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Errungenschaften der Sprachtypologie

Die Bedeutung der Sprachtypologie

Für die heutige Sprachwissenschaft

Christian Lehmann

Universität Erfurt

Stellung der Sprachtypologie

Der Beitrag der Sprachtypologie zur Sprachwissenschaft kann nur dann angemessen veranschlagt werden, wenn man sich darüber klar ist, was Sprachtypologie ist. Sie ist in erster Linie durch ihr Erkenntnisziel bestimmt, nämlich die Feststellung von sprachlichen Typen, das sind

Gestaltungsprinzipien des Sprachbaus. So wie der Begriff des Sprachtyps sich auf einer mittleren

Abstraktionsebene zwischen dem Begriff der Sprache qua ‚langage’ und der Sprache

qua ‚langue’ befindet, ebenso steht die Sprachtypologie auf einem mittleren Allgemeinheitsniveau

zwischen Sprachtheorie und Sprachbeschreibung.

Sprachtypologieist zunächst auf die Universalienforschungzugeordnet, und zwar so

eng und notwendig, daß die beiden kaum unterscheidbar sind. Zusammen konstituieren sie die

allgemein-vergleichende Sprachwissenschaft. Sie unterscheiden sich im Prinzip durch ihr

Erkenntnisinteresse: Sprachtypologie sucht nach sprachlichen Typen, Universalienforschung

sucht nach sprachlichen Universalien. Diese beiden Ziele und die zu ihnen führenden Aktivitäten

sind aber nicht zu trennen, weil es in beiden Fällen um allgemeine, für alle Sprachen

geltende Prinzipien geht. Man kann sagen, daß die beiden Disziplinen sich durch ihre Perspektive

unterscheiden: Die Universalienforschung blickt von den allgemeinen Prinzipien des

Sprachbaus auf das noch Allgemeinere, nämlich die Theorie der Sprache qua ‚langage’, und

versucht diese empirisch zu fundieren; die Sprachtypologie blickt von den allgemeinen Prinzipien

des Sprachbaus auf den Bau einzelner Sprachen qua ‚langues’ und versucht diesen zu

erklären.

Gelegentlich, vor allem von Vertretern der sog. „theoretischen Linguistik“, wird die

Sprachtypologie für eine Methode zum Zwecke der Gewinnung von Erkenntnis für die universale

Grammatik gehalten. Dies ist eine Verwechslung von Sprachtypologie mit der typologisch-

vergleichenden Methode. Die letztere ist in der Tat die wichtigste, wenn auch nicht

die einzige sprachtypologische Methode. Es ist aber gleichzeitig die konstitutive Methode der

Universalienforschung. Man kann sich für Sprachtypologie nicht interessieren, insbesondere

vielleicht auch deshalb, weil man nicht an die Ebene des Typs als eine mittlere Abstraktionsebene

zwischen dem Universalen und dem Sprachspezifischen glaubt. Man kann aber nicht

die Sprachtypologie zu einer Methode umdefinieren.

Christian Lehmann, Bedeutung der Typologie für die Sprachwissenschaft 2

Errungenschaften der Sprachtypologie

Bekanntlich lag die Sprachtypologie nach den großen Entwürfen des 19. Jh. und Georg von

der Gabelentz’ (1894) Forderung nach einer empirisch begründeten Sprachtypologie über



längere Zeit praktisch brach. Sie wurde in den sechziger Jahren des 20. Jh. i.w. durch Joseph

Greenberg auf eine neue Basis gestellt. Seine zwei wesentlichen Ideen waren sehr einfach:

Erstens ist es die Aufgabe der Sprachtypologie, Zusammenhänge sprachlicher Eigenschaften

ausfindig zu machen, und zwar vor allem implikative Zusammenhänge. Zweitens hat dies auf

der empirischen Grundlage einer großen Sprachenstichprobe zu geschehen. Dieses Programm

ist sehr fruchtbar geworden. Es ist i.w. identisch mit dem Programm, welches G. von der Gabelentz

in seinem Artikel über die Typologie der Sprachen von 1894 postuliert hatte, welches

er aber nicht mehr hatte umsetzen können.

Bereits im 19. Jh. haben Forscher wie W. von Humboldt und H.C. von der Gabelentz

große Mengen von Sprachen typologisch miteinander verglichen, um zu abgesicherten Generalisierungen

zu kommen. Im Laufe des 20. Jh. sind die Voraussetzungen dafür wesentlich

besser geworden. Gerade in den letzten Jahrzehnten sind eine Fülle von ziemlich umfassenden

Beschreibungen von bis dahin kaum bekannten und sehr verschiedenartigen Sprachen erschienen,

die die Typologen fast nur noch in Teamarbeit auswerten können. Neuere Arbeiten

von Typologen wie M. Dryer, A. Siewierska, F. Plank fußen auf Stichproben, die Hunderte

von Sprachen umfassen. Um deren Eigenschaften präzise miteinander vergleichbar zu machen,

werden die Beschreibungen sorgfältig ausgewertet, und die sprachlichen Eigenschaften

werden in Datenbanken kodiert. Da auf der Welt noch zwischen 6.000 und 7.000 Sprachen

gesprochen werden, ist es mittlerweile kaum noch ein Problem, einer typologischen Studie

eine sowohl zahlenmäßig als auch in der geographischen und genetischen Streuung repräsentative

Stichprobezugrundezulegen. Heutige typologische Generalisierungen sind empirisch

so gut abgesichert wie nie.

Eines der augenfälligsten Ergebnisse solcher den Globus abdeckender Untersuchungen

ist, daß viele sprachlichen Eigenschaften, auf welche man Sprachtypen gegründet hatte, areal

ungleichmäßig verteilt sind. Man kann heute sicher sagen, daß Klicklaute auf Südafrika beschränkt

sind, daß sich Possessivklassifikatoren nur im zirkumpazifischen Raum finden, daß

es in Afrika keinen ergativen Satzbau gibt, daß es Modalkasus nur in Australien gibt und daß

Sprachen mit konzentrischem Satzbau, auch ‚head-marking’ genannt, sich in Amerika konzentrieren.

Solche arealtypologischenZusammenhänge werden neuerdings auch im Max-

Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig untersucht, weil man hofft, daß einige

dieser Sprachareale sehr, sehr alt sein könnten.

In einer solchen Perspektive sind mittlerweile auch die Sprache Europas neu in den Blick

genommen worden (vor allem in der von der Forschergruppe EUROTYP publizierten Typology

of Languages in Europe). Dabei ist natürlich auch die Erkenntnis abgefallen, daß einige typologische

Eigenschaften auf Europa beschränkt sind oder dort jedenfalls überproportional prominent

sind (vgl. Haspelmath 2001). Ein bekanntes Beispiel ist das Maß, in welchem das Subjekt

semantisch und kommunikativ funktionslos und also grammatikalisiert ist. Weniger bekannt

ist, daß sehr viele Ausdrücke, welche in europäischen Sprachen persönlich konstruiert

zu werden pflegen, in den meisten Sprachen der Welt unpersönlich sind. Eine weitere typisch

europäische und indogermanische Kategorie ist das Relativpronomen, welches sich in den

Relativsätzen der übrigen Sprachen der Welt nicht findet. Hier gestattet die Typologie einen

relativierenden Rückblick auf die vertrauten Sprachen unserer Umgebung und lehrt uns sehen,

in welchem Maße sie tatsächlich exotisch sind. Dies ist u.a. auch wichtig, um nüchtern einChristian

Lehmann, Bedeutung der Typologie für die Sprachwissenschaft 3

schätzen zu können, nicht nur zu welchen Verzerrungen in der Beschreibung außereuropäischer

Sprachen das Modell der lateinischen Schulgrammatik führen mußte, das ihr in früheren

Jahrhunderten normalerweise zugrundegelegt wurde, sondern wie stark auch neuere allgeme ine

Linguistik eurozentrischgewesen ist.


Date: 2015-12-11; view: 716


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