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Der Spiegel Nerhegeb 2 page

»Mum?«, flüsterte er. »Dad?«

Sie sahen ihn nur an und lächelten. Und langsam sah Harry in die Gesichter der anderen Menschen im Spiegel und sah noch mehr grüne Augenpaare wie das seine, andere Nasen wie die seine, selbst einen kleinen alten Mann, der aussah, als ob er Harrys knubblige Knie hätte - Harry sah zum ersten Mal im Leben seine Familie.

Die Potters lächelten und winkten Harry zu und er starrte zurück, die Hände flach gegen das Glas gepresst, als hoffte er, einfach zu ihnen hindurchfallen zu können. Er spürte ein mächtiges Stechen in seinem Körper, halb Freude, halb furchtbare Traurigkeit.

Wie lange er schon so dastand, wusste er nicht. Die Spie- gelbilder verblassten nicht und er wandte den Blick nicht eine Sekunde ab, bis ein fernes Geräusch ihn wieder zur Besinnung brachte. Er konnte nicht hier bleiben, er musste sich zurück ins Bett stehlen. »Ich komme wieder«, flüsterte er, wandte den Blick vom Gesicht seiner Mutter ab und lief aus dem Zimmer.

 

»Du hättest mich wecken können«, sagte Ron mit saurer Miene.

»Komm doch heute Nacht mit, ich will dir den Spiegel zeigen.«

 


 

 

»Ich würde gern deine Mum und deinen Dad sehen«, sagte Ron begeistert.

»Und ich will deine Familie sehen, alle Weasleys, du kannst mir deine anderen Brüder zeigen und überhaupt alle.«

»Die kannst du jederzeit sehen«, sagte Ron. »Komm mich einfach diesen Sommer besuchen. Außerdem zeigt er vielleicht nur die Toten. Schade jedenfalls, dass du nichts über Flamel herausgefunden hast. Nimm doch von dem Schinken, warum isst du eigentlich nichts?«

Harry konnte nichts essen. Er hatte seine Eltern gesehen und würde sie heute Nacht wieder sehen. Flamel hatte er fast vergessen. Das schien ihm nicht mehr besonders wichtig. Wen kümmerte es, was, der dreiköpfige Hund bewachte? War es im Grunde nicht gleichgültig, wenn Snape es stahl?

»Geht's dir gut?«, fragte Ron. »Du guckst so komisch.«

 

Wovor Harry wirklich am meisten Angst hatte, war, den Raum mit dem Spiegel nicht mehr zu finden. Weil Ron in dieser Nacht auch noch unter dem Umhang steckte, mussten sie langsamer gehen. Sie versuchten Harrys Weg von der Bibliothek aus wieder zu finden und zogen fast eine Stunde lang durch die dunklen Korridore.

»Mir ist kalt«, sagte Ron. »Vergessen wir's und gehen wie- der ins Bett.«

»Nein!«, zischte Harry. »Ich weiß, dass er irgendwo hier ist.«

Sie kamen am Geist einer großen Hexe vorbei, die in die andere Richtung unterwegs war, doch sonst sahen sie niemanden. Gerade als Ron anfing zu klagen, ihm sei eiskalt an den Füßen, entdeckte Harry die Rüstung.

»Es ist hier, genau hier, ja!«

Sie stießen die Tür auf Harry ließ den Umhang von den Schultern gleiten und rannte zum Spiegel.

 


 

 

Da waren sie. Mutter und Vater strahlten ihn an.

»Siehst du?«, flüsterte Harry.



»Ich seh gar nichts.«

»Sieh doch mal! Schau sie dir an ... da sind so viele ...«

»Ich seh nur dich.«

»Du musst richtig hinsehen, komm her, stell dich neben mich.«

Harry trat einen Schritt zur Seite, doch zusammen mit Ron vor dem Spiegel konnte er seine Familie nicht mehr sehen, nur noch Ron in seinem Schlafanzug.

Ron jedoch blickte wie gebannt auf sein Spiegelbild.

»Schau doch mal!«, sagte er.

»Kannst du deine ganze Familie um dich herum sehen?«

»Nein, ich bin allein, aber ich sehe anders aus, älter, und ich bin Schulsprecher«

»Was?«

»Ich bin ... ich trage ein Abzeichen wie früher Bill, und ich halte den Hauspokal und den Quidditch-Pokal in den Händen, und ich bin auch noch Mannschaftskapitän!«

Ron konnte kaum den Blick von dieser phantastischen Aussicht lassen.

»Glaubst du, dass dieser Spiegel die Zukunft zeigt?«

»Wie sollte er? Meine ganze Familie ist tot, lass mich noch mal sehen -«

»Du hast ihn gestern Nacht für dich alleine gehabt, lass mir ein wenig mehr Zeit.«

»Du hältst doch bloß den Quidditch-Pokal, was soll daran interessant sein? Ich will meine Eltern sehen.«

»Hör auf, mich zu schubsen!«

Ein plötzliches Geräusch draußen im Gang setzte ihrer Streiterei ein Ende. Sie hatten nicht bemerkt, wie laut sie sprachen.

 


 

 

»Schnell!«

Ron warf den Umhang über sie beide und in diesem Au- genblick huschten die leuchtenden Augen von Mrs. Norris durch die Tür. Ron und Harry standen mucksmäuschenstill und beide stellten sich dieselbe Frage - wirkte der Umhang auch bei Katzen? Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch dann wandte sie sich um und verschwand.

»Wir sind hier nicht mehr sicher, vielleicht ist sie zu Filch gelaufen, ich wette, sie hat uns gehört. Los, komm.«

Und Ron zog Harry hinaus.

 

Am nächsten Morgen war der Schnee noch nicht geschmolzen

»Hast du Lust auf Schach, Harry?«, fragte Ron.

»Nein.«

»Wie wär's, wenn wir runtergehen und Hagrid besuchen

»Nein ... du kannst ja gehen ...«

»Ich weiß, was dir im Kopf rumgeht, Harry, dieser Spiegel.

Bleib heute Nacht lieber hier.«

»Warum?«

»Ich weiß nicht, ich hab nur ein schlechtes Gefühl dabei - und außerdem bist du jetzt schon zu oft nur um Haaresbreite entkommen. Filch, Snape und Mrs. Norris streifen im Schloss umher. Sie können dich zwar nicht sehen, aber was ist, wenn sie einfach in dich reinlaufen? Was, wenn du etwas umstößt?«

»Du hörst dich an wie Hermine.«

»Mir ist es ernst, Harry, geh nicht.«

Doch Harry hatte nur einen Gedanken im Kopf, nämlich zum Spiegel zurückzukehren. Und Ron würde ihn nicht aufhalten.

 


 

 

In dieser dritten Nacht fand er den Weg schneller als zuvor. Er rannte und wusste, dass er unvorsichtig laut war, doch er begegnete niemandem.

Und da waren seine Mutter und sein Vater wieder. Sie lächelten ihn an und einer seiner Großväter nickte glücklich mit dem Kopf, Harry sank vor dem Spiegel auf den Boden. Nichts würde ihn davon abhalten, die ganze Nacht über bei seiner Familie zu bleiben - nichts in der Welt.

Außer -

»Nun, wieder da, Harry?«

Harry kam sich vor, als ob sein Inneres zu Eis erstarrt wäre. Er wandte sich um. Auf einem der Tische an der Wand saß niemand anderer als Albus Dumbledore. Harry musste einfach an ihm vorbeigelaufen sein, so begierig, zum Spiegel zu gelangen, dass er ihn nicht bemerkt hatte.

»Ich - ich hab Sie nicht gesehen, Sir«

»Merkwürdig, wie kurzsichtig man werden kann, wenn man unsichtbar ist«, sagte Dumbledore, und Harry war erleichtert, als er ihn lächeln sah.

»Nun«, sagte Dumbledore und glitt vom Tisch herunter, um sich neben Harry auf den Boden zu setzen, »wie hunderte Menschen vor dir hast du die Freuden des Spiegels Nerhegeb entdeckt.«

»Ich wusste nicht, dass er so heißt, Sir.«

»Aber ich denke, du hast inzwischen erkannt, was er tut?«

»Er - naja - er zeigt mir meine Familie -«

»Und er hat deinen Freund Ron als Schulsprecher gezeigt.«

»Woher wissen Sie -?«

»Ich brauche keinen Umhang, um unsichtbar zu werden«, sagte Dumbledore sanft. »Nun, kannst du dir denken, was der Spiegel Nerhegeb uns allen zeigt?«

 


 

 

Harry schüttelte den Kopf.

»Dann lass es mich erklären. Der glücklichste Mensch auf der Erde könnte den Spiegel Nerhegeb wie einen ganz normalen Spiegel verwenden, das heißt, er würde in den Spiegel schauen und sich genau so sehen, wie er ist. Hilft dir das weiter?«

Harry dachte nach. Dann sagte er langsam: »Er zeigt uns, was wir wollen ... was immer wir wollen ...«

»Ja und nein«, sagte Dumbledore leise. »Er zeigt uns nicht mehr und nicht weniger als unseren tiefsten, verzweifeltsten Herzenswunsch. Du, der du deine Familie nie kennen gelernt hast, siehst sie hier alle um dich versammelt. Ronald Weasley, der immer im Schatten seiner Brüder gestanden hat, sieht sich ganz alleine, als bester von allen. Allerdings gibt uns dieser Spiegel weder Wissen noch Wahrheit. Es gab Menschen, die vor dem Spiegel dahingeschmolzen sind, verzückt von dem, was sie sahen, und andere sind wahnsinnig, geworden, weil sie nicht wussten, ob ihnen der Spiegel etwas Wirkliches oder auch nur etwas Mögliches zeigte.

Der Spiegel kommt morgen an einen neuen Platz, Harry, und ich bitte dich, nicht mehr nach ihm zu suchen. Du kennst dich jetzt aus, falls du jemals auf ihn stoßen solltest. Es ist nicht gut, wenn wir nur unseren Träumen nachhängen und vergessen zu leben, glaub mir. Und nun, wie wär's, wenn du diesen beeindruckenden Umhang wieder anziehst und ins Bett verschwindest?«

Harry stand auf.

»Sir, Professor Dumbledore? Darf ich Sie etwas fragen?«

»Nun hast du ja eine Frage schon gestellt«, sagte Dumble- dore lächelnd. »Du darfst mich aber noch etwas fragen.«

»Was sehen Sie, wenn Sie in den Spiegel schauen?«

»Ich? Ich sehe mich dastehen, ein Paar dicke Wollsocken in der Hand haltend.«


 

 

Harry starrte ihn an.

»Man kann nie genug Socken haben«, sagte Dumbledore.

»Wieder einmal ist ein Weihnachtsfest vergangen, ohne dass ich ein einziges Paar Socken bekommen habe. Die Leute meinen dauernd, sie müssten mir Bücher schenken.«

Erst als Harry wieder im Bett lag, kam ihm der Gedanke, dass Dumbledore vielleicht nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte. Doch zugegeben, dachte er und schubste Krätze von seinem Kopfkissen, es war doch eine recht persönliche Frage.

 


 

 

Nicolas Flamel

 

Dumbledore hatte Harry davon überzeugt, besser nicht mehr nach dem Spiegel Nerhegeb zu suchen, und die restlichen Tage der Weihnachtsferien blieb der Tarnumhang zusammengefaltet auf dem Boden seines großen Koffers. Harry wünschte sich, er könnte genauso leicht das, was er im Spiegel gesehen hatte, aus seinem Innern räumen, doch das gelang ihm nicht. Allmählich bekam er Alpträume. Immer und immer wieder träumte er davon, wie seine Eltern in einem Blitz grünen Lichts verschwanden, während eine hohe Stimme gackernd lachte.

»Siehst du, Dumbledore hatte Recht, dieser Spiegel könnte dich in den Wahnsinn treiben«, sagte Ron, als Harry ihm von diesen Träumen erzählte.

Hermine, die am letzten Ferientag zurückkam, sah die 1

)Inge ganz anders. Sie schwankte zwischen Entsetzen und Enttäuschung. Entsetzen bei dem Gedanken, dass Harry Drei Nächte nacheinander aus dem Bett geschlüpft war und das Schloss durchstreift hatte (»Wenn Filch dich erwischt hätte«), und Enttäuschung darüber, dass er nicht wenigstens herausgefunden hatte, wer Nicolas Flamel war.

Sie hatten schon fast die Hoffnung aufgegeben, Flamel jemals in einem Bibliotheksband zu finden, auch wenn Harry sich immer noch sicher war, dass er den Namen irgendwo gelesen hatte. Nach dem Ende der Ferien fingen sie wieder an zu suchen und in den Zehn-Minuten-Pausen die Bücher durchzublättern. Harry hatte sogar noch wem-


 

 

ger Zeit als die andern, denn auch das Quidditch-Training hatte wieder begonnen.

Wood forderte die Mannschaft härter denn je. Selbst der Dauerregen, der nach dem Schnee eingesetzt hatte, konnte seine Begeisterung nicht dämpfen. Die Weasleys beschwerten sich, Wood sei vom Quidditch geradezu besessen, doch Harry war auf Woods Seite. Sollten sie ihr nächstes Spiel gegen Hufflepuff gewinnen, würden sie zum ersten Mal in sieben Jahren Slytherin in der Hausmeisterschaft überholen. Abgesehen davon, dass er gewinnen wollte, stellte Harry fest, dass er weniger Alpträume hatte, wenn er nach dem Training erschöpft war.

Eines Tages, während einer besonders nassen und schlam- migen Trainingsstunde, hatte Wood der Mannschaft eine schlechte Nachricht mitzuteilen. Gerade war er sehr zornig geworden wegen der Weasleys, die immerzu im Sturzflug aufeinander zurasten und so taten, als stürzten sie von ihren Besen.

»Hört jetzt endlich auf mit dem Unfug!«, rief er. »Genau wegen so was verlieren wir noch das Spiel! Diesmal macht Snape den Schiedsrichter, und dem wird jede Ausrede recht sein, um Gryffindor Punkte abzuziehen.«

George Weasley fiel bei diesen Worten wirklich vom Besen.

»Snape ist Schiedsrichter?«, prustete er durch einen Mund voll Schlamm. »Wann hat der denn jemals ein Quidditch-Spiel gepfiffen? Er wird nicht mehr fair sein, falls wir die Slytherins überholen können.«

Die anderen Spieler landeten neben George und beschwerten sich ebenfalls.

»Ich kann doch nichts dafür«, sagte Wood. »Wir müssen einfach aufpassen, dass wir ein sauberes Spiel machen und Snape keinen Grund liefern, uns eins auszuwischen.«

 


 

 

Schön und gut, dachte Harry, doch er hatte noch einen Grund, warum er Snape beim Quidditch lieber nicht in seiner Nähe haben wollte ...

Wie immer nach dem Training blieben die anderen Spieler noch eine Weile beisammen und unterhielten sich, doch Harry machte sich gleich wieder auf den Weg in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors, wo er Ron und Hermine beim Schachspiel fand. Schach war das Einzige, bei dem Hermine immer verlor, und Harry und Ron waren der Meinung, das könne ihr nur gut tun.

»Sei mal einen Augenblick ruhig«, sagte Ron, als Harry sich neben ihn setzte. »Ich muss mich konzen -« Dann sah er Harrys Gesicht. »Was ist denn mit dir los? Du siehst ja furchtbar aus.«

Mit leiser Stimme, damit ihn niemand im Umkreis hören konnte, berichtete Harry den beiden von Snapes plötzlichem und finsterem Wunsch, ein Quidditch-Schiedsrichter zu sein.

»Spiel nicht mit«, sagte Hermine sofort.

»Sag, dass du krank bist«, meinte Ron.

»Tu so, als ob du dir das Bein gebrochen hättest«, schlug Hermine vor.

»Brich dir das Bein wirklich«, sagte Ron.

»Das geht nicht«, sagte Harry. »Wir haben keinen Reserve- Sucher. Wenn ich passe, kann Gryffindor überhaupt nicht spielen.«

In diesem Moment stürzte Neville kopfüber in den Gemeinschaftsraum. Wie er es geschafft hatte, durch das Porträt- loch zu klettern, war ihnen schleierhaft, denn seine Beine waren zusammengeklemmt, und sie erkannten sofort, dass es der Beinklammer-Fluch sein musste. Offenbar war er den ganzen Weg hoch in den Gryffindor-Turm gehoppelt wie ein Hase.

 


 

 

Allen war nach Lachen zumute, außer Hermine, die auf- sprang und den Gegenfluch sprach. Nevilles Beine sprangen auseinander und zitternd rappelte er sich hoch.

»Was ist passiert?«, fragte ihn Hermine und schleppte ihn hinüber zu Harry und Ron, wo er sich setzte.

»Malfoy«, sagte Neville mit zitternder Stimme. »Ich hab ihn vor der Bibliothek getroffen. Er sagte, er würde nach jemandem suchen, bei dem er diesen Fluch üben könnte.«

»Geh zu Professor McGonagall!«, drängte ihn Hermine.

»Sag es ihr!«

Neville schüttelte den Kopf.

»Ich will nicht noch mehr Schwierigkeiten«, murmelte er.

»Du musst dich gegen ihn wehren, Neville!«, sagte Ron. »Er ist daran gewöhnt, auf den Leuten herumzutrampeln, aber das ist noch kein Grund, sich vor ihn hinzulegen und es ihm noch leichter zu machen.«

»Du brauchst mir nicht zu sagen, dass ich nicht mutig genug bin für Gryffindor, das hat Malfoy schon getan«, schluchzte er.

Harry durchwühlte die Taschen seines Umhangs und zog einen Schokofrosch hervor, den allerletzten aus der Schachtel, die Hermine ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Er gab ihn Neville, der kurz davor schien, in Tränen auszubrechen.

»Du bist ein Dutzend Malfoys wert«, sagte Harry. »Der Sprechende Hut hat dich für Gryffindor ausgewählt, oder? Und wo ist Malfoy? Im stinkigen Slytherin.«

Nevilles Lippen zuckten für ein schwaches Lächeln, als er den Frosch auspackte.

»Danke, Harry ... Ich glaub, ich geh ins Bett ... Willst du die Karte? Du sammelst die doch, oder?«

Neville ging hinaus und Harry sah sich die Sammelkarte der berühmten Zauberer an.

 


 

 

»Schon wieder Dumbledore«, sagte er. »Er war der Erste, den ich -«

Ihm stockte der Atem. Er starrte auf die Rückseite der Karte. Dann sah er Ron und Hermine an.

"Ich hab ihn gefunden!«, flüsterte er. »Ich hab Flamel ge- funden! Hab euch doch gesagt, dass ich den Namen schon mal irgendwo gelesen hab. Es war im Zug hierher. Hört mal:

>Professor Dumbledores Ruhm beruht vor allem auf Sieg über den schwarzen Magier Grindelwald im Jahre 1945, auf der Entdeckung der sechs Anwendungen für Drachenmilch und auf seinem Werk über Alchemie, verfasst zusammen mit seinem Partner Nicolas Flamel.<!«

Hermine sprang auf. Seit sie die Noten für die ersten Haus- aufgaben bekommen hatte, war sie nicht mehr so begeistert gewesen.

»Wartet hier!«, sagte sie und rannte die Stufen zu den Mädchenschlafsälen hoch. Harry und Ron hatten kaum Zeit, sich ratlose Blicke zuzuwerfen, als sie schon wieder die Treppe heruntergeflogen kam, ein riesiges altes Buch in den Armen.

»Ich hab einfach nicht daran gedacht, hier drin nachzu- schauen«, flüsterte sie erregt. »Das hab ich schon vor Wochen aus der Bibliothek ausgeliehen, leichte Lektüre.«

»Leicht?«, sagte Ron, doch Hermine hieß ihn, still zu sein, bis sie etwas nachgeschaut hatte, und begann, vor sich hin murmelnd, hastig die Seiten durchzublättern.

Endlich fand sie, was sie gesucht hatte.

»Ich hab's gewusst! Ich hab's gewusst!«

»Ist es uns jetzt erlaubt zu sprechen?«, sagte Ron brummig.

Hermine überhörte ihn.

»Nicolas Flamel«, flüsterte sie aufgeregt, »ist der einzige bekannte Hersteller des Steins der Weisen!«

Das hatte nicht ganz die von ihr erwartete Wirkung.

 


 

 

»Des was?«, fragten Harry und Ron.

»Ach, nun hört mal, lest ihr beiden eigentlich nie? Seht her, lest das hier.«

Sie schob ihnen das Buch zu und Harry und Ron lasen:

 

Die alte Wissenschaft der Alchemie befasst sich mit der Herstellung des Steins der Weisen, eines sagenhaften Stoffes mit erstaunlichen Kräften. Er verwandelt jedes Metall in reines Gold. Auch zeugt er das Elixier des Lebens, welches den, der es trinkt, unsterblich macht.

Im Laufe der Jahrhunderte gab es viele Berichte über den Stein der Weisen, doch der einzige Stein, der heute existiert, gehört Mr. Nicolas Flamel, dem angesehenen Alchemisten und Opernliebhaber. Mr. Flamel, der im letzten Jahr seinen sechshundertundfünfundsechzigsten Geburtstag feierte, erfreut sich eines ruhigen Lebens in Devon, zusammen mit seiner Frau Perenelle (sechshundertundachtundfünzig).

 

»Seht ihr?«, sagte Hermine, als Harry und Ron zu Ende ge- lesen hatten. »Der Hund muss Flamels Stein der Weisen bewachen! Ich wette, Flamel hat Dumbledore gebeten, ihn sicher aufzubewahren, denn sie sind Freunde und er wusste, dass jemand hinter dem Stein her ist. Deshalb wollte er ihn aus Gringotts herausschaffen!«

»Ein Stein, der Gold erzeugt und dich nie sterben lässt«, sagte Harry. »Kein Wunder, dass Snape hinter ihm her ist! jeder würde ihn haben wollen.«

»Und kein Wunder, dass wir Flamel nicht in den jüngeren Entwicklungen in der Zauberei gefunden haben«, sagte Ron. »Er ist nicht gerade der jüngste, wenn er sechshundertfünfundsechzig ist, oder?«

Am nächsten Morgen, während sie in Verteidigung gegen die dunklen Künste die verschiedenen Möglichkeiten, Wer-

 


 

 

wolfbisse zu behandeln, von der Tafel abschrieben, sprachen Harry und Ron immer noch darüber, was sie mit einem der Weisen anfangen würden, wenn sie einen hätten.

Erst als Ron sagte, er würde sich seine eigene Quidditch- mannschaft kaufen, fiel Harry die Sache mit Snape und dem kommenden Spiel wieder ein.

»Ich werde spielen«, sagte er Ron und Hermine. »Wenn nicht, denken alle Slytherins, ich hätte Angst, es mit Snape auf- zunehmen. Ich werd's ihnen zeigen ... das wird ihnen das Grinsen vom Gesicht wischen, wenn wir gewinnen.«

»Solange wir dich nicht vom Spielfeld wischen müssen«, sagte Hermine.

 

Je näher jedoch das Spiel rückte, desto nervöser wurde Harry, und mochte er noch so aufschneiderisch vor Ron und Hermine getan haben. Die anderen Spieler waren auch nicht ge- rade gelassen. Die Vorstellung, sie könnten Slytherin in der Hausmeisterschaft überholen, war traumhaft, denn seit fast sieben Jahren hatte das keine Mannschaft mehr geschafft, doch würde ein so parteiischer Schiedsrichter das zulassen?

Harry wusste nicht, ob er es sich nur einbildete, doch ständig und überall lief er Snape über den Weg. Manchmal fragte er sich sogar, ob Snape ihm vielleicht folgte und versuchte, ihn irgendwo allein zu erwischen. Die Zaubertrankstunden wurden allmählich zu einer Art wöchentlicher Folter, so gemein war Snape zu Harry. Konnte Snape denn eigentlich wissen, dass sie die Geschichte mit dem Stein der Weisen herausgefunden hatten? Harry konnte sich das nicht vorstellen - doch manchmal hatte er das fürchterliche Gefühl, Snape könne Gedanken lesen.

 

Am folgenden Nachmittag wünschten ihm Ron und Hermine viel Glück für das Spiel und Harry wusste, dass sie

 


 

 

sich fragten, ob sie ihn jemals lebend wieder sehen würden. Das war nicht gerade tröstlich. Während Harry seinen Quidditch- Umhang anzog und seinen Nimbus Zweitausend aufnahm, hörte er kaum etwas von den ermutigenden Worten Woods.

Ron und Hermine hatten inzwischen einen Platz auf den Rängen gefunden, neben Neville, der nicht verstand, warum sie so grimmig und besorgt aussahen und warum sie ihre Zauberstäbe zum Spiel mitgebracht hatten. Harry hatte keine Ahnung, dass Ron und Hermine insgeheim den Beinklammer- Fluch geübt hatten. Auf die Idee gebracht hatte sie Malfoy, der ihn an Neville ausprobiert hatte, und nun waren sie bereit, ihn Snape auf den Hals zu jagen, wenn er auch nur die geringsten Anstalten machte, Harry zu schaden.

»Also, nicht vergessen, es heißt Locomotor Mortis«, mur- melte Hermine, während Ron seinen Zauberstab den Ärmel hochschob.

»Ich weiß«, fauchte Ron. »Nerv mich nicht.«

Unten in der Umkleidekabine hatte Wood Harry zur Seite genommen.

»Ich will dich j« a nicht unter Druck setzen, Potter, aber wenn wir je einen schnellen Schnatz-Fang gebraucht haben, dann jetzt. Bring das Spiel unter Dach und Fach, bevor Snape anfangen kann, die Hufflepuffs zu übervorteilen.«

»Dort draußen ist die ganze Schule!«, sagte Fred Weasley, der durch die Tür hinausspähte. »Sogar - mein Gott - Dumbledore ist gekommen!«

Harrys Herz überschlug sich.

»Dumbledore?«, sagte er und stürzte zur Tür, um ihn mit eigenen Augen zu sehen. Fred hatte Recht. Dieser silberne Bart konnte nur Dumbledore gehören.

Harry hätte vor Erleichterung laut auflachen können.

 


 

 

Nun war er sicher. Snape würde jetzt, da Dumbledore zusah, nicht einmal den Versuch wagen, ihm etwas anzutun.

Vielleicht sah Snape deshalb so wütend aus, als die Mann- schaften auf das Spielfeld liefen. Auch Ron hatte das bemerkt.

»Ich hab Snape noch nie so böse gucken sehen«, erklärte er Hermine. »Schau - weg sind sie. Autsch!«

Jemand hatte Ron gegen den Hinterkopf gestoßen. Es war Malfoy.

»Oh, tut mir Leid, Weasley, hab dich gar nicht gesehen.« Mit breitem Grinsen sah Malfoy Crabbe und Goyle an.

»Frag mich, wie lange Potter sich diesmal auf seinem hält?

Will jemand wetten? Wie wär's mit dir, Weasley?«

Ron antwortete nicht; Snape hatte Hufflepuff gerade einen Strafwurf zugesprochen, weil George Weasley einen von ihnen mit einem Klatscher getroffen hatte. Hermine, die alle Finger im Schoß gekreuzt hatte, schaute mit zusammengezogenen Augenbrauen unablässig Harry nach, der wie ein Falke über dem Spiel kreiste und Ausschau nach dem Schnatz hielt.

»Weißt du eigentlich, wie sie die Leute für die Gryffindor Mannschaft aussuchen?«, sagte Malfoy ein paar Minuten später mit lauter Stimme, als Snape den Hufflepuffs schon wieder einen Strafwurf zusprach, diesmal ganz ohne Grund. »Sie nehmen Leute, die ihnen Leid tun. Seht mal, da ist Potter, der keine Eltern hat, dann die Weasleys, die kein Geld haben - du solltest auch in der Mannschaft sein, Longbottom, du hast kein Hirn.«

Neville wurde hellrot, drehte sich jedoch auf seinem Platz herum und sah Malfoy ins Gesicht.

»Ich bin ein Dutzend von deinesgleichen wert, Malfoy«, stammelte er.

 


 

 

Malfoy, Crabbe und Goyle heulten laut auf vor Lachen, doch Ron, der immer noch nicht die Augen vom Spiel abzuwenden wagte, sagte: »Gib's ihm, Neville.«

»Longbottom, wenn Hirn Gold wäre, dann wärst du ärmer als Weasley, und das will was heißen.«

Rons Nerven waren wegen der Angst um Harry ohnehin schon zum Zerreißen gespannt.

»Ich warne dich, Malfoy, noch ein Wort -«

»Ron!«, sagte Hermine plötzlich, »Harry -!«

»Was? wo?«

Harry war überraschend in einen atemberaubenden Sturzflug gegangen, und ein Stöhnen und jubeln drang aus der Menge. Hermine stand auf, die gekreuzten Finger im Mund, und Harry schoss wie eine Kugel in Richtung Boden.

»Du hast Glück, Weasley, Potter hat offenbar Geld auf dem Boden herumliegen sehen!«, sagte Malfoy.

Das war zu viel für Ron. Bevor Malfoy wusste, wie ihm geschah, war Ron schon auf ihm und drückte ihn zu Boden. Neville zögerte erst, dann kletterte er über seine Sitzlehne, um Ron zu helfen.

»Los, Harry!<x, schrie Hermine und sprang auf ihren Sitz, um zu sehen, wie Harry direkt auf Snape zuraste - sie bemerkte nicht einmal, dass Malfoy und Ron sich unter ihrem Sitz wälzten, und auch nicht das Stöhnen und Schreien, das aus dem Knäuel drang, das aus Neville, Crabbe und Goyle bestand.

Oben in der Luft riss Snape seinen Besen gerade rechtzeitig herum, um etwas Scharlachrotes an ihm vorbeischießen zu sehen, das ihn um Zentimeter verfehlte - im nächsten Moment hatte Harry seinen Besen wieder in die Waagrechte gebracht; den Arm triumphierend in die Höhe gestreckt, hielt er den Schnatz fest in der Hand.


 

 

Die Zuschauer tobten; das musste ein Rekord sein, niemand konnte sich erinnern, dass der Schnatz jemals so schnell gefangen worden war.

»Ron! Ron! Wo bist du? Das Spiel ist aus! Harry hat ge- wonnen! Wir haben gewonnen! Gryffindor liegt in Führung!«, schrie Hermine, tanzte auf ihrem Sitz herum und umarmte Parvati Patil in der Reihe vor ihr.

Harry sprang einen Meter über dem Boden von seinem Er konnte es nicht glauben. Er hatte es geschafft - das Spiel war zu Ende; es hatte kaum fünf Minuten gedauert. Gryffindors kamen aufs Spielfeld gerannt, und ganz in der Nähe sah er Snape landen, mit weißem Gesicht und zusammengekniffenen Lippen - dann spürte Harry eine Hand auf der Schulter und er sah hoch in das lächelnde Gesicht von Dumbledore.

»Gut gemacht«, sagte Dumbledore leise, so dass nur Harry es hören konnte. »Schön, dass du nicht diesem Spiegel nachhängst ... hattest was Besseres zu tun ... vortrefflich ...«

Snape spuckte mit verbittertem Gesicht auf den Boden.

 

Einige Zeit später verließ Harry allein den Umkleideraum, um seinen Nimbus Zweitausend zurück in die Besenkammer zu stellen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals glücklicher gewesen zu sein. Nun hatte er wirklich etwas getan, auf das er stolz sein durfte - keiner konnte jetzt mehr sagen, er hätte nur einen berühmten Namen. Die Abendluft hatte noch nie so süß gerochen. Er ging über das feuchte Gras und sah noch einmal, wie durch einen Schleier von Glück, die letzte Stunde: die Gryffindors, die herbeigerannt kamen, um ihn auf die Schultern zu nehmen; in der Ferne Hermine, die in die Luft sprang, und Ron, der ihm mit blutverschmierter Nase zujubelte.


Date: 2015-12-11; view: 680


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