Home Random Page


CATEGORIES:

BiologyChemistryConstructionCultureEcologyEconomyElectronicsFinanceGeographyHistoryInformaticsLawMathematicsMechanicsMedicineOtherPedagogyPhilosophyPhysicsPolicyPsychologySociologySportTourism






Die Signatur des Genies

Die Heimatstadt, in die Dürer aus Italien zurückkehrte, gab sich allerdings recht unbeschwert von apokalyptischen Ängsten. Nürnberg war um 1500, in seiner goldenen Epoche, reich an Gütern und Menschen. Die Angaben der Demografen schwanken, plausibel ist eine Zahl von rund 45 000 Einwohnern. Im Heiligen Römischen Reich war lediglich Köln mit rund 60 000 Einwohnern größer. Nürnbergs Handelsbeziehungen überspannten Europa mit einem weiten Netz. Das Haus Pirckheimer belieferte bis 1492 die venezianische Münze mit Silber.

Die weltoffene Metropole regierte eine patrizische Oligarchie mit Hilfe des "Kleinen Rats". Dem war der "Große Rat" untergeordnet. Goldschmiede, Maler, Buchdrucker konnten gelegentlich dorthin aufrücken - so auch Dürer im Jahr 1509 -, ansonsten aber blieb den Künstlern und Luxushandwerkern politische Mitwirkung versagt. Zum Ausgleich hielt man sie von zunftinternen Zwängen frei - was ihnen zugute kam. Denn neben den Wissenschaften hatten die Künste Hochkonjunktur in Nürnberg.

Unter den Malern, Bildschnitzern und Erzgießern nahm Dürer eine "avantgardistische" Sonderstellung ein. Die Nürnberger Oberschicht, Humanisten wie Sebald Schreyer (1446-1520), Hartmann Schedel (1440-1514) und Conrad Celtis (1459-1508), vor allem aber der mit Dürer gleichaltrige und eng befreundete Patrizier Willibald Pirckheimer (1470-1530), wurden nicht müde, dies zu betonen. Letzterer war es vermutlich auch, der den frühen Porträtauftrag seitens des sächsischen Kurfürsten Friedrichs des Weisen (1463-1525) an Dürer vermittelte.

Im In- und Ausland bekannt wurde Dürer zunächst jedoch nicht durch Gemälde, sondern durch Kupferstiche und Holzschnitt-Editionen. Nicht umsonst taucht das Monogramm "AD" erstmals um 1495 in der Grafik auf, in dem Stich Die heilige Familie mit der Libelle. Das Markenzeichen firmierte von jetzt an europaweit als künstlerisches Gütesiegel, nicht zuletzt auf der Frankfurter Messe. Bald nach 1500 richtete Dürer eine Werkstatt in Nürnberg ein, in der sein Bruder Hans tätig war, ferner - als der bedeutendste Mitarbeiter - Hans Baldung Grien.

Zum Image des erfolgreichen Aufsteigers scheinen auch die beiden frühesten in Mischtechnik gemalten Selbstbildnisse Dürers zu passen. Im ersten, 1493 während der Gesellenwanderung entstanden, wahrscheinlich in Straßburg, hält der Zweiundzwanzigjährige in den sensiblen Händen eine Distelpflanze, ein Eryngium ("Männertreu"). Man hat das Gewächs als symbolischen Hinweis auf die bevorstehende Heirat Dürers deuten wollen. Die Interpretation schien eine Stütze darin zu finden, dass das Bildnis auf Pergament gemalt und deshalb problemlos zu rollen war: um es bequem nach Nürnberg zu schicken? Als Verlöbnisbild für Agnes und deren Eltern?



Dass mit dem Eryngium eher eine religiöse Dimension aufgerufen ist, legt die Bildinschrift nahe: "My sach die gat / Als es oben schtat" - meine Angelegenheiten nehmen den von oben, vom Himmel vorgezeichneten Gang. Das Eryngium begegnet zur selben Zeit im goldpunzierten Bildgrund des Karlsruher Schmerzensmanns. Möglicherweise war Dürer in Straßburg mit der Gruppierung der "Gottesfreunde" bekannt geworden, einer Laienbruderschaft, die zu einer am Leben und Leiden Christi ausgerichteten Mystik tendierte.

Um einiges repräsentativer als das Pariser gibt sich fünf Jahre später das Madrider Selbstbildnis, der erste ganz große Wurf Dürers in der Tafelmalerei. Grandios charakterisiert ist die Stofflichkeit der Handschuhe oder der lichtdurchflutete Fensterausblick auf ein Bergpanorama. Dürers Halbfigur erscheint im Festtagsgewand: weißes Hemd mit Goldborte, darüber ein weißes, tief nach unten ausgeschnittenes Wams mit langen, schwarzgestreiften Ärmeln, eine Farbkombination, der auch die eigenartige Kopfbedeckung entspricht; eine blau-weiße Kordel hält den braunen Mantel; schließlich noch das "Herrenattribut" der Lederhandschuhe. Dürer, so wird man folgern, dem in der Nürnberger Ständeordnung offiziell nur Handwerkerrang zukam, betont im gleichen Jahr, als er in die Herrentrinkstube, einen Patrizierclub, aufgenommen wurde, das exklusive Prestige eines Renaissancekünstlers.

In Dürers berühmtestem Selbstbildnis, dem aus dem Jahr 1500, tritt das Gesicht aus dunklem, gestaltlosem Grund hervor, mit einer rätselhaften Intensität, die an Leonardos Mona Lisa denken lässt. Auffällig die hohe Stirn, die Dürer nicht besaß, auffällig die "edle" Nase und die weit geöffneten Augen, deren unergründlicher Blick den Betrachter trifft; geschönt die Haarpracht der Locken (die seine Freunde so oft zu Spott provozierte), wie metallische Fäden gebündelt und gedreht, streng vertikal die Gesichtsfläche begrenzend - und ein Haarwirbel über der Stirn.

Das Distanzmoment absoluter Frontalität und idealisierter Gesichtssymmetrie erinnert sofort an das erhabene Schema alter Christusikonen. Kopf und Büstenausschnitt wirken eingefangen in einem Netz von Konstruktionslinien. Die moderne Forschung wollte - vergeblich - die verbindlichen Koordinaten, die ideale Synthese des Ganzen rekonstruieren. Manchem Interpreten galt die Christusähnlichkeit des Dürer-Antlitzes, diese Verschmelzung der unvollkommenen eigenen Natur mit der Vollkommenheit göttlicher Schönheit, als Hybris. Daher die Versuche, die Vermessenheit zu legitimieren - nicht zuletzt mit Hilfe des Fensterkreuzes, das sich im rechten Auge spiegelt und das Organ metaphorisch zum "Fenster" beziehungsweise "Spiegel" der Seele erhebt. Dies entspreche der neuplatonischen Auffassung einer humanitas, die sich vom Körperlichen zum transzendent Geistigen hinbewege; und es gehorche der an Laienchristen adressierten Lehre von der Imitatio Christi, der mystischen Nachfolge des Heilands, die sich auch in der Redensart bekunde, der Gläubige solle sein Leben lang Christi Kreuz im Auge haben.

Eine derartige Sinnkomponente muss man nicht außer Acht lassen, um doch eine andere, von der aktuellen Forschung favorisierte, in den Vordergrund zu rücken. Sie geht von der vierzeiligen Inschrift des Bildes aus: "Albertus Durerus Noricus ipsum me propriis sic effingebam coloribus aetatis anno XXVIII" ("Albrecht Dürer aus Nürnberg, ich habe so im Alter von 28 Jahren mein Bildnis in den mich kennzeichnenden Farben geschaffen"). Und sie erinnert an Christoph Scheurl, der 1508 Dürer mit Apelles verglich, dem berühmtesten Maler des Altertums. Dürer habe das Bildnis, dem Beispiel der Marcia, der Tochter des Marcus Varro folgend, nach einem Spiegel gemalt. Plinius d.Ä. erzählte im ersten nachchristlichen Jahrhundert von der Malerin, und Boccaccio hat die Geschichte in seinem Buch über berühmte Frauen (De claris mulieribus, 1360/62) an die Neuzeit weitergegeben.

Das einem Spiegelbild abgenommene Konterfei bildete offenbar das entscheidende Kriterium der Erzählung. Nun muss man wissen, dass es erst 1516 in Murano gelang, plane Glasspiegel herzustellen. Bis dahin kannte man nur kleine Konvexspiegel. Die Übertragung eines Gesichts aus einem nach vorne gewölbten Spiegel in die Bildebene beinhaltete daher eine enorme technische Schwierigkeit, deren erstmalige Lösung man eben einer mythischen Künstlerin des Altertums zuschrieb.

Jetzt war es Dürer, der die Fähigkeit demonstrierte, ein konvex gekrümmtes Spiegelbild (analog zum Fenster auf seinem Augapfel) auf ein ebenes Tableau zu übertragen und dabei der Naturtreue Genüge zu tun. Auch würden im Spiegelbild, wie man glaubte, die Farben modifiziert. Dementsprechend könnte man den Verweis der Inschrift auf die "proprii colores" als Hinweis auf die Schwierigkeit verstehen, im Gemälde die unverfälschten Farben zu treffen.

Wohl auf neuplatonisches Gedankengut geht Dürers Ausspruch von 1512 zurück: "... denn ein guter Maler ist innerlich voller Figur [... ] und wenn es möglich wäre, dass er ewig lebte, so hätte er doch stets etwas Neues hervorzubringen." "Innerlich voller Figur" - dieser Aspekt des Kreativen wird auch den Schlüssel zum Münchner Selbstbildnis liefern. Das Auge des Porträtierten repräsentiert die Macht des Sehens, das Auge, mit dessen Hilfe ein Urbild abgebildet wird. Die Hand, die Dürer so manieriert-demonstrativ am unteren Bildrand vorführt, steht für das manuelle Geschick, die praktische Kunstfertigkeit, die das "Bild" als anschaubares Werk realisiert. Das Münchner Selbstbildnis wäre folglich auch ein Diskurs über das Medium des Bildes und seine Option, Schönheit zu transportieren - was die skizzierten religiösen (und philosophisch-neuplatonischen) Sinntiefen nicht ausschließt, sondern im Gegenteil den Schönheitsbegriff in metaphysische Höhe hebt!

Die ideale Schönheit suchte Dürer, vermutlich auf den Weg gebracht schon durch seinen ersten Italienaufenthalt, seit 1500 immer tiefer zu ergründen. Die Schönheit antiker Götter, so sprach er es aus, sollte im Sinne der Renaissance die höchste Maxime auch für die Wiedergabe christlicher Bildprotagonisten abgeben. Er konnte sich auf den Bibelvers in der "Weisheit Salomos" berufen, wonach Gott die Welt nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet habe (11,21). Dürer wurde zu einem Hauptverfechter einer solchen von göttlichen Harmonien und Proportionen bestimmten Ästhetik, der freilich nie die künstlerisch-praktische Anwendbarkeit aus dem Auge verlor: "Ich will hier ein kleines Feuerchen anzünden. Wenn ihr alle euren Beitrag mit kunstfertiger Vervollkommnung dazu tut, so kann [... ] ein Feuer daraus geschürt werden, das durch die ganze Welt leuchtet."

Ein in dieser Hinsicht leuchtendes Feuer war, wie Dürer glaubte, der Venezianer Jacopo de' Barbari (1460/70-1516), als Wanderkünstler in halb Europa tätig. Er habe, so munkelte man, das Geheimnis eines idealen Maß- und Proportionssystems entdeckt. Wie der Alchimist dem Stein der Weisen, so jagte Dürer Barbaris mathematischen und kunsttheoretischen Entdeckungen hinterher - ohne sie jemals zu Gesicht zu bekommen, ohne je zu erfahren, ob sie überhaupt existierten. Vielleicht hat er Barbari schon während seiner ersten Italienreise kurz getroffen. Und vielleicht war die Suche nach derartigen Idealen auch der Hauptantrieb seiner zweiten Reise nach Venedig. Ein anderer Grund mag hinzugekommen sein: Wohl Ende Juli 1505 begann erneut das fürchterliche Pest-Sterben in Nürnberg. Die Chroniken berichten, die Zahl der Opfer habe das Ausmaß der Katastrophe von 1494 sogar noch übertroffen. Wer es sich leisten konnte, verließ die Stadt. Dürer schickte die Ehefrau Agnes, Holzschnitte und Kupferstiche im Gepäck, zur Frankfurter Herbstmesse und brach seinerseits zum Ritt über die Alpen auf. Hinter den Bergen lockte sie wieder, die Stadt der Lagunen, des Lichtes und einer farbentrunkenen Malerei: Venedig. Eine Metropole in der damaligen Zeit, schätzt man doch für das mittlere 16. Jahrhundert die Einwohnerzahl auf rund 175 000 (um 1500 werden es nicht viel weniger gewesen sein) -inklusive jener angeblich 11 000 Huren und Kurtisanen, von denen der Chronist Marino Sanudo berichtet.

Das Verhältnis zu seinen venezianischen Kollegen, ausgenommen das zum alten Giovanni Bellini, beschreibt er anfangs sehr negativ. Man warnte ihn beispielsweise vor deren Giftanschlägen. Umgekehrt führte Dürer einen Prozess gegen Marcantonio Raimondi (um 1480-um 1530), der seine Grafiken kopierte und überdies mit dem AD-Monogramm fälschte: der erste Urheberrechtsprozess der Geschichte! Bald jedoch behandelte man Dürer als den Repräsentanten

allerhöchsten Künstlertums. Und er schrieb begeistert 1506 aus Venedig an Pirckheimer: "Wie wird mich nach der Sonne frieren. Hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer."

Unvergleichlich attraktiv ist das Bildnis einer jungen Venezianerin, wohl einer Kurtisane. Das „Close-up" des Kopfes, mit Verzicht auf Schultern und Arme, entspricht venezianischem Porträttypus, die Haartracht venezianischer Mode zwischen 1500 und 1510. In der sinnlichen Qualität der Oberflächencharakterisierung ist ein weiteres Bildnis einer Venezianerin sicher ebenso von der Malkultur an der Lagune beeinflusst.

Die Madonna mit dem Zeisig zeigt deutliche Affinitäten zu vergleichbaren Kompositionen Giovanni Bellinis, die Dürer schon auf der ersten Venedigreise so beeindruckt hatten. Der Zeisig korrespondiert jener Legende, der zufolge das Jesuskind einen tönernen Spielzeugvogel lebendig machte - Symbol für die künftige Auferstehung Christi. Auf dieses berückend schöne Andachtsbild war Dürer zu Recht besonders stolz.

Als letzte Arbeit in Venedig schuf Dürer das Bildnis eines jungen Mannes. Auf der Rückseite der Tafel erscheint eine alte Vettel, die man, ihres Geldsackes wegen, als Allegorie des Geizes, besser aber als Sinnbild der Vergänglichkeit interpretiert. Vieles spricht dafür, dass Dürers "Alte" und die Giorgione (1477/78-1510) zugeschriebene Vecchia etwa zeitgleich konzipiert wurden, in einem Klima gegenseitiger Inspiration oder Rivalität - und dass beide Werke auf einen verlorenen Prototyp Leonardo da Vincis zurückgehen.

Auf der Tafel mit Christus unter den Schriftgelehrten vermerkte Dürer stolz: "opus quinque dierum" - in nur fünf Tagen habe er sie gemalt. Für den Bravourakt existiert eine Reihe vorbereitender Zeichnungen. Dürer hat aus verschiedenen Quellen geschöpft: aus der gedrängten Kompositionsform Mantegnas und des Bellini-Kreises und aus den "grotesken Köpfen" Leonardos.

Zum Höhepunkt des zweiten Venedigaufenthaltes wurde aber das Rosenkranzfest. Die deutschen Kaufleute in der Dogenstadt gaben es für "ihre" Kirche San Bartolomeo in Auftrag. Vermutlich ist die Stiftung des monumentalen Altarbildes einer Rosenkranzbruderschaft zu verdanken. Der Doge und der Patriarch bewunderten das vollendete Werk, wie Dürer voller Stolz nach Hause schrieb, ersterer habe ihm ein fabelhaftes Angebot gemacht, um ihn in der Stadt zu halten. Hundert Jahre später erregte das Bild die Begierde Kaiser Rudolfs II., der es 1606 kaufte. Wie in einer Prozession ließ er es von Venedig nach Prag transferieren. Im Dreißigjährigen Krieg lagerte man die Tafel nach Budweis aus. Auf dem Rücktransport 1635 entstanden so große Schäden, dass die Schweden bei der Plünderung des Hradschins 1648 dieses Gemälde achtlos liegen ließen. Trotz vieler Restaurierungen blieb das Bild eine Ruine.

Dennoch, die Farbenpracht, die kompositorische und dramaturgische Intelligenz sind noch so weit erkennbar, dass man die Begeisterung der zeitgenössischen Betrachter nachvollziehen kann. Das Querformat inszeniert in denkbar größter Würde ein "Gipfeltreffen" vor der thronenden Muttergottes, jener jugendlich schönen, in leuchtend blaues Gewand venezianischen Schnitts gehüllten und mit venezianischer Haartracht vorgeführten Madonna. Maria setzt dem knienden Kaiser Maximilian I. einen Kranz von Rosenblüten auf das Haupt, während sich der Jesusknabe in gleicher Absicht dem Papst zuwendet. Der Laute spielende Engel zu Marias Füßen, an Gestalten Bellinis orientiert, zeigt vielfarbig schillernde Flügel, die an Dürers herrliche Studie eines Blaurackenflügels erinnern. Rechts, vor dem Landschaftspanorama, hat sich Dürer porträtiert.

Vor dem Regenten ruht eine Kaiserkrone, obwohl Maximilian damals den entsprechenden Titel noch nicht führte. Dürer wollte, so eine überzeugende Erklärung, die ideale Eintracht zwischen der obersten weltlichen und der geistlichen Gewalt propagieren. Die zum knienden Papst gewandte Geste Maximilians visualisiere die Aufforderung zur ersehnten Kaiserkrönung, die Maria durch ihre Krönungshandlung vorwegnehme.

In einem Brief an Pirckheimer vom 8. September 1506 schreibt Dürer, dass die Venezianer, die ihm anfangs den gekonnten Umgang mit der Farbe absprachen, nach dem Rosenkranzfest staunten: Nie habe man schönere Farben gesehen. Später sah Erasmus von Rotterdam den Triumph Dürers nicht in der Farbe, sondern im Schwarzweiß fundiert. Im Wettstreit der Künste habe seine Grafik die Möglichkeiten farbiger Malerei "überschattet". Entsprechende Stellungnahmen standen im frühen 16. Jahrhundert oft im Dienst antiitalienischer Propaganda. Dürer selbst war sicher ein anderer Kerngedanke wichtiger: "Denn wahrhaftig steckt die Kunst [gemeint ist die Gesetzmäßigkeit in der Kunst] in der Natur, wer sie heraus kann reißen [zeichnen], der hat sie."

Und er "riss" sie heraus! Dem vom Süden inspirierten Kolorismus antwortete das zeichnerische Detail, die "Mikroskopie" der Naturstudien, die er sich vor seinem zweiten Venedigaufenthalt erarbeitet hatte. Dazu gehört der Feldhase - mit der stupenden Anschaulichkeit seines Fells, mit der Konzentration auf das ängstlich-gespannte Tierauge. Dazu gehört auch das Große Rasenstück, jener nur scheinbar zufällige Naturausschnitt, aus dem Blickwinkel eines Insekts erfasst. Der höchste Halm teilt die Bildbreite in der Harmonie des Goldenen Schnitts. Geordnet, proportioniert, verliert das vorgebliche Chaos seine Zufälligkeit. In versteckter "Symmetrie" gerät es zum Exempel gottgeschaffenen Wachstums.


Date: 2015-12-17; view: 1188


<== previous page | next page ==>
Das Genie der deutschen Renaissance | Für Stadt und Kaiser
doclecture.net - lectures - 2014-2024 year. Copyright infringement or personal data (0.008 sec.)