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In den Niederlanden

Im Museum Alter Kunst in Lissabon hängt ein dort für viele Besucher und Touristen unerwarteter Gast: eine kleine Tafel Dürers mit dem heiligen Hieronymus, gemalt in den Niederlanden, das Charakterbild eines über die Vergänglichkeit des Menschen nachdenkenden greisen Gelehrten. Als Modell für den Kirchenvater fand Dürer in Antwerpen einen dreiundneunzigjährigen Greis. Aus dessen Porträtzeichnung gedieh über die Zwischenstufen von vier weiteren Zeichnungen der Verwandlungsprozess zur prachtvoll und fast hyperrealistisch wiedergegebenen Büste des Hieronymus. Einen Gutteil seiner Wirkung bezog das Tableau auch aus der großformatig veristischen Darstellung des Totenschädels in der rechten unteren Ecke, auf den als Attribut der Askese und der Abtötung alles Fleischlichen der Heilige den Finger legt. Aber ist es überhaupt noch ein Heiliger, der uns da aus dem Rahmen heraus mustert? Des Öfteren erhielten Hieronymus-Darstellungen in damaliger Zeit eine neue, säkulare Aufgabe. Den Kirchenvater identifizierte man zunehmend mit dem weltlichen Patron der Humanisten und Literaten - das wunderbar gemalte Bücherstillleben links unten könnte dies signifikant unterstreichen. Solche Chiffren frommer Intellektualität gelangten immer häufiger in das Studierzimmer eines Gelehrten oder ins bürgerliche Kunstkabinett - so auch Dürers Schöpfung.

Keine andere Bildtafel aus der Hand Dürers ist besser dokumentiert. Das hängt damit zusammen, dass wir über die niederländische Reise und alles, was sie für den Künstler mit sich brachte, fast Woche für Woche aus einem vom Meister geführten Tagebuch informiert sind, das im Original zwar verloren ging, dessen Wortlaut jedoch Abschriften des 17. Jahrhunderts überliefern. Zusätzlich existieren zwei Skizzenbücher. In ihnen findet sich, mit wenigen prägnanten Federstrichen erfasst, unter vielen anderen Zeichnungen die bekannte Ansicht von Antwerpen beim Scheldetor.

Im Sommer des Jahres 1520 hatte sich Albrecht Dürer ein letztes Mal aus Nürnberg fortbegeben. Sein Ziel waren die Niederlande, Flandern und Brabant, der Besuch beim Kaiser sowie der reichen Städte dort, die mit geschäftlichem Gewinn lockten. Am 12. Juli bricht Dürer mit seiner Frau Agnes auf, ein gesetztes Ehepaar, bepackt mit dem gesamten druckgrafischen Œuvre, über das Dürer seinerzeit verfügen konnte. Am 2. August erreicht man Antwerpen - eine Weltstadt des Handels, wirtschaftlich inzwischen erfolgreicher als die deutsche Kaiserstadt Nürnberg und bedeutender selbst als die Königin der Adria - Venedig.

Seit Amerika jenseits des großen Meeres entdeckt wurde, seit ganze Schiffsladungen von dorther, von Westen, die Schätze des neuen Kontinents nach Europa holen, seither sind Lissabon und Antwerpen die eigentlichen Tore zur Welt.



In Antwerpen wird der Besucher von den dort tätigen Künstlern hofiert und mit großer Begeisterung aufgenommen. Anlässlich eines solchen Treffens prägt Dürer auch einen zukunftsträchtigen Fachbegriff. Am 5. Mai 1521 bezeichnet er nämlich einen der in der Stadt ansässigen Hauptmeister, Joachim Patinier (1475/80- 1524), seines Spezialistentums wegen als tüchtigen "Landschaftsmaler".

In vielen Tagebucheinträgen beschreibt Dürer, wie sehr ihm das ganze Treiben um seine Person schmeichelte. Aber der Ruhm verklebt ihm nicht die Augen, die lukullischen Festessen, zu denen manchmal auch die Ehefrau und die Magd Susanna eingeladen sind, halten ihn nicht ständig am Ort. Anfang September unternimmt er einen Ausflug ins Brüsseler Schloss. In dessen Räumen lagern exotische Wunderdinge, von denen ganz Europa spricht. Es sind dort nämlich gerade jene Geschenke ausgestellt, die der spanische Feldherr Hernan Cortez von seinen Eroberungszügen aus Mexiko seinem Herrn Kaiser Karl V. mitgebracht hat: Indianisches Wunderwerk, Waffen, Schmuck, Kultgerät, vom Conquistador dem Aztekenhäuptling in Tenochtitlan abgepresst, Exotik wie von einem anderen Stern. Dürer verdaut schnell den "Kulturschock", er bescheinigt den fremdländischen Werken höchste Kunstfertigkeit. Und er überschlägt in Gedanken ihren unerhörten Preis. Er müsste 400 Altarbilder malen, seufzt er, um zu so viel Geld zu kommen!

In Brüssel besichtigt und zeichnet der Tourist aus Nürnberg auch Löwen im herzoglichen Tiergarten oder bestaunt den großen Meteor in der Gräflich-Nassauischen Wunderkammer. Immer schon hatte Ausgefallenes den Künstler fasziniert. Man denke nur an das Rhinozeros-Bild von 1515. Damals waren kurz vorher in Lissabon Schiffe gelandet, aus dem Indischen Ozean kommend, und - man hatte ein Nashorn an Bord. Die Skizze dieses in Europa bislang unbekannten Tiers aus der Hand eines zufällig anwesenden deutschen Kaufmanns erreichte Wochen später Nürnberg. Dürer zeichnet sie ab - mit vielen fantasievollen Ergänzungen. Das echte Nashorn, als Geschenk für den Papst nach Rom verfrachtet, ging bei einem Schiffbruch unter.

Nashörner fand Dürer in den Niederlanden nicht, auch nicht jenen in Seeland gestrandeten Wal. Als er nach abenteuerlicher Fahrt mit dem Segelboot dort ankam, hatte die Strömung den Riesenfisch nämlich wieder auf die offene See hinausgezogen. Aber er traf menschliche "Exoten", die sein Stift mit bewunderungswürdiger Noblesse, frei von jedem Rassendünkel, festhielt. Die Mohrin Katharina, Dienerin im Haus des Portugiesen Joao Brandao, beispielsweise gibt der Deutsche mit der gleichen psychologischen Einfühlungskraft und Sympathie wieder, wie er sie auch in den Porträts seiner Landsleute an den Tag legt, die in den Niederlanden entstanden: dem des Danziger Kaufmanns Bernhard von Reesen, der 30-jährig im Oktober 1521 an der Pest starb, oder des Rentmeisters Lorenz Sterck . Das sind Porträts, von denen man behaupten kann, dass sie selbst jene, die Hans Holbein d. J. (1497/98-1543) in London von den dortigen deutschen Kaufleuten schuf, ein klein wenig in den Schatten stellen.

Dürer agiert sehr geschäftstüchtig in Antwerpen. Er weiß, dass man nicht nur verkaufen, sondern gelegentlich auch in Geschenke investieren muss. In der Stadt an der Schelde sitzen etliche portugiesische Faktoren, mächtige und reiche Handelsherren. Der erwähnte Joao Brandao war ihr Chef, als seine rechte Hand fungierte der humanistisch gebildete Rui Fernandes de Almada, der sich 1519 auch eine Weile in Nürnberg aufgehalten hatte. Großzügig verteilt Dürer an sie ganze Serien grafischer Blätter. Die großen Herren revanchieren sich ja bestens! Rui Fernandes zum Beispiel schenkt der biederen Agnes einen kleinen grünen Papagei - damals durchaus noch eine kostbare Rarität. Wein, Austern, ein Fässchen voll eingemachten Zuckers, Marzipan, indische Federn, indianische Nüsse, Fayencen, weitere Papageien, Ringe und Trinkgelder gehen in diesen Wochen an die beiden Nürnberger Touristen. Das sind keine Aztekenschätze, aber doch zum Teil teure und aufregende Souvenirs aus der Fremde.

Dürer lässt sich daraufhin nicht lumpen. Er verschenkt an Rui Fernandes das Kostbarste, was er während der ganzen niederländischen Reise geschaffen hat: eben die heute in Lissabon zu sehende Hieronymus-Tafel. Das virtuose Gemälde, das zusammen mit seinem Besitzer noch bis 1548 in den Niederlanden blieb, avancierte binnen kürzester Zeit für die dortigen Maler zum Musterbeispiel Dürer'scher Kunst. Keine andere Tafel des Nürnbergers ist im 16. Jahrhundert so häufig nachgeahmt worden. Man schätzt die Zahl der mehr oder weniger genauen Repliken und Variationen auf rund 120!

Andererseits - Dürer hatte in den Niederlanden nicht nur Erfolg. Eines seiner schmerzlichsten Erlebnisse fällt auf den 6. Juni 1521, als er wieder einmal nach Mecheln kommt. Er besucht die Erzherzogin Margarethe von Österreich, seit 1507 Generalstatthalterin der Niederlande. Ihr ist er zu großem Dank verpflichtet, hat sie sich doch bei Kaiser Karl V. für die Fortsetzung von Dürers Rentenzahlung verwendet. Margarethe, der Tochter Maximilians I., überreicht er eines der Maximiliansbildnisse von 1519. Wir wissen nicht welches. Da muss er sich sagen lassen, dass es nicht gefällt!

Etwas anderes aber war schlimmer. In den Niederlanden, wahrscheinlich bei seinem Ausflug an die von Brackwasser überzogene Küste Seelands, um den Wal zu sehen, zog sich Dürer eine Krankheit zu, ein Leiden, von dem er sich nie wieder erholte. Fieber, Übelkeit, Ohnmacht, Kopfweh plagen ihn - wahrscheinlich die Auswirkungen einer chronischen Malaria. Von jetzt an werden die Fieberanfälle regelmäßig wiederkehren, von jetzt an gehört die Konsultation von Ärzten zu Dürers Alltag.

Und noch etwas Existenzielles ereignet sich auf der niederländischen Reise. 1521 hört Dürer fälschlicherweise vom Tod des Reformators Martin Luther (1483-1546). In seiner ergreifenden "Lutherklage" schreibt er daraufhin unter anderem: „Und so wir diesen Mann verlieren, der da klarer geschrieben hat denn nie keiner in 140 Jahren gelebt, dem du einen solchen evangelischen Geist gegeben hast, bitten wir dich, î himmlischer Vater, dass du deinen heiligen Geist wiederum gebest einem anderen, der da deine heilige christliche Kirche allenthalben wieder versammle, auf dass wir alle einig und christlich wieder leben, dass aus unseren guten Werken alle Ungläubigen, wie Türken, Heiden, Inder zu uns selbst begehren und christlichen Glauben annehmen.“

Es wird Zeit, dass wir vor solchem Hintergrund Dürer als den Maler religiöser Werke in Augenschein nehmen.


Date: 2015-12-17; view: 984


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