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Duell um Mitternacht

Harry hätte sich nicht träumen lassen, dass er je auf einen jungen stoßen würde, den er mehr hasste als Dudley bis er Draco Malfoy kennen lernte. Ein Glück, dass die Erstklässler von Gryffindor nur die Zaubertrankstunden gemeinsam mit den Slytherins hatten und sie sich deshalb nicht allzu lange mit Malfoy abgeben mussten. Wenigstens taten sie es nicht, bis sie am schwarzen Brett ihres Aufenthaltsraumes eine Notiz bemerkten, die sie alle aufstöhnen ließ. Die Flugstunden würden am Donnerstag beginnen. Und Gryffindor und Slytherin sollten zusammen Unterricht haben.

»Das hat mir gerade noch gefehlt«, sagte Harry mit düsterer Stimme. »Genau das, was ich immer wollte. Mich vor den Augen Malfoys auf einem Besen lächerlich machen.«

Auf das Fliegenlernen hatte er sich mehr gefreut als auf alles andere.

»Du weißt doch noch gar nicht, ob du dich lächerlich machst«, sagte Ron vernünftigerweise. »jedenfalls weiß ich, dass Malfoy immer damit protzt, wie gut er im Quidditch ist, aber ich wette, das ist alles nur Gerede.«

Malfoy sprach in der Tat ausgiebig vom Fliegen. Er beklagte sich lauthals, dass die Erstklässler es nie schafften, in eines der Quidditch-Teams aufgenommen zu werden, und erzählte langatmige Geschichten, die immer damit zu enden schienen, dass er um Haaresbreite irgendwelchen

 


 

 

Muggeln in Hubschraubern entkommen war. Allerdings war er nicht der Einzige: Seamus Finnigan jedenfalls ließ durchblicken, dass er den größten Teil seiner Kindheit damit verbracht habe, auf einem Besen übers Land zu brausen. Selbst Ron erzählte jedem, der es hören wollte, wie er auf Charlies altem Besen einmal fast mit einem Drachenflieger zusammengestoßen sei. Alle Schüler aus Zaubererfamilien redeten ständig über Quidditch. Mit Dean Thomas, der auch in ihrem Schlafsaal war, hatte sich Ron bereits einen heftigen Streit über Fußball geliefert. Ron konnte einfach nicht einsehen, was so spannend sein sollte .in einem Spiel mit nur einem Ball, bei dem es nicht erlaubt war zu fliegen. Harry hatte Ron dabei erwischt, wie er vor Deans Poster von dessen Lieblingsfußballmannschaft stand und die Spieler anfeuerte, sich doch endlich zu bewegen.

Neville wiederum hatte noch nie einen Besen bestiegen. Seine Großmutter wollte ihn nicht einmal in die Nähe eines solchen Fluggeräts lassen. Harry gab ihr im Stillen Recht, denn Neville schaffte es sogar, mit beiden Füßen fest auf dem Boden eine erstaunliche Zahl von Unfällen zu erleiden.

Fast so nervös wie Neville, wenn es ans Fliegen ging, war Hermine Granger. Fliegen war etwas, was man nicht aus einem Buch auswendig lernen konnte - nicht, dass sie es nicht versucht hätte. Beim Frühstück am Donnerstaginorgen langweilte sie alle mit dummen Flugtipps, die sie in einem Bibliotheksband namens Quidditch im Wandel der Zeiten gefunden hatte. Neville hing ihr an den Lippen, begicrig auf alles, was ihm nachher helfen könnte, auf dem Besen zu bleiben, doch alle anderen waren erleichtert, als die Ankunft der Post Hermines Vorlesung unterbrach.



Seit Hagrids Einladung hatte Harry keinen einzigen Brief mehr bekommen, was Malfoy natürlich schnell be-

 


 

 

merkt hatte. Malfoys Adlereule brachte ihm immer Päckchen mit Süßigkeiten von daheim, die er am Tisch der Slytherins genüsslich auspackte.

Eine Schleiereule brachte Neville ein kleines Päckchen von seiner Großmutter. Er öffnete es ganz aufgeregt und zeigte den andern eine Glaskugel, die einer großen Murmel ähnelte und offenbar mit weißem Rauch gefüllt war.

»Ein Erinnermich«, erklärte er. »Oma weiß, dass ich ständig alles vergesse. Das Ding hier sagt einem, ob es etwas gibt, was man zu tun vergessen hat. Schaut mal, ihr schließt es ganz fest in die Hand, und wenn es rot wird - oh ... « Er schaute betreten drein, denn das Erinnermich erglühte im Nu scharlachrot, »... dann habt ihr etwas vergessen ... «

Neville war gerade damit beschäftigt, sich daran zu erinnern, was er vergessen hatte, als Draco Malfoy am Tisch der Gryffindors vorbeiging und ihm das Erinnermich aus der Hand riss.

Harry und Ron sprangen auf Insgeheim hofften sie, einen Grund zu finden, um sich mit Malfoy schlagen zu können, doch Professor McGonagall, die schneller als alle anderen Lehrer der Schule spürte, wenn es Ärger gab, stand schon vor ihnen.

»Was geht hier vor?«

»Malfoy hat mein Erinnermich, Frau Professor.«

Mit zornigem Blick ließ Malfoy das Erinnermich rasch wieder auf den Tisch fallen.

»Wollte nur mal sehen«, sagte er und trottete mit Crabbe und Goyle im Schlepptau davon.

 

An diesem Nachmittag um halb vier rannten Harry, Ron und die anderen Gryffindors über die Vordertreppe hinaus auf das Schlossgelände, wo die erste Flugstunde stattfinden sollte. Es war ein klarer, ein wenig windiger Tag, und das

 


 

 

Gras wellte sich unter ihren Füßen, als sie den sanft abfallenden Hang zu einem flachen Stück Rasen auf der gegenüberliegenden Seite des verbotenen Waldes hinuntergingen, dessen Bäume in der Ferne dunkel wogten.

Die Slytherins waren schon da, und auch, fein säuberlich aneinander gereiht auf dem Boden liegend, zwanzig Besen. Harry hatte gehört, wie Fred und George Weasley sich über die Schulbesen mokierten. Manche davon fingen an zu vibrieren, wenn man zu hoch flog, oder bekamen einen Drall nach links.

jetzt erschien Madam Hooch, ihre Lehrerin. Sie hatte kurzes, graues Haar und gelbe Augen wie ein Falke.

»Nun, worauf wartet ihr noch?«, blaffte sie die Schüler an.

»jeder stellt sich neben einem Besen auf. Na los, Beeilung.«

Harry sah hinunter auf seinen Besen. Es war ein altes Modell und einige der Reisigzweige waren kreuz und quer abgespreizt.

»Streckt die rechte Hand über euren Besen aus«, rief Madam Hooch, die sich vor ihnen aufgestellt hatte, »und sagt >Hoch!<.«

»HOCH!«, riefen alle.

Harrys Besen sprang sofort hoch in seine Hand, doch er war nur einer von wenigen, bei denen es klappte. Der Besen von Hermine Granger hatte sich einfach auf dem Boden umgedreht und der Nevilles hatte sich überhaupt nicht gerührt. Vielleicht spürten Besen wie Pferde, wenn man Angst hatte, dachte Harry. In Nevilles Stimme lag ein Zittern, das nur zu deutlich sagte, dass er mit den Füßen lieber auf dem Boden bleiben wollte.

Madam Hooch zeigte ihnen nun, wie sie die Besenstiele besteigen konnten, ohne hinten herunterzurutschen, und ging die Reihen entlang, um ihre Griffe zu überprüfen.

 


 

 

Harry und Ron freuten sich riesig, als sie Malfoy erklärte, dass er es all die Jahre falsch gemacht habe.

»Passt jetzt auf, Wenn ich pfeife, stoßt ihr euch vom Boden ab, und zwar mit aller Kraft«, sagte Madam Hooch. »Haltet eure Besenstiele gerade, steigt ein paar Meter hoch und kommt dann gleich wieder runter, indem ihr euch leicht nach vorn neigt. Auf meinen Pfiff - drei -zwei -«

Neville jedoch, nervös und aufgeregt und voller Angst, auf dem Boden zurückzubleiben, nahm all seine Kräfte zusammen und stieß sich vom Boden ab, bevor die Pfeife Madam Hoochs Lippen berührt hatte.

»Komm zurück, Junge!«, rief sie. Doch Neville schoss in die Luft wie der Korken aus einer Sektflasche - vier Meter - sieben Meter. Harry sah sein verängstigtes Gesicht auf den entschwindenden Boden blicken, sah ihn die Luft anhalten, seitlich vom Besenstiel gleiten und

WUMM - ein dumpfer Schlag und ein hässliches Knacken, und Neville, ein unförmiges Bündel, lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Gras. Sein Besen stieg immer noch höher und schwebte ganz allmählich zum verbotenen Wald hinüber, wo er verschwand.

Madam Hooch beugte sich über Neville, ihr Gesicht ebenso bleich wie das seine.

»Handgelenk gebrochen«, hörte Harry sie murmeln. »Na komm, Junge, es ist schon gut, steh auf

Keiner von euch rührt sich, während ich diesen jungen in den Krankenflügel bringe! Ihr lasst die Besen, wo sie sind, oder ihr seid schneller aus Hogwarts draußen, als ihr >Quidditch< sagen könnt! Komm, mein Kleiner.«

Neville, mit tränenüberströmtem Gesicht, umklammerte sein Handgelenk und hinkte mit Madam Hooch davon, die ihren Arm um ihn gelegt hatte.

 


 

 


 

aus.


Kaum waren sie außer Sicht, brach Malfoy in lautes Lachen

 

»Habt ihr das Gesicht von diesem Riesentrampel gesehen?« Die anderen Slytherins stimmten in sein Lachen ein.

»Halt den Mund, Malfoy«, sagte Parvati Patil in scharfem


Ton.

»Ooh, machst dich für den Lahmarsch stark?«, sagte Pansy Parkinson, ein Slytherin-Mädchen mit harten Zügen. »Hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet du fette kleine Heulsusen magst, Parvati.«

»Schaut mal«, sagte Malfoy, machte einen Sprung und pickte etwas aus dem Gras. »Das blöde Ding, das die Oma von Lahmarsch ihm geschickt hat.«

Er hielt das Erinnermich hoch und es schimmerte in der Sonne.

»Gib es her, Malfoy«, sagte Harry ruhig. Alle schwiegen mit einem Schlag und richteten die Augen auf die beiden.

Malfoy grinste.

»Ich glaube, ich steck es irgendwohin, damit Lahmarsch es, sich abholen kann - wie wär's mit - oben auf einem Baum?«

»Gib es her!«, schrie Harry. Doch Malfoy war auf seinen Besen gehüpft und hatte sich in die Lüfte erhoben. Gelogen hatte er nicht - fliegen konnte er. Von den obersten Ästen einer Eiche herab rief er: »Komm und hol's dir doch, Potter!«

Harry griff nach seinem Besen.

»Nein«, rief Hermine Granger. »Madam Hooch hat gesagt, wir dürfen uns nicht rühren. - Du bringst uns noch alle in Schwierigkeiten.«

Harry beachtete sie nicht. Blut pochte in seinen Ohren. VT stieg auf den Besen, stieß sich heftig vom Boden ab und

 


 

 

schoss mit wehendem Haar und in der Luft peitschendem Umhang nach oben - und wilde Freude durchströmte ihn, denn er spürte, dass er etwas konnte, was man ihm nicht erst beibringen musste - Fliegen war leicht, Fliegen war toll. Er zog ein wenig an seinem Besenstiel, damit er ihn noch höher trug, und von unten hörte er die Mädchen schreien und seufzen und einen bewundernden Zuruf von Ron.

Er riss den Besen scharf herum, um Malfoy mitten in der Luft zu stellen. Malfoy sah überrascht aus.

»Gib es her«, rief Harry, »oder ich werf dich von deinem Besen runter!«

»Was du nicht sagst?«, entgegnete Malfoy und versuchte ein höhnisches Grinsen. Allerdings sah er ein wenig besorgt aus.

Aus irgendeinem Grund wusste Harry, was zu tun war. Er beugte sich vor, griff den Besenstiel fest mit beiden Händen und ließ ihn auf Malfoy zuschießen wie einen Speer. Malfoy konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen; Harry machte scharf kehrt und hielt den Besenstiel gerade. Unten auf dem Boden klatschten ein paar Schüler in die Hände.

»Kein Crabbe und kein Goyle hier oben, um dich raus- zuhauen, Malfoy!«, rief Harry.

Derselbe Gedanke schien auch Malfoy gekommen zu sein.

»Dann fang's doch, wenn du kannst«, schrie er, warf die Glaskugel hoch in die Luft und sauste hinunter gen Erde.

Harry sah den Ball wie in Zeitlupe hochsteigen und dann immer schneller fallen. Er beugte sich vor und drückte seinen Besenstiel nach unten. - Im nächsten Augenblick war er in steilem Sinkflug, immer schneller hinter der Kugel her - der Wind pfiff ihm um die Ohren, hin und wieder drangen Schreie vom Boden durch - er streckte die Hand

 


 

 

aus einen Meter über dem Boden fing er sie auf, gerade rechtzeitig, um seinen Besenstiel in die Waagrechte zu ziehen, und mit dem Erinnermich sicher in der Faust landete er sanft auf dem Gras.

»HARRY POTTER!«

Das Herz sank ihm wesentlich schneller in die Hose, als er gerade eben für seinen Flug aus luftiger Höhe zurück auf die Erde gebraucht hatte. Mit zitternden Knien stand er auf

»Nie, während meiner ganzen Zeit in Hogwarts -«

Professor McGonagall war fast sprachlos vor Entsetzen und ihre Brillengläser funkelten zornig. »Wie kannst du es wagen, du hättest dir den Hals brechen können -«

»Es war nicht seine Schuld, Professor -«

»Seien Sie still, Miss Patil«

»Aber Malfoy -«

»Genug, Mr. Weasley. Potter, folgen Sie mir, sofort.«

Harry sah noch Malfoys, Crabbes und Goyles triumphierende Gesichter, als er benommen hinter Professor McGonagall hertrottete, die raschen Schritts auf das Schloss

zuging. Er würde von der Schule verwiesen werden, das hatte er im Gefühl. Er wollte etwas sagen, um sich zu ver- teidigen, doch mit seiner Stimme schien etwas nicht zu stimmen. Professor McGonagall eilte voran, ohne ihn auch nur anzublicken; um Schritt zu halten, musste er laufen. Jetzt hatte er es vermasselt. Nicht einmal zwei Wochen lang hatte er es geschafft. In zehn Minuten würde er seine Koffer packen. Was würden die Dursleys sagen, wenn er vor ihrer Tür auftauchte?

Es ging die Vordertreppe hoch, dann die Marmortreppe im Innern des Schlosses, und noch immer sagte Professor Mc- Gonagall kein Wort. Sie riss Türen auf und marschierte Gänge entlang, den niedergeschlagenen Harry im Schlepptau. Vielleicht brachte sie ihn zu Dumbledore. Er dachte an

 


 

 

Hagrid: von der Schule verwiesen, doch als Wildhüter noch geduldet. Vielleicht konnte er Hagrids Gehilfe werden. Ihm drehte es den Magen um, als er sich das vorstellte: Ron und den anderen zusehen, wie sie Zauberer wurden, während er über die Ländereien humpelte mit Hagrids Tasche auf dem Rücken.

Professor McGonagall machte vor einem Klassenzimmer Halt. Sie öffnete die Tür und steckte den Kopf hinein.

»Entschuldigen Sie, Professor Flitwick, könnte ich mir Wood für eine Weile ausleihen?«

Wood?, dachte Harry verwirrt; war Wood ein Stock, den sie für ihn brauchte?

Doch Wood stellte sich als Mensch heraus, als ein stämmiger Junge aus der fünften Klasse, der etwas verdutzt aus Flitwicks Unterricht herauskam.

»Folgt mir, ihr beiden«, sagte Professor McGonagall, und sie gingen weiter den Korridor entlang, wobei Wood Harry neugierige Blicke zuwarf

»Da hinein.«

Professor McGonagall wies sie in ein Klassenzimmer, das leer war, mit Ausnahme von Peeves, der gerade wüste Ausdrücke an die Tafel schrieb.

»Raus hier, Peeves!«, blaffte sie ihn an. Peeves warf die Kreide in einen Mülleimer, der ein lautes Klingen von sich gab, und schwebte fluchend hinaus. Professor McGonagall schlug die Tür hinter ihm zu und musterte die beiden jungen.

»Potter, dies ist Oliver Wood. Wood, ich habe einen Sucher für Sie gefunden.«

Der zuvor noch ratlose Wood schien nun plötzlich hellauf begeistert.

»Meinen Sie das ernst, Professor?«

»Vollkommen ernst«, sagte Professor McGonagall forsch.

 


 

 

»Der Junge ist ein Naturtalent. So etwas habe ich noch nie gesehen. War das Ihr erstes Mal auf einem Besen, Potter?«

Harry nickte schweigend. Er hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging, doch offenbar wurde er nicht von der Schule verwiesen, und allmählich bekam er wieder ein Gefühl in den Beinen.

»Er hat dieses Ding aufgefangen nach einem Fall aus zwanzig Metern«, sagte Professor McGonagall zu Wood gewandt. »Hat sich nicht einmal einen Kratzer geholt. Nicht einmal Charlie Weasley hätte das geschafft.«

Wood guckte, als ob all seine Träume auf einen Schlag wahr geworden wären.

»jemals ein Quidditch-Spiel gesehen, Potter?«, fragte er aufgeregt.

»Wood ist Kapitän der Mannschaft von Gryffindor«, erklärte Professor McGonagall.

»Außerdem hat er genau die richtige Statur für einen Sucher«, sagte Wood, der nun mit prüfendem Blick um Harry herumging. »Leicht, schnell, wir müssen ihm einen anständigen Besen verschaffen, Professor, einen Nimbus Zweitausend oder einen Sauberwisch Sieben, würd ich sagen.«

»Ich werde mit Professor Dumbledore sprechen und zu- sehen, dass wir die Regeln für die Erstklässler etwas zu- rechtbiegen können. Weiß Gott, wir brauchen eine bessere Mannschaft als letztes Jahr. Platt gemacht von Slytherin in dem letzten Spiel - ich konnte Severus Snape wochenlang nicht in die Augen sehen ... «

Professor McGonagall sah Harry mit ernstem Blick über die Brillengläser hinweg an.

»Ich möchte hören, dass Sie hart trainieren werden, Potter, oder ich könnte mir das mit der Bestrafung noch einmal überlegen.«

 


 

 

Dann lächelte sie plötzlich.

»Ihr Vater wäre stolz auf Sie. Er war selbst ein hervorra- gender Quidditch-Spieler.«

 

»Du machst Witze.«

Sie waren beim Abendessen. Harry hatte Ron gerade erzählt, was passiert war, nachdem er mit Professor McGonagall ins Schloss gegangen war. Ron hatte gerade ein Stück Steak mit Nierenpastete auf halbem Weg in den Mund, doch er vergaß völlig zu essen.

»Sucher?«, sagte er. »Aber Erstklässler werden nie - du musst der jüngste Hausspieler seit mindestens -«

»- einem Jahrhundert sein«, sagte Harry und schaufelte sich Pastete in den Mund. Nach der Aufregung am Nachmittag war er besonders hungrig. »Wood hat es mir erzählt.«

Ron war so beeindruckt und aus dem Häuschen, dass er nur dasaß und Harry mit offenem Mund anstarrte.

»Nächste Woche fange ich an zu trainieren«, sagte Harry.

»Aber sag's nicht weiter, Wood will es geheim halten.«

Fred und George kamen jetzt in die Halle, sahen Harry und liefen rasch zu ihm.

»Gut gemacht«, sagte George mit leiser Stimme, »Wood hat es uns erzählt. Wir sind auch in der Mannschaft - als Treiber.«

»Ich sag's euch, dieses Jahr gewinnen wir ganz sicher den Quidditch-Pokal«, meinte Fred. »Seit Charlie weg ist, haben wir nicht mehr gewonnen, aber die Mannschaft von diesem Jahr ist klasse. Du musst wohl ganz gut sein, Harry, Wood hat sich fast überschlagen, als er es erzählt hat.«

»Übrigens, wir müssen gleich wieder los, Lee Jordan glaubt, er habe einen neuen Geheimgang entdeckt, der aus der Schule herausführt.«

 


 

 

»Wette, es ist der hinter dem Standbild von Gregor dem Kriecher, den wir schon in unserer ersten Woche hier entdeckt haben. Bis später.«

Kaum waren Fred und George verschwunden, als jemand auftauchte, der weit weniger willkommen war: Malfoy, flankiert von Crabbe und Goyle.

»Nimmst deine letzte Mahlzeit ein, Potter? Wann fährt der Zug zurück zu den Muggeln?«

»Hier unten bist du viel mutiger, und deine kleinen Kumpel hast du auch mitgebracht«, sagte Harry kühl. Natürlich war überhaupt nichts Kleines an Crabbe und Goyle, doch da der Hohe Tisch mit Lehrern besetzt war, konnte keiner von ihnen mehr tun, als mit den Knöcheln zu knacken und böse Blicke zu werfen.

»Mit dir würd ich es jederzeit allein aufnehmen«, sagte Malfoy. »Heute Nacht, wenn du willst. Zaubererduell. Nur Zauberstäbe, kein Körperkontakt. Was ist los? Noch nie von einem Zaubererduell gehört, was?«

»Natürlich hat er«, sagte Ron und stand auf »Ich bin sein Sekundant, wer ist deiner?«

Malfoy musterte Crabbe und Goyle.

»Crabbe«, sagte er. »Mitternacht, klar? Wir treffen uns im Pokalzimmer, das ist immer offen.«

Als Malfoy verschwunden war, sahen sich Ron und Harry


an.


 

»Was ist ein Zaubererduell?«, fragte Harry. »Und was soll


das heißen, du bist mein Sekundant?«

»Naja, ein Sekundant ist da, um deine Angelegenheiten zu regeln, falls du stirbst«, sagte Ron lässig und machte sich endlich über seine kalte Pastete her. Er bemerkte Harrys Gesichtsausdruck und fügte rasch hinzu: »Aber man stirbt nur in richtigen Duellen mit richtigen Zauberern. Alles, was du und Malfoy könnt, ist, euch mit Funken zu besprü-

 


 

 

hen. Keiner von euch kann gut genug zaubern, um wirklich Schaden anzurichten. Ich wette, er hat ohnehin erwartet, dass du ablehnst.«

»Und was, wenn ich mit meinem Zauberstab herumfuchtle und nichts passiert?«

»Dann wirf ihn weg und hau Malfoy eins auf die Nase«, schlug Ron vor.

»Entschuldigt, wenn ich störe.«

Beide sahen auf. Es war Hermine Granger.

»Kann ein Mensch hier nicht mal in Ruhe essen?«, sagte Ron.

Hermine ignorierte ihn und wandte sich an Harry.

»Ich habe unfreiwillig mitbekommen, was du und Malfoy beredet habt -«

»Von wegen unfreiwillig«, murmelte Ron.

»- und ihr dürft einfach nicht nachts in der Schule he- rumlaufen, denkt an die Punkte, die Gryffindor wegen euch verliert, wenn ihr erwischt werdet, und das werdet ihr sicher. Das ist wirklich sehr egoistisch von euch.«

»Und dich geht es wirklich nichts an«, sagte Harry.

»Auf Wiedersehen«, sagte Ron.

 

Trotz allem konnte man nicht gerade von einem gelungenen Abschluss des Tages reden, dachte Harry, als er später noch lange wach lag und hörte, wie Dean und Seamus einschliefen (Neville war noch nicht aus dem Krankenflügel zurückgekehrt). Ron hatte ihm den ganzen Abend lang Ratschläge erteilt, zum Beispiel: »Wenn er versucht, dir einen Fluch anzuhängen, dann weich ihm besser aus, ich weiß nämlich nicht, wie man sie abblocken kann.« Wahrscheinlich würden sie ohnehin von Filch oder Mrs. Norris erwischt werden, und Harry hatte das Gefühl, dass er sein Glück aufs Spiel setzte, wenn er heute noch eine Schulre-

 


 

 

gel brach. Andererseits tauchte ständig Malfoys grinsendes Gesicht aus der Dunkelheit auf - das war die große Gelegenheit, ihn von Angesicht zu Angesicht zu schlagen. Er konnte sie nicht sausen lassen.

»Halb zwölf«, murmelte Ron schließlich, »wir sollten aufbrechen.«

Sie zogen die Morgenmäntel an, griffen sich ihre Zau- berstäbe und schlichen durch das Turmzimmer, eine Wen- deltreppe hinab und in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors. Ein paar Holzscheite glühten noch im Kamin und verwandelten die Sessel in gedrungene schwarze Schatten. Sie hatten das Loch hinter dem Porträt schon fast erreicht, als eine Stimme aus nächster Nähe zu ihnen sprach: »Ich kann einfach nicht glauben, dass du das tust, Harry.«

Eine Lampe ging flackernd an. Es war Hermine Granger, die einen rosa Morgenmantel trug und auf der Stirn eine tiefe Sorgenfalte.

»Du!«, sagte Ron zornig. »Geb. wieder ins Bett!«

»Ich hätte es fast deinem Bruder erzählt«, sagte Hermine spitz, »Percy, er ist Vertrauensschüler, und er hätte das hier nicht zugelassen.«

Harry konnte es nicht fassen, dass sich jemand auf so un- verschämte Weise einmischte.

»Los, weiter«, sagte er zu Ron. Er schob das Porträt der fetten Dame beiseite und kletterte durch das Loch.

So schnell gab Hermine jedoch nicht auf Sie folgte Ron durch das Loch hinter dem Bild und fauchte wie eine wütende Gans.

»Ihr schert euch überhaupt nicht um Gryffindor, sondern nur um euch selbst. Ich jedenfalls will nicht, dass Slytherin den Hauspokal gewinnt und ihr sämtliche Punkte wieder verliert, die ich von Professor McGonagall gekriegt habe, weil ich alles über die Verwandlungssprüche wusste.«

 


 

 

»Hau ab.«

»Na gut, aber ich warne euch, erinnert euch an das, was ich gesagt habe, wenn ihr morgen im Zug nach Hause sitzt, ihr seid ja so was von -«

Doch was sie waren, erfuhren sie nicht mehr. Hermine hatte sich zu dem Porträt der fetten Dame umgedreht, um zurückzukehren, doch das Bild war leer. Die fette Dame war zu einem nächtlichen Besuch ausgegangen und Hermine war aus dem Gryffindor-Turm ausgesperrt.

»Was soll ich jetzt tun?«, fragte sie mit schriller Stimme.

»Das ist dein Problem«, sagte Ron. »Wir müssen weiter, sonst kommen wir noch zu spät.«

Sie hatten noch nicht einmal das Ende des Ganges erreicht, als Hermine sie einholte.

»Ich komme mit«, sagte sie.

»Das tust du nicht.«

»Glaubt ihr, ich warte hier draußen, bis Filch mich erwischt? Wenn er uns alle drei erwischt, sage ich ihm die Wahrheit, nämlich dass ich euch aufhalten wollte, und ihr könnt es ja bestätigen.«

»Du hast vielleicht Nerven _«, stöhnte Ron.

»Seid still, beide!«, zischte Harry. »Ich hab etwas gehört.« Es hörte sich an wie ein Schnüffeln.

»Mrs. Norris?«, flüsterte Ron und spähte durch die Dun- kelheit.

Es war nicht Mrs. Norris. Es war Neville. Er lag zusam- mengekauert auf dem Boden und schlief, doch als sie sich näherten, schreckte er hoch.

»Gott sei Dank, dass ihr mich gefunden habt! Ich bin schon seit Stunden hier draußen. Ich hab das Passwort vergessen und bin nicht reingekommen.«

»Sprich leise, Neville. Das Passwort ist >Schweine-

 


 

 

schnauze<, aber das wird dir nicht weiterhelfen, die fette Dame ist nämlich ausgeflogen.«

»Was macht dein Arm?«, fragte Harry.

»Wieder in Ordnung«, sagte Neville und zeigte ihn vor.

»Madam Pomfrey hat ihn in einer Minute heil gemacht.«

»Gut. Nun hör mal zu, Neville, wir müssen noch weiter, wir sehen uns später -«

»Lasst mich nicht allein!«, rief Neville und rappelte sich hoch. »Ich will nicht alleine hier bleiben, der Blutige Baron ist schon zweimal vorbeigekommen.«

Ron sah auf die Uhr und blickte dann Hermine und Neville wütend an.

»Wenn wir wegen euch erwischt werden, ruhe ich nicht (-her, bis ich diesen Fluch der Popel gelernt habe, von dem uns Quirrell erzählt hat, und ihn euch auf den Hals gejagt habe.«

Hermine öffnete den Mund, vielleicht um Ron genau zu erklären, wie der Fluch der Popel funktionierte, doch mit einem Zischen gebot ihr Harry zu schweigen und scheuchte sie alle weiter.

Sie huschten Gänge entlang, in die der Mond Lichtstreifen durch die hohen Fenster warf. Nach jeder Ecke erwartete Harry, sie würden auf Filch oder Mrs. Norris stoßen, doch sie hatten Glück. Sie rannten eine Treppe zum dritten Stock empor und gingen auf Zehenspitzen in Richtung Pokalzimmer.

Malfoy und Crabbe waren noch nicht da. Die Vitrinen aus Kristallglas schimmerten im Mondlicht. Pokale, Schilder, Teller und Statuen blinkten silbern und golden durch die Dunkelheit. Sie drückten sich leise an den Wänden entlang und behielten dabei die Türen auf beiden Seiten des Raumes im Auge. Harry nahm seinen Zauberstab he-

 


 

 

raus für den Fall, dass Malfoy hereinsprang und sofort loslegte. Die Minuten krochen vorbei.

»Er kommt zu spät, vielleicht hat er Muffensausen gekriegt«, flüsterte Ron.

Ein Geräusch im Zimmer nebenan ließ sie zusammen- schrecken. Harry hatte gerade den Zauberstab erhoben, als sie jemanden sprechen hörten - und es war nicht Malfoy.

»Schnüffel ein wenig herum, meine Süße, vielleicht lauern sie in einer Ecke.«

Es war Filch, der mit Mrs. Norris sprach. Harry, den ein fürchterlicher Schreck gepackt hatte, ruderte wild mit den Armen, um den anderen zu bedeuten, sie sollten ihm so schnell wie möglich folgen. Sie tasteten sich zur Tür, die von Filchs Stimme wegführte. Kaum war Nevilles Umhang um die Ecke gewischt, als sie Filch das Pokalzimmer betreten hörten.

»Sie sind irgendwo hier drin«, hörten sie ihn murmeln,

»wahrscheinlich verstecken sie sich.«

»Hier entlang!«, bedeutete Harry den andern mit einer Mundbewegung, und mit entsetzensstarren Gliedern schlichen sie eine endlose Galerie voller Rüstungen entlang. Sie konnten Filch näher kommen hören. Neville gab plötzlich ein ängstliches Quieken von sich und rannte los, er stolperte, klammerte seine Arme um Rons Hüfte und beide stürzten mitten in eine Rüstung.

Das Klingen und Klirren reichte aus, um das ganze Schloss aufzuwecken.

»LAUFT!«, rief Harry, und die vier rasten die Galerie entlang ohne sich umzusehen, ob Filch folgte. Sie schwangen sich um einen Türpfosten und liefen einen Gang runter und dann noch einen, Harry voran, der jedoch keine Ahnung hatte, wo sie waren oder hinrannten. Schließlich durchrissen sie einen Wandbehang und fanden sich in ei-

 


 

 

nen Geheimgang wieder. Immer noch rennend kamen sie in der Nähe des Klassenzimmers heraus, wo sie Zauberkunst hatten und von dem sie wussten, dass es vom Pokalzimmer meilenweit entfernt war.

»Ich glaube, wir haben ihn abgehängt«, stieß Harry außer Atem hervor, lehnte sich gegen die kalte Wand und wischte sich die Stirn. Neville war pfeifend und prustend in sich zusammengesunken.

»Ich - hab's euch -gesagt«, keuchte Hermine und griff sich an die Seite, wo sie ein Stechen spürte, »ich - hab's -euch - doch - gesagt.«

»Wir müssen zurück in den Gryffindor-Turm«, sagte Ron,

»so schnell wie möglich.«

»Malfoy hat dich reingelegt«, sagte Hermine zu Harry, »Das siehst du doch auch, oder? Er hat dich nie treffen wollen - Filch wusste, dass im Pokalzimmer etwas vor sich ging, Malfoy muss ihm einen Tipp gegeben haben.«

Sie hat vermutlich Recht, dachte Harry, doch das würde er ihr nicht sagen.

»Gehen wir. «

So einfach war es freilich nicht. Nach kaum einem Dutzend Schritten rüttelte es an einer Türklinke und aus einem Klassenzimmer kam eine Gestalt herausgeschossen.

Es war Peeves. Er bemerkte sie und gab ein freudiges Quietschen von sich.

»Halt den Mund, Peeves, bitte, wegen dir werden wir noch rausgeworfen.«

Peeves lachte gackernd.

»Stromern um Mitternacht im Schloss herum, die kleinen Erstklässler? Soso, soso. Gar nicht brav, man wird euch erwischen.«

»Nicht, wenn du uns nicht verpetzt, Peeves, bitte.«

»Sollte es Filch sagen, sollte ich wirklich«, sagte Peeves 175


 

 

mit sanfter Stimme, doch mit verschlagen glitzernden Augen.

»Ist nur zu eurem Besten, wisst ihr.«

»Aus dem Weg«, fuhr ihn Ron an und schlug nach ihm, was ein großer Fehler war.

»SCHÜLER AUS DEM BETT!«, brüllte Peeves,»SCHÜLER AUS DEM BETT, HIER IM ZAUBERKUNSTKORRIDOR«

Sie duckten sich unter Peeves hindurch und rannten wie um ihr Leben bis zum Ende des Gangs, wo sie in eine Tür krachten - und die war verschlossen.

»Das war's«, stöhnte Ron, als sie verzweifelt versuchten die Tür aufzudrücken. »Wir sitzen in der Falle! Das ist das Ende«

Sie hörten Schritte. Filch rannte, so schnell er konnte, den Rufen von Peeves nach.

»Ach, geh mal beiseite«, fauchte Hermine. Sie packte Harrys Zauberstab, klopfte auf das Türschloss und flüsterte:

»Alohomora!«

Das Schloss klickte und die Tür ging auf - sie stürzten sich alle auf einmal hindurch, verschlossen sie rasch hinter sich und drückten die Ohren dagegen, um zu lauschen.

»In welche Richtung sind sie gelaufen, Peeves?«, hörten sie Filch fragen. »Schnell, sag's mir.«

»Sag >bitte<.«

»Keine blöden Mätzchen jetzt, Peeves, wo sind sie hinge- gangen?«

»Ich sag dir nichts, wenn du nicht >bitte< sagst«, antwortete Peeves mit einer nervigen Singsangstimme.

»Na gut - bitte

»NICHTS! Hahaaa! Hab dir gesagt, dass ich nichts sagen würde, wenn du nicht bitte sagst! Haha! Haaaaa« Und sie hörten Peeves fortrauschen und Filch wütend fluchen.

 


 

 

»Er glaubt, dass diese Tür verschlossen ist«, flüsterte

Harry, »ich glaube, wir haben's geschafft - lass los, Neville!« Denn Neville zupfte schon seit einer Minute ständig an Harrys Ärmel. »Was?«

Harry wandte sich um und sah, ganz deutlich, was. Einen Moment lang glaubte er, in einen Alptraum geschlittert zu

sein - das war einfach zu viel, nach dem, was bisher schon passiert war.

Sie waren nicht in einem Zimmer, wie er gedacht hatte.

Sie waren in einem Gang. In dem verbotenen Gang im dritten Stock. Und jetzt wussten sie auch, warum er verboten war.

Sie sahen direkt in die Augen eines Ungeheuers von Hund, eines Hundes, der den ganzen Raum zwischen Decke und Fußboden einnahm. Er hatte drei Köpfe. Drei Paar rollender, irrsinniger Augen; drei Nasen, die in ihre Richtung zuckten und zitterten; drei sabbernde Mäuler, Aus denen von gelblichen Fangzähnen in glitschigen Fäden der Speichel herunterhing.

Er stand ganz ruhig da, alle sechs Augen auf sie gerichtet, und Harry wusste, dass der einzige Grund, warum sie nicht schon tot waren, ihr plötzliches Erscheinen war, das ihn überrascht hatte. Doch darüber kam er jetzt schnell hinweg, denn es war unmissverständlich, was dieses Donnergrollen bedeutete.

Harry griff nach der Türklinke - wenn er zwischen Filch und dem Tod wählen musste, dann nahm er lieber Filch.

Sie liefen rückwärts. Harry schlug die Tür hinter ihnen zu, und sie rannten, flogen fast, den Gang entlang zurück. Filch war nirgends zu sehen, er musste fortgeeilt sein, um anderswo nach ihnen zu suchen, doch das kümmerte sie nicht. Alles, was sie wollten, war, das Ungeheuer so weit

 


 

 

wie möglich hinter sich zu lassen. Sie hörten erst auf zu rennen, als sie das Porträt der fetten Dame im siebten Stock erreicht hatten.

»Wo um Himmels willen seid ihr alle gewesen?«, fragte sie und musterte ihre Morgenmäntel, die ihnen von den Schultern hingen, und ihre erhitzten, schweißüberströmten Gesichter.

»Das ist jetzt egal - Schweineschnauze, Schweineschnauze«, keuchte Harry, und das Porträt schwang zur Seite. Sie drängten sich in den Aufenthaltsraum und ließen sich zitternd in die Sessel fallen.

Es dauerte eine Weile, bis einer von ihnen ein Wort sagte. Neville sah tatsächlich so aus, als ob er nie mehr den Mund aufmachen würde.

»Was denken die sich eigentlich, wenn sie so ein Ding hier in der Schule eingesperrt halten?«, sagte Ron schließlich. »Wenn es einen Hund gibt, der mal Auslauf braucht, dann der da unten.«

Hermine hatte inzwischen wieder Atem geschöpft und auch ihre schlechte Laune zurückgewonnen.

»Ihr benutzt wohl eure Augen nicht, keiner von euch?«, fauchte sie. »Habt ihr nicht gesehen, worauf er stand?«

»Auf dem Boden?«, war der Beitrag Harrys zu dieser Frage.

»Ich habe nicht auf seine Pfoten geschaut, ich war zu beschäftigt mit den Köpfen.«

»Nein, nicht auf dem Boden. Er stand auf einer Falltür.

Offensichtlich bewacht er etwas.«

Sie stand auf und sah sie entrüstet an.

»Ich hoffe, ihr seid zufrieden mit euch. Wir hätten alle sterben können - oder noch schlimmer, von der Schule verwiesen werden. Und jetzt, wenn es euch nichts ausmacht, gehe ich zu Bett.«

Ron starrte ihr mit offenem Mund nach.

 


 

 

»Nein, es macht uns nichts aus«, sagte er. »Du könntest glatt meinen, wir hätten sie mitgeschleift, oder?«

Doch Hermine hatte Harry etwas anderes zum Nachdenken gegeben, bevor sie ins Bett ging. Der Hund bewachte etwas ... Was hatte Hagrid gesagt? Gringotts war der sicherste Ort auf der Welt, mit Ausnahme vielleicht von Hogwarts.

Es sah so aus, als hätte Harry herausgefunden, wo das schmutzige kleine Päckchen aus dem Verlies siebenhun- dertundneunzehn steckte.

 


 

 

Halloween

Malfoy wollte seinen Augen nicht trauen, als er am nächsten Tag sah, dass Harry und Ron immer noch in Hogwarts waren, müde zwar, doch glänzend gelaunt. Tatsächlich hielten die beiden, als sie darüber geschlafen hatten, ihre Begegnung mit dem dreiköpfigen Hund für ein tolles Abenteuer und waren ganz erpicht auf ein neues. Unterdessen erzählte Harry Ron von dem Päckchen, das offenbar von Gringotts nach Hogwarts gebracht worden war, und sie zerbrachen sich die Köpfe darüber, was denn mit so viel Aufwand geschützt werden musste.

»Entweder ist es sehr wertvoll oder sehr gefährlich«, sagte Ron.

»Oder beides«, sagte Harry.

Doch weil sie über das geheimnisvolle Ding nicht mehr wussten, als dass es gut fünf Zentimeter lang war, hatten sie ohne nähere Anhaltspunkte keine große Chance zu erraten, was in dem Päckchen war.

Weder Neville noch Hermine zeigten das geringste Interesse an der Frage, was wohl unter dem Hund und der Falltür liegen könnte. Neville interessierte nur eines, nämlich nie mehr in die Nähe des Hundes zu kommen.

Hermine weigerte sich von nun an, mit Harry und Ron zu sprechen, doch sie war eine so aufdringliche Besserwisserin, dass die beiden dies als Zusatzpunkt für sich verbuchten. Was sie jetzt wirklich wollten, war eine Gelegenheit,

 


 

 

es Malfoy heimzuzahlen, und zu ihrem großen Vergnügen kam sie eine Woche später per Post.

Die Eulen flogen wie immer in einem langen Strom durch die Große Halle, doch diesmal schauten alle sogleich auf das lange, schmale Paket, das von sechs großen Schleiereulen getragen wurde. Harry war genauso neugierig darauf wie alle andern, was wohl in diesem großen Paket stecken mochte, und war sprachlos, als die Eulen herabstießen und es vor seiner Nase fallen ließen, so dass sein Schinkenbrot vom Tisch rutschte. Kaum waren die sechs Schleiereulen davongeflattert, als eine siebte heranschwebte und (,MM Brief auf das Paket warf

Harry riss als Erstes den Brief auf und das war ein Glück, denn er lautete:

 

ÖFFNEN SIE DAS PAKET NICHT BEI TISCH.

es enthält Ihren neuen Nimbus Zweitausend, doch ich möchte nicht, dass die andern von Ihrem Besen erfahren, denn dann wollen sie alle einen. Oliver Wood erwartet Sie heute Abend um sieben Uhr auf dem Quidditch-Feld zu ihrer ersten Trainingsstunde.

Professor M. McGonagall

 

Harry fiel es schwer, seine Genugtuung zu verbergen, als er Ron den Brief zu lesen gab.

»Einen Nimbus Zweitausend«, stöhnte Ron neidisch. »Ich hab noch nicht mal einen berührt

Sie verließen rasch die Halle, um den Besen zu zweit noch vor der ersten Stunde auszupacken, doch in der Eingangshalle sahen sie, dass Crabbe und Goyle ihnen an der Treppe den Weg versperrten. Malfoy riss Harry das Paket aus den Händen und betastete es.

»Das ist ein Besen«, sagte er und warf ihn Harry zu-

 


 

 

rück, eine Mischung aus Eifersucht und Häme im Gesicht.

»Diesmal bist du dran, Potter, Erstklässler dürfen keinen haben.« Ron konnte nicht widerstehen.

»Es ist nicht irgendein blöder Besen«, sagte er, »es ist ein Nimbus Zweitausend. Was sagtest du, was für einen du daheim hast, einen Komet Zwei-Sechzig?« Ron grinste Harry an. »Ein Komet sieht ganz protzig aus, aber der Nimbus spielt in einer ganz anderen Liga.«

»Was weißt du denn schon darüber, Weasley, du könntest dir nicht mal den halben Stiel leisten«, fauchte Malfoy zurück.

»Ich nehme an, du und deine Brüder müssen sich jeden Reisigzweig einzeln zusammensparen.«

Bevor Ron antworten konnte, erschien Professor Flitwick an Malfoys Seite.

»Die Jungs streiten sich doch nicht etwa?«, quiekte er.

»Potter hat einen Besen geschickt bekommen, Professor«, sagte Malfoy wie aus der Pistole geschossen.

>Ja, das hat seine Richtigkeit«, sagte Professor Flitwick und strahlte Harry an. »Professor McGonagall hat mir die besonderen Umstände eingehend erläutert, Potter. Und welches Modell ist es?«

»Ein Nimbus Zweitausend, Sir«, sagte Harry und musste kämpfen, um beim Anblick von Malfoys Gesicht nicht laut loszulachen. »Und im Grunde genommen verdanke ich ihn Malfoy hier«, fügte er hinzu.

Mit halb unterdrücktem Lachen über Malfoys unverhohlene Wut und Bestürzung stiegen Harry und Ron die Marmortreppe hoch.

»Tja, es stimmt«, frohlockte Harry, als sie oben angelangt waren, »wenn er nicht Nevilles Erinnermich geklaut hätte, wär ich nicht in der Mannschaft ... «

»Du glaubst wohl, es sei eine Belohnung dafür, dass du


 

 

die Regeln gebrochen hast?«, tönte eine zornige Stimme hinter ihnen. Hermine stapfte die Treppe hoch und betrachtete missbilligend das Paket in Harrys Hand.

»Ich dachte, du sprichst nicht mehr mit uns?«, sagte Harry.

»hör jetzt bloß nicht auf damit«, sagte Ron, »es tut uns ja soo gut.«

Hermine warf den Kopf in den Nacken und stolzierte davon.

Harry fiel es an diesem Tag ausgesprochen schwer, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. In Gedanken stieg er hoch zum Schlafsaal, wo sein neuer Besen unter dem Bett lag, und schlenderte hinaus zum Quidditch-Feld, wo er heute Abend noch spielen lernen würde. Das Abendessen schlang er hinunter, ohne zu bemerken, dass er überhaupt aß, und rannte dann mit Ron die Treppen hoch, um endlich den Nimbus Zweitausend auszupacken.

»Aaah«, seufzte Ron, als der Besen auf Harrys Bettdecke


lag.


 

Selbst für Harry, der nichts über die verschiedenen Besen


wusste, sah er wundervoll aus. Der schlanke, glänzende Stil war aus Mahagoni und trug die goldgeprägte Aufschrift Nimbus Zweitausend an der Spitze, der Schweif war aus fest gebündelten und geraden Reisigzweigen.

Es war bald sieben. Harry verließ das Schloss und machte sich in der Dämmerung auf den Weg zum Quidditch-Feld. Er war noch nie in dem Stadion gewesen. Auf Gerüsten um das Feld herum waren hunderte von Sitzen befestigt, so dass die Zuschauer hoch genug saßen, um das Geschehen verfolgen zu können. An beiden Enden des Feldes standen je drei goldene Pfeiler mit Ringen an der Spitze. Sie erinnerten Harry an die Ringe aus Plastik, mit denen die Muggelkinder Seifenblasen machten, nur waren sie in einer Höhe von fast zwanzig Metern angebracht.


 

 

Harry war so scharf darauf, wieder zu fliegen, dass er nicht auf Wood wartete, sondern seinen Besen bestieg und sich vom Boden abstieß. Was für ein Gefühl - er schwebte durch die Torringe und raste dann das Spielfeld hinauf und hinunter. Der Nimbus Zweitausend reagierte auf die leiseste Berührung.

»He, Potter, runter da«

Oliver Wood war angekommen. Er trug eine große Holzkiste unter dem Arm. Harry landete neben ihm.

»Sehr schön«, sagte Wood mit glänzenden Augen. »Ich weiß jetzt, was McGonagall gemeint hat ... du bist wirklich ein Naturtalent. Heute Abend erkläre ich dir nur die Regeln und dann nimmst du dreimal die Woche am Mannschaftstraining teil.«

Er öffnete die Kiste. Darin lagen vier Bälle verschiedener Größe.

»So«, sagte Wood, »pass auf, Quidditch ist leicht zu ver- stehen, auch wenn es nicht leicht zu spielen ist. Jede Mannschaft hat sieben Spieler. Drei von ihnen heißen Jäger.«

»Drei Jäger«, wiederholte Harry, und Wood nahm einen hellroten Ball in der Größe eines Fußballs heraus.

»Dieser Ball ist der so genannte Quaffel«, sagte Wood. »Die Jäger werfen sich den Quaffel zu und versuchen ihn durch einen der Ringe zu werfen und damit ein Tor zu erzielen. jedes Mal zehn Punkte, wenn der Quaffel durch einen Ring geht. Alles klar so weit?«

»Die Jäger spielen mit dem Quaffel und werfen ihn durch die Ringe, um ein Tor zu erzielen«, wiederholte Harry. »Das ist wie Basketball auf Besen mit sechs Körben, oder?«

»Was ist Basketball?«, fragte Wood neugierig.

»Nicht so wichtig«, sagte Harry rasch.

»Nun hat jede Seite noch einen Spieler, der Hüter heißt - ich bin der Hüter von Gryffindor. Ich muss um unsere Ringe

 


 

 

herumfliegen und die andere Mannschaft daran hindern, Tore zu erzielen.«

»Drei Jäger, ein Hüter«, sagte Harry, entschlossen, sich Alles genau zu merken. »Und sie spielen mit dem Quaffel. Gut, hab ich verstanden. Und wozu sind die da?« Er deutete auf die drei Bälle, die noch in der Kiste lagen.

»Das zeig ich dir jetzt«, sagte Wood. »Nimm das.«

Er reichte Harry ein kleines Schlagholz, das an einen Baseballschläger erinnerte.

»Ich zeig dir, was die Klatscher tun«, sagte Wood. »Diese beiden hier sind Klatschen«

Er zeigte Harry zwei gleiche Bälle, die tiefschwarz und etwas kleiner waren als der rote Quaffel. Harry bemerkte, dass sie den Bändern offenbar entkommen wollten, die sie im Korb festhielten.

»Geh einen Schritt zurück«, warnte Wood Harry. Er bückte sich und befreite einen der Klatscher.

Der schwarze Ball stieg sofort hoch in die Luft und schoss dann direkt auf Harrys Gesicht zu. Harry schlug mit dem Schlagholz nach ihm, damit er ihm nicht die Nase brach, und der Ball flog im Zickzack hoch in die Luft. Er drehte sich im Kreis um ihre Köpfe und schoss dann auf Wood hinunter, der ihm auswich und es schaffte, ihn mit dem Fuß auf dem Boden festzuhalten.

»Siehst du?«, keuchte Wood und mühte sich damit ab, den Klatscher wieder in den Korb zu zwängen und ihn sicher festzuschnallen. »Die Klatscher schießen in der Luft herum und versuchen die Spieler von ihren Besen zu stoßen. Deshalb hat jede Mannschaft zwei Treiber - die Weasley-Zwillinge sind unsere -, ihre Aufgabe ist es, die eigene Seite vor den Klatschern zu schützen und zu versuchen sie auf die gegnerische Mannschaft zu jagen. So, meinst du, du hast alles im Kopf?«

 


 

 

»Drei Jäger versuchen mit dem Quaffel Tore zu erzielen; der Hüter bewacht die Torpfosten; die Treiber halten die Klatscher von ihrem Team fern«, spulte Harry herunter.

»Sehr gut«, sagte Wood.

»Ähm - haben die Klatscher schon mal jemanden um- gebracht?«, fragte Harry, wobei er möglichst lässig klingen wollte.

»In Hogwarts noch nie. Wir hatten ein paar gebrochene Kiefer, doch ansonsten nichts Ernstes. Wir haben noch einen in der Mannschaft, nämlich den Sucher. Das bist du. Und du brauchst dich um den Quaffel und die Klatscher nicht zu kümmern -«

»Außer sie spalten mir den Schädel.«

»Mach dir keine Sorgen, die Weasleys sind den Klatschern weit überlegen - ich will sagen, sie sind wie ein Paar menschlicher Klatschen«

Wood griff in seinen Korb und nahm den vierten und letzten Ball heraus. Er war kleiner als der Quaffel und die Klatscher, so klein etwa wie eine große Walnuss. Er war hellgolden und hatte kleine, flatternde Silberflügel.

»Das hier«, sagte Wood, »ist der Goldene Schnatz, und der ist der wichtigste Ball von allen. Er ist sehr schwer zu fangen, weil er sehr schnell und kaum zu sehen ist. Der Sucher muss ihn fangen. Du musst dich durch die Jäger, Treiber, Klatscher und den Quaffel hindurchschlängeln, um ihn vor dem Sucher der anderen Mannschaft zu fangen, denn der Sucher, der ihn fängt, holt seiner Mannschaft zusätzlich hundertfünfzig Punkte, und das heißt fast immer, dass sie gewinnt. Ein Quidditch-Spiel endet erst, wenn der Schnatz gefangen ist, also kann es ewig lange dauern. Ich glaube, der Rekord liegt bei drei Monaten, sie mussten damals ständig Ersatzleute ranschaffen, damit die Spieler ein wenig schlafen konnten.

 


 

 

»Nun, das war's. Noch Fragen?«

Harry schüttelte den Kopf. Er hatte begriffen, wie das Spiel ging, und nun musste er es in die Tat umsetzen.

»Wir üben heute noch nicht mit dem Schnatz«, sagte Wood und verstaute ihn sorgfältig wieder in der Kiste. »Es ist zu dunkel, er könnte verloren gehen. Am besten fängst du mit ein paar von denen an.«

Er zog einen Beutel mit gewöhnlichen Golfbällen aus der Tasche und ein paar Minuten später waren die beiden oben in den Lüften. Wood warf die Golfbälle, so weit er konnte, in alle Himmelsrichtungen und Harry musste sie Auffangen.

Harry fing jeden Ball, bevor er den Boden berührte, was Wood ungemein freute. Nach einer halben Stunde war die Nacht hereingebrochen, und sie mussten aufhören.

»Der Quidditch-Pokal wird dieses Jahr unseren Namen tragen«, sagte Wood glücklich, als sie zum Schloss zurück schlenderten. »Würde mich nicht wundern, wenn du besser bist als Charlie Weasley, und der hätte für England spielen können, wenn er nicht Drachenjagen gegangen wäre.«

 

Vielleicht war Harry so beschäftigt mit dem Quidditch- training drei Abende die Woche und dazu noch mit all den Hausaufgaben jedenfalls konnte er es kaum fassen, als ihm klar wurde, dass er schon seit zwei Monaten in Hogwarts war. Im Schloss fühlte er sich mehr zu Hause als jemals im Ligusterweg. Auch der Unterricht wurde nun, da er die Grundlagen beherrschte, immer interessanter.

Als sie am Morgen von Halloween aufwachten, wehte der köstliche Geruch gebackener Kürbisse durch die Gänge. Und es kam noch besser: Professor Flitwick verkündete im Zauberunterricht, sie seien nun so weit, Gegenstände fliegen zu lassen, und danach hatten sie sich alle gesehnt, seit sie

 


 

 

erlebt hatten, wie er Nevilles Kröte im Klassenzimmer um- herschwirren ließ. Für die Übungen stellte Professor Flitwick die Schüler paarweise zusammen. Harrys Partner war Seamus Finnigan (worüber er froh war, denn Neville hatte schon zu ihm herübergespäht). Ron sollte jedoch mit Hermine Granger arbeiten. Es war schwer zu sagen, wer von den beiden deshalb missmutiger war. Seit Harrys Besen gekommen war, hatte sie nicht mehr mit ihnen gesprochen.

»Also, vergesst nicht diese flinke Bewegung mit dem Handgelenk, die wir geübt haben!«, quiekte Professor Flitwick, wie üblich auf seinem Stapel Bücher stehend. »Wutschen und schnipsen, denkt daran, wutschen und schnipsen. Und die Zauberworte richtig herzusagen ist auch sehr wichtig - denkt immer an Zauberer Baruffio, der >r< statt >w< gesagt hat und plötzlich auf dem Boden lag - mit einem Büffel auf der Brust.«

Es war sehr schwierig. Harry und Seamus wutschten und schnipsten, doch die Feder, die sie himmelwärts schicken sollten, blieb einfach auf dem Tisch liegen. Seamus wurde so ungeduldig, dass er sie mit seinem Zauberstab anstachelte, worauf sie anfing zu brennen - Harry musste das Feuer mit seinem Hut ersticken.

Ron, am Tisch nebenan, erging es auch nicht viel besser.

»Wingardium Leviosa!«, rief er und ließ seine langen Arme wie Windmühlenflügel kreisen.

»Du sagst es falsch«, hörte Harry Hermine meckern. »Es heißt Wing-gar-dium Levi-o-sa, mach das >gar< schön und lang.«

»Dann mach's doch selber, wenn du alles besser weißt«, knurrte Ron.

Hermine rollte die Ärmel ihres Kleids hoch, knallte kurz mit dem Zauberstab auf den Tisch und sagte »Wingardium Leviosa!«.


 

 

Die Feder erhob sich vom Tisch und blieb gut einen Meter über ihren Köpfen in der Luft schweben.

»Oh, gut gemacht!«, rief Professor Flitwick und klatschte in die Hände. »Alle mal hersehen, Miss Granger hat es geschafft!«

Am Ende der Stunde hatte Ron eine hundsmiserable Laune.

»Kein Wunder, dass niemand sie ausstehen kann«, sagte er zu Harry, als sie hinaus in den belebten Korridor drängten,

»ehrlich gesagt ist sie ein Alptraum.«

Jemand stieß im Vorbeigehen Harry an. Es war Hermine. Für einen Augenblick sah er ihr Gesicht - und war Überrascht, dass sie weinte.

»Ich glaube, sie hat dich gehört.«

»So?«, sagte Ron und schaute allerdings etwas unbehaglich drein. »Ihr muss selbst schon aufgefallen sein, dass sie keine Freunde hat.«

Hermine erschien nicht zur nächsten Stunde und blieb den ganzen Nachmittag lang verschwunden. Auf ihrem Weg hinunter in die Große Halle zum Halloween-Festessen hörten Harry und Ron, wie Parvati Patil ihrer Freundin Lavender sagte, Hermine sitze heulend im Mädchenklo und wolle allein gelassen werden. Daraufhin machte Ron einen noch verlegeneren Eindruck, doch nun betraten Sie die Große Halle, die für Halloween ausgeschmückt war, und vergaßen Hermine.

Tausend echte Fledermäuse flatterten an den Wänden und an der Decke, und noch einmal tausend fegten in langen schwarzen Wolken über die Tische und ließen die Kerzen in den Kürbissen flackern. Auf einen Schlag, genau wie beim Bankett zum Schuljahresbeginn, waren die goldenen Platten mit dem Festessen gefüllt.

Harry nahm sich gerade eine Pellkartoffel, als Professor


 

 

Quirrell mit verrutschtem Turban und angstverzerrtem Gesicht in die Halle gerannt kam. Aller Blicke richteten sich auf ihn, als er Professor Dumbledores Platz erreichte, gegen den Tisch rempelte und nach Luft schnappend hervorstieß: »Troll - im Kerker - dachte, Sie sollten es wissen.«

Dann sank er ohnmächtig auf den Boden.

Mit einem Mal herrschte heilloser Aufruhr. Etliche pur- purrote Knallfrösche aus Professor Dumbledores Zauberstab waren nötig, um den Saal zur Ruhe zu bringen.

»Vertrauensschüler«, polterte er, #führt eure Häuser sofort zurück in die Schlafsäle!«

Percy war in seinem Element.

»Folgt mir! Bleibt zusammen, Erstklässler! Kein Grund zur Angst vor dem Troll, wenn ihr meinen Anweisungen folgt! Bleibt jetzt dicht hinter mir. Platz machen bitte für die Erstklässler. Pardon, ich bin Vertrauensschüler!«

»Wie konnte ein Troll reinkommen«, fragte Harry, während sie die Treppen hochstiegen.

»Frag mich nicht, angeblich sollen sie ziemlich dumm sein«, sagte Ron.

Wielleicht hat ihn Peeves hereingelassen, als Streich zu Halloween.«

Unterwegs trafen sie immer wieder auf andere Häufchen von Schülern, die in verschiedene Richtungen eilten. Als sie sich ihren Weg durch eine Gruppe verwirrter Hufflepuffs bahnten, packte Harry Ron plötzlich am Arm.

»Da fällt mir ein - Hermine.«

»Was ist mit ihr?«

»Sie weiß nichts von dem Troll.« Ron biss sich auf die Lippe.

»Von mir aus«, knurrte er. »Aber Percy sollte uns lieber nicht sehen.«

Sie duckten ihre Köpfe in der Menge und folgten den

 


 

 

Hufflepuffs, die in die andere Richtung unterwegs waren, huschten dann einen verlassenen Korridor entlang und rannten weiter in Richtung der Mädchenklos. Gerade waren sie um die Ecke gebogen, als sie hinter sich schnelle Schritte hörten.

»Percy!«, zischte Ron und zog Harry hinter einen großen steinernen Greifen.

Als sie um die Ecke spähten, sahen sie nicht Percy, sondern Snape. Er ging den Korridor entlang und entschwand ihren Blicken.

»Was macht der hier?«, flüsterte Harry. »Warum ist er nicht unten in den Kerkern mit den anderen Lehrern?«

»Keine Ahnung.«

So vorsichtig wie möglich schlichen sie den nächsten Gang entlang, Snapes leiser werdenden Schritten nach.

»Er ist auf dem Weg in den dritten Stock«, sagte Harry, doch Ron hielt die Hand hoch.

»Riechst du was?«

Harry schnüffelte und ein übler Gestank drang ihm in die Nase, eine Mischung aus getragenen Socken und der Sorte öffentlicher Toiletten, die niemand je zu putzen scheint.

Und dann hörten sie es - ein leises Grunzen und das Schleifen gigantischer Füße. Ron deutete nach links - vom Ende eines Ganges her bewegte sich etwas Riesiges auf sie zu. Sie drängten sich in die Dunkelheit der Schatten und sahen, wie das Etwas in einem Fleck Mondlicht Gestalt annahm.

Es war ein fürchterlicher Anblick. Über drei Meter hoch, die Haut ein fahles, granitenes Grau, der große, plumpe Körper wie ein Findling, auf den man einen kleinen, kokosnussartigen Glatzkopf gesetzt hatte. Das Wesen hatte kurze Beine, dick wie Baumstämme, mit flachen, verhornten Füßen. Der Gestank, den es ausströmte, verschlug ei-


 

 

nem den Atem. Es hielt eine riesige hölzerne Keule in der Hand, die, wegen seiner langen Arme, auf dem Boden entlangschleifte.

Der Troll machte an einer Tür Halt, öffnete sie einen Spalt breit und linste hinein. Er wackelte mit den langen Ohren, fasste dann in seinem kleinen Hirn einen Entschluss und schlurfte gemächlich in den Raum hinein.

»Der Schlüssel steckt«, flüsterte Harry, »Wir könnten ihn einschließen.«

»Gute Idee«, sagte Ron nervös.

Sie schlichen die Wand entlang zu der offenen Tür, Mit trockenen Mündern, betend, dass der Troll nicht gleich wieder herauskam. Harry machte einen großen Satz und schaffte es, die Klinke zu packen, die Tür zuzuschlagen und sie abzuschließen.

ja!«

Mit Siegesröte auf den Gesichtern rannten sie los, den Gang zurück, doch als sie die Ecke erreichten, hörten sie etwas, das ihre Herzen stillstehen ließ - einen schrillen, panischen Entsetzensschrei - und er kam aus dem Raum, den sie gerade abgeschlossen hatten.

»O nein«, sagte Ron, blass wie der Blutige Baron.

»Es ist das Mädchenklo!«, keuchte Harry.

»Hermine!«,japsten sie einstimmig.

Es war das Letzte, was sie tun wollten, doch hatten sie eine Wahl? Sie machten auf dem Absatz kehrt, rannten zurück zur Tür, drehten, zitternd vor Panik, den Schlüssel herum - Harry stieß die Tür auf und sie stürzten hinein.

Hermine Granger stand mit zitternden Knien an die Wand gedrückt da und sah aus, als ob sie gleich in Ohnmacht fallen würde. Der Troll, links und rechts die Waschbecken herunterschlagend, schlurfte langsam auf sie zu.

»Wir müssen ihn ablenken!«, sagte Harry verzweifelt zu


 

 

Ron, griff nach einem auf dem Boden liegenden Wasserhahn und warf ihn mit aller Kraft gegen die Wand.

Der Troll hielt ein paar Meter vor Hermine inne. Schwer- fällig drehte er sich um und blinzelte dumpf, um zu sehen, was diesen Lärm gemacht hatte. Die bösen kleinen Augen erblickten Harry. Er zögerte kurz und ging dann, die Keule emporhebend, auf Harry los.

»He, du, Erbsenhirn! «, schrie Ron von der anderen Seite des Raums und warf ein Metallrohr nach ihm. Der Troll schien nicht einmal Notiz davon zu nehmen, dass das Rohr seine Schulter traf, doch er hörte den Schrei, hielt erneut inne und wandte seine hässliche Schnauze nun Ron zu, was Harry die Zeit gab, um ihn herumzurennen.

»Schnell, lauf, lauf«, rief Harry Hermine zu und versuchte sie zur Tür zu zerren, doch sie konnte sich nicht bewegen. Immer noch stand sie flach gegen die Wand gedrückt, mit vor Entsetzen weit offenem Mund.

Die Schreie und deren Echo schienen den Troll zur Raserei zu bringen. Mit einem dumpfen Röhren ging er auf Ron los, der ihm am nächsten stand und keinen Ausweg hatte.

Harry tat nun etwas, das sehr mutig und sehr dumm zugleich war: mit einem mächtigen Satz sprang er auf den Rücken des Trolls und klammerte die Arme um seinen Hals. Der Troll spürte zwar nicht, dass Harry auf seinem Rücken hing, doch selbst ein Troll bemerkt, wenn man ihm ein langes Stück Holz in die Nase steckt, und Harry hatte seinen Zauberstab noch in der Hand gehabt, als er sprang - der war ohne weiteres in eines der Nasenlöcher des Trolls hineingeflutscht.

Der Troll heulte vor Schmerz, zuckte und schlug mit der Keule wild um sich, und Harry, in Todesgefahr, klammerte sich noch immer auf seinem Rücken fest; gleich würde der


 

 

Troll ihn herunterreißen oder ihm einen schrecklichen Schlag mit der Keule versetzen.

Hermine war vor Angst zu Boden gesunken. jetzt zog Ron seinen eigenen Zauberstab hervor - er wusste zwar nicht, was er tat, doch er hörte, wie er den ersten Zauberspruch rief der ihm in den Sinn kam: »Wingardium Leviosa!«

Die Keule flog plötzlich aus der Hand des Trolls, stieg hoch, hoch in die Luft, drehte sich langsam um - und krachte mit einem scheußlichen Splittern auf den Kopf ihres Besitzers. Der Troll wankte kurz im Kreis und fiel dann flach auf die Schnauze, mit einem dumpfen Schlag, der den ganzen Raum erschütterte.

Zitternd und um Atem ringend richtete sich Harry auf Ron stand immer noch mit erhobenem Zauberstab da und starrte auf das, was er angestellt hatte.

Hermine machte als Erste den Mund auf

»Ist er - tot?«

»Glaub ich nicht«, sagte Harry. »Ich denke, er ist k. o.«

Er bückte sich und zog den Zauberstab aus der Nase des Trolls. Er war beschmiert mit etwas, das aussah wie klumpiger grauer Kleber.

»Uäääh, Troll-Popel.«

Er wischte ihn an der Hose des Trolls ab.

Ein plötzliches Türschlagen und laute Schritte ließen die drei aufhorchen. Sie hatten nicht beme


Date: 2015-12-11; view: 611


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