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Der Spiegel Nerhegeb 4 page

Beim Warten machten sie sich über Malfoy lustig, während Norbert in seinem Korb tobte. Zehn Minuten vergingen und dann kamen vier Besen aus der Dunkelheit herabgeschwebt.

Charlies Freunde waren ein lustiges Völkchen. Sie zeigten Harry und Hermine das Geschirr, das sie für Norbert zusammengebastelt hatten, so dass sie ihn zwischen sich aufhängen konnten. Alle zusammen halfen, Norbert sicher darin unterzubringen, dann schüttelten Harry und Hermine den andern die Hände und dankten ihnen herzlich.

Endlich war Norbert auf dem Weg ... fort ... fort ... ver- schwunden.

Sie schlichen die Wendeltreppe wieder hinab, nun, da Norbert fort war, mit Herzen, so leicht wie ihre Hände. Kein Drache mehr, Malfoy bekam eine Strafarbeit, was konnte ihr Glück jetzt noch stören?

Die Antwort darauf wartete am Fuß der Treppe. Als sie in den Korridor traten, erschien aus der Dunkelheit plötzlich das Gesicht von Filch.

»Schön, schön, schön«, flüsterte er. »jetzt haben wir wirk-

lich ein Problem.«

Oben auf dem Turm lag der Tarnumhang.

 


 

 

Der verbotene Wald

 

Es hätte nicht schlimmer kommen können.

Filch brachte sie hinunter ins Erdgeschoss ins Studierzimmer von Professor McGonagall, und da saßen sie und warteten, ohne ein Wort miteinander zu reden. Hermine zitterte. Ausreden, Alibis und hanebüchene Vertuschungsgeschichten schossen Harry durch den Kopf, die eine kläglicher als die andere. Diesmal konnte er sich nicht vorstellen, wie sie sich aus diesem' Schlamassel herauswinden sollten. Sie saßen in der Falle. Wie konnten sie nur so dumm sein und den Umhang vergessen? Professor McGonagall würde aus keinem Grund der Welt gutheißen, dass sie nicht im Bett lagen und in tiefster Nacht in der Schule umherschlichen, geschweige denn, dass sie auf dem höchsten Turm waren, der, außer im Astronomie-Unterricht, für sie verboten war. Wenn sie dann noch von Norbert und dem Tarnumhang erfahren hatte, konnten sie genauso gut schon ihre Koffer packen.

Hatte Harry geglaubt, noch schlimmer könne es nicht kommen? Welch ein Irrtum. Als Professor McGonagall auftauchte, hatte sie Neville im Schlepptau.

»Harry!«, platzte Neville los, kaum dass er die beiden er- blickt hatte, »ich hab versucht dich zu finden, weil ich dich warnen wollte, Malfoy hat nämlich gesagt, du hättest einen Dra

Harry schüttelte heftig den Kopf, um Neville zum Schweigen zu bringen, doch Professor McGonagall hatte

 


 

 

ihn gesehen. Sie baute sich vor den dreien auf und sah aus, als könne sie besser Feuer spucken als Norbert.

»Das hätte ich von keinem von Ihnen je geglaubt. Mr. Filch sagt, Sie seien auf dem Astronomieturm gewesen. Es ist ein Uhr morgens. Erklären Sie mir das bitte.«

Zum ersten Mal fand Hermine keine Antwort auf die Frage eines Lehrers. Sie starrte auf ihre Pantoffeln, stumm wie eine Statue.



»Ich glaube, ich weiß ganz gut, was geschehen ist«, sagte Professor McGonagall. »Es braucht kein Genie, um das he- rauszufinden. Sie haben Draco Malfoy irgendeine haarsträubende Geschichte über einen Drachen aufgebunden, .um ihn aus dem Bett zu locken und in Schwierigkeiten zu bringen. Ich habe ihn bereits erwischt. Ich nehme an, Sie finden es auch noch lustig, dass Longbottom hier etwas aufgeschnappt hat und daran glaubt?«

Harry versuchte dem verdutzt und beleidigt dreinblickenden Neville in die Augen zu schauen und ihm stumm zu bedeuten, dass dies nicht stimmte. Der arme, tollpatschige Neville - Harry wusste, was es ihn gekostet haben musste, sie im Dunkeln zu suchen, um sie zu warnen.

»Ich bin sehr enttäuscht«, sagte Professor McGonagall.

»Vier Schüler aus dem Bett in einer Nacht! Das ist mir noch nie untergekommen. Miss Granger, wenigstens Sie hätte ich für vernünftiger gehalten. Was Sie angeht, Mr. Potter, so hätte ich gedacht, Gryffindor bedeutete Ihnen mehr als alles andere. Sie alle werden Strafarbeiten bekommen -ja, auch Sie, Mr. Longbottom, nichts gibt Ihnen das Recht, nachts in der Schule umherzustromern, besonders dieser Tage ist es gefährlich - und fünfzig Punkte Abzug für Gryffindor.«

»Fünfzig?« Harry verschlug es den Atem. Sie würden die Führung verlieren, die er noch im letzten Quidditch-Spiel erobert hatte.

 


 

 

»Fünfzig Punkte für jeden«, schnaubte Professor McGo- nagall durch ihre lange, spitze Nase.

»Professor - bitte -«

»Sie können doch nicht -«

»Sagen Sie mir nicht, was ich kann und was nicht, Potter. Gehen Sie jetzt wieder zu Bett, Sie alle. Ich habe mich noch nie dermaßen für Schüler von Gryffindor geschämt.«

Einhundertfünfzig Punkte verloren. Damit lag Gryffindor auf dem letzten Platz. In einer Nacht hatten sie alle Chancen auf den Hauspokal zunichte gemacht. Harry hatte das Gefühl, als hätte sich ein riesiges Loch in seinem Magen aufgetan. Wie konnten sie das jemals wieder gutmachen?

Harry tat die ganze Nacht kein Auge zu. Stundenlang, so kam es ihm vor, hörte er Neville in sein Kissen schluchzen. Ihm fiel nichts ein, womit er ihn hätte trösten können. Er wusste, dass Neville, wie ihm selbst, angst und bange war vor dem Morgen. Was würde geschehen, wenn die anderen aus ihrem Haus erfuhren, was sie getan hatten?

Als die Gryffindors am nächsten Morgen an den riesigen Stundengläsern vorbeigingen, welche die Hauspunkte anzeigten, dachten sie zunächst, es müsse ein Irrtum passiert sein. Wie konnten sie plötzlich hundertfünfzig Punkte weniger haben als gestern? Und dann verbreitete sich allmählich die Geschichte: Harry Potter, der berühmte Harry Potter, ihr Held aus zwei Quidditch-Spielen, hatte ihnen das eingebrockt, er und ein paar andere dumme Erstklässler.

Harry, bisher einer der beliebtesten und angesehensten Schüler, war nun der meistgehasste. Selbst Ravenclaws und Hufflepuffs wandten sich gegen ihn, denn alle hatten sich darauf gefreut, dass Slytherin den Hauspokal diesmal nicht erringen würde. Überall, wo Harry auftauchte, deuteten die Schüler auf ihn und machten sich nicht einmal die Mühe, ihre Stimmen zu senken, wenn sie ihn beleidigten.

 


 

 

Die Slytherins dagegen klatschten in die Hände, wenn er vorbeiging, sie pfiffen und johlten: »Danke, Potter, wir schulden dir noch was!«

Nur Ron hielt zu ihm.

»In ein paar Wochen haben sie es alle vergessen. Fred und George haben während ihrer ganzen Zeit hier 'ne Unmenge Punkte verloren, aber die Leute mögen sie trotzdem noch.«

»Sie haben nie hundertfünfzig Punkte auf einmal verloren, oder?«, sagte Harry niedergeschlagen.

»Nun - nein«, gab Ron zu.

Es war ein wenig zu spät, um den Schaden wieder gut- zumachen, doch Harry schwor sich, von nun an würde er sich nie mehr in Dinge einmischen, die ihn nichts angingen. Vom Herumstromern und Spionieren hatte er die Nase voll. Er schämte sich so sehr, dass er zu Wood ging und ihm seinen Rücktritt aus der Mannschaft anbot.

»Rücktritt?«, donnerte Wood. »Wozu soll das gut sein? Wie sollen wir denn jemals wieder Punkte gutmachen, wenn wir nicht mehr beim Quidditch gewinnen können?«

Doch selbst Quidditch machte keinen Spaß mehr. Die anderen Spieler wollten beim Training nicht mit Harry sprechen, und wenn sie über ihn reden mussten, nannten sie ihn »den Sucher«.

Auch Hermine und Neville ging es nicht gut. Nicht so schlecht wie Harry zwar, weil sie nicht so bekannt waren, doch auch mit ihnen wollte keiner mehr sprechen. Im Unterricht mochte Hermine nicht mehr auf sich aufmerksam machen, sie ließ den Kopf hängen und arbeitete still vor sich hin.

Harry war beinahe froh, dass die Prüfungen vor der Tür standen. Die ganzen Wiederholungen, die nötig waren,

 


 

 

lenkten ihn von seinem Elend ab. Er, Ron und Hermine blieben unter sich und mühten sich bis spät in den Abend, sich die Zutaten komplizierter Gebräue in Erinnerung zu rufen, sich Zaubersprüche und Zauberbanne einzuprägen und die Jahreszahlen großer Entdeckungen in der Zauberei und von Koboldaufständen auswendig zu lernen ...

Dann, etwa eine Woche bevor die Ferien beginnen sollten, wurde Harrys jüngster Entschluss, seine Nase nicht in Dinge zu stecken, die ihn nichts angingen, unerwartet auf die Probe gestellt. Eines Nachmittags, auf dem Rückweg von der Bibliothek, hörte er in einem der Klassenzimmer vor ihm jemanden wimmern. Er ging weiter und hörte Quirrells Stimme.

»Nein - nein - nicht schon wieder, bitte

Es klang, als würde ihm jemand drohen. Harry trat sachte näher.

»Gut - schon gut -«, hörte er Quirrell schluchzen.

Im nächsten Moment kam Quirrell, seinen Turban richtend, aus dem Klassenzimmer gestürzt. Er war blass und sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Raschen Schrittes verschwand er; Harry hatte nicht das Gefühl, dass er ihn bemerkt hatte. Er wartete, bis Quirrells Schritte verklungen waren, und spähte dann in das Klassenzimmer. Es war leer, doch am andern Ende war eine Tür weit geöffnet. Harry war schon auf halbem Wege dorthin, als ihm einfiel, dass er sich vorgenommen hatte, sich nicht mehr in fremde Angelegenheiten zu mischen.

Dennoch: zwölf Steine der Weisen hätte er gewettet, dass es Snape war, der soeben das Zimmer verlassen hatte, und nach dem zu schließen, was Harry mitgehört hatte, gewiss mit federnden Schritten. Quirrell schien nun doch nachgegeben zu haben.

Harry ging zurück in die Bibliothek, wo Hermine Ron

 


 

 

in Astronomie abfragte. Harry berichtete ihnen, was er gehört hatte.

»Snape hat es also geschafft«, sagte Ron. »Wenn Quirrell ihm gesagt hat, wie er seinen Schutzzauber gegen die schwarze Magie brechen kann -«

»Da ist allerdings immer noch Fluffy«, sagte Hermine.

»Vielleicht hat Snape herausgefunden, wie er an ihm vor- beikommt, ohne Hagrid zu fragen«, sagte Ron und ließ den Blick über die Unmenge von Büchern gleiten, die sie umgaben. »Ich wette, irgendwo hier drin gibt es ein Buch, das erklärt, wie man an einem riesigen dreiköpfigen Hund vorbeikommt. Also, was sollen wir tun, Harry?«

In Rons Augen erschien wieder das Funkeln kommender Abenteuer, doch Hermine antwortete, noch bevor Harry den Mund aufmachen konnte.

»Zu Dumbledore gehen. Das hätten wir schon vor Ewig- keiten tun müssen. Wenn wir selbst irgendwas unternehmen, werden wir am Ende sicher noch rausgeworfen.«

»Aber wir haben keinen Beweis«, sagte Harry. »Quirrell hat zu viel Angst, um sich auf unsere Seite zu schlagen. Snape muss nur behaupten, er wisse nicht, wie der Troll an Halloween hereingekommen ist, und sei überhaupt nicht im dritten Stock gewesen - wem glauben sie wohl, uns oder ihm? Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir ihn nicht ausstehen können, Dumbledore wird denken, wir hätten die Geschichte erfunden, damit er Snape rauswirft. Filch würde uns auch nicht helfen, und wenn es um sein Leben ginge, er ist zu gut mit Snape befreundet, und je mehr Schüler rausgeworfen werden, desto besser, wird er denken. Und vergiss nicht, wir sollten eigentlich gar nichts über den Stein oder Fluffy wissen. Da müssen wir eine Menge erklären.«

Hermine sah überzeugt aus, Ron jedoch nicht.

»Und wenn wir nur ein wenig rumstöbern -«

 


 

 

»Nein«, sagte Harry matt, »wir haben genug rumgestöbert.«

Er entfaltete eine Karte des Jupiters und begann die Namen seiner Monde auswendig zu lernen.

 

Am Morgen darauf beim Frühstück wurden Harry, Hermine und Neville Briefe zugestellt. Sie lauteten alle gleich:

 

Ihre Strafarbeit beginnt um elf Uhr heute Abend. Sie treffen Mr. Filch in der Eingangshalle.

Prof. M. McGonagall

 

In der ganzen Aufregung über die verlorenen Punkte hatte Harry ganz vergessen, dass sie noch Strafarbeiten vor sich hatten. Gleich würde Hermine klagen, wieder sei eine ganze Nacht für die Wiederholungen verloren, doch sie sagte kein Wort. Wie Harry hatte sie das Gefühl, nichts Besseres verdient zu haben.

Um elf Uhr an diesem Abend verabschiedeten sie sich im Gemeinschaftsraum von Ron und gingen mit Neville hinunter in die Eingangshalle. Filch wartete schon - und Malfoy. Harry hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass es auch Malfoy erwischt hatte.

»Folgt mir«, sagte Filch, zündete eine Laterne an und führte sie nach draußen.

»Ich wette, ihr überlegt es euch das nächste Mal, ob ihr noch mal eine Schulvorschrift brecht, he?«, sagte er und schielte sie von der Seite her an. »O ja ... harte Arbeit und Schmerzen sind die besten Lehrmeister, wenn ihr mich fragt ... jammerschade, dass sie die alten Strafen nicht mehr anwenden ... Könnt euch ein paar Tage lang in Handschellen legen und von der Decke hängen lassen, die Ketten hab ich noch in der Schublade, halt sie immer gut

 


 

 

eingefettet, falls sie doch noch mal gebraucht werden ... Schön, los geht's, und denkt jetzt bloß nicht ans Weglaufen, dann wird's nur noch schlimmer für euch.«

Sie machten sich auf den Weg über das dunkle Schlossge- lände. Neville schniefte unablässig. Harry fragte sich, worin die Strafe wohl bestehen würde. Es musste etwas wirklich Schreckliches sein, sonst würde sich Filch nicht so vergnügt anhören.

Der Mond war sehr hell, doch die Wolken, die über ihn dahintrieben, tauchten sie immer wieder in Dunkelheit. Vor ihnen konnte Harry die Fenster von Hagrids Hütte erkennen. Dann hörten sie einen Ruf aus der Ferne.

»Bist du das, Filch? Beeil dich, ich will aufbrechen.«

Harry wurde leichter ums Herz; wenn sie mit Hagrid arbeiten würden, dann konnte es ihnen nicht so schlecht ergehen. Die Erleichterung stand ihm wohl ins Gesicht geschrieben, denn Filch sagte: »Du glaubst, ihr werdet euch mit diesem Hornochsen einen netten Abend machen? Überleg's dir lieber noch mal, junge

- es geht in den Wald und es würde mich wundern, wenn ihr in einem Stück wieder rauskommt.«

Bei diesen Worten stöhnte Neville leise auf und Malfoy blieb wie angewurzelt stehen.

»In den Wald?«, wiederholte er, wobei er nicht mehr so kühl klang wie sonst. »Wir können da nachts nicht reingehen - da treibt sich allerlei herum - auch Werwölfe, hab ich gehört.«

Neville packte den Ärmel von Harrys Umhang und gab ein ersticktes Geräusch von sich.

»Das sind schöne Aussichten, nicht wahr?«, sagte Filch, wobei sich seine Stimme vor Schadenfreude überschlug. »Hättet an die Werwölfe denken sollen, bevor ihr euch in Schwierigkeiten gebracht habt.«

 


 

 

Hagrid kam ihnen mit langen Schritten aus der Dunkelheit entgegen, mit Fang bei Fuß. Er trug seine große Armbrust und hatte einen Köcher mit Pfeilen über die Schultern gehängt.

»Wird allmählich Zeit«, sagte er. »Warte schon 'ne halbe Stunde. Alles in Ordnung, Harry, Hermine?«

»Ich wär lieber nicht so freundlich zu ihnen, Hagrid«, sagte Filch kalt, »schließlich sind sie hier, um sich ihre Strafe abzuholen.«

»Deshalb bist du zu spät dran«, antwortete Hagrid mit einem Stirnrunzeln. »Hast ihnen 'ne Lektion erteilt, was? Nicht deine Aufgabe, das zu tun. Du hast deine Sache erledigt und ich übernehme ab hier.«

»Bei Morgengrauen bin ich zurück«, sagte Filch, »und hol die Reste von ihnen ab«, fügte er gehässig hinzu, drehte sich um und machte sich mit in der Dunkelheit hüpfender Laterne auf den Weg zurück zum Schloss.

Nun wandte sich Malfoy an Hagrid.

»Ich gehe nicht in diesen Wald«, sagte er und Harry be- merkte mit Genugtuung den Anflug von Panik in seiner Stimme.

»Du musst, wenn du in Hogwarts bleiben willst«, sagte Hagrid grimmig. »Du hast was ausgefressen und jetzt musst du dafür bezahlen.«

»Aber das ist Sache der Bediensteten, nicht der Schüler. Ich dachte, wir würden die Hausordnung abschreiben oder so was. Wenn mein Vater wüsste, was ich hier tue, würde er -«

»- dir sagen, dass es in Hogwarts eben so zugeht«, knurrte Hagrid. »Die Hausordnung abschreiben! Wem nützt das denn? Du tust was Nützliches oder du fliegst raus. Wenn du glaubst, dein Vater hätte es lieber, wenn du von der Schule verwiesen wirst, dann geh zurück ins Schloss und pack deine Sachen. Los jetzt!«

 


 

 

Malfoy rührte sich nicht vom Fleck. Voll Zorn sah er Hagrid an, doch dann senkte er den Blick.

»Na also«, sagte Hagrid. »Nun hört mal gut zu, weil es gefährlich ist, was wir heute Nacht tun, und ich will nicht, dass einer von euch sich unnötig in Gefahr bringt. Folgt mir kurz hier rüber.«

Er führte sie dicht an den Rand des Waldes. Mit hoch- gehaltener Laterne wies er auf einen engen, gewundenen Pfad, der zwischen den dicht stehenden schwarzen Bäumen verschwand. Als sie in den Wald hineinsahen, zerzauste ihnen eine leichte Brise die Haare.

»Seht mal her«, sagte Hagrid, »seht ihr das Zeug, das da auf dem Boden glänzt? Silbriges Zeug? Das ist Einhornblut. Irgendwo ist da ein Einhorn, das von irgendetwas schwer verletzt worden ist. Das ist jetzt das zweite Mal in einer Woche. Letzten Mittwoch hab ich ein totes gefunden. Wir versuchen jetzt das arme Tier zu finden. Vielleicht müssen wir es auch von seinem Leiden erlösen.«

»Und was passiert, wenn das andere - was das Einhorn verletzt hat - uns zuerst findet?«, fragte Malfoy, ohne dass er die Furcht aus der Stimme verbannen konnte.

»In diesem Wald ist nichts, was euch etwas zu Leide tut, solange ich und Fang dabei sind«, sagte Hagrid. »Und bleibt auf in Weg. Also dann, wir teilen uns in zwei Gruppen und folgen der Spur in verschiedene Richtungen. Hier ist überall Blut, das Tier muss sich mindestens seit gestern Nacht herumschleppen.«

Malfoy warf einen raschen Blick auf Fangs lange Zähne. »Ich will Fang.«

»Na gut, aber ich warn dich, er ist ein Feigling«, sagte Hagrid. »Also gehen Harry, Hermine und ich in die eine Richtung und Draco, Neville und Fang in die andere. Und wenn einer von uns das Einhorn findet, schicken wir grüne

 


 

 

Funken aus, klar? Holt eure Zauberstäbe hervor und probiert das mal - sehr gut - und wenn einer in Gefahr ist, schickt rote Funken aus und wir kommen zu Hilfe - also, seid vorsichtig - und nun los.«

Der Wald war schwarz und still. Sie legten ein Stück des Wegs gemeinsam zurück und stießen dann auf eine Gabelung. Harry, Hermine und Hagrid gingen nach links, Malfoy, Neville und Fang nach rechts.

Sie gingen schweigend, die Augen auf die Erde gerichtet. Hie und da beleuchtete ein Mondstrahl einen Fleck silbrig blauen Blutes auf den herabgefallenen Blättern.

Harry bemerkte, dass Hagrid sehr besorgt aussah.

»Könnte ein Werwolf die Einhörner töten?«, fragte Harry.

»Nicht schnell genug«, sagte Hagrid. »Es ist nicht leicht, ein Einhorn zu fangen, sie sind mächtige Zaubergeschöpfe, Ich hab noch nie gehört, dass eines verletzt wurde.«

Sie kamen an einem moosbewachsenen Baumstumpf vorbei. Harry konnte Wasser plätschern hören, irgendwo in der Nähe musste ein Bach sein. An manchen Stellen entlang des gewundenen Pfades war noch Einhornblut.

»Alles in Ordnung mit dir, Hermine?«, flüsterte Hagrid.

»Keine Sorge, es kann nicht weit weg sein, wenn es so schwer verletzt ist, und dann können wir - HINTER DEN BAUM!«

Hagrid packte Harry und Hermine und schubste sie vom Pfad in die Deckung einer riesigen Eiche. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher, spannte ihn auf die Armbrust und hielt sie schussbereit in die Höhe. Die drei spitzten die Ohren. Ganz in der Nähe raschelte etwas über die toten Blätter. Es hörte sich an wie ein Mantel, der über den Boden schleifte. Hagrid spähte den dunklen Pfad hoch, doch nach einer Welle entfernte sich das Geräusch.

 


 

 

»Ich wusste es«, murmelte er. »Da ist etwas im Wald was nicht hierher gehört.«

»Ein Werwolf?«, fragte Harry.

»Das war kein Werwolf und auch kein Einhorn«, sagte Hagrid grimmig. »Gut, folgt mir, aber vorsichtig jetzt.«

Sie gingen jetzt langsamer, gespannt auf das leiseste Ge- räusch achtend. Plötzlich, auf einer Lichtung vor ihnen, bewegte sich etwas.

»Wer da?«, rief Hagrid. »Zeig dich - ich bin bewaffnet!«

Und es erschien - war es ein Mann oder ein Pferd? Bis zur Hüfte ein Mann mit rotem Haar und Bart, doch darunter hatte er den glänzenden, kastanienbraunen Körper eines Pferdes mit langem, rötlichem Schwanz. Harry und Hermine hielten den Atem an.

»Ach, du bist es, Ronan«, sagte Hagrid erleichtert. »Wie geht's?«

Er trat vor und schüttelte die Hand des Zentauren.

»Einen guten Abend dir, Hagrid«, sagte Ronan. Er hatte eine tiefe, melancholische Stimme. »Wolltest du gerade auf mich schießen?«

»Man kann nie vorsichtig genug sein, Ronan«, sagte Hagrid und tätschelte seine Armbrust. »Was Böses streift in diesem Wald herum. Das sind übrigens Harry Potter und Hermine Granger, Schüler vom Schloss oben. Und das, ihr beiden, ist Ronan. Er ist ein Zentaur.«

»Das haben wir schon bemerkt«, sagte Hermine matt.

»Guten Abend«, sagte Ronan. »Schüler seid ihr? Und lernt ihr viel da oben in der Schule?

»Ähm -«

»Ein wenig«, sagte Hermine schüchtern.

»Ein wenig. Nun, das ist doch schon etwas«, seufzte Ronan. Er warf den Kopf zurück und blickte gen Himmel. »Der Mars ist hell heute Nacht.«

 


 

 

»ja«, sagte Hagrid und schaute ebenfalls empor. »Hör mal, ich bin froh, dass wir dich getroffen haben, Ronan, hier ist nämlich ein Einhorn verletzt worden - hast du was gesehen?«

Ronan antwortete nicht sofort. Unverwandt blickte er gen Himmel, dann seufzte er wieder.

»Die Unschuldigen sind immer die ersten Opfer«, sagte er.

»So ist es seit ewigen Zeiten, so ist es auch heute.«

»ja«, sagte Hagrid, »aber hast du irgendwas gesehen, Ro- nan? Irgendwas Ungewöhnliches?«

»Der Mars ist hell heute Nacht«, wiederholte Ronan unter dem ungeduldigen Blick Hagrids. »Ungewöhnlich hell.«

»Ja, aber ich meinte etwas Ungewöhnliches mehr in der Nähe«, sagte Hagrid. »Du hast also nichts Seltsames bemerkt?«

Doch wieder dauerte es eine Welle, bis Ronan antwortete.

Endlich sagte er: »Der Wald birgt viele Geheimnisse.«

Eine Bewegung hinter den Bäumen hinter Ronan ließ Hagrid erneut seine Armbrust heben, doch es war nur ein zweiter Zentaur, mit schwarzem Haar und schwarzem Körper und wilder aussehend als Ronan.

»Hallo, Bane«, sagte Hagrid. »Wie geht's?«

»Guten Abend, Hagrid. Ich hoffe, dir geht's gut?«

»Gut genug. Hör mal, ich hab gerade Ronan gefragt, hast du in letzter Zeit irgendetwas Merkwürdiges hier gesehen? Es ist nämlich ein Einhorn verletzt worden - weißt du was darüber?«

Bane kam näher und stellte sich neben Ronan. Er blickte gen Himmel.

»Der Mars ist hell heute Nacht«, sagte er nur.

»Das haben wir schon gehört«, sagte Hagrid verdrießlich.

»Nun, wenn einer von euch etwas sieht, lasst es mich wissen, bitte. Wir verschwinden wieder.«

 


 

 

Harry und Hermine folgten ihm, über ihre Schultern auf Ronan und Bane starrend, bis die Bäume ihnen die Sicht verdeckten.

»Versuch niemals, niemals, einem Zentauren eine klare Antwort zu entlocken«, sagte Hagrid verärgert. »Vermaledeite Sternengucker. Interessieren sich für nichts, was näher ist als der Mond.«

»Gibt es viele von denen hier im Wald?«, fragte Hermine.

»oh, schon einige ... Bleiben allerdings meist unter sich, aber wenn ich mich ein wenig unterhalten will, tauchen sie schon mal auf Sind nämlich tiefe Naturen, diese Zentauren ... sie kennen sich aus ... machen nur nicht viel Aufhebens davon.«

»Glaubst du, was wir vorhin gehört haben, war ein Zen- taur?«, sagte Harry.

»Hat sich das für dich angehört wie Hufe? Nee, wenn du mich fragst, das hat die Einhörner gejagt - hab so was noch nie im Leben gehört.«

Sie gingen weiter durch dichten, dunklen Wald. Harry warf ständig nervöse Blicke über die Schulter. Er hatte das unangenehme Gefühl, dass sie beobachtet wurden, und war sehr froh, dass sie Hagrid und seine Armbrust dabeihatten. Soeben waren sie um eine Windung gebogen, als Hermine Hagrids Arm packte.

»Hagrid! Sieh mal! Rote Funken, die andern sind in Schwierigkeiten!«

»Ihr beide wartet hier!«, rief Hagrid. »Bleibt auf dem Weg, ich hol euch dann!«

Sie hörten ihn durch das Unterholz brechen. Voller Angst blieben sie zurück und sahen sich an. Schließlich hörten sie nichts mehr außer dem Rascheln der Blätter um sie her.

»Du denkst nicht etwa, dass ihnen etwas zugestoßen ist, oder?«, flüsterte Hermine.

 


 

 

»Das wär mir bei Malfoy egal, aber wenn Neville . .. Es ist nämlich unsere Schuld, dass er überhaupt hier ist.«

Die Minuten schleppten sich dahin. Ihre Ohren schienen schärfer als normal zu sein. Harry kam es vor, als könnte er jeden Seufzer des Windes, jeden knackenden Zweig hören. Was war eigentlich los? Wo waren die andern?

Endlich kündete ein lautes Knacken Hagrids Rückkehr an. Malfoy, Neville und Fang waren hinter ihm. Hagrid rauchte vor Zorn. Malfoy, so schien es, hatte sich zum Scherz von hinten an Neville herangeschlichen und ihn gepackt. In panischem Schreck hatte Neville die Funken versprüht.

»Wir können von Glück reden, wenn wir jetzt noch irgendwas fangen, bei dem Aufruhr, den ihr veranstaltet habt. Und jetzt bilden wir neue Gruppen - Neville, du bleibst bei mir und Hermine, Harry, du gehst mit Fang und diesem Idioten. Tut mir Leid«, fügte er zu Harry gewandt flüsternd hinzu, »aber dich wird er nicht so schnell erschrecken und wir müssen es jetzt schaffen.«

Und so machte sich Harry mit Malfoy und Fang ins Herz des Waldes auf. Sie gingen fast eine halbe Stunde lang tiefer und tiefer hinein, bis der Pfad sich fast verlor, so dicht standen die Bäume. Harry hatte den Eindruck, dass das Einhornblut allmählich dicker wurde. Auf den Wurzeln eines Baumes waren Spritzer, als ob das arme Tier sich hier in der Nähe voll Schmerz herumgewälzt hätte. Weiter vorn, durch die verschlungenen Äste einer alten Eiche hindurch, konnte Harry eine Lichtung erkennen.

»Sieh mal«, murmelte er und streckte den Arm aus, damit Malfoy stehen blieb.

Etwas Hellweißes schimmerte auf dem Boden. Vorsichtig traten sie näher.

Es war das Einhorn und es war tot. Harry hatte nie etwas 278


 

 

so Schönes und so Trauriges gesehen. Seine langen, schlanken Beine ragten verquer in die Luft und seine perlweiße Mähne lag ausgebreitet auf den dunklen Blättern.

Harry trat noch einen Schritt näher, als ein schleifendes Geräusch ihn wie angefroren innehalten ließ. Ein Busch am Rande der Lichtung erzitterte ... Dann kam eine vermummte Gestalt aus dem Schatten und kroch über den Boden auf sie zu wie ein staksendes Untier. Harry, Malfoy und Fang standen da wie erstarrt. Die vermummte Gestalt erreichte das Einhorn, senkte den Kopf über die Wunde an der Seite des Tiers und begann sein Blut zu trinken.

»AAAAAAAAAAAARRRH!«

Malfoy stieß einen fürchterlichen Schrei aus und machte sich auf und davon - mit Fang an seinen Fersen. Die vermummte Gestalt hob den Kopf und sah zu Harry herüber - an ihr herunter tropfte Einhornblut. Das Wesen stand auf und kam rasch auf Harry zu - er war vor Angst wie gelähmt.

Dann durchstieß ein Schmerz seinen Kopf, wie er ihn noch nie verspürt hatte, es war, als ob seine Narbe Feuer gefangen hätte - halb blind stolperte er rückwärts. Hinter sich hörte er Hufe, Pferdegalopp, und etwas sprang einfach über ihn hinweg und stürzte sich auf die Gestalt.


Date: 2015-12-11; view: 651


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