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Erich Maria Remarque. Die Nacht von Lissabon

(Auszug aus dem Kapitel 3)

 

Ich hatte beschlossen, einen Freund aus früheren Jahren, von dem ich wußte, daß er kein Anhänger des Regimes gewesen war, anzurufen. Am Telefon würde ich herausfinden, ob er mir helfen könne. Meine Frau direkt anzurufen, wagte ich nicht, weil ich nicht wußte, ob sie allein wohnte.

Ich stand in der kleinen Glaskabine mit dem Telefonbuch und dem Apparat vor mir. Das Herz schlug mir so stark, als ich die Seiten mit den beschmutzten und geknickten Ecken umblätterte, daß ich glaubte es zu hören; ich glaubte sogar, daß andere es hören könnten, und beugte mein Gesicht tiefer, damit man mich nicht erkennen könne. Ohne nachzudenken, hatte ich die Seite aufgeschlagen mit dem Buchstaben, mit dem mein früherer Name begann. Ich fand den Namen meiner Frau, die Telefonnummer war dieselbe, aber die Adresse war verändert. Statt Rißmüllerplatz hieß sie jetzt Hitlerplatz.

Im Augenblick, als ich die Adresse sah, schien es mir, als würde die trübe Birne in der Kabine hundertfach verstärkt. Ich blickte auf, so sehr hatte ich das Gefühl, ich stünde in tiefer Nacht in einem grell erleuchteten Glaskasten - oder aber ein Scheinwerfer sei von außen auf mich gerichtet. Der ganze Irrsinn meines Unternehmens kam mir wieder voll zum Bewußtsein.

Ich verließ die Kabine und ging durch die halbdunkle Halle. Die Schilder für ›Kraft durch Freude‹ und die Reklamen für deutsche Kurorte drohten mit ihren blauen Himmeln und fröhlichen Menschen auf mich herab. Ein paar Züge mußten angekommen sein; ein Schwarm von Reisenden kam die Treppen herauf. Aus einer Gruppe löste sich ein SS-Mann. Er kam auf mich zu.

Ich lief nicht weg. Es konnte sein, daß er mich nicht meinte. Aber er blieb vor mir stehen und sah mich an.

›Verzeihen Sie, haben Sie Feuer?‹ fragte er.

›Feuer?‹ wiederholte ich, und dann rasch: ›Gewiß! Ein Streichholz!‹

Ich griff in die Tasche und suchte.

›Wozu ein Streichholz?‹ sagte der SS-Mann erstaunt. ›Ihre Zigarette brennt ja!‹

Ich hatte gar nicht gewußt, daß ich geraucht hatte. Jetzt hielt ich ihm meine Zigarette hin. Er hielt seine eigene an das glühende Ende und zog. ›Was ist denn das für eine Zigarette, die Sie da rauchen?‹ fragte er dann. ›Die riecht ja fast wie eine Zigarre!‹

Es war eine französische Gauloise. Ich hatte einige Päckchen davon mitgenommen, als ich die Grenze überschritt. ›Geschenk von einem Freunde‹, erwiderte ich. ›Französisches Kraut. Schwarzer Tabak. Er hat sie von der Reise mitgebracht. Mir sind sie auch zu stark.‹

Der SS-Mann lachte. ›Am besten, man ließe das Rauchen ganz bleiben, was? So wie der Führer. Aber wer kann das, besonders in diesen Zeiten?‹ Er grüßte und ging.«

Schwarz lächelte schwach. »Als ich noch ein Mensch war, der das Recht hatte, seine Füße irgendwohin zu stellen, habe ich oft gezweifelt, wenn ich las, wie die Schriftsteller Angst und Schreck beschrieben - daß dem Opfer das Herz stillstehe, daß er wie erstarrt dastände, daß es ihm eisig den Rücken herunter und durch die Adern liefe, daß ihm der Schweiß am ganzen Körper ausbreche -; ich hielt das für Klischees und schlechten Stil, und es mag sein, daß er das ist; aber eines ist es auch: es ist wahr. Ich habe das alles empfunden, genau so, obschon ich früher, als ich noch nichts davon wußte, darüber gelacht habe.«



 


Date: 2015-12-11; view: 958


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