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Pferdeapfel gegenantisemitischen Mitschüler

Holocaust-Überlebender Max Mannheimer

"Die Menschen haben aus Auschwitz nur sehr wenig gelernt"

Eigentlich wollte er das Land seiner Peiniger nie wieder betreten - und lebt doch seit knapp 60 Jahren in Deutschland: Wie durch ein Wunder überlebte Max Mannheimer fünf Konzentrationslager. Besuch bei einem, der kein Held sein will. Von Katja Iken

Auschwitz! Die neun Buchstaben klangen für den Teenager Max einst nach Urlaub, Sonne und großer Liebe. Im Jahr 1936 reiste er in den Sommerferien zu Freunden der Eltern in die polnische Kleinstadt. Gemeinsam mit Gleichaltrigen vergnügte sich der damals 16-Jährige eine Woche lang beim Baden, in der Eisdiele, im Jugendklub. Dort, in Auschwitz verliebte er sich unsterblich in die Schneidertochter Sala Bachner.

"Rote Bäckchen, schwarze Haare, ein wunderschönes Mädchen. An Mitternacht lief ich für sie über den jüdischen Friedhof, zum Lohn für die Mutprobe bekam ich zwei Küsschen: einen auf die linke, einen auf die rechte Wange." Bei dem Gedanken an die schöne Sala lächelt der Mann mit dem schlohweißen Haar. Versonnen blickt er in den Innenhof seines kleinen Bungalows, der in einem Vorort von München steht - mitten im Land der Täter. Dort, wohin Max Mannheimer niemals wieder zurückkehren wollte.

Denn Auschwitz blieb für Mannheimer nicht der idyllische Ort, an dem er als Junge einst die Ferien verbracht hatte: In dem Vernichtungslager ermordeten die Nazi-Schergen nahezu seine komplette Familie. Knapp zwei Jahre lang währte sein Martyrium dort, es folgten die Zwangsstationen Warschau, Dachau, Karlsfeld, Mühldorf. Permanent lauerte der Tod - jedes Mal schlug Mannheimer ihm ein Schnippchen.

"Ohne meinen Bruder Edgar hätte ich das alles nicht überlebt. Er war der Optimist von uns beiden", sagt Mannheimer, der am 6. Februar 95 Jahre alt wird. Die Liebe für seinen kleinen Bruder, aber auch die Verantwortung ihm gegenüber sorgten dafür, dass er sich niemals aufgab und das Inferno überstand. Edgar und Max schafften es, nahezu die komplette Lagerzeit hindurch zusammenzubleiben. Ausbeutung, Krankheit, Hunger und der Sadismus der SS-Offiziere sowie ihrer Handlanger: Gemeinsam trotzten die Brüder den ungeheuren Qualen.

Pferdeapfel gegenantisemitischen Mitschüler

Ganz zu Anfang, während seiner Kindheit in Neutitschein, Nordmähren, da waren es nur Worte gewesen. "Du Saujude" brüllte ein Junge Max einmal hinterher - da stopfte sein Bruder Erich dem Flegel mit einem Pferdeapfel das Maul. Als die Wehrmacht im Oktober 1938 das Sudetenland besetzte, floh die siebenköpfige Familie Mannheimer nach Südmähren, in den damals noch unbesetzten Teil.

Doch auch dort grassierte der Antisemitismus, mutig wehrte sich Max: Trotz Ausgangssperre ging er abends in einen Kurpark und riss sechs Verbotstafeln mit der Inschrift "Juden nicht zugänglich" raus - anderntags standen neue dort. "Ich bin kein Held. Das war die einzige Heldentat meines Lebens", wehrt er ab und schmunzelt.



Kein Held? Als seine Freundin Viola ihn fragte, ob er mit ihr nach Palästina auswandern würde, verneinte Mannheimer, der Älteste von fünf Geschwistern: "Das konnte ich meiner Familie nicht antun". In der Nacht auf den 2. Februar 1943, auf der Rampe von Auschwitz-Birkenau sah er seine Eltern, seine junge Ehefrau Eva und seine Schwester Käte zum letzten Mal. Sie mussten nach rechts wegtreten, Richtung Gaskammern. Max und seine Brüder durften nach links.

Ab sofort mutierte Mannheimer zur Nummer: Die Zahl 99 728 wurde ihm auf den linken Unterarm tätowiert. "Da, schauen Sie", sagt er, krempelt sein Hemd hoch und offenbart die blauschwarze Tätowierung. Als eine seiner Enkelinnen nachfragte, erzählte er ihr, dies sei eine Telefonnummer. Mit seinen Angehörigen vermeidet Mannheimer das direkte Gespräch über den Holocaust - er wolle sie nicht unnötig belasten, sagt er. Unbekannten gegenüber fällt es ihm leichter, über die Vergangenheit zu sprechen. Gelassen, trotz seines fortgeschrittenen Alters hellwach, sitzt er in seinem Sessel, sachlich erzählt er seine Geschichte, Detail um Detail.


Date: 2015-12-11; view: 910


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