiker spricht hier naiv die Wahrheit aus, daß das Individuum bis zum letzten Athemzuge will und daß das Ich, das Selbst, nie verleugnet werden kann. Man kann das natürliche Selbst, das ursprüngliche Ich, den »Adam« verleugnen, aber nie das Selbst an sich.

Und von der ewigen Liebe, die da liebt Gott als Gut und um Gut, von der wird das wahre, edle Leben also sehr geliebt, daß es nimmer gelassen oder weggeworfen wird. Wo es in einem Menschen ist, sollte der Mensch leben bis an den jüngsten Tag, so ist es ihm unmöglich es zu lassen; und sollte derselbe Mensch tausend Tode sterben und alles das Leiden auf ihn fallen, das auf alle Creaturen je fiel oder fallen kann, das wollte man Alles lieber leiden, als daß man das edle Leben lassen sollte, und ob man auch eines Engels Leben dafür haben möchte, das nähme man nicht dafür.

(141.)

Und wer ein wahrer, tugendhafter Mensch ist, der nähme nicht die ganze Welt, daß er untugendhaft werden sollte, ja er stürbe lieber eines jämmerlichen Todes.

(165.)

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Der Kern der Lehre des großen, milden Inders Budha ist das Karma.

Die wesentlichen Bestandtheile des Menschen sind die 5 Khandas: 1) der Körper, 2) Gefühl, 3) Vorstellung, 4) Urtheilen (Denken), |

i614 5) Bewußtsein. Die 5 Khandas werden zusammengehalten und sind das Produkt des Karma.

Karma ist Wirksamkeit, Bewegung, moralische Kraft, Allmacht (action, moral action, supreme power).

Karma ist im Körper, wie die Frucht im Baume: man kann nicht sagen in welchem Theil des Baumes sie ist; sie ist überall.

Karma umschließt kusala (Verdienst) und akusala (Schuld).

Akusala besteht aus klesha-Kama (cleaving to existence, Wille zum Leben) und wastu-Kama (cleaving to existing objects, bestimmter Wille, Dämon).

Das Karma ist individuell.

All sentient beings have their own individual Karma, or the most essential property of all beings is their Karma; Karma comes by inheritance, or that which is inherited (not from parentage, but from previous births) is Karma; Karma is the cause of all good and evil, or they come by means of Karma, or on account of Karma; Karma is a kinsman, but all its power is from kusala and akusala; Karma is an assistant, or that which promotes the prosperity of any one is his good Karma; it is the difference in the Karma, as to whether it be good or evil, that causes the difference in the lot of men, so that some are mean and others are exalted, some are miserable and others happy.
(Spence Hardy. A Manual of Budhism. 446.) Alle fühlenden Wesen haben ihr eigenes individuelles Karma, oder der innerste Kern aller Wesen ist ihr Karma. Karma ist eine Erbschaft, oder das, was geerbt wird (aber nicht von den Eltern, sondern von früheren Lebensläufen), ist Karma. Karma ist die Quelle alles Wohls und Wehes, oder Wohl und Wehe treten vermittelst oder durch Karma in die Erscheinung. Karma ist ein Bruder, aber all’ seine Kraft fließt aus Verdienst und Schuld. Karma ist ein Helfer, oder das, was die Wohlfahrt eines Menschen begünstigt, ist sein gutes Karma. Je nachdem das Karma von guter oder schlechter Beschaffenheit ist, gestaltet sich das Loos der Menschen, so daß die Einen niedrig, die Anderen hoch stehen, die Einen elend, die Anderen glücklich sind.
(Worte Budha’s.)

i615 Das Karma ist also eine individuelle, ganz bestimmte moralische Kraft. Bei der Geburt eines Individuums ist sein Karma gleichsam (wie die Kaufleute sagen würden) ein Doppelsaldo. Der Verdienst-Saldo ergiebt sich aus der Summe aller guten Handlungen in früheren Daseinsweisen, nach Abzug der belohnten; der Schuld-Saldo ergiebt sich aus der Summe aller schlechten Handlungen in früheren Lebensläufen, abzüglich der verbüßten. Bei dem Tode eines Individuums ist sein Karma das Karma bei der Geburt, zuzüglich seiner guten und schlechten im beendeten Lebenslauf geschehenen Thaten und abzüglich der in diesem Lebenslauf verbüßten Schuld und des belohnten Verdienstes aus früherer Zeit.

Die bestimmte Beschaffenheit des Karma ist mithin nicht ein von den Eltern auf das Kind übergegangener individueller Charakter, sondern das Karma eines Individuums ist etwas von den Eltern ganz Unabhängiges. Die Begattung der Eltern ist nur Gelegenheitsursache für die Erscheinung des Karma, welches sich seinen neuen Leib allein, ohne fremde Beihülfe, bildet. Oder mit anderen Worten: die Karma-Lehre ist Occasionalismus. Wird ein Karma von einer ganz bestimmten Qualität durch den Tod frei, so bewirkt es da Empfängniß, wo seinem Wesen das zu erzeugende Individuum entspricht, d.h. es hüllt sich in denjenigen neuen Leib, welcher am geeignetsten für seine Verbindung von bestimmter Schuld mit bestimmtem Verdienste ist. Es wird also entweder ein Brahmane, oder ein König, oder ein Bettler, oder ein Weib, oder ein Mann, oder ein Löwe, oder ein Hund, oder ein Schwein, oder ein Wurm u.s.w.

»With the exception of those beings who have entered into one of the four paths leading to nirwana, there may be an interchange of condition between the highest and lowest. He who is now the most degraded of the demons, may one day rule the highest of the heavens; he who is at present seated upon the most honorable of the celestial | Mit Ausnahme derjenigen Wesen, welche auf einem der vier Wege nach nirwana wandeln, können die höchsten und niedrigsten ihre Stellung wechseln. Wer jetzt der unterste Dämon ist, kann einst den höchsten Himmel beherrschen und wer jetzt auf dem ehrwürdigsten himmlischen Throne sitzt, kann sich dereinst unter den größten Qualen der Hölle winden; und der Wurm, den wir |

i616 thrones may one day writhe amidst the agonies of a place of torment; and the worm, that we crush under our feet may, in the course of ages, become a supreme budha.
(36.) jetzt zertreten, wird vielleicht im Laufe der Zeiten ein Lehrer der Menschheit werden.

A woman or a man takes life; the blood of that which they have slain is continually upon their hands; they live by murder; they have no compassion upon any living thing; such persons, on the breaking up of the elements (the five Khandas), will be born in one of the hells; or if, on account of the merit received in some former birth, they are born as men, it will be of some inferior caste, or if of a high caste, they will die young, and this shortness of life is on account of former cruelties. But if any one avoid the destruction of life, not taking a weapon into his hand that he may shed blood, and be kind to all, and merciful to all, he will, after death, be born in the world of the dewas, or if he appear in this world, it will be as a brahman, or some other high caste, and he will live to see old age.
(446.) Ein Weib oder ein Mann mordet; das Blut des Erschlagenen bleibt auf ihren Händen; sie leben von Mord; sie haben kein Erbarmen mit irgend einem lebenden Wesen. Solche Personen werden, bei der Auflösung ihres Leibes, in einer Hölle wiedergeboren, oder als Menschen einer niederen Kaste, wenn sie sich in einem früheren Dasein Verdienst erworben haben. Werden sie als Menschen einer höheren Kaste wiedergeboren, so sterben sie jung, und dieser frühe Tod fließt aus früher begangenen Grausamkeiten. Aber wenn Jemand keinerlei Leben vernichtet, keine Waffe in die Hand nimmt, um Blut zu vergießen, und gütig und barmherzig gegen Alle ist, so wird er nach dem Tode im Himmel geboren, oder, wenn er wieder in dieser Welt erscheint, so wird er als Brahmane, oder als Glied einer anderen hohen Kaste auf treten und wird ein hohes Alter erreichen.
(Worte Budha’s.)

Das Karma wirkt in der Welt, sangsara; es geht aber unter und wird vernichtet beim Eintritt in das nirwana.

Was ist nirwana? Vier Wege führen zu demselben:

1) der Weg Sowán,

i617 2) der Weg Sakradágami,

3) der Weg Anágami,

4) der Weg Arya.

Nagaséna, ein budhaistischer Priester mit einem sehr feinen dialektischen Geiste, schildert die Wesen auf den 4 Pfaden wie folgt:

1) There is the being, who has entered de path sowán. He entirely approves of the doctrines of the great teacher; he also rejects the error called sakkáya – drishti, which teaches, I am, this is mine; he sees that the practises enjoined by the Budhas must be attended to if nirwana is to be gained. Thus, in three degrees his mind is pure; but in all others it is yet under the influence of impurity. 1. Das Wesen, welches den Weg sowán betreten hat, bekennt sich vollständig zu den Lehren Budha’s; es verwirft auch den Irrthum, sakkáya-drishti genannt, welcher lehrt: Ich bin, dies ist mein; es erkennt, daß nirwana nur durch Gehorsam gegen die von den Weisen anempfohlenen Vorschriften erlangt werden kann. Sein Geist ist demnach nach drei Richtungen hin frei, nach allen anderen steht er unter dem Einfluß der Unreinheit.

2) There is the being that has entered the path Sakradágami. He has rejected the three errors overcome by the man, who has entered sowan, und he is also saved from the evils of Kama-raga (evil desire, sensuous passion) and the wishing evil to others. Thus in five degrees his mind is pure; but as to the rest it is entangled, slow. 2. Das Wesen auf dem Wege Sakradágami hat die drei Irrthümer Verworfen, wie Das auf dem Wege sowán, und ist ferner frei von Káma-raga (böser Begierde, sinnlicher Leidenschaft); es wünscht auch Anderen nichts Böses. Sein Geist ist also nach 5 Richtungen hin rein, aber nach allen anderen ist er verwirrt und nachlässig.

3. There is the being that has entered the path anágami. He is free from the five errors overcome by the man who has entered Sakradagami, and also from evil | 3. Das Wesen auf dem Pfade anágami ist frei von den 5 Irrthümern wie Das auf dem Wege Sakradágami und auch frei von bösen Gelüsten, Unwissenheit, Zwei|fel,

i618 desire, ignorance, doubt, the precepts of the sceptics and hatred. Haß und verwirft die Satzungen der Skeptiker.

4. There is the rahat. He has vomited up klesha, as if it were an indigested mass; he has arrived at the happiness which is obtained from the sight of nirwana; his mind is light, free and quick towards the rahatship.
(Spence Hardy. Eastern Monachism. 289.) 4. Der rahat hat alle Liebe zu anderen Dingen, wie eine unverdaute Masse, ausgespieen; er lebt in der Seligkeit, die der Anblick nirwana’s hervorbringt. Sein Geist ist rein, frei und bewegt sich rasch der Erlösung entgegen.

Die Uebereinstimmung der nachstehenden Schilderung des Zustandes eines rahat mit der des Franckforter’s, den Zustand eines vergotteten Menschen betreffend, ist erstaunlich.

The rahats are subject to the endurance of pain of body, such as proceeds from hunger, disease; but they are entirely free from sorrow or pain of mind. The rahats have entirely overcome fear. Were a 100,000 men, armed with various weapons, to assault a single rahat, he would be unmoved, and entirely free from fear.
(287.) Die rahats sind körperlichen Leiden unterworfen, welche aus Hunger und Krankheiten entstehen; aber sie sind frei von Sorgen und Herzeleid. Die rahats haben die Furcht vollständig besiegt. Sollten hunderttausend bewaffnete Männer auf einen einzelnen rahat eindringen, so würde er unbewegt und furchtlos bleiben.

Seriyut, a rahat, knowing neither desire nor aversion declared: I am like a servant awaiting the command of the master, ready to obey it, whatever it may be; I await the appointed time for the cessation of existence; I have no wish to live; I have no wish to die; desire is extinct.
(287.) Seriyut, ein rahat, frei von Neigung und Abneigung, erklärte: Ich bin wie ein Diener, der die Befehle seines Herrn erwartet, bereit, Alles auszuführen, was mir gesagt wird. Ich erwarte die bestimmte Zeit, wann mein Dasein gänzlich aufhören wird; ich will weder leben, noch will ich sterben: Jeder Wunsch ist todt in mir.

Nirwana selbst ist Nichtsein:

i619 Nirwana is the destruction of all the elements of existence. The being who is purified, perceiving the evils arising from the sensual organs, does not rejoice therein; by the destruction of the 108 modes of evil desire he has released himself from birth, as from the jaws of an alligator; he has overcome all attachment to outward objects; he is released from birth; and all the afflictions connected with the repetition of existence are overcome. Thus all the principles of existence are annihilated, and that annihilation is nirwana.
(292.) Nirwana ist die Vernichtung aller Lebenselemente. Das gereinigte Wesen erfreut sich nicht mehr durch Sinnenlust, nachdem es die Uebel erkannt hat, die daraus entspringen. Durch Vernichtung der 108 Arten böser Begierden befreite es sich von der Wiedergeburt, wie aus dem Rachen eines Alligators; es hat alle Anhänglichkeit an andere Wesen besiegt; es ist vollkommen frei vom Leben, und alle Schmerzen, welche mit der Wiedergeburt verknüpft sind, sind überstanden. Auf diese Weise ist das Leben bis in die Wurzeln vernichtet und dieser Vernichtung ist Nirwana.

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Nirwana ist thatsächlich das Nichtsein, absolute Vernichtung, obgleich die Nachfolger Budha’s sich bemühten, es als etwas Wirkliches der Welt, sangsara, gegenüberzustellen und ein Leben in ihm zu lehren, das Leben der rahats und Budhas. Nirwana soll kein Ort sein und dennoch sollen die Seligen darin wohnen; im Tode der Erlösten soll jedes Lebensprincip vernichtet werden und dennoch sollen die rahats leben.

Die Vereinigung mit Gott, von der der Franckforter spricht, findet, wie wir gesehen haben, schon in der Welt statt und ist eben das Himmelreich. Das Himmelreich nach dem Tode ist, wie Nirwana, das Nichtsein; denn wenn man diese Welt und das Leben in ihr überspringt und von einer Welt, die nicht diese Welt und von einen Leben, das nicht dieses Leben sei, spricht – wo ist denn da irgend ein Anhaltspunkt?

Vergleicht man nun die Lehre des Franckforter’s, die Lehre Budha’s und die von mir geläuterte Schopenhauer’sche Lehre mit einander, so wird man finden, daß sie, in der Hauptsache, die |

i620 denkbar größte Uebereinstimmung aufweisen; denn Einzelnwille, Karma und individueller Wille zum Leben sind Eines und dasselbe. Alle drei Systeme lehren ferner, daß das Leben ein wesentlich unglückliches ist, von dem man sich durch Erkenntniß befreien müsse und könne; schließlich ist das Himmelreich nach dem Tode, Nirwana und das absolute Nichts Eines und dasselbe.

 

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Schlußwort.

 

i621

Schopenhauer setzte über seine Kritik der Kantischen Philosophie den Voltaire’schen Ausspruch:

C’est le privilège du vrai génie, et surtout du génie qui ouvre une carrière, de faire impunément de grandes fautes.

Dieses Wort muß auch auf ihn selbst angewandt werden: denn er war nicht nur ein echtes, sondern auch ein bahnbrechendes Genie, dessen Leistungen niemals vergessen werden können, und durfte, ja, er mußte als solches große Fehler machen. Ich habe mich bemüht, dieselben aufzudecken (es war keine leichte Arbeit), getragen von aufrichtiger Verehrung und unaussprechlicher Dankbarkeit gegen den Meister, von dessen Einfluß auf mich ich nicht reden will. Denn wie konnte ich besser meine Dankbarkeit gegen den großen Todten beweisen, als dadurch, daß ich seine Lehre, durch Befreiung von Auswüchsen und Absurditäten, für Jeden, wie ich hoffe, zündend machte? Schopenhauer’s Werke sind fast noch gar nicht bekannt. Von den Wenigen, die sie kennen, schütten die Meisten, von den Fehlern abgestoßen, das Kind mit dem Bade aus. Da galt es zu handeln! Die schönste Frucht alles philosophischen Denkens: die Verneinung des individuellen Willens zum Leben mußte gerettet, auf einen unerschütterlichen Grund gebracht und für Alle sichtbar aufgestellt werden. Möge das neue Kreuz alle Diejenigen zur Erlösung führen, welche erlöst sein wollen und doch nicht glauben können. Vier Namen werden alle Stürme und Umwälzungen der kommenden Zeiten überdauern und erst mit der Menschheit untergehen, die Namen Budha, Christus, Kant und Schopenhauer. –

Ich kann nicht schließen, ohne einige Worte über den Stil Schopenhauer’s gesagt zu haben. Er ist durchweg deutlich, klar und durchsichtig, auch da, wo transscendente Fragen abgehandelt |

i622 werden, und man kann ihn den philosophischen Musterstil nennen. La clarté est la bonne foi des philosophes.

Eine große Zierde der Werke Schopenhauer’s sind die immer treffenden Gleichnisse, von oft zauberhafter Wirkung. Sie bekunden die Lebhaftigkeit seines Geistes, die überaus große Combinationsfähigkeit desselben und den künstlerischen Blick in die anschauliche Welt. So vergleicht er Willen und Intellekt mit dem sehenden Lahmen, getragen vom starken Blinden; den, vom sich fürchtenden oder hoffnungsvollen Willen beeinflußten Intellekt mit einer Fackel, bei der man lesen soll, während der Nachtwind sie heftig bewegt; Schriften, welche Zeitfragen behandeln und über die der Strom der Entwicklung weggegangen ist, mit alten Kalendern; Den, welcher sich selbst genügt, mit der hellen, warmen, lustigen Weihnachtsstube mitten im Schnee und Eise der Decembernacht (echt deutsch!); die Genüsse einer schlechten Individualität mit köstlichen Weinen in einem mit Galle tingirten Munde; den Reichthum und den Ruhm mit Seewasser: je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man; die normalen Reflexbewegungen mit der legitimen Autokratie untergeordneter Beamten u.s.w. u.s.w.

Hierher gehören auch die treffenden Ausdrücke wie: das Gehirn muß anbeißen; den bürgerlichen Personen im Drama fehlt es an Fallhöhe; der Morgen ist die Jugend des Tages; die Meisten schreiben nicht wie der Architekt baut, nach einem Plane, sondern wie man Domino spielt; das Schicksal mischt die Karten und wir spielen; alle Krämpfe sind eine Rebellion der Nerven der Gliede gegen die Souveränität des Gehirns; alle Dinge sind herrlich zu sehen, aber schrecklich zu sein u.s.w.

Seine Aphorismen zur Lebensweisheit, seine Paränesen und Maximen strotzen von prägnanten Bildern, und jede Seite bekundet den feinen Kopf, den reichen, genialen, überlegenen Geist.

Ich erwähne ferner seine witzige und sarkastische Ader. Wie beißend nennt er in der Einleitung zur Schrift: »Ueber den Willen in der Natur« (1835) das Kantische System das neueste aller bisherigen!

Auch will ich noch auf Schopenhauer’s Ausfälle gegen die »drei Sophisten nach Kant« und die Philosophie- Professoren hinweisen. Ihr Ton ist giftig und grob zugleich; doch sind sie im Grunde harmloser als sie sich geben. Wenn ich sie las, schwebte |

i623 mir immer sein Kopf vor mit lächelndem Munde und heiteren Augen. So wird er wohl auch ausgesehen haben, als er dem geduldigen Papier die galligen Worte anvertraute und – – mit Behagen schimpfte.

Und nun frage ich zum Schlusse: wann wird die deutsche Nation den »unverschämten Vers« ihres zweitgrößten Denkers:

»Ein Denkmal wird die Nachwelt mir errichten!«

verwirklichen?

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Date: 2014-12-29; view: 447


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