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Albtraum vom bissigen Hund des Kapos

Nie wieder wollte er einen Fuß auf deutschen Boden setzen, schwor sich Max - und siedelte 1946 dann doch von Mähren nach Deutschland über. Seiner Frau Elfriede zuliebe: einer Sudetendeutschen, die er nach dem Krieg in seiner alten Heimatstadt Neutitschein kennengelernt hatte. "Die Liebe", sagt er, "ist stärker als alles andere."

Knapp zwei Jahrzehnte schwieg Mannheimer über sein Schicksal. Erst 1964, als er befürchtete, unheilbar an Krebs erkrankt zu sein und sterben zu müssen, wie kurz zuvor seine Frau "Fritzi", da schrieb er seine Geschichte nieder. "Spätes Tagebuch" heißt das Büchlein. In kurzen Sätzen hatte er versucht, das Grauen in Worte zu fassen, die Trauer zu bannen.

Es gelang ihm nicht. Depressionen und Albträume wurden zu steten Begleitern. Besonders ein Traum kehrte regelmäßig wieder: jener des sadistischen Kapo, der seinen Hund zum Spaß auf die Häftlinge gehetzt hatte. "Ausgerechnet von diesem Hund wurde ich nachts verfolgt, dabei hatte der mich damals gar nicht gebissen", sagt Mannheimer und schüttelt den Kopf.

"Die Menschen haben aus Auschwitz nur sehr wenig gelernt"

Wohin er auch ging: Die Vergangenheit holte Mannheimer immer wieder ein. Als er 1981 mit seiner dritten Frau Grace in die USA flog, wo er ein Hakenkreuz an einem Betonpfeiler entdeckte, erlitt er einen Nervenzusammenbruch. "Mit einem Schraubenzieher versuchte ich, das Hakenkreuz abzukratzen, irgendwann wurde ich bewusstlos", erinnert er sich. Zwei Tage später wachte er in einer Nervenklinik wieder auf.

Um seine düsteren Gedanken mit Farbe zu übertünchen, begann Mannheimer mit der Malerei: Die bunten, kraftvollen Gemälde an den Wänden seines Hauses sind mit "ben jakov" (hebräisch: "Sohn des Jakob") signiert - zu Ehren seines ermordeten Vaters. Doch erst die unermüdliche Zeitzeugenschaft, erst die therapeutische Wirkung des Erinnerns, hat seine Depressionen besiegt.

Seit rund 30 Jahren hält Mannheimer nun Vorträge, als Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau ist er auch mit knapp 95 Jahren noch unentwegt im Einsatz. Mannheimer ist ein Profi der Erinnerung, getrieben von einem unermüdlichen Drang, seine Geschichte zu erzählen. "Dies ist meine Aufgabe, meine Verantwortung. Und außerdem: Wenn ich nichts tue, bin ich doch auch müde", sagt der alte Mann und lacht.

Mannheimers Humor und seine Gabe, noch immer für Frauen zu schwärmen: Sie bilden sein Lebenselixier ebenso wie der mit Terminen übersäte Monatsplaner auf dem Tisch und das ständig klingelnde Telefon. Gerade jetzt, zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, ist er als Redner stark gefragt. Er spricht nicht nur über die Vergangenheit, sondern auch über aktuelle Ereignisse, den islamistischen Terror ebenso wie die Pegida-Bewegung, für die er deutliche Worte findet: "Die Täter von einst waren auch brave Steuerzahler", so Mannheimer.



Bevor seine Haushälterin die Nudelsuppe serviert, zieht der Menschenfreund Max Mannheimer ein ernüchterndes Fazit: "Die Menschen haben aus Auschwitz nur sehr wenig gelernt." Wie um diesen einen Satz leichter erträglich zu machen, zaubert der betagte Charmeur zum Abschied eine Packung Pralinen für seinen Gast hervor. Die Schokolade ist süß - die Bitterkeit der Worte bleibt.


Date: 2015-12-11; view: 902


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